Chronik 1900.08-III: Unterschied zwischen den Versionen

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| style="color:blue;background-color:#f6f890;" | '''''Hier geht es zu den Ereignissen der Monate des Jahres [[Chronik 1900|1900]]''''' || style="color:blue;background-color:#f6f890;" | '''[[Chronik 1900.01|Januar]] / [[Chronik 1900.02|Februar]] / [[Chronik 1900.03|März]] / [[Chronik 1900.04|April]] / [[Chronik 1900.05|Mai]] / [[Chronik 1900.06|Juni]] / [[Chronik 1900.07|Juli]] / [[Chronik 1900.08|August]] / [[Chronik 1900.09|September]] / [[Chronik 1900.10|Oktober]] / [[Chronik 1900.11|November]] / [[Chronik 1900.12|Dezember]]''' <br>
 
| style="color:blue;background-color:#f6f890;" | '''''Hier geht es zu den Ereignissen der Monate des Jahres [[Chronik 1900|1900]]''''' || style="color:blue;background-color:#f6f890;" | '''[[Chronik 1900.01|Januar]] / [[Chronik 1900.02|Februar]] / [[Chronik 1900.03|März]] / [[Chronik 1900.04|April]] / [[Chronik 1900.05|Mai]] / [[Chronik 1900.06|Juni]] / [[Chronik 1900.07|Juli]] / [[Chronik 1900.08|August]] / [[Chronik 1900.09|September]] / [[Chronik 1900.10|Oktober]] / [[Chronik 1900.11|November]] / [[Chronik 1900.12|Dezember]]''' <br>
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| <center> [[Datei:China 1890-1912.png|70px]] [[Datei:USA 1896-1908.png|70px]] <br><br>[[Datei:Japan.png|70px]] [[Datei:Italien 1861-1946.png|70px]] <br><br> [[Datei:Frankreich.png|70px]] [[Datei:Russland 1883-1914.png|70px]] <br><br> [[Datei:Deutsches Reich.png|70px]] [[Datei:Österreich-Ungarn.png|70px]] <br> '''Ende September 1899-07.09.1901''' </center> || '''[[Kaiserreich China 1900|Kaiserreich China]] / [[Vereinigte Staaten von Amerika 1900|Vereinigte Staaten von Amerika]] / [[Japanisches Kaiserreich 1900|Japanisches Kaiserreich]] / [[Königreich Italien 1900|Königreich Italien]] / [[Französische Republik 1900|Französische Republik]] / [[Russisches Kaiserreich 1900|Russisches Kaiserreich]] / [[Deutsches Kaiserreich 1900.06|Deutsches Kaiserreich]] / [[Österreichisch-Ungarische Monarchie 1900|Österreichisch-Ungarische Monarchie]]''' <br>
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Der Boxeraufstand in China war eine nationalistische und anti-westliche Revolte. Auslöser waren die zunehmende ausländische Einflussnahme und die damit verbundene soziale Unruhe im Land. Die Bewegung, die sich "Boxer" nannte, griff zunächst christliche Missionare und chinesische Christen an, weitete ihre Angriffe aber später auch auf ausländische Gesandte und Siedlungen aus. Die Niederschlagung des Aufstands erfolgte durch eine internationale Allianz von acht Nationen, die Beijing einnahm und die Qing-Dynastie zwang, dem Boxerprotokoll zuzustimmen, was China weiter schwächte und den ausländischen Einfluss zementierte. <br>
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In Paris findet die 13. offiziellle Weltausstellung statt. Die Hauptstadt Frankreichs ist zum fünften Mal seit 1855 der Veranstaltungsort. Hauptattraktionen sind: Dieselmotor, Rolltreppe, Filme, Heliogravüre, Krimsekt, Brillantine, Lohner-Porsche (erstes elektrisches Hybrid-Auto), Metro, Oberleitungsbus, Grand Palais, Petit Palais, Gare d’Orsay, Pont Alexandre III. und die Eisenbahnbrücke von Krasnojarsk sowie die Olympischen Spiele. <br>
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| <center> [[Datei:Logo Olympiade 1900.jpg|70px]] [[Datei:Frankreich.png|70px]] <br> '''14.05.-28.10.1900''' </center> ||  '''[[Olympische Spiele 1900|Olympische Spiele]] / [[Französische Republik 1900|Französische Republik]]''' <br>
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Als ein Zusatzprogramm der Weltausstellung finden in Paris die II. Olympischen Spiele der Neuzeit statt. Die Organisation ist im Vergleich zu späteren Veranstaltungen dieser Art chaotisch, denn viele Athleten wissen nicht einmal, dass sie an Olympischen Spielen teilnehmen. Die Spiele selbst werden auch nicht gekennzeichnet durch eine offizielle Eröffnungs- oder Schlussfeier. Die Wettkämpfe in 19 Sportarten ziehen sich über Monate hin. Etwa 997 Athleten aus 24 Ländern nehmen teil, darunter erstmals auch Frauen, wenn auch nur 22. Die Symbiose von Weltausstellung und Olympiade bringt ungewöhnliche Ereignisse hervor, zum Beispiel das Taubenschießen und das Automobilrennen, was für eine Olympiade ungewöhnlich ist. Die Spiele werden zur Popularisierung des Sports in Europa beitragen. <br>
 
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| <center> [[Datei:Schweden-Norwegen 1844-1905.png|70px]] </center> ||  '''[[Königreich Schweden und Norwegen 1900|Königreich Schweden und Norwegen]]''' <br>
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| <center> [[Datei:Deutsches Reich.png|70px]]  <br><br> [[Datei:Türkei.png|70px]] [[Datei:Bulgarien 1879-1947.png|70px]] </center> ||  '''[[Deutsches Kaiserreich 1900.08|Deutsches Kaiserreich]] / [[Osmanisches Reich 1900|Osmanisches Reich]] / [[Zarentum Bulgarien 1900|Zarentum Bulgarien]]''' <br>
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Fürst Ferdinand von Bulgarien stattet dem deutschen Kaiser Wilhelm II. in Schloß Wilhelmshöhe bei Kassel einen Besuch ab. <br>
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| <center> [[Datei:Italien 1861-1946.png|70px]] [[Datei:Kirchenstaat 1870-1928.png|70px]] </center> ||  '''[[Königreich Italien 1900|Königreich Italien]] / [[Kirchenstaat 1900|Kirchenstaat]]''' <br>
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Papst Leo XIII. fordert in einem Schreiben über die Ausbreitung des Protestantismus die Katholiken auf, eifriger für die „unersetzlichen Güter einzutreten, welche die Kirche über Rom, Italien und die ganze Welt verteilt hat, und mit aller Macht Einigkeit und Hartnäckigkeit dem Verderben Widerstand zu leisten”. <br>
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Eine Verordnung des deutschen Kaisers Wilhelm II. regelt das Zeigen der Reichsflagge durch deutsche Kauffahrteischiffe. Die Flagge ist zu zeigen bei der Begegnung mit einem Schiff der deutschen Kriegsmarine, das die Reichskriegsflagge gesetzt hat; beim Passieren einer deutschen Küstenbefestigung, auf der die Kriegsflagge weht; beim Einlaufen in einen deutschen Hafen. Ausländische Kauffahrteischiffe müssen einem deutschen Kriegsschiff ihre Flagge nur bei der Begegnung in deutschen Küstengewässern zeigen. <br>
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In Stettin in Pommern findet die Generalversammlung des Zentralverbandes deutscher Kaufleute und Gewerbetreibender statt, an der 200 Delegierte aus allen Teilen des Deutschen Reichs teilnehmen. <br>
 
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| <center> [[Datei:Deutsches Reich.png|70px]] [[Datei:Preußen 1892-1918.png|70px]] </center> ||  '''[[Deutsches Kaiserreich 1900.08|Deutsches Kaiserreich]] / [[Königreich Preußen 1900|Königreich Preußen]]''' <br>
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Der preußische Finanzminister Johann von Miquel ordnet in einem Erlaß die beschleunigte Bearbeitung von Steuerreklamationen an. <br>
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Der Prince of Wales, Albert Eduard, stattet der deutschen Kaiserfamilie auf Schloß Wilhelmshöhe bei Kassel einen Besuch ab. <br>
 
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Die finnische Presse meldet, dass unter dem Regime des russischen Generalgouverneurs Nikolai I. Bobrikow die Zahl der nach Kanada ausgewanderten finnischen Wehrpflichtigen 1900 sprunghaft gestiegen ist. - Im russischen Großfürstentum Finnland ist die Presse der zaristischen Zensur unterworfen. 1900 werden sieben Zeitungen ganz verboten, 14 erhalten ein Publikationsverbot für 33 Monate, vier werden zur Entlassung des Chefredakteurs gezwungen. <br>
 
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Auf einem von Beirut in Konstantinopel (Istanbul) einlaufenden Dampfer werden zwei Fälle von Pest festgestellt. <br>
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Der im Exil lebende russische Revolutionär Wladimir I. Lenin trifft in der Nähe von Genf mit führenden Vertretern der russischen Sozialdemokratie zusammen. Beraten wird über die Herausgabe eines Parteiorgans. <br>
 
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* Der deutsche Kaiser Wilhelm II. nimmt an der Enthüllung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals in Erfurt teil. In seiner Rede weist er auf sein Bestreben hin, Europa den Frieden zu erhalten.
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* In geistiger Umnachtung stirbt der deutsche Philosoph, Dichter und klassischer Philologe Friedrich Wilhelm Nietzsche (* 15. Oktober 1844 in Röcken bei Lützen) in Weimar. Im Alter von 24 Jahren wurde Nietzsche Professor für klassische Philologie in Basel. Bereits zehn Jahre später legte er wegen Krankheiten, die ihn sein Leben lang begleiteten, die Professur nieder. Von nun an bereiste er als heimatloser und noch recht unbekannter Autor Frankreich, Italien, Deutschland und die Schweiz. Von seinem 45. Lebensjahr an litt er unter einer schweren psychischen Krankheit. Für den Rest seines Lebens war er arbeitsunfähig und auf Pflege angewiesen, und er verbrachte etwa ein Jahrzehnt in der Obhut zunächst seiner Mutter, dann seiner Schwester, ehe starb. Seine Anfang der 1890er Jahre rasch einsetzende Berühmtheit hat er selbst nicht bewusst erlebt. Den jungen Nietzsche beeindruckte besonders die Philosophie Schopenhauers. Später setzte er sich mit Schopenhauers Ansichten, die häufig als Pessimismus fehlinterpretiert wurden, auseinander, und stellte eine radikale Lebensbejahung in den Mittelpunkt seiner Philosophie. Sein Werk enthält scharfe Kritiken an Moral, Religion, Philosophie, Wissenschaft und Formen der Kunst. Die zeitgenössische Kultur war in seinen Augen lebensschwächer als die des antiken Griechenland. Wiederkehrendes Ziel von Nietzsches Angriffen ist vor allem die christliche Moral sowie die christliche und platonistische Metaphysik. Er stellte den Wert der Wahrheit überhaupt in Frage und wurde damit Wegbereiter moderner und postmoderner philosophischer Ansätze. Auch Nietzsches Konzepte etwa des „Übermenschen“, des „Willens zur Macht“ oder der „ewigen Wiederkunft“ geben bis heute Anlass zu Deutungen und Diskussionen. Nietzsches Denken hat weit über die Philosophie hinaus gewirkt und bis heute unterschiedlichste Deutungen und Bewertungen erfahren. Seine Schriften entbehren einer strengen Systematik; er hat oft den Aphorismus als Ausdrucksform des Gedankens gewählt. Sowohl sein Prosastil als auch seine Gedichte und der pathetisch-lyrische Stil von Also sprach Zarathustra haben ihm auch Anerkennung als Schriftsteller verschafft. Das biographische und psychologische Interesse an der Person Nietzsche ist deutlich stärker als bei anderen Philosophen. Nietzsche wirft der bisherigen Philosophie und Wissenschaft vor, herrschende Moralvorstellungen unkritisch übernommen zu haben; wahrhaftig freies und aufgeklärtes Denken habe sich dagegen, wie der Titel eines Buchs sagt, Jenseits von Gut und Böse zu stellen. Dies hätten alle abendländischen Philosophen seit Platon, insbesondere auch Kant, versäumt. Nietzsche untersucht oft Werturteile nicht auf ihre vermeintliche Gültigkeit hin, sondern beschreibt Zusammenhänge zwischen der Erschaffung von Werten durch einen Denker oder eine Gruppe von Menschen und deren biologisch-psychologischer Verfassung. Es geht ihm also um die Frage des Werts von moralischen Systemen überhaupt: „Alle Wissenschaften haben nunmehr der Zukunfts-Aufgabe der Philosophen vorzuarbeiten: diese Aufgabe dahin verstanden, dass der Philosoph das Problem vom Werthe zu lösen hat, dass er die Rangordnung der Werthe zu bestimmen hat.“ Nietzsche legte ein besonderes Augenmerk auf die Herkunft und Entstehung moralischer Denkweisen, etwa in "Zur Genealogie der Moral". Wichtige Begriffe seiner Moralkritik sind:
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Herren- und Sklavenmoral: Herrenmoral sei die Haltung der Herrschenden, die zu sich selbst und ihrem Leben Ja sagen könnten, während sie die anderen als „schlecht“ (Wortstamm: „schlicht“) abschätzten. Sklavenmoral sei die Haltung der „Elenden […], Armen, Ohnmächtigen, Niedrigen […], Leidenden, Entbehrenden, Kranken, Hässlichen“, die zuerst ihr Gegenüber – die Herrschenden, Glücklichen, Ja-Sagenden – als „böse“ bewerteten und sich selbst dann als deren „guten“ Gegensatz ausmachten. Es sei vor allem die Moral des Christentums gewesen, die eine solche Sklavenmoral zum Teil selbst hervorgerufen, in jedem Fall aber begünstigt und sie dadurch zur herrschenden Moral gemacht habe.
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Ressentiment: Dies sei das Grundempfinden der Sklavenmoral. Aus Missgunst, Neid und Schwäche schüfen sich die „Missratenen“ eine imaginäre Welt (zum Beispiel das christliche Jenseits), in der sie selbst die Herrschenden sein und ihren Hass auf die „Vornehmen“ ausleben könnten.
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Mitleid und Mitfreude: Während der Pessimist Schopenhauer Mitleid ins Zentrum seiner Ethik gestellt hat, um seine Philosophie der Verneinung des Lebens umzusetzen, drehte Nietzsche die These vom Mitleiden nach seinem Bruch mit der Schopenhauerschen Philosophie um: Weil das Leben zu bejahen sei, gelte das Mitleid – als Mittel zur Verneinung – als Gefahr. Es vermehre das Leiden in der Welt und stehe dem schöpferischen Willen entgegen, der immer auch vernichten und überwinden müsse – andere oder auch sich selbst. Aktive Mitfreude im Gegensatz zum passiven Mitleid oder eine grundsätzliche Lebensbejahung (amor fati) seien die höheren und wichtigeren Werte.
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Die Gedankengänge werden von Nietzsche zu einer immer radikaleren Kritik am Christentum, etwa in "Der Antichrist", gebündelt. Dieses sei nicht nur nihilistisch in dem Sinne, dass es der sinnlich wahrnehmbaren Welt jeden Wert abspreche – eine Kritik, die in Nietzsches Verständnis auch den Buddhismus trifft –, sondern im Gegensatz zum Buddhismus auch aus Ressentiment geboren. Das Christentum habe jede höhere Art Mensch und jede höhere Kultur und Wissenschaft behindert. In den späteren Schriften steigert Nietzsche die Kritik an allen bestehenden Normen und Werten: Sowohl in der bürgerlichen Moral als auch im Sozialismus und Anarchismus sieht er die Nachwirkungen der christlichen Lehren am Werk. Die ganze Moderne leide an décadence. Dagegen sei nun eine „Umwertung aller Werte“ nötig. Wie genau allerdings die neuen Werte ausgesehen hätten, wird aus Nietzsches Werk nicht eindeutig klar. Diese Frage und ihr Zusammenhang mit den Aspekten des Dionysischen, des Willen zur Macht, des Übermenschen und der Ewigen Wiederkunft werden bis heute diskutiert. Mit dem Stichwort „Gott ist tot“ wird oft die Vorstellung verbunden, dass Nietzsche den Tod Gottes beschworen oder herbeigewünscht habe. Tatsächlich trifft dies nur in einem gewissen Sinne zu. Nietzsche verstand sich hier vielmehr als Beobachter. Er analysierte seine Zeit, vor allem die seiner Auffassung nach inzwischen marode gewordene (christliche) Zivilisation. Nietzsche war zudem nicht der erste, der die Frage nach dem „Tod Gottes“ stellte. Hegel äußerte diesen Gedanken bereits 1802 und sprach von dem „unendlichen Schmerz“ als einem Gefühl, „worauf die Religion der neuen Zeit beruht – das Gefühl: Gott selbst ist tot“. Die bedeutendste und meistbeachtete Stelle zu diesem Thema ist der Aphorismus 125 aus der "Fröhlichen Wissenschaft" mit dem Titel „Der tolle Mensch“. Der stilistisch dichte Aphorismus enthält Anspielungen auf klassische Werke der Philosophie und Tragödie. Dieser Text lässt den Tod Gottes als bedrohliches Ereignis erscheinen. Dem Sprecher darin graut vor der Schreckensvision, dass die zivilisierte Welt ihr bisheriges geistiges Fundament weitgehend zerstört hat: „Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, – ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir diess gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? […] Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?“ Dieser unfassbare Vorgang würde gerade wegen der großen Dimension lange brauchen, um in seiner Tragweite erkannt zu werden: „Ich komme zu früh, sagte er dann, ich bin noch nicht an der Zeit. Diess ungeheure Ereigniss ist noch unterwegs und wandert, – es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen.“ Und es wird gefragt: „Ist nicht die Grösse dieser That [Gott getötet zu haben] zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen?“ Unter anderem aus diesem Gedanken heraus erscheint später die Idee des „Übermenschen“, wie sie vor allem im Zarathustra dargestellt wird: „Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dass der Übermensch lebe.“ Das Wort vom Tod Gottes findet sich auch in den Aphorismen 108 und 343 der "Fröhlichen Wissenschaft"; das Motiv taucht auch mehrmals in "Also sprach Zarathustra" auf. Danach verwendet Nietzsche es nicht mehr, befasst sich aber weiter intensiv mit dem Thema. Beachtenswert ist hier etwa das nachgelassene Fragment „Der europäische Nihilismus“ (datiert 10. Juni 1887), in dem es nun heißt: „,Gott‘ ist eine viel zu extreme Hypothese.“ Nietzsche kam zu dem Schluss, dass mehrere mächtige Strömungen, vor allem das Aufkommen der Naturwissenschaften und der Geschichtswissenschaft, daran mitgewirkt haben, die christliche Weltanschauung unglaubwürdig zu machen und damit die christliche Zivilisation zu Fall zu bringen. Durch die Kritik der bestehenden Moral, wie Nietzsche selbst sie betrieb, würde die Moral hohl und unglaubwürdig und bräche schließlich zusammen. Mit dieser radikalisierten Kritik stand Nietzsche einerseits in der Tradition der französischen Moralisten wie etwa Montaigne oder La Rochefoucauld, die die Moral ihrer Zeit kritisierten, um zu einer besseren zu gelangen; andererseits betonte er mehrfach, nicht nur die Heuchelei von Moral, sondern die herrschenden „Moralen“ selbst – im wesentlichen immer die christliche – zu bekämpfen. Um dies in einen Begriff zu fassen, bezeichnete er sich selbst als „Immoralist“. Es besteht heute weitgehende Übereinstimmung, dass Nietzsche sich nicht als Befürworter des Nihilismus sah, sondern ihn als Möglichkeit in der (nach-)christlichen Moral, vielleicht auch als eine geschichtliche Notwendigkeit sah. Über den Atheismus Nietzsches im Sinne des Nichtglaubens an einen metaphysischen Gott sagen diese Stellen wenig aus, siehe hierzu den Abschnitt Kritik an Religion, Metaphysik und Erkenntnistheorie.  <br>
 
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| <center> [[Datei:Großbritannien.png|70px]] [[Datei:Cape Colony 1876-1910.png|70px]]<br><br>[[Datei:Transvaal 1880-1902.png|70px]] </center> || '''[[Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland 1900|Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland]] / [[Cape Colony 1900|Britische Kapkolonie]] / [[British Transvaal Colony 1900|Britische Kolonie Transvaal]]''' <br>
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Frederick Sleigh Roberts, der britische Oberbefehlshaber in Südafrika, eröffnet eine Großoffensive gegen die Buren. Der Burenguerillaführer Olivier, der seit März den Widerstand der Oranjefreistaatler gegen Großbritannien organisiert, gerät bei Winburg in britische Gefangenschaft. <br>
 
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| <center> [[Datei:Russland 1883-1914.png|70px]] </center> || '''[[Russisches Kaiserreich 1900|Russisches Kaiserreich]] / [[Großfürstentum Finnland 1900|Großfürstentum Finnland]]''' <br>
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Der russische Zar Nikolaus II. weist eine Beschwerdepetition des finnländischen Landtags über die Amtsführung Nikolai I. Bobrikows, des russischen Generalgouverneurs im Großfürstentum Finnland, als verfassungswidrig zurück. Der Zar lobt das korrekte Verhalten des Generalgouverneurs und beauftragt den finnländischen Senat, eine Revision der Landtagsordnung im Sinne einer Einschränkung der ständischen Befugnisse vorzunehmen. <br>
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| <center> [[Datei:Italien 1861-1946.png|70px]]''' </center> || '''[[Königreich Italien 1900|Königreich Italien]]''' <br>
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Vor dem Schwurgericht in Mailand beginnt der Prozeß gegen den Anarchisten Gaetano Bresci, der am 29. Juli König Umberto I. von Italien ermordet hat. Bresci wird am folgenden Tag zu lebenslänglicher Kerkerhaft verurteilt. Das Gericht stellt fest, dass ein anarchistisches Komplott zur Ermordung des Königs bestanden habe. <br>
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| <center> [[Datei:Frankreich.png|70px]] </center> || '''[[Französische Republik 1900|Französische Republik]]''' <br>
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In Paris beginnt der fünftägige Internationale Kongreß für Handels- und Wirtschaftsgeographie. Diskutiert werden die Umgestaltungen, die der Handel im 19. Jahrhundert aufgrund der verbesserten Verkehrswege und Verkehrsmittel genommen hat, und die Folgen dieser Veränderung für die Produktion, die Preisbildung und so weiter. <br>
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| <center> [[Datei:Großbritannien.png|70px]] </center> || '''[[Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland 1900|Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland]]''' <br>
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* In Glasgow kommt es zu drei Fällen von Beulenpest.
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* Zwischen London und Leeds wird der erste regelmäßige Langstreckenverkehr von Autobussen aufgenommen.
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| <center> [[Datei:Großbritannien.png|70px]] [[Datei:Cape Colony 1876-1910.png|70px]]<br><br>[[Datei:Transvaal 1880-1902.png|70px]] </center> || '''[[Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland 1900|Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland]] / [[Cape Colony 1900|Britische Kapkolonie]] / [[British Transvaal Colony 1900|Britische Kolonie Transvaal]]''' <br>
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* Der britische Generalleutnant Redvers Henry Buller schlägt während des Burenkriegs in Südafrika die Buren bei Dalmanutha.
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* Paulus „Ohm” Krüger, der Präsident der Südafrikanischen Republik, und Martinus Theunis Steijn, der Premierminister des am 28. Mai von Großbritannien annektierten Oranjefreistaats, fliehen nach Nelspruit.
 
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Aus Russland wird gemeldet, dass Kaspisches und Schwarzes Meer durch einen Kanal verbunden werden sollen. Das industrielle Zentrum Russlands verlagert sich allmählich nach Süden, wo die Produktion von Eisen sowie die Förderung von Kohle und Erdöl (Naphtha) stark erweitert worden ist. <br>
 
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Im Berliner Zeughaus findet in Gegenwart des deutschen Kaiserpaars die feierliche Nagelung und Weihe der für die ostasiatischen Truppen bestimmten Fahnen statt. <br>
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Der schwedische Forschungsreisende Karl Kolthoff, der am 31. Juli bei Kap Broes Ruys die Ostküste Grönlands erreicht hat, fängt im Moschusochsenfjord Kälber von Moschusochsen, mit denen er in Lappland Zuchtversuche anstellen will. <br>
 
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Wer sich vor Moskitos schützt, ist auch vor Malaria sicher. Dies haben Versuche mit Eisenbahnbeamten in den gefürchteten Fiebergegenden der römischen Campagna ergeben. Die Beamten trugen Handschuhe und Gesichtsschleier, Fenster und Türen wurden mit Metallnetzen verschlossen. <br>
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Mittels Überseekabel wird der direkte Telegrafenverkehr zwischen Deutschland und den USA aufgenommen. Die Strecke geht von Borkum über Faial nach New York City. Die Teilstrecke zwischen Deutschland und den Azoren war schon am 28. Mai eröffnet worden. <br>
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Das deutsche Telegrafenkabel zwischen Emden und Valentia in Irland, das nur mit Erlaubnis der britischen Behörden erweitert werden kann, wird außer Betrieb gesetzt. <br>
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* Aus London wird gemeldet, dass die Einwohnerzahl in den Boroughs (Bezirken) der Innenstadt ständig sinkt. Die Wohnhäuser werden mehr und mehr durch nachts unbewohnte Geschäfts- und Bürohäuser verdrängt.
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* Der britische Agrikulturchemiker Sir John Bennet Lawes (* 28. Dezember 1814 in Rothamsted, Hertfordshire) stirbt in seiner Heimatstadt. Er war Besitzer eines Gutsbetriebes in Rothamsted, auf dem er 1843 ein agrikulturchemisches Laboratorium einrichtete und dieses Anwesen gemeinsam mit dem Agrikulturchemiker Joseph Henry Gilbert in den folgenden Jahrzehnten zur bedeutendsten landwirtschaftlichen Versuchsstation der Welt ausbaute. Zunächst arbeitete Lawes an der Herstellung künstlicher Düngemittel (Kunstdünger). 1842 gelang es ihm durch Aufschluss von Knochenmehl mit Schwefelsäure erstmals Superphosphat herzustellen. Für dieses am 23. Mai 1842 angemeldete Verfahren erhielt er ein Patent. Lawes war, wie Justus von Liebig, ein überzeugter Anhänger der Lehre von der Mineralstoffernährung der Pflanzen. Mit dessen erstmals 1843 vertretener These, dass die in Form von Ammoniak in der Atmosphäre vorhandenen Stickstoffmengen für die Ernährung der Pflanzen ausreichen, konnte er sich allerdings nicht anfreunden. Deshalb legte er in Rothamsted langjährig konzipierte Feldversuche an, um diese Stickstoff-These Liebigs zu widerlegen. In den folgenden Jahrzehnten entwickelt sich ein heftiger wissenschaftlicher Streit: auf die von Bennet meistens im Journal of the Royal Agricultural Society of England veröffentlichten Ergebnisse antwortete Liebig mit heftigen, teilweise polemischen Gegenschriften. Die Ergebnisse der Rothamsteder Dauer-Düngungsversuche stimmten jedoch mit den Erfahrungen der landwirtschaftlichen Praxis weitgehend überein und fanden weltweit höchste Anerkennung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts reisten führende deutsche Landbauwissenschaftler nach Rothamsted und berichteten in Fachzeitschriften ausführlich über diese Versuche.
 
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In Nordnorwegen wird Boje 4 der vermissten schwedischen Polarexpedition des Ingenieurs und Forschers Salomon August Andrée gefunden. <br>
 
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Version vom 16. April 2025, 15:35 Uhr

Pixabay-Globus.jpg

Weltchronik der dritten Dekade August 1900



Ereignisse vom 01.-10. des Monats    Ereignisse vom 11.-20. des Monats     Ereignisse vom 21.-Ende des Monats


Durch eine Verordnung Kaiser Wilhelms II. wird die Ausfuhr von Waffen und Kriegsmaterial nach China verboten

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Hier geht es zu den Ereignissen der Jahre... 1890 / 1891 / 1892 / 1893 / 1894 / 1895 / 1896 / 1897 / 1898
Hier geht es zu den Ereignissen der Monate des Jahres 1899 Januar / Februar / März / April / Mai / Juni / Juli / August / September / Oktober / November / Dezember
Hier geht es zu den Ereignissen der Monate des Jahres 1900 Januar / Februar / März / April / Mai / Juni / Juli / August / September / Oktober / November / Dezember
Monatsübergreifende Ereignisse
China 1890-1912.png USA 1896-1908.png

Japan.png Italien 1861-1946.png

Frankreich.png Russland 1883-1914.png

Deutsches Reich.png Österreich-Ungarn.png
Ende September 1899-07.09.1901
Kaiserreich China / Vereinigte Staaten von Amerika / Japanisches Kaiserreich / Königreich Italien / Französische Republik / Russisches Kaiserreich / Deutsches Kaiserreich / Österreichisch-Ungarische Monarchie

Der Boxeraufstand in China war eine nationalistische und anti-westliche Revolte. Auslöser waren die zunehmende ausländische Einflussnahme und die damit verbundene soziale Unruhe im Land. Die Bewegung, die sich "Boxer" nannte, griff zunächst christliche Missionare und chinesische Christen an, weitete ihre Angriffe aber später auch auf ausländische Gesandte und Siedlungen aus. Die Niederschlagung des Aufstands erfolgte durch eine internationale Allianz von acht Nationen, die Beijing einnahm und die Qing-Dynastie zwang, dem Boxerprotokoll zuzustimmen, was China weiter schwächte und den ausländischen Einfluss zementierte.

Frankreich.png
15.04.1900-12.11.1900
Französische Republik

In Paris findet die 13. offiziellle Weltausstellung statt. Die Hauptstadt Frankreichs ist zum fünften Mal seit 1855 der Veranstaltungsort. Hauptattraktionen sind: Dieselmotor, Rolltreppe, Filme, Heliogravüre, Krimsekt, Brillantine, Lohner-Porsche (erstes elektrisches Hybrid-Auto), Metro, Oberleitungsbus, Grand Palais, Petit Palais, Gare d’Orsay, Pont Alexandre III. und die Eisenbahnbrücke von Krasnojarsk sowie die Olympischen Spiele.

Logo Olympiade 1900.jpg Frankreich.png
14.05.-28.10.1900
Olympische Spiele / Französische Republik

Als ein Zusatzprogramm der Weltausstellung finden in Paris die II. Olympischen Spiele der Neuzeit statt. Die Organisation ist im Vergleich zu späteren Veranstaltungen dieser Art chaotisch, denn viele Athleten wissen nicht einmal, dass sie an Olympischen Spielen teilnehmen. Die Spiele selbst werden auch nicht gekennzeichnet durch eine offizielle Eröffnungs- oder Schlussfeier. Die Wettkämpfe in 19 Sportarten ziehen sich über Monate hin. Etwa 997 Athleten aus 24 Ländern nehmen teil, darunter erstmals auch Frauen, wenn auch nur 22. Die Symbiose von Weltausstellung und Olympiade bringt ungewöhnliche Ereignisse hervor, zum Beispiel das Taubenschießen und das Automobilrennen, was für eine Olympiade ungewöhnlich ist. Die Spiele werden zur Popularisierung des Sports in Europa beitragen.

21.08.1900
Deutsches Reich.png

Türkei.png Bulgarien 1879-1947.png
Deutsches Kaiserreich / Osmanisches Reich / Zarentum Bulgarien

Fürst Ferdinand von Bulgarien stattet dem deutschen Kaiser Wilhelm II. in Schloß Wilhelmshöhe bei Kassel einen Besuch ab.

Italien 1861-1946.png Kirchenstaat 1870-1928.png
Königreich Italien / Kirchenstaat

Papst Leo XIII. fordert in einem Schreiben über die Ausbreitung des Protestantismus die Katholiken auf, eifriger für die „unersetzlichen Güter einzutreten, welche die Kirche über Rom, Italien und die ganze Welt verteilt hat, und mit aller Macht Einigkeit und Hartnäckigkeit dem Verderben Widerstand zu leisten”.

Deutsches Reich.png
Deutsches Kaiserreich

Eine Verordnung des deutschen Kaisers Wilhelm II. regelt das Zeigen der Reichsflagge durch deutsche Kauffahrteischiffe. Die Flagge ist zu zeigen bei der Begegnung mit einem Schiff der deutschen Kriegsmarine, das die Reichskriegsflagge gesetzt hat; beim Passieren einer deutschen Küstenbefestigung, auf der die Kriegsflagge weht; beim Einlaufen in einen deutschen Hafen. Ausländische Kauffahrteischiffe müssen einem deutschen Kriegsschiff ihre Flagge nur bei der Begegnung in deutschen Küstengewässern zeigen.

Deutsches Reich.png Preußen 1892-1918.png
Deutsches Kaiserreich / Königreich Preußen

In Stettin in Pommern findet die Generalversammlung des Zentralverbandes deutscher Kaufleute und Gewerbetreibender statt, an der 200 Delegierte aus allen Teilen des Deutschen Reichs teilnehmen.

22.08.1900
Deutsches Reich.png Preußen 1892-1918.png
Deutsches Kaiserreich / Königreich Preußen

Der preußische Finanzminister Johann von Miquel ordnet in einem Erlaß die beschleunigte Bearbeitung von Steuerreklamationen an.

Deutsches Reich.png Großbritannien.png
Deutsches Kaiserreich / Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland

Der Prince of Wales, Albert Eduard, stattet der deutschen Kaiserfamilie auf Schloß Wilhelmshöhe bei Kassel einen Besuch ab.

23.08.1900
Russland 1883-1914.png
Russisches Kaiserreich / Großfürstentum Finnland

Die finnische Presse meldet, dass unter dem Regime des russischen Generalgouverneurs Nikolai I. Bobrikow die Zahl der nach Kanada ausgewanderten finnischen Wehrpflichtigen 1900 sprunghaft gestiegen ist. - Im russischen Großfürstentum Finnland ist die Presse der zaristischen Zensur unterworfen. 1900 werden sieben Zeitungen ganz verboten, 14 erhalten ein Publikationsverbot für 33 Monate, vier werden zur Entlassung des Chefredakteurs gezwungen.

24.08.1900
Türkei.png
Osmanisches Reich

Auf einem von Beirut in Konstantinopel (Istanbul) einlaufenden Dampfer werden zwei Fälle von Pest festgestellt.

Russland 1883-1914.png
Russisches Kaiserreich

Der im Exil lebende russische Revolutionär Wladimir I. Lenin trifft in der Nähe von Genf mit führenden Vertretern der russischen Sozialdemokratie zusammen. Beraten wird über die Herausgabe eines Parteiorgans.

25.08.1900
Deutsches Reich.png
Deutsches Kaiserreich
  • Der deutsche Kaiser Wilhelm II. nimmt an der Enthüllung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals in Erfurt teil. In seiner Rede weist er auf sein Bestreben hin, Europa den Frieden zu erhalten.
  • In geistiger Umnachtung stirbt der deutsche Philosoph, Dichter und klassischer Philologe Friedrich Wilhelm Nietzsche (* 15. Oktober 1844 in Röcken bei Lützen) in Weimar. Im Alter von 24 Jahren wurde Nietzsche Professor für klassische Philologie in Basel. Bereits zehn Jahre später legte er wegen Krankheiten, die ihn sein Leben lang begleiteten, die Professur nieder. Von nun an bereiste er als heimatloser und noch recht unbekannter Autor Frankreich, Italien, Deutschland und die Schweiz. Von seinem 45. Lebensjahr an litt er unter einer schweren psychischen Krankheit. Für den Rest seines Lebens war er arbeitsunfähig und auf Pflege angewiesen, und er verbrachte etwa ein Jahrzehnt in der Obhut zunächst seiner Mutter, dann seiner Schwester, ehe starb. Seine Anfang der 1890er Jahre rasch einsetzende Berühmtheit hat er selbst nicht bewusst erlebt. Den jungen Nietzsche beeindruckte besonders die Philosophie Schopenhauers. Später setzte er sich mit Schopenhauers Ansichten, die häufig als Pessimismus fehlinterpretiert wurden, auseinander, und stellte eine radikale Lebensbejahung in den Mittelpunkt seiner Philosophie. Sein Werk enthält scharfe Kritiken an Moral, Religion, Philosophie, Wissenschaft und Formen der Kunst. Die zeitgenössische Kultur war in seinen Augen lebensschwächer als die des antiken Griechenland. Wiederkehrendes Ziel von Nietzsches Angriffen ist vor allem die christliche Moral sowie die christliche und platonistische Metaphysik. Er stellte den Wert der Wahrheit überhaupt in Frage und wurde damit Wegbereiter moderner und postmoderner philosophischer Ansätze. Auch Nietzsches Konzepte etwa des „Übermenschen“, des „Willens zur Macht“ oder der „ewigen Wiederkunft“ geben bis heute Anlass zu Deutungen und Diskussionen. Nietzsches Denken hat weit über die Philosophie hinaus gewirkt und bis heute unterschiedlichste Deutungen und Bewertungen erfahren. Seine Schriften entbehren einer strengen Systematik; er hat oft den Aphorismus als Ausdrucksform des Gedankens gewählt. Sowohl sein Prosastil als auch seine Gedichte und der pathetisch-lyrische Stil von Also sprach Zarathustra haben ihm auch Anerkennung als Schriftsteller verschafft. Das biographische und psychologische Interesse an der Person Nietzsche ist deutlich stärker als bei anderen Philosophen. Nietzsche wirft der bisherigen Philosophie und Wissenschaft vor, herrschende Moralvorstellungen unkritisch übernommen zu haben; wahrhaftig freies und aufgeklärtes Denken habe sich dagegen, wie der Titel eines Buchs sagt, Jenseits von Gut und Böse zu stellen. Dies hätten alle abendländischen Philosophen seit Platon, insbesondere auch Kant, versäumt. Nietzsche untersucht oft Werturteile nicht auf ihre vermeintliche Gültigkeit hin, sondern beschreibt Zusammenhänge zwischen der Erschaffung von Werten durch einen Denker oder eine Gruppe von Menschen und deren biologisch-psychologischer Verfassung. Es geht ihm also um die Frage des Werts von moralischen Systemen überhaupt: „Alle Wissenschaften haben nunmehr der Zukunfts-Aufgabe der Philosophen vorzuarbeiten: diese Aufgabe dahin verstanden, dass der Philosoph das Problem vom Werthe zu lösen hat, dass er die Rangordnung der Werthe zu bestimmen hat.“ Nietzsche legte ein besonderes Augenmerk auf die Herkunft und Entstehung moralischer Denkweisen, etwa in "Zur Genealogie der Moral". Wichtige Begriffe seiner Moralkritik sind:

Herren- und Sklavenmoral: Herrenmoral sei die Haltung der Herrschenden, die zu sich selbst und ihrem Leben Ja sagen könnten, während sie die anderen als „schlecht“ (Wortstamm: „schlicht“) abschätzten. Sklavenmoral sei die Haltung der „Elenden […], Armen, Ohnmächtigen, Niedrigen […], Leidenden, Entbehrenden, Kranken, Hässlichen“, die zuerst ihr Gegenüber – die Herrschenden, Glücklichen, Ja-Sagenden – als „böse“ bewerteten und sich selbst dann als deren „guten“ Gegensatz ausmachten. Es sei vor allem die Moral des Christentums gewesen, die eine solche Sklavenmoral zum Teil selbst hervorgerufen, in jedem Fall aber begünstigt und sie dadurch zur herrschenden Moral gemacht habe. Ressentiment: Dies sei das Grundempfinden der Sklavenmoral. Aus Missgunst, Neid und Schwäche schüfen sich die „Missratenen“ eine imaginäre Welt (zum Beispiel das christliche Jenseits), in der sie selbst die Herrschenden sein und ihren Hass auf die „Vornehmen“ ausleben könnten. Mitleid und Mitfreude: Während der Pessimist Schopenhauer Mitleid ins Zentrum seiner Ethik gestellt hat, um seine Philosophie der Verneinung des Lebens umzusetzen, drehte Nietzsche die These vom Mitleiden nach seinem Bruch mit der Schopenhauerschen Philosophie um: Weil das Leben zu bejahen sei, gelte das Mitleid – als Mittel zur Verneinung – als Gefahr. Es vermehre das Leiden in der Welt und stehe dem schöpferischen Willen entgegen, der immer auch vernichten und überwinden müsse – andere oder auch sich selbst. Aktive Mitfreude im Gegensatz zum passiven Mitleid oder eine grundsätzliche Lebensbejahung (amor fati) seien die höheren und wichtigeren Werte. Die Gedankengänge werden von Nietzsche zu einer immer radikaleren Kritik am Christentum, etwa in "Der Antichrist", gebündelt. Dieses sei nicht nur nihilistisch in dem Sinne, dass es der sinnlich wahrnehmbaren Welt jeden Wert abspreche – eine Kritik, die in Nietzsches Verständnis auch den Buddhismus trifft –, sondern im Gegensatz zum Buddhismus auch aus Ressentiment geboren. Das Christentum habe jede höhere Art Mensch und jede höhere Kultur und Wissenschaft behindert. In den späteren Schriften steigert Nietzsche die Kritik an allen bestehenden Normen und Werten: Sowohl in der bürgerlichen Moral als auch im Sozialismus und Anarchismus sieht er die Nachwirkungen der christlichen Lehren am Werk. Die ganze Moderne leide an décadence. Dagegen sei nun eine „Umwertung aller Werte“ nötig. Wie genau allerdings die neuen Werte ausgesehen hätten, wird aus Nietzsches Werk nicht eindeutig klar. Diese Frage und ihr Zusammenhang mit den Aspekten des Dionysischen, des Willen zur Macht, des Übermenschen und der Ewigen Wiederkunft werden bis heute diskutiert. Mit dem Stichwort „Gott ist tot“ wird oft die Vorstellung verbunden, dass Nietzsche den Tod Gottes beschworen oder herbeigewünscht habe. Tatsächlich trifft dies nur in einem gewissen Sinne zu. Nietzsche verstand sich hier vielmehr als Beobachter. Er analysierte seine Zeit, vor allem die seiner Auffassung nach inzwischen marode gewordene (christliche) Zivilisation. Nietzsche war zudem nicht der erste, der die Frage nach dem „Tod Gottes“ stellte. Hegel äußerte diesen Gedanken bereits 1802 und sprach von dem „unendlichen Schmerz“ als einem Gefühl, „worauf die Religion der neuen Zeit beruht – das Gefühl: Gott selbst ist tot“. Die bedeutendste und meistbeachtete Stelle zu diesem Thema ist der Aphorismus 125 aus der "Fröhlichen Wissenschaft" mit dem Titel „Der tolle Mensch“. Der stilistisch dichte Aphorismus enthält Anspielungen auf klassische Werke der Philosophie und Tragödie. Dieser Text lässt den Tod Gottes als bedrohliches Ereignis erscheinen. Dem Sprecher darin graut vor der Schreckensvision, dass die zivilisierte Welt ihr bisheriges geistiges Fundament weitgehend zerstört hat: „Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, – ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir diess gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? […] Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?“ Dieser unfassbare Vorgang würde gerade wegen der großen Dimension lange brauchen, um in seiner Tragweite erkannt zu werden: „Ich komme zu früh, sagte er dann, ich bin noch nicht an der Zeit. Diess ungeheure Ereigniss ist noch unterwegs und wandert, – es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen.“ Und es wird gefragt: „Ist nicht die Grösse dieser That [Gott getötet zu haben] zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen?“ Unter anderem aus diesem Gedanken heraus erscheint später die Idee des „Übermenschen“, wie sie vor allem im Zarathustra dargestellt wird: „Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dass der Übermensch lebe.“ Das Wort vom Tod Gottes findet sich auch in den Aphorismen 108 und 343 der "Fröhlichen Wissenschaft"; das Motiv taucht auch mehrmals in "Also sprach Zarathustra" auf. Danach verwendet Nietzsche es nicht mehr, befasst sich aber weiter intensiv mit dem Thema. Beachtenswert ist hier etwa das nachgelassene Fragment „Der europäische Nihilismus“ (datiert 10. Juni 1887), in dem es nun heißt: „,Gott‘ ist eine viel zu extreme Hypothese.“ Nietzsche kam zu dem Schluss, dass mehrere mächtige Strömungen, vor allem das Aufkommen der Naturwissenschaften und der Geschichtswissenschaft, daran mitgewirkt haben, die christliche Weltanschauung unglaubwürdig zu machen und damit die christliche Zivilisation zu Fall zu bringen. Durch die Kritik der bestehenden Moral, wie Nietzsche selbst sie betrieb, würde die Moral hohl und unglaubwürdig und bräche schließlich zusammen. Mit dieser radikalisierten Kritik stand Nietzsche einerseits in der Tradition der französischen Moralisten wie etwa Montaigne oder La Rochefoucauld, die die Moral ihrer Zeit kritisierten, um zu einer besseren zu gelangen; andererseits betonte er mehrfach, nicht nur die Heuchelei von Moral, sondern die herrschenden „Moralen“ selbst – im wesentlichen immer die christliche – zu bekämpfen. Um dies in einen Begriff zu fassen, bezeichnete er sich selbst als „Immoralist“. Es besteht heute weitgehende Übereinstimmung, dass Nietzsche sich nicht als Befürworter des Nihilismus sah, sondern ihn als Möglichkeit in der (nach-)christlichen Moral, vielleicht auch als eine geschichtliche Notwendigkeit sah. Über den Atheismus Nietzsches im Sinne des Nichtglaubens an einen metaphysischen Gott sagen diese Stellen wenig aus, siehe hierzu den Abschnitt Kritik an Religion, Metaphysik und Erkenntnistheorie.

26.08.1900
Großbritannien.png Cape Colony 1876-1910.png

Transvaal 1880-1902.png
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland / Britische Kapkolonie / Britische Kolonie Transvaal

Frederick Sleigh Roberts, der britische Oberbefehlshaber in Südafrika, eröffnet eine Großoffensive gegen die Buren. Der Burenguerillaführer Olivier, der seit März den Widerstand der Oranjefreistaatler gegen Großbritannien organisiert, gerät bei Winburg in britische Gefangenschaft.

27.08.1900
Russland 1883-1914.png
Russisches Kaiserreich / Großfürstentum Finnland

Der russische Zar Nikolaus II. weist eine Beschwerdepetition des finnländischen Landtags über die Amtsführung Nikolai I. Bobrikows, des russischen Generalgouverneurs im Großfürstentum Finnland, als verfassungswidrig zurück. Der Zar lobt das korrekte Verhalten des Generalgouverneurs und beauftragt den finnländischen Senat, eine Revision der Landtagsordnung im Sinne einer Einschränkung der ständischen Befugnisse vorzunehmen.

Italien 1861-1946.png
Königreich Italien

Vor dem Schwurgericht in Mailand beginnt der Prozeß gegen den Anarchisten Gaetano Bresci, der am 29. Juli König Umberto I. von Italien ermordet hat. Bresci wird am folgenden Tag zu lebenslänglicher Kerkerhaft verurteilt. Das Gericht stellt fest, dass ein anarchistisches Komplott zur Ermordung des Königs bestanden habe.

Frankreich.png
Französische Republik

In Paris beginnt der fünftägige Internationale Kongreß für Handels- und Wirtschaftsgeographie. Diskutiert werden die Umgestaltungen, die der Handel im 19. Jahrhundert aufgrund der verbesserten Verkehrswege und Verkehrsmittel genommen hat, und die Folgen dieser Veränderung für die Produktion, die Preisbildung und so weiter.

Großbritannien.png
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland
  • In Glasgow kommt es zu drei Fällen von Beulenpest.
  • Zwischen London und Leeds wird der erste regelmäßige Langstreckenverkehr von Autobussen aufgenommen.
Großbritannien.png Cape Colony 1876-1910.png

Transvaal 1880-1902.png
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland / Britische Kapkolonie / Britische Kolonie Transvaal
  • Der britische Generalleutnant Redvers Henry Buller schlägt während des Burenkriegs in Südafrika die Buren bei Dalmanutha.
  • Paulus „Ohm” Krüger, der Präsident der Südafrikanischen Republik, und Martinus Theunis Steijn, der Premierminister des am 28. Mai von Großbritannien annektierten Oranjefreistaats, fliehen nach Nelspruit.
28.08.1900
Russland 1883-1914.png
Russisches Kaiserreich

Aus Russland wird gemeldet, dass Kaspisches und Schwarzes Meer durch einen Kanal verbunden werden sollen. Das industrielle Zentrum Russlands verlagert sich allmählich nach Süden, wo die Produktion von Eisen sowie die Förderung von Kohle und Erdöl (Naphtha) stark erweitert worden ist.

29.08.1900
Frankreich.png
Französische Republik

Die Hafenarbeiter in Marseille streiken.

30.08.1900
Deutsches Reich.png
Deutsches Kaiserreich

Im Berliner Zeughaus findet in Gegenwart des deutschen Kaiserpaars die feierliche Nagelung und Weihe der für die ostasiatischen Truppen bestimmten Fahnen statt.

Dänemark.png Grönland 1900-1985.png
Königreich Dänemark / Grönland

Der schwedische Forschungsreisende Karl Kolthoff, der am 31. Juli bei Kap Broes Ruys die Ostküste Grönlands erreicht hat, fängt im Moschusochsenfjord Kälber von Moschusochsen, mit denen er in Lappland Zuchtversuche anstellen will.

31.08.1900
Italien 1861-1946.png
Königreich Italien

Wer sich vor Moskitos schützt, ist auch vor Malaria sicher. Dies haben Versuche mit Eisenbahnbeamten in den gefürchteten Fiebergegenden der römischen Campagna ergeben. Die Beamten trugen Handschuhe und Gesichtsschleier, Fenster und Türen wurden mit Metallnetzen verschlossen.

Deutsches Reich.png Preußen 1892-1918.png

USA 1896-1908.png
Deutsches Kaiserreich / Königreich Preußen / Vereinigte Staaten von Amerika

Mittels Überseekabel wird der direkte Telegrafenverkehr zwischen Deutschland und den USA aufgenommen. Die Strecke geht von Borkum über Faial nach New York City. Die Teilstrecke zwischen Deutschland und den Azoren war schon am 28. Mai eröffnet worden.

Deutsches Reich.png Großbritannien.png
Deutsches Kaiserreich / Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland

Das deutsche Telegrafenkabel zwischen Emden und Valentia in Irland, das nur mit Erlaubnis der britischen Behörden erweitert werden kann, wird außer Betrieb gesetzt.

Großbritannien.png
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland
  • Aus London wird gemeldet, dass die Einwohnerzahl in den Boroughs (Bezirken) der Innenstadt ständig sinkt. Die Wohnhäuser werden mehr und mehr durch nachts unbewohnte Geschäfts- und Bürohäuser verdrängt.
  • Der britische Agrikulturchemiker Sir John Bennet Lawes (* 28. Dezember 1814 in Rothamsted, Hertfordshire) stirbt in seiner Heimatstadt. Er war Besitzer eines Gutsbetriebes in Rothamsted, auf dem er 1843 ein agrikulturchemisches Laboratorium einrichtete und dieses Anwesen gemeinsam mit dem Agrikulturchemiker Joseph Henry Gilbert in den folgenden Jahrzehnten zur bedeutendsten landwirtschaftlichen Versuchsstation der Welt ausbaute. Zunächst arbeitete Lawes an der Herstellung künstlicher Düngemittel (Kunstdünger). 1842 gelang es ihm durch Aufschluss von Knochenmehl mit Schwefelsäure erstmals Superphosphat herzustellen. Für dieses am 23. Mai 1842 angemeldete Verfahren erhielt er ein Patent. Lawes war, wie Justus von Liebig, ein überzeugter Anhänger der Lehre von der Mineralstoffernährung der Pflanzen. Mit dessen erstmals 1843 vertretener These, dass die in Form von Ammoniak in der Atmosphäre vorhandenen Stickstoffmengen für die Ernährung der Pflanzen ausreichen, konnte er sich allerdings nicht anfreunden. Deshalb legte er in Rothamsted langjährig konzipierte Feldversuche an, um diese Stickstoff-These Liebigs zu widerlegen. In den folgenden Jahrzehnten entwickelt sich ein heftiger wissenschaftlicher Streit: auf die von Bennet meistens im Journal of the Royal Agricultural Society of England veröffentlichten Ergebnisse antwortete Liebig mit heftigen, teilweise polemischen Gegenschriften. Die Ergebnisse der Rothamsteder Dauer-Düngungsversuche stimmten jedoch mit den Erfahrungen der landwirtschaftlichen Praxis weitgehend überein und fanden weltweit höchste Anerkennung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts reisten führende deutsche Landbauwissenschaftler nach Rothamsted und berichteten in Fachzeitschriften ausführlich über diese Versuche.
Schweden-Norwegen 1844-1905.png
Königreich Schweden und Norwegen

In Nordnorwegen wird Boje 4 der vermissten schwedischen Polarexpedition des Ingenieurs und Forschers Salomon August Andrée gefunden.

Chronik 1900.08
Hier geht es zur ersten Dekade des August 1900
Chronik 1900.08-II
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