Reichstagsgebäude Berlin

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DAS REICHSTAGSGEBÄUDE IN BERLIN

Reichstagsgebäude.jpg
Ereignis
Februar 1867
Der Reichstag des Norddeutschen Bundes tagt im Preußischen Herrenhaus in der Leipziger Straße in Berlin.
19.04.1867
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Nach der Gründung des Deutschen Reiches mit den Süddeutschen Ländern wird ein größerer Tagungsraum für den Reichstag benötigt. Zunächst dient hier das Preußische Abgeordnetenhaus in der Leipziger Straße 75, obwohl auch hier der Platz nicht völlig ausreicht. So verabschiedet der Reichstag einen Antrag, in dem es heißt: „Die Errichtung eines den Aufgaben des Deutschen Reichstags entsprechenden und der Vertretung des deutschen Volkes würdigen Parlamentshauses ist ein dringendes Bedürfnis.“ Ein anderer, mit Blick auf den kurz zuvor errungenen Sieg über Frankreich und die Reichsgründung stark nationalistisch formulierter Antrag für den Neubau findet zunächst keine Mehrheit. Eine Parlamentsbaukommission soll nun die Vorbereitungen für einen „würdigen“ Neubau treffen. Es gilt, den Bauplatz festzulegen, das Bauprogramm zu entwickeln, einen Architektenwettbewerb auszuschreiben und für eine geeignete Übergangslösung zu sorgen.
14.06.1871
Die Baukommission des Deutschen Reichstages bestimmt als Bauplatz für das neu zu errichtende Parlamentsgebäude das Grundstück, auf dem Königsplatz, auf dem das Raczynski-Palais steht. Graf Raczynski ist ein Kunsthistoriker und Sammler. In seiner Funktion als Diplomat nutze er seine Reisen, um Kunstobjekte zu sammeln, die er etwa seit 1834 in seinem Palais unter den Linden ausstellt. Als er nach einigen Dienstjahren zurück nach Berlin kehrt, überlässt ihm König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen das besagte Grundstück auf dem Königsplatz unentgeltlich, unter der Vorgabe dort ein Haus zu bauen, in dem seine Kunstobjekte besichtigt werden könnten - dieses wurde per Vertrag am 19.5.1847 festgehalten. Da dieses Grundstück von 1854 an Bestandteil seiner Familienstiftung wurde, sind seither er als auch seine Familienmitglieder daran gehindert, es zu veräußern.
28.06.1871
Provisorium Leipziger Straße
In der kurzen Zeit von nur 70 Tagen wird das Gebäude Leipziger Straße 4 in Berlin, das zuvor Sitz der Königlichen Porzellanmanufaktur war, für den Parlamentsbetrieb tauglich gemacht. Man rechnet mit einer Übergangszeit von fünf bis sechs Jahren.
01.09.1871
Graf Raczynski, dem das Grundstück auf dem Königsplatz in Berlin gehört, auf dem das neue Deutsche Reichstagsgebäude errichtet werden soll, wendet sich an den Kaiser, da er nicht bereit ist, das Grundstück aufzugeben: „Es möge Allerhöchst derselben gefallen, mein auf dem Königsplatz in Berlin gelegenes Haus gegen die Expropriation allergnädigst zu schützen, indem Eure Majestät die Beschlüsse der vorerwähnten Reichtagsbaukommission und Allerhöchst dero Bestätigung zu versagen geruhten.“
18.10.1871
Kaiser Wilhelm I. weist seinen Staatsminister Rudolf von Delbrück an, er möge Graf Raczynski, dem die Enteignung seines Hauses am Königsplatz droht, da dort das neue Deutsche Reichstagsgebäude errichtet werden soll, beruhigen und gleichzeitig Verhandlungen zu einer gütlichen Einigung aufnehmen. Da die Reichstagskommission hinsichtlich des Bauplatzes unter Zeitdruck steht, wird der Polizeipräsident von Wurmb beauftragt, direkt mit dem Kaiser über ein Enteignungsverfahren zu verhandeln, sollte weiterhin keien gütliche Einigung mit dem Graf Raczynski zustande kommen. Von Wurmb übernimmt bereitwillig diese Aufgabe.
02.11.1871
In der Sitzung der Reichsbaukommission wird die Zusammensetzung der Jury zum Architektenwettbewerb für den Bau des neuen Reichstagsgebäudes in Berlin festgelegt. Demnach setzt sich die Jury zunächst aus 17 Mitgliedern zusammen: 3 Bundesratmitglieder, 8 Reichstagsmitglieder (Reichstagspräsident und 7 Abgeordnete), 7 Architekten. Nachträglich werden per Beschluss noch 1 Bildhauer und ein 4. Bundesratmitglied in die Jury gewählt, die sich somit aus 19 Mitgliedern zusammensetzt. Des Weiteren wird festgelegt, dass als Namensgebung nicht „Parlamentsgebäude“, sondern „Reichstagsgebäude“ verwendet werden soll. Darauf folgt eine intensive Auseinandersetzung sowohl bei den Architektenverbänden als auch im Reichstag. Hauptstreitpunkt ist die Frage der Internationalisierung der Ausschreibung, als auch die Gewichtung der Jury hinsichtlich der Anzahl der Architekten.
16.12.1871
Das Reichsamt des Inneren veröffentlicht die Ausschreibung des Architektenwettbewerbs für den Bau des Deutschen Reichstagsgebäudes in Berlin in der „Neuen Freien Presse“ in Wien. Als Frist zur Ablieferung der Entwürfe wird der 15. April 1872 bestimmt.
31.12.1871
Auf dem Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude findet eine dritte Grundsteinlegung für die Siegessäule statt. Ursprünglicher Anlass zur Erbauung der Säule war der Sieg Preußens im Deutsch-Dänischen Krieg 1864. Innerhalb weniger Jahre kamen zwei weitere siegreiche Kriege hinzu, der Deutsche Krieg 1866 gegen Österreich sowie der Deutsch-Französische Krieg 1870/71. An diese drei Siege soll durch die drei ursprünglichen Segmente erinnert werden, denen eine Bronzeskulptur aufgesetzt werden soll.
02.05.1872
In Berlin wird eine Ausstellung der eingereichten Entwürfe des Reichstagsgebäudes eröffnet. 101 Entwürfe wurden eingereicht, 30 Entwürfe stammen von etwa 40 ausländischen Architekten.
07.06.1872
Ludwig Bohnstedts Wettbewerbsentwurf
Nach dem dritten Durchgang der Suche einer Vorlage für den Bau des Reichstagsgebäude entfallen auf den Entwurf des Gothaer Architekten Ludwig Bohnstedt 10 der 19 Stimmen, so dass dieser zum Sieger des Architektenwettbewerbs erklärt wird, auch weil dessen Entwurf die größte öffentliche Zustimmung erhält. Allerdings kann der Vorschlag nicht realisiert werden kann, da der polnische Graf Athanasius Raczynski, dessen Palais sich auf dem avisierten Bauplatz auf der Ostseite des Königsplatzes (später Platz der Republik), befindet, sich weigert, sein Grundstück zur Verfügung zu stellen und Kaiser Wilhelm I. nur wenig Neigung zeigt, ein Enteignungsverfahren zu betreiben, obwohl auch er den Standort passend findet.
21.08.1874
Graf Raczynski, dem das Grundstück auf dem Königsplatz in Berlin gehört, auf dem das neue Deutsche Reichstagsgebäude errichtet werden soll, stirbt. Mit dem Tod des Grafen kommt neue Hoffnung auf doch noch das Grundstück Raczynskis in gütlicher Einigung zu erwerben, zumal zuvor alle Bemühungen einen anderen geeigneten Bauplatz zu finden scheiterten. Unmittelbar nach dem Tod des Grafen wird der Staatsminister Delbrück vom Kaiser auf deren Ersuchen bevollmächtigt, mit dem Sohn, Carl Eduard Nalecz von Raczynski Verhandlungen aufzunehmen. Auch diese Verhandlungen verlaufen unerfreulich, da der Sohn, wie schon sein Vater zuvor, eine Aufgabe des Grundstücks ablehnt.
15.03.1879
Da zwischenzeitlich erkennbar war, das Carl Eduard Nalecz von Raczynski das besagte Grundstück für den Bau des Reichstagsgebäudes in Berlin gewillt war abzugeben wurde nach einer Möglichkeit gesucht, wie das Grundstück in das Eigentum des Deutschen Reiches übertragen werden könnte; ein Verkauf wurde ja testamentarisch ausgeschlossen. Nachdem man sich auf eine Summe von 1.100.000 Mark verständigte, sieht die Lösung so aus, dass Raczynski enteignet werden und dafür diese Summe als Entschädigung erhalten soll. Der Reichstag wird in der darauf folgenden Sitzung den Vertrag zur Enteignung Raczynskis ablehnen.
13.12.1881
Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck verdeutlicht in einer Rede vor dem Reichstag, dass es nicht zwingend erforderlich wäre, dass das Parlament in Berlin ansässig wäre und es im Ermessen des Kaiser liege, darüber zu befinden. Diese "Gedankenspiele" bewegen dann die Abgeordneten, eine Mehrheit bei der Abstimmung zur Annahme des Enteignungsvertrages Raczynskis herbeizuführen. Somit ist ein passendes Grundstück für den monumentalen Bau gefunden. Eine lebhafte öffentliche Diskussion um die Frage beginnt, ob Ludwig Bohnstedt außer Konkurrenz beauftragt werden sollte, seinen siegreichen Entwurf von 1872 noch einmal umzuarbeiten und auszuführen. Die Lage des künftigen Reichstaggebäudes liegt somit vor dem Brandenburger Tor und damit auch vor der Stadt. Dieses entspricht der Vorstellung des Kaisers, der den Reichstag misswillig als Symbol für demokratisches Tun ansieht. Nach und nach verständigt sich parallel dazu die Kommission für den Reichstagsbau auf einen alternativen Standort an der Ostseite des Königsplatzes. Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck, Kaiser Wilhelm I. und die konservativen Abgeordneten lehnen diesen Bauplatz allerdings vehement ab, da der Reichstag damit in das Regierungszentrum Berlins und die Nähe des Stadtschlosses rückt, was eine politische Aufwertung des Parlamentes bedeuten würde.
Februar 1882
Ein neuer Wettbewerb wird ausgeschrieben, zu dem dieses Mal nur Architekten „deutscher Zunge“ zugelassen sind, was einer Forderung des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieurvereine entspricht. Hohe Preisgelder laden zur Teilnahme ein. Auch Ludwig Bohnstedt beteiligt sich wieder. Ablieferungstermin der Entwürfe ist der 10. Juni 1882.
24.06.1882
Paul Wallot
Paul Wallots Reichstagsentwurf
Aus 189 anonymen Einsendungen gehen die Entwürfe von Paul Wallot aus Frankfurt am Main und Friedrich von Thiersch aus München als Sieger für den neuen Entwurf des Reichstagsgebäudes in Berlin hervor; beide erhalten erste Preise. Da aber der 41 Jahre alte gebürtige Pfälzer Paul Wallot eindeutig mehr Stimmen auf seiner Seite hat (19 von 21), bekommt er den begehrten Auftrag. Wallot ist Nachfahre der hugenottischen Familie Vallot, die wahrscheinlich ihren Ursprung in Südfrankreich hat.
09.06.1883
Der Reichstag genehmigt den Haushalt zum Bau des Reichstagsgebäudes in Berlin. Voraus geht ein Rededuell des Abgeordneten August Reichensperger (eines Juristen und Förderers des Kölner Doms), der einen gotischen Entwurf als deutscher betrachtet als Wallots Renaissancebau, und dessen Befürworter Robert Gerwig (einem Bauingenieur und nationalliberalen Politiker). Für den Architekten begann ein langwieriger und mühevoller Arbeitsprozess, eine ständige Auseinandersetzung mit mehreren zuständigen Instanzen. Nach einem Beschluss von 1880 soll die Akademie des Bauwesens beim zukünftigen Neubau eines Reichstagsgebäudes unbedingt als Berater eingeschaltet werden – eine unglückliche Regelung, weil viele Akademiemitglieder am vorhergehenden Wettbewerb mit eigenen Entwürfen beteiligt waren. Unkorrektes Verhalten lässt sich der Akademie nicht nachweisen, aber ihre häufige, ungewöhnlich pedantische Kritik an Wallots Arbeit ruft bald Zweifel an ihrer Objektivität hervor, die in der Öffentlichkeit auch geäußert werden. Die Bauabteilung im preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten als zweite Gutachterinstanz verlangt ebenfalls weitreichende Änderungen. Wallot selbst bleibt nach außen hin geduldig und beklagt sich nur in persönlichen Briefen. Er muss in Abständen von wenigen Monaten immer neue Entwürfe für die Anordnung der Innenräume und die Gestaltung der Fassaden liefern. Unabhängige Beobachter glauben am Ende, den prämierten Entwurf nicht mehr wiederzuerkennen.
Dezember 1883
Der Architekt des Reichstagsgebäudes Paul Wallot legt seinen überarbeiteten Entwurf vor: Die Anzahl der Innenhöfe wird von vier auf zwei reduziert, die Anzahl der Stufen zum Plenarsaal werden halbiert und die Anzahl der Räumlichkeiten und die Position der Kuppel korrigiert. Das Bauwerk wird mit einer Vielzahl von Schmuckelementen und Verzierungen aus der Barockzeit versehen, die die Vereinigung der einzelnen Staaten zum Deutschen Reich symbolisieren sollen. Besonders modern ist der fast 50 Meter hohe Kuppel-Entwurf, der nicht wie üblich aus Stein, sondern aus einem Eisengerüst, versehen mit Glas und Kupfer, bestehen soll. Das Bauwerk selbst soll nun auf einer Grundfläche von 137 mal 97 Metern entstehen.
09.06.1884
Kaiser Wilhelm I.
Der deutsche Kaiser Wilhelm I. legt pünktlich um 12 Uhr den Grundstein für das Berliner Reichstagsgebäude, das nach den Plänen des Architekten Paul Wallot errichtet wird. Viel Militär und nur wenige Parlamentarier nehmen an der verregneten Zeremonie teil. Drei Hohenzollern hatten die Hauptrollen: Kaiser Wilhelm I. sowie sein Sohn und sein Enkel – die späteren Kaiser Friedrich III. und Wilhelm II. Beim Hammerschlag Wilhelms I. zerspringt das symbolische Werkzeug.
26.06.1884
Die ersten Fundamentsteine für den Bau des Reichstagsgebäudes in Berlin werden gelegt. Ansonsten wird der Bauplatz vorbereitet, um die bis zu 260 Bauarbeiter aufnehmen zu können.
November 1886
Der Reichstag genehmigt die Art und die Beschaffenheit der Fassade des im Bau befindlichen Reichstagsgebäudes.
1888
Während der Bauarbeiten zum Reichstagsgebäude entwickelt sich die Kuppel zum besonderen Problem. Durch verschiedene Einsprüche wurde der Architekt Paul Wallot gezwungen, sie von ihrer zentralen Position über dem Plenarsaal zur westlichen Eingangshalle zu verlegen. Nach diesem Plan wird das Bauwerk nun von der Berliner Steinmetzfirma Zeidler & Wimmel errichtet. Je weiter der Bau vorankommt, desto mehr kommt der Architekt zu der Überzeugung, dass die erzwungene Änderung rückgängig gemacht werden muss. In zähen Verhandlungen erreicht er die Zustimmung dafür. Inzwischen sind die tragenden Wände um das Plenum aber schon errichtet – zu schwach für die geplante steinerne Kuppel, wie alle Berechnungen ergaben. Der neue Kaiser Wilhelm II. hat anfangs noch eine recht positive Einstellung zum Reichstagsgebäude. Er unterstützt Wallot auch in der Frage, wo die Kuppel zu platzieren sei, obwohl er sie prinzipiell als Ärgernis empfindet – weil er darin ein Symbol für die Ansprüche des ungeliebten Parlaments sieht und weil sie höher ist als die Kuppel des Berliner Stadtschlosses mit ihren 67 Metern.
1889
Der mit der Aufgabe, die Kuppel des Reichstagsgebäudes zu versetzen betraute Bauingenieur Hermann Zimmermann findet eine Lösung für das bisher ungelöste Problem: Er reduzierte die Kuppelhöhe von 85 auf knapp 75 Meter und schlägt eine relativ leichte, technisch anspruchsvolle Konstruktion aus Stahl und Glas vor. Die so auf Umwegen entstandene Kuppel versorgt den Plenarsaal mit natürlichem Licht und gibt dem Parlamentsgebäude den gewünschten würdigen Abschluss; darüber hinaus gilt sie von nun an als Wahrzeichen für die Leistungsfähigkeit deutscher Ingenieure. In diesem Jahr müssen die Bauarbeiten immer wieder unterbrochen werden, da die Maurer, Steinmetze, aber auch die Zimmerleute streiken. Trotzdem ist der Architekt Paul Wallot mit dem Fortgang und dem bereits Erreichten zufrieden.
Ende 1891
Die insgesamt zwölf unter Vertrag stehenden Steinbrüche haben Probleme, die erforderlichen Kapazitäten rechtzeitig bereitzustellen. Im April 1990 waren bereits 15 Millionen Ziegelsteine verbaut. Am Ende des Vorjahres wurde mit der Arbeit am Stahlgerüst der Kuppel begonnen, welche jetzt beendet wird. Anfang nächsten Jahres soll die Verglasung der Kuppel beginnen.
Herbst 1892
Nach etwa neun Monaten Arbeit wird die Verglasung der Kuppel des Reichstagsgebäudes fertiggestellt.
April 1893
Die Beziehung zwischen Kaiser Wilhelm II. und dem Architekten Paul Wallot erreicht ihren Tiefpunkt, als der Kaiser während eines Besuchs bei König Umberto in Rom im Gespräch über Kunst das Reichstagsgebäude als "Gipfel der Geschmacklosigkeit" betitelt. Wallot ist von dem harten Urteil von höchster Stelle sehr enttäuscht, genauso wie auch die Öffentlichkeit daheim. Wallot und seinem Bauwerk bekundet man ansonsten in Italien spontan Sympathien. Die Fachwelt zeigt sich insgesamt enttäuscht von den Äußerungen des deutschen Kaisers.
05.12.1894
Kaiser Wilhelm II.
In Anwesenheit des Kaisers Wilhelm II. wird nach zehneinhalb Jahren Arbeit der Schlussstein des Reichstagsgebäudes gesetzt. Vor der eigentlichen Schlusssteinlegung fanden in zahlreichen Staatskirchen und Kathedralen Gedenkgottesdienste statt. Nach der Eröffnung der Feierlichkeiten im Stadtschloss fuhren der Kaiser mit den wichtigen Gästen im offenen Wagen und in Uniform der "Gardes Du Corps" in Richtung Brandenburger Tor zum Königsplatz vor dem Reichstagsgebäude. Wieder ist es eine vorwiegend militärische Veranstaltung. Der Architekt Paul Wallot führt den Kaiser durch das Gebäude; Wilhelm II. lässt öffentlich nur anerkennende Worte hören. In seiner Thronrede zur Reichstagseröffnung sagt der Kaiser: „Möge Gottes Segen auf dem Hause ruhen, möge die Größe und Wohlfahrt des Reiches das Ziel sein, das alle zur Arbeit in seinen Räumen Berufenen in selbstverleugnender Treue anstreben!“ Die Baukosten betragen 24 Millionen Mark (inflationsbereinigt in heutiger Währung: rund 159 Millionen Euro). Sie werden aus den Reparationen beglichen, die Frankreich nach dem verlorenen Krieg von 1870/1871 zu zahlen hatte. Die verglaste Eisenkuppel über einem offiziellen Bau wie dem Reichstagsgebäude ist erstaunlich und kann mit Blick auf die weiteren Entwicklungen in der Architektur als fortschrittlich bezeichnet werden. Dennoch ist der Bau während seiner gesamten Bauzeit höchst umstritten. Kaiser Wilhelm II. spricht sogar vom „Reichsaffenhaus“. Außerdem setzt die Baukommission mehrere gravierende Änderungen des Gebäudes durch, da nicht nur die Wünsche der preußischen Regierung, sondern vor allem die der deutschen Kaiser Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II. in die Tat umgesetzt werden müssen. Vermutlich seit der Architekt Paul Wallot 1889 einen Änderungswunsch Kaiser Wilhelm II. abgelehnt hat, ist die Beziehung zwischen beiden gestört. Der Kaiser verweigert dem Architekten, trotz anderslautender Empfehlungen, mehrere Auszeichnungen. Wallot erhält statt der großen Goldmedaille der Großen Berliner Kunstausstellung 1894 nur die kleine Goldmedaille, nicht mit dem Roten Adler-Orden, sondern nur mit dem Titel „Geheimer Baurat“ wird für seine Verdienste um den Reichstag ausgezeichnet. Gleichzeitig übernimmt er Lehraufträge an der Dresdner Kunstakademie und an der Technischen Hochschule Dresden. In Dresden wurde ihm auch der Neubau des Sächsischen Ständehauses an der Brühlschen Terrasse übertragen. Oswin Hempel, Karl Paul Andrae und Wilhelm Fränkel sind einige seiner Schüler. Während der 10-jährigen Bauzeit des Reichstagsgebäudes wurden etwa 32,7 Millionen Ziegelsteine und aus etwa

20 Steinbrüchen und damit etwa 30.000 Kubikmeter Sandsteinquader verbaut. Der 137 Meter lange und 103 Meter breite Bau wird mit seiner 75 Meter hohen Kuppel fast 24 Millionen Goldmark gekostet haben. Die Innenausstattung kostet noch einmal etwa 3,2 Millionen Goldmark. Bei den vielen Unfällen auf der Baustelle kamen während der Bauzeit bisher 14 Arbeiter ums Leben.

11.12.1894
Der „Berliner Lokal-Anzeiger“ nennt den Plan, auf dem Architrav über dem Westportal des Reichstagsgebäudes in Berlin den Schriftzug „DEM DEUTSCHEN VOLKE“ anzubringen, „naiv, beinahe komisch“, denn der Besitzer des Hauses sei „das deutsche Volk, welches der Bauherr war“. Rainer Haubrich merkt aus zeitlicher Distanz an, es sei „nicht üblich“, dass der Baumeister dem Bauherrn eine Widmung ausspricht. Laut dem Politikwissenschaftler Klaus von Beyme lehnt Kaiser Wilhelm II. die Wendung ab, weil sie die Volkssouveränität würdige. Es wird eine Reihe von Gegenideen vorgebracht; die Reichstagsbaukommission schlägt „Dem Deutschen Reiche“ vor, Wilhelm II. „Der Deutschen Einigkeit“. Die von Paul Wallot für den Spruch vorgesehene Stelle bleibt vorerst leer.
1898
Paul Wallot, der Architekt des Reichstagsgebäudes in Berlin, übernimmt die Leitung des Wettbewerbs zur Errichtung von Bismarckdenkmälern im Deutschen Reich, den die Deutsche Studentenschaft ausgerufen hat.
01.03.1899
Der Architekt des Reichstagsgebäudes Paul Wallot nimmt den Maler Franz von Stuck (zwei monumentale Deckengemälde) und den Bildhauer Adolf von Hildebrand (zwei Wahlurnen) unter Vertrag. Als die Entwürfe im Reichstag vorgestellt werden und darüber abgestimmt werden sollen, kommt es zu tumultartigen Szenen. Wortführer der Kritiker sind der Abgeordnete Philipp Ernst Maria Lieber der Zentrumspartei aus Bad Camberg. Die Ablehnung ist so groß, dass Wallot noch am selben Tag sein Amt als Leiter der Ausschmückungskommission abgibt. Daraufhin wird Lieber nachrückend in diese Kommission aufgenommen. Die Entwürfe der Gemälde und der Urnen bleiben verschwunden.
1901
Feier des 200jährigen Bestehens des Königreichs Preußen. Der Berliner Künstler Reinhold Begas vollendet sein Bismarckdenkmal vor dem Reichstagsgebäude und das unweit davon gelegegene Pergamon-Museum wird eröffnet.
30.01.1902
Im Auftrag Kaiser Wilhelms II. werden in der Wandelhalle des Reichstagsgebäudes drei neue, vom Kaiser gezeichnete Schiffstafeln aufgestellt, die die Flottenstärke Russlands, Japans und der Vereinigten Staaten von Amerika darstellen.
10.01.1902
Im Berliner Reichstagsgebäude beginnt der erste Deutsche Kolonialkongress. An zwei Tagen beraten Politiker, Kaufleute und Ökonomen über die Probleme und die Zukunft der deutschen Kolonialpolitik.
13.12.1906
Reichskanzler Bernhard Fürst von Bülow löst zum ersten Mal einen Deutschen Reichstag auf. Anlass ist die Verweigerung der Mehrheit der Abgeordneten, weitere 29 Millionen Reichsmark für den 1904 begonnenen Kolonialkrieg in Südwestafrika zu bewilligen.
1912
Der Charlottenburger Architekt Otto March erhält den ersten Preis im Wettbewerb zur Neugestaltung des Königsplatzes vor dem Reichstagsgebäude.
04.08.1914
Im August 1914, unmittelbar nach Kriegsausbruch beschließt der Reichstag am 4. des Monats Einmütigkeit und Geschlossenheit. Der Kaiser fordert in einer Ansprache an die Abgeordneten im Stadtschloss Unterstützung in dem "aufgezwungenen Krieg". Auszug seiner Rede im Weißensaal im Stadtschloss: ... Hier wiederhole ich: Ich kenne keine Partei mehr, ich kenne nur Deutsche! Zum Zeichen dessen, dass Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschied, ohne Stammesunterschiede, ohne Konfessionsunterschied durchzuhalten mit mir durch dick und dünn, durch Not und Tod, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir das in die Hand zu versprechen. Hierbei geht es um die Bewilligung von Kriegskrediten und der Zustimmung zu den vom Reichskanzler vorgelegten wirtschafts- und sozialpolitischen Ermächtigungsgesetzen.
Erstes Halbjahr 1915
Der von Paul Wallot, dem Architekten des Reichstagsgebäude, vorgesehene Platz auf dem Architrav über dem Westportal für den Schriftzug „DEM DEUTSCHEN VOLKE“ ist auch elf Jahre nach der Eröffnung des Gebäudes immer noch leer. Arnold Wahnschaffe, der Unterstaatssekretär im Reichskanzleramt, wirft in einem Brief an den Chef des Zivilkabinetts, Rudolf von Valentini, die Frage wieder auf. Wahnschaffe äußert die Sorge, dass der Kaiser mit jedem weiteren Kriegstag die Unterstützung des Volkes verliere; durch die Anbringung der Inschrift könne er etwas gegen diesen Treueverlust unternehmen. Wilhelm II. lässt antworten, dass er keineswegs eine ausdrückliche Genehmigung erteilen werde, aber keine Bedenken erheben würde, wenn die Reichstagsausschmückungs-Kommission beschließen würde, die Inschrift anzubringen. Einen Tag später gibt der Präsident des Reichstages, Johannes Kaempf, den Beschluss bekannt, die Inschrift in Auftrag zu geben. Aber es gibt wieder neue Unstimmigkeiten, dieses Mal wegen der Schriftart. Während einige für eine klassische Capitalis plädieren, wollen andere am Reichstagsgebäude die „deutsche Schrift“ Fraktur sehen. Als Kompromiss gestaltet der Architekt und Typograf Peter Behrens den Schriftzug zusammen mit Anna Simons in „nicht weniger als eine[r] alldeutsche[n] Nationalschrift […], eine[r] Kapital-Unzial-Fraktur-Bastarda“: „Mit einem zwischen schräggestellter Breitfeder und Flachpinsel lavierenden Duktus modifiziert sie die Grundformen der klassischen Unziale (E, U, T) durch Sporen der linken Schaftfüße in M, H, N und K und Brechung der rechten in M, U, H, N, Knickung des oberen Bogenprofils von E, M, S, C und Serifierung der Schaftansätze in U, H, K und L, indem sie die Rundungen streckt (D) und die Geraden rundet (V) und die Aufschrift in einen vitalistisch-flammenden Kontrapunkt zur geometrischen Architektur verwandelt.“ Zwei erbeutete Kanonen aus den Befreiungskriegen gegen Frankreich 1813–1815 werden für die Herstellung der 60 cm hohen Buchstaben eingeschmolzen. Die Ausführung übernimmt die Bronzegießerei Loevy, ein jüdisches Familienunternehmen.
09.11.1918
Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann
Reichkanzler Max von Baden verkündet eigenmächtig die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. und betraut Friedrich Ebert mit der Wahrnehmung der Amtsgeschäfte. Philipp Scheidemanns Rede am Fenster des Reichstagsgebäudes lautet wie folgt: Arbeiter und Soldaten! Furchtbar waren die vier Kriegsjahre. Grauenhaft waren die Opfer, die das Volk an Gut und Blut hat bringen müssen. Der unglückselige Krieg ist zu Ende; das Morden ist vorbei. Die Folgen des Kriegs, Not und Elend, werden noch viele Jahre lang auf uns lasten. Die Niederlage, die wir unter allen Umständen verhüten wollten, ist uns nicht erspart geblieben. Unsere Verständigungsvorschläge wurden sabotiert, wir selbst wurden verhöhnt und verleumdet. Die Feinde des werktätigen Volkes, die wirklichen inneren Feinde, die Deutschlands Zusammenbruch verschuldet haben, sind still und unsichtbar geworden. Das waren die Daheimkrieger, die ihre Eroberungsforderungen bis zum gestrigen Tage ebenso aufrechterhielten, wie sie den verbissensten Kampf gegen jede Reform der Verfassung und besonders des schändlichen preußischen Wahlsystems geführt haben. Diese Volksfeinde sind hoffentlich für immer erledigt. Der Kaiser hat abgedankt; er und seine Freunde sind verschwunden. Über sie alle hat das Volk auf der ganzen Linie gesiegt! Prinz Max von Baden hat sein Reichskanzleramt dem Abgeordneten Ebert übergeben. Unser Freund wird eine Arbeiterregierung bilden, der alle sozialistischen Parteien angehören werden. Die neue Regierung darf nicht gestört werden in ihrer Arbeit für den Frieden und der Sorge um Arbeit und Brot. Arbeiter und Soldaten! Seid euch der geschichtlichen Bedeutung dieses Tages bewusst. Unerhörtes ist geschehen! Große und unübersehbare Arbeit steht uns bevor. Alles für das Volk, alles durch das Volk! Nichts darf geschehen, was der Arbeiterbewegung zur Unehre gereicht. Seid einig, treu und pflichtbewusst. Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen! Es lebe das Neue; es lebe die deutsche Republik!

Zwei Stunden später verkündet der Spartakist Karl Liebknecht vom Berliner Stadtschloss aus die "Deutsche Räterepublik".
Ein sechsköpfiger „Rat der Volksbeauftragten” aus je drei SPD- und USPD-Mitgliedern übernimmt daraufhin die Regierung. Die USPD gibt in ihrer Antwortnote an den Vorstand der SPD ihre Bedingungen für einen Eintritt in die neu zu bildende Regierung bekannt. Sie werden noch am gleichen Tag vom SPD-Vorstand anerkannt. Der "Rat der Volksbeauftragten" (das erste Kabinett der Deutschen Republik) besteht aus:

  • Friedrich Ebert, SPD, Volksbeauftragter für Innenpolitik und Militär, * 1871 Heidelberg, Großherzogtum Baden
  • Philipp Scheidemann, SPD, Volksbeauftragter für Finanzen, * 1865 Kassel, damals Kurfürstentum Hessen
  • Dr. Otto Landsberg, SPD, Volksbeauftragter für Presse, Kunst und Literatur, * 1869 Rybnik, Oberschlesien, Königreich Preußen
  • Hugo Haase, USPD, Volksbeauftragter für Außenpolitik und Kolonien, * 1863 Allenstein, Ostpreußen, Königreich Preußen
  • Wilhelm Dittmann, USPD, Volksbeauftragter für Demobilmachung, Verkehr und Rechtswesen, * 1874 Eutin, Königreich Preußen
  • Emil Barth, USPD, Volksbeauftragter für Sozialpolitik, * 1879 Heidelberg, Großherzogtum Baden
  • Gustav Bauer, SPD, Staatssekretär des Reichsarbeitsamtes, * 1870 Darkehmen, Ostpreußen, Königreich Preußen
20.-24.12.1918
Die Inschrift des Deutschen Reichstages „DEM DEUTSCHEN VOLKE“ wird „ohne großes Medieninteresse“ angebracht.
19.02.1919
Marie Juchacz (SPD) - sie spricht als erste Frau in einem deutschen Parlament
Die deutsche Fahne seit 18. Februar 1919
Die 40 Jahre alte Sozialreformerin und Frauenrechtlerin Marie Juchacz hält vor der Weimarer Nationalversammlung als erste Frau in einem deutschen Parlament eine Rede. Juchacz wurde in Landsberg an der Warthe geboren. Nach dem Besuch der Volksschule in Landsberg an der Warthe arbeitete Juchacz ab 1893 zunächst als Dienstmädchen und kurzzeitig als Fabrikarbeiterin. Von 1896 bis 1898 war sie in der Krankenpflege tätig. Anschließend absolvierte sie eine Lehre zur Schneiderin. In diesem Beruf war sie bis 1913 tätig. Nachdem sie sich 1906 von ihrem Mann, dem Schneidermeister Bernhard Juchacz, getrennt hatte, übersiedelte sie mit den beiden Kindern nach Berlin. Während des Ersten Weltkrieges von 1914 bis 1918 arbeitete sie zusammen mit Anna Maria Schulte, Elisabeth Röhl und Else Meerfeld in der „Heimarbeitszentrale“ und war Mitglied der sogenannten „Lebensmittelkommission“. Juchacz trat 1908 der SPD bei, mit deren Programm sie ein älterer Bruder vertraut gemacht hatte. In kurzer Zeit entwickelte Juchacz sich zur gefragten Versammlungsrednerin. Im Jahr 1913 wurde sie in Köln Frauensekretärin für den Parteibezirk Obere Rheinprovinz, wo sie sich vor allem um die Organisation der Textilarbeiterinnen im Aachener Raum kümmerte. Als es 1917 zur Spaltung der Sozialdemokraten und zur Gründung der USPD kam, erhielt Marie Juchacz, die bei den Mehrheitssozialdemokraten blieb, von Friedrich Ebert die Stelle als Frauensekretärin im Zentralen Parteivorstand, die zuvor Clara Zetkin innehatte. Sie übernahm außerdem die Redaktionsleitung der Frauenzeitung "Die Gleichheit".
13.01.1920
Gegen die geplante Verabschiedung des Betriebsrätegesetzes rufen die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) zu Demonstrationen vor dem Berliner Reichstagsgebäude auf. Sicherheitskräfte eröffnen das Feuer auf die Menschenmenge. 42 Kundgebungsteilnehmer sterben, 105 werden verletzt.
1920
Bedingt durch das Verhältniswahlrecht erhöht sich die Anzahl der Abgeordneten, so dass man sich mit dem Umbau des Reichstagsgebäudes befassen muss. Schon jetzt findet man die übermäßigen Ausschmückungen aus der Kaiserzeit übertrieben.
1922
Der Reichstag wählt eine Kommission, die Pläne zur baulichen Veränderung des Gebäudes erarbeiten soll, der zum einen der neuen Anforderungen (Vergrößerung des Plenarsaales und ein Erweiterungsbau für die Bibliothek), als auch der Reduzierung der "wilhelminischen Ausschmückungen" gerecht werden soll.
Sommer 1927
Der Platzbedarf der Bücherei des Deutschen Reichstages wird deutlich höher als vorher eingeplant. So wird wegen eines gewünschten Erweiterungsbaus für die Reichsbibliothek, die jetzt schon aus 260.000 Buchbänden besteht, Arbeitsräumen für Abgeordnete und Lesesäle ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben.
1928
Der im Sommer vom Deutschen Reichstag ausgeschriebene Architektenwettbewerb für einen Erweiterungsbau der Reichsbibliothek wird neu ausgeschrieben, da die Fachwelt grobe Fehler bei der Ausschreibung angemahnt hat. Der Entwurf des Aachener Architekten Emil Fahrenkamp und des Berliner Hochschullehrers für Baukundt Heinrich de Fries erhält den ersten Preis.
01.09.1929
Bauernunruhen in Schleswig-Holstein strahlen über diese Region aus und finden ihren Höhepunkt in Bombenanschlägen von Mitgliedern der Landvolkbewegung in Lüneburg und auf das Reichstagsgebäude in Berlin. Der Widerstand richtet sich gegen die massenweisen Zwangsversteigerungen der Höfe, gegen zu hohe Steuern und gegen die teuren Kredite der Wucherer. Auch werden die Bauern aufgrund der zu leistenden Reparationszahlungen an die Gegner des Ersten Weltkrieges stark belastet.
27.02.1933
Reichstagsbrand 1933
In der Nacht zum 28. Februar bricht im Reichstagsgebäude in Berlin ein Brand aus, der fast den gesamten Mittelteil des Gebäudes und den Plenarsaal zerstört. Direkt nach dem Brand erklärt der preußische Ministerpräsident und Innenminister Hermann Göring, dass der festgenommene Niederländer Marinus van der Lubbe im Auftrag der KPD das Feuer gelegt habe. Die Nationalsozialisten nutzen das Ereignis, dessen Urheberschaft bis heute nicht eindeutig geklärt ist, augenblicklich zu einem Schlag gegen ihre politischen Gegner: Die Kommunisten und die SPD werden für die Tat verantwortlich gemacht und noch in der Nacht werden Hunderte von Oppositionellen verhaftet. Der Niederländer Marinus van der Lubbe wird zum Schuldigen erklärt. Jahrzehnte später widersprechen deutsche Brandexperten der These von der Einzeltäterschaft van der Lubbes und meinen, dass ein Einzeltäter bei diesem Brandverlauf nicht vorstellbar und damit sehr unwahrscheinlich sei. Der Berliner Historiker Schmädecke erklärt, dass der Brand von den Nazis sorgfältig geplant und entfacht gewesen sei.
28.02.1933
Am Tag nach dem Reichstagsbrand setzt Reichspräsident Paul von Hindenburg eine Notverordnung in Kraft, auf deren Grundlage angebliche und tatsächliche Regimefeinde willkürlich festgenommen und ohne Gerichtsverfahren in „Schutzhaft“ genommen werden können. Diese "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat", auch "Reichstagsbrandverordnung" genannt, setzt die wichtigen Grundrechte außer Kraft. Das Erscheinen des "Vorwärts", der Parteizeitung der SPD, wird für 14 Tage verboten.
28.08.1933
Die Friedrich-Ebert-Straße am Reichstagsgebäude wird in Hermann-Göring-Straße umbenannt.
23.12.1933
Der mutmaßliche 'Reichstagbrandstifter' Marinus van der Lubbe wird wegen "Hochverrats in Tateinheit mit vorsätzlicher Brandstiftung" durch das Reichsgericht Leipzig verurteilt. Die Todesstrafe gegen den Niederländer wird verhängt, obwohl die Todesstrafe zur Tatzeit in Deutschland nicht existierte (Rückwirkungsverbot "nulla poena sine lege praevia": Eine Bestrafung ist nur möglich, wenn die dem Täter vorgeworfene Handlung zur Zeit ihrer Ausführung bereits mit Strafe bedroht war).
10.01.1934
Der mutmaßliche 'Reichstagbrandstifter' Marinus van der Lubbe, der am 23. Dezember des Vorjahres zum Tode verurteilt wurde, wird hingerichtet. Das Urteil wird in Leipzig durch Enthauptung vollstreckt.
1938
Berliner Siegessäule
Die Berliner Siegessäule verschwindet vor dem Reichstag. Kaiser Wilhelm I. ließ sie als Erinnerung an die preußischen Siege der Kriege zwischen 1864 und 1871 auf dem Königsplatz vor der Kroll-Oper als "Siegessäule" erbauen. Der Sockel wurde durch erbeutete Geschützrohre verziert. Nach der Fertigstellung des Reichstagsgebäudes befand sich die Siegessäule genau zwischen diesem und der westlich gelegenen Kroll-Oper. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten und den Planungen für die neue Hauptstadt "Germania" wird die Siegessäule nun an den "Großen Stern" versetzt. Im Zuge der Umsetzung bekommt sie einen "vierten Ring" dazu, wodurch ihre Gesamthöhe auf 69 Meter ansteigt. Gekrönt wird die Siegessäule durch eine acht Meter hohe Statue der Göttin Viktoria.
25.12.1941
Wieder findet ein Bombenangriff auf Berlin statt. Da sich die Reichshauptstadt zunehmend feindlichen Luftangriffen ausgesetzt sieht, werden auf den Ecktürmen des Reichstagsgebäudes Flugabwehrgeschütze (Flak-Batterien) in Stellung gebracht.
April 1945
Die angreifenden sowjetischen Truppen verstärken ihr Artilleriefeuer auf das Reichstagsgebäude, bevor sie zur Erstürmung ansetzen. Insgesamt rund eine Million Mal wird das Reichstagsgebäude von einem Geschoss getroffen. Obwohl das Gebäude militärisch völlig unbedeutend ist, hat es für die Sowjetarmee einen hohen symbolischen Wert.
30.04.1945
Die militärische Nachrichtenagentur der Sowjetunion SowInformBüro berichtet über die "Lage an den Fronten am 30. April 1945: Unsere Infanteristen zerschlugen den Gegner im Nahkampf, rückten vor und setzten anschließend von Westen zum Sturm des Reichstagsgebäudes an. Zugleich drangen unsere an das Reichstags-Ufer vorgerückten Abteilungen von Norden in den Reichstag ein. Die Gefechte dauerten die ganze Nacht unvermindert an.
01.05.1945
Nach den Kämpfen, die am Vortag um das Regierungsviertel in Berlin begannen, hissen um 14 Uhr sowjetische Soldaten auf dem schwer beschädigten Reichstagsgebäude die im Berliner Bezirk Tiergarten die Rote Fahne als Flagge des Sieges.
Mai 1945
Sowjetische Soldaten strömen zum Reichstagsgebäude, das in ihren Augen ein Symbol des Sieges über den Nationalsozialismus ist, und schreiben ihre Namen und Heimatstädte in farbiger Fettkreide oder Holzkohle auf die Innen- und Außenwände und nehmen auf diese Weise symbolisch Besitz von dem Gebäude. Sie schreiben sich die Freude, überlebt zu haben, oder den Triumph, siegreich in Berlin zu sein, von der Seele.
August 1948
Am zerstörten Reichstagsgebäude in Berlin beginnen die Aufräumungsarbeiten. Allerdings ist noch nicht entschieden, ob das Gebäude instandgesetzt oder abgerissen werden soll.
09.09.1948
Der Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter
Der Oberbürgermeister von Berlin Ernst Reuter, der allerdings von den Sowjets nicht anerkannt wird, hält vor dem Berliner Reichstagsgebäude seine berühmte Rede mit den Worten: "Ihr Völker der Welt, ihr Völker in Amerika, in England, in Frankreich, in Italien! Schaut auf diese Stadt und erkennt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft und nicht preisgeben könnt! Es gibt nur eine Möglichkeit für uns alle: Gemeinsam so lange zusammenzustehen, bis dieser Kampf gewonnen, bis dieser Kampf endlich durch den Sieg über die Feinde, durch den Sieg über die Macht der Finsternis besiegelt ist. Das Volk von Berlin hat gesprochen. Wir haben unsere Pflicht getan, und wir werden unsere Pflicht weiter tun. Völker der Welt! Tut auch ihr eure Pflicht und helft uns in der Zeit, die vor uns steht, nicht nur mit dem Dröhnen eurer Flugzeuge, nicht nur mit den Transportmöglichkeiten, die ihr hierher schafft, sondern mit dem standhaften und unzerstörbaren Einstehen für die gemeinsamen Ideale, die allein unsere Zukunft und die auch allein eure Zukunft sichern können. Völker der Welt, schaut auf Berlin! Und Volk von Berlin, sei dessen gewiss, diesen Kampf, den wollen, diesen Kampf, den werden wir gewinnen!"
23.05.1950
Das zerstörte Reichstagsgebäude (Quelle: Deutscher Bundestag)
Es wird entschieden dass das zerstörte Reichstagsgebäude in Berlin der Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland unterliegt. Fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges beginnt die Enttrümmerung des stark zerstörten Reichstagsgebäudes in Berlin. Die stark beschädigte Reichstagskuppel ist dabei ständige Bedrohung, da sie aufgrund ihrer Beschädigung ständig einzustürzen droht. Sowohl der Ringanker als auch das tragende Mauerwerk sind schwer beschädigt. Ausführende Arbeiten sind unter diesen Umständen nicht verantwortbar.
Januar 1953
Aus dem Bonner Bundesministerium für Finanzen, das seit zweieinhalb Jahren die zuständige Behörde für das Reichstagsgebäude in Berlin ist, wird mitgeteilt, dass die Reichstagskuppel, die bei den Aufräumungsarbeiten aufgrund ihres schlechten Zustandes eine ständige Bedrohung der unter ihr arbeitenden Menschen ist, gesprengt werden darf. Bundesfinanzminister ist der Münchner Fritz Schäffer von der Christlich-Sozialen Partei Deutschlands (CSU), der bis 1949 der erste Bayerische Ministerpräsident nach dem Zweiten Weltkrieg war.
1954
Bundespräsident Theodor Heuss
Die politischen Parteien in Bonn diskutieren darüber, ob und zu welchem Zweck das zerschossene Reichstagsgebäude wieder aufgebaut werden solle. Zwischenzeitlich äußert sich Bundespräsident Theodor Heuss zugunsten einer Wiederherrichtung des Gebäudes.
23.10.1954
Die vor eineinhalb Jahren beschlossene Sprengung der zerstörten Reichstagskuppel, die heute durchgeführt werden soll, führt nicht zum Einsturz der 300 Tonnen schweren und fast 60 Meter hohen Stahlkonstruktion.
22.11.1954
Der zweite Versuch, die 300 Tonnen schwere Stahlkonstruktion der Reichstagskuppel zu sprengen, ist erfolgreich.
1955
Im Haushaltsetat der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 1955/1956 werden Mittel in Höhe von 410.000 DM für den Wiederaufbau des Reichstagsgebäudes beantragt. 60.000 DM sollen zur Durchführung eines eingeschränkten Architektenwettbewerbs bereitgestellt werden.
1957
Sieben Jahre nach Beginn der Arbeiten ist das stark zerstörte Reichstagsgebäude in Berlin enttrümmert.
01.07.1960
Der Deutsche Bundestag in Bonn beschließt die vollständige Renovierung des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Reichstagsgebäudes, das direkt an der Demarkationslinie zum Ostsektor der Stadt steht und schreibt einen Architektenwettbewerb zur Wiederherstellung aus.
1961
Den im Juli des Vorjahres vom Deutschen Bundestag ausgeschriebenen Wettbewerb zur Wiederherstellung des Reichstagsgebäudes entscheidet der in Tilsit im damaligen Ostpreußen geborene Architekt Paul Baumgarten für sich. Das Gebäude soll nun schlichter gestaltet werden als das Original, Schmuckelemente und Dekorationen entfernt und dadurch auch die Höhe der Türme reduziert werden. Die Gesamtkosten der Rekonstruktion wird fast fünfmal so hoch werden wie der Neubau vor rund 100 Jahren.
04.11.1963
Klaus Schröter stirbt in Berlin, als Angehörige der Grenztruppen der DDR zwischen der Marschallbrücke und dem Reichstagsgebäude auf ihn schießen, als er einen Fluchtversuch nach Berlin (West) unternimmt. Infolge eines Streifschusses am Hinterkopf verliert er das Bewusstsein und ertrinkt.
1971
Im Reichstagsgebäude findet die Ausstellung "Fragen an die deutsche Geschichte" statt. Unabhängig seiner künftigen Bestimmung wird der Wiederaufbau des Gebäudes abgeschlossen, als der aus Bulgarien stammende Verpackungskünstler Christo erstmalig mit seiner Idee an die Öffentlichkeit geht, das Reichstagsgebäude "zu verhüllen".
13.03.1981
In Berlin wird ein Anschlag auf das Reichstagsgebäude verübt, wobei 50.000 DM Sachschaden entsteht; zwei der drei Täter werden gefasst.
07./08.06.1987
In West-Berlin beginnt vor dem Reichstagsgebäude das mehrtägige Rockfestival „Concert for Berlin“. Auch auf der Ostseite der Mauer finden sich zahlreiche Jugendliche ein, um die Konzerte zumindest akustisch miterleben zu können. Es kommt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Volkspolizei, die jedoch von der Führung dementiert werden. Der Ruf „Die Mauer muß weg“ ertönt tausendfach.
19.06.1988
Während eines Konzertes des US-amerikanischen Popstars Michael Jackson vor dem Reichstagsgebäude unweit der Mauer kommt es in Ost-Berlin zu Auseinandersetzungen zwischen der Volkspolizei und Jugendlichen, die das Konzert im Ostteil hören wollen und sich in Mauernähe aufhalten.
03.10.1990
Vor dem Reichstagsgebäude finden die Feierlichkeiten zur Deutschen Einheit statt.
12./17.12.1990
Alterspräsident des Bundestages und Bundeskanzler a.D. Willy Brandt
Bundeskanzler Helmut Kohl
Die 12. konstituierende Sitzung des Deutschen Bundestages findet im Reichstagsgebäude statt. Es ist nach 58 Jahren die erste Sitzung eines gesamtdeutschen Parlaments in diesem Gebäude. Die Öffnung wird eröffnet durch den Lübecker Alterspräsident und Bundeskanzler a.D. Willy Brandt von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Am 17. Januar wählt der Bundestag den Ludwigshafener Helmut Kohl mit 378 Ja-Stimmen bei 257 Nein-Stimmen und 9 Enthaltungen im ersten Wahlgang zum ersten Bundeskanzler des wiedervereinigten Deutschlands.
20.06.1991
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Entsprechend der Vereinbarung von 1949 beschließt der Bundestag, dass Berlin Sitz der Regierung wird. Gleichzeitig wird festgelegt, dass das Reichstagsgebäude Tagungsstätte des Deutschen Bundestages wird. Damit wird dem Reichstagsgebäude wieder die Ehre zuteil, als Symbol für demokratische Politik aus dem vereinten Deutschland zu stehen.
12.09.1992
Im Reichstagsgebäude wird eine Gedenktafel enthüllt: "Zur Erinnerung an 96 von den Nationalsozialisten ermordete Reichstagsabgeordnete der Weimarer Republik errichtete die Bürgerinitiative "Perspektive Berlin" dieses Denkmal, unterstützt vom Deutschen Gewerkschaftsbund, vom Bezirksamt Tiergarten, vom Senator für Kulturelle Angelegenheiten und zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern."
Sommer 1992
Der Deutsche Bundestag lobt einen Umbauwettbewerb für das Reichstagsgebäude aus. Zur Teilnahme an diesem Wettbewerb lädt der Bundestag 14 international renomierte Architekten ein, darunter Ming Pei (USA), Jean Nouvel (Frankreich) und Aldo Rossi (Italien). Von den über 350 Büros, die die Wettbewerbsunterlagen anfordern, werden 80 einen Entwurf einreichen.
29.01.1993
Die Jury des Umbauwettbewerbes für das Reichstagsgebäude gibt bekannt, dass sie den Architekten Pi de Bruijn (Niederlande), Santiago Calatrava (Spanien) und Sir Norman Foster (Großbritannien) gleichrangig den ersten Preis zuerkennt. Den Entwürfen der drei Sieger liegen völlig unterschiedliche Konzeptionen zugrunde: de Bruijn lagert den Plenarsaal in einen schalenförmigen Bau vor dem Portal des Reichstags aus, Calatrava sieht eine gotisch anmutende Kuppel vor und Foster plant ein baldachinartiges, wellenförmiges Glasdach über dem Reichstagsgebäude, das auf 25 jeweils 50 Meter hohen Säulen aufgestützt ist. Alle drei Entwürfe sind auf ihre Weise spektakulär, würden jedoch die historische Substanz des Baus zerstören und sind in der Umsetzung zu teuer.
22.04.1993
Die Baukommission für die zukünftige Nutzung des Reichstagsgebäude für den Deutschen Bundestag fort alle drei beim Umbauwettbewerb siegreichen Architekten zur Überarbeitung ihrer Entwürfe unter den Aspekten der Wirtschaftlichkeit und Realisierbarkeit auf. In diesem zweiten Durchlauf kann der Brite Sir Norman Foster die Abgeordneten überzeugen. Er ist von seinem bisherigen Glasdach abgekommen und setzt ganz auf Ökologie und Sparsamkeit. Durch den Einsatz erneuerbarer Energiequellen sollen die laufenden Kosten reduziert und die Umweltbelastungen verringert werden. Die Geschichte des Hauses soll sichtbar gemacht und die Strukturen des Wallot-Baus freigelegt werden. Auf diese Weise kann aus dem Reichstagsgebäude ein Symbol für ein sich seiner Geschichte bewusstes und zugleich zukunftsorientiertes, modernes Deutschland werden.
25.02.1994
Der Künstlerehepaar Christo und Jeanne-Claude erhält vom Deutschen Bundestag die Zustimmung für die geplante Verhüllung des Berliner Reichstagsgebäudes. Christo Wladimirow Jawaschew wurde am 13.06.1935 in Bulgarien, seine Frau Jeanne-Claude Denat de Guillebon am gleichen Datum in Casablanca im damaligen Französisch-Marokko geboren.
Frühjahr 1994
Zwischen dem Architekten für den Umbau des Reichstagsgebäudes Sir Norman Foster und der Baukommission für den Deutschen Bundestag kommt es zu einem ernsthaften Konflikt. Foster hat seine Entwürfe detailliert ausgearbeitet und stieß bei den Abgeordneten auf Zustimmung. Erst an der nie richtig geklärten Frage der künftigen Dachgestaltung des Reichstags entzündet sich ein Streit, an dem der gesamte Umbau beinahe scheitert. Foster wünscht als besonderen bauökologischen Akzent die natürliche Belichtung und Belüftung des Plenarsaals. Die dafür notwendigen technischen Vorrichtungen zwingen ihn, in die Höhe zu gehen. Foster kommt auf die Idee, das zunächst vorgesehene Glasdach um zwei Ebenen anzuheben und mit einer Aussichtsplattform für Besucher abzuschließen. Dies ruft die traditionsbewussten Abgeordneten auf den Plan: Wenn schon ein Dachaufbau, dann in der Form der Wallot-Kuppel. Doch für deren Rekonstruktion steht Foster nicht zur Verfügung. Mit knapper Mehrheit beschließt die Baukommission, dass Foster für die Kuppel eine "moderne Interpretation der ursprünglichen Form" entwickeln soll. Wenige Wochen später stellt der Architekt zwei mögliche Lösungen vor: Ein zylinderartiger Aufbau und eine Kuppel. Mit einer Stimme Mehrheit entschieden sich die Abgeordneten für die Kuppel. Mit der Entscheidung ist niemand wirklich zufrieden. Foster erklärt öffentlich, der Bundestag habe sich seiner Meinung nach für die schlechtere Variante entschieden. Aus der CDU/CSU ist zu hören, der Bundestag hätte die einmalige Chance zur Rekonstruktion der Wallot-Kuppel vertan. Die SPD verweist darauf, dass es ihr vor allem darum ginge, ein Scheitern des gesamten Bauprojekts zu verhindern. Auch die Berliner Presse reagiert ablehnend: "Ob der Reichstag eine Kuppel hat oder nicht, ist für das Schicksal der Demokratie nicht relevant", stellt der "Tagesspiegel" fest. Der Streit um die Kuppel ist der Höhepunkt der Auseinandersetzung um die Umgestaltung des Reichstagsgebäudes. Die meisten anderen Fragen können einvernehmlich geklärt werden. So besteht etwa ein breiter Konsens, dass die Ausschmückung des Reichstags nicht durch staatliche Symbole wie Flaggen, Wappen oder Porträtgalerien, sondern durch Werke zeitgenössischer Künstler erfolgen soll: Künstler wie Georg Baselitz oder Gerd Richter werden um Beiträge mit einem Bezug zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert gebeten. Darüber hinaus soll als Reverenz an die Geschichte des Gebäudes jeweils ein Künstler aus den Ländern der ehemaligen vier Alliierten eingeladen werden, wobei der Architekt Foster bereits Großbritannien repräsentierte. Die Idee Sir Norman Fosters, die bei den Umbauarbeiten wieder entdeckten Inschriften sowjetischer Soldaten aus dem Jahr 1945 zu erhalten und als Geschichtszeugnis sichtbar zu machen, findet bei den Mitgliedern der Baukommission große Zustimmung.
23.05.1994
Das Berliner Reichstagsgebäude
Die Bundesversammlung tritt erstmals im Reichstagsgebäude zusammen, um einen Bundespräsidenten zu wählen. Gewählt wird der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Roman Herzog im 3. Wahlgang mit 52,6 Prozent der Stimmen, der von der CDU nominiert wurde. Der Kandidat der SPD, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Johannes Rau, erhält 45,7 Prozent, Hans Hirzel von den Republikanern 0,8 Prozent der Stimmen.
25.02.1995
Mit der Eröffnung einer Ausstellung "Christo in Berlin", der nachhaltigen Unterstützung der Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth, sowie einer ausführlichen Aufklärungsarbeit bei allen 662 Abgeordneten (zum Beispiel durch persönliche Infobriefe) gibt der Bundestag seine Zustimmung zur Reichstagsverhüllung. Trotz der ablehnenden Haltung von Bundeskanzler Helmut Kohl und von Wolfgang Schäuble beschließt der Bundestag mit 292 Ja-Stimmen und 223 Nein-Stimmen bei 9 Enthaltungen die Realisierung des Christo-Projektes "Verhüllter Reichstag".
24.06.1995
Verhüllter Reichstag
Das Projekt "Verhüllter Reichstag" des bulgarischen Verpackungskünstlers Christo beginnt. 90 gewerbliche Kletterer und weitere 120 Montagearbeiter vollbringen das Werk, auf das Christo 23 Jahre lang warten musste. Das Reichstagsgebäude wird mit rund 100.000 Quadratmeter feuerfestem Polypropylengewebe mit Aluminiumschicht verhüllt, welches durch 15.600 Meter blauen, im Durchmesser 3,2 Zentimeter starken Seil in die richtige Form gebracht wird. Christo erhofft sich mit dem Projekt ein "dramatisches Erlebnis von großer Schönheit". In den folgenden 14 Tagen werden über fünf Millionen Besucher aus allen Teilen der Erde diesem grandiosen Schauspiel beiwohnen. Das Event, das von Christo und Jeanne-Claude selbst finanziert wird, kostet einen zweistelligen Millionenbetrag.
07.07.1995
Zwei Wochen nach der Verhüllung des Reichstagsgebäudes durch den Verpackungskünstler Christo wird das gesamte "Verpackungsmaterial" wieder abgebaut und recycled. Insbesondere durch diese wirklich eindrucksvolle Verhüllung wurde die Kehrtwende des Schattendaseins des Reichstagsgebäudes im Bewusstsein der Bevölkerung eingeleitet.
06.10.1997
Der ehemalige sowjetische Fotograf Jewgeni Ananjewitsch Chaldej stirbt in Moskau. Als Kriegsberichterstatter begleitete er im April/Mai 1945 die Eroberung Berlins durch die sowjetischen Truppen. Sein Foto „Auf dem Reichstag 2. Mai 1945“ zeigt das Hissen der sowjetischen Fahne auf dem Reichstagsgebäude und brachte ihm weltweite Berühmtheit ein.
19.04.1999
Giebel des Reichstages
Das nach den Plänen des britischen Architekten Sir Norman Foster völlig umgebaute und durch eine neue Kuppel mit einer Aussichtsplattform ergänzte Reichstagsgebäude in Berlin wird Sitz des Deutschen Bundestages. Nach fünf Jahren ist auch die Erneuerung der Inschrift des Hauses „DEM DEUTSCHEN VOLKE“ vollendet. Mit einer Aussprache zur inneren Lage der Nation tagt der Deutsche Bundestag erstmals im modernisierten Reichstagsgebäude in Berlin. Am gleichen Tag wird das Leo-Baeck-Haus, die vormalige Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, als Sitz des Zentralrates der Juden in Deutschland eröffnet.
05.04.2000
260 Abgeordnete des Deutschen Bundestages votieren für, 258 gegen das umstrittene Projekt des Konzeptkünstlers Hans Haacke. 31 Abgeordnete enthalten sich der Stimme. Bundestagspräsident Thierse bezeichnet das Vorhaben als Mittel zum Bewusstmachen der demokratischen Verpflichtung. Einer der Gegner, der kulturpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Lammert, spricht von einem politisch und ästhetisch misslungenen Konzept. Haacke will in einem Lichthof des Reichstagsgebäudes einen Holztrog aufstellen, ihn mit Erde aus den 669 Wahlkreisen füllen und mit der Inschrift "Der Bevölkerung" versehen, was eine Auseinandersetzung mit und Abgrenzung von der Giebelinschrift des Reichstags schaffen soll, obwohl im gleichen Schriftzug geschrieben. Haacke begründet sein Projekt damit, dass die alte Reichstagsinschrift „historisch belastet“ sei. Zudem seien heute fast zehn Prozent der Bewohner der Bundesrepublik keine deutschen Staatsbürger. Diesen gegenüber seien die Abgeordneten des Bundestages „moralisch verantwortlich“.
22.07.2005
Vor dem Reichstagsgebäude (auf dem Platz der Republik) stürzt ein Ultraleichtflugzeug vom Typ Platzer Kiebitz mit einer maximalen Abflugmasse von 400 kg einer Privatperson ab. Die Sicherheit wird innenpolitisch heftig diskutiert. Man geht von einem Selbstmord aus.
27.04.2007
Während einer Protestaktion am Berliner Reichstag enthüllen Unbekannte ein Plakat mit der Aufschrift „Der Deutschen Wirtschaft“ über der Fassade, das die Portalinschrift Dem deutschen Volke nahezu überdeckt. Die Demonstranten werden von der so genannten Höhenrettung der Feuerwehr schließlich von der Fassade geholt und wie vier weitere Demonstranten, die im Innern des Bundestages während einer Hammelsprung-Abstimmung ein Transparent mit der Aufschrift „Die Wünsche der Wirtschaft sind unantastbar“ enthüllten und Geldscheine ins Plenum warfen, der Polizei übergeben.
10.01.2008
Die Bundesanwaltschaft stellt fest, "dass das Urteil gegen den im ‚Reichstagsbrandprozess’ verurteilten Marinus van der Lubbe aufgehoben ist“. Grundlage für die Feststellung ist das NS-Unrechtsurteileaufhebungsgesetz aus dem Jahre 1998, nach dem Urteile aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 von Amts wegen aufzuheben sind, wenn sie auf spezifischem nationalsozialistischen Unrecht beruhen.
11.07.2008
Dem geplanten Gelöbnis von Bundeswehr-Rekruten vor dem Reichstagsgebäude am 20. Juli steht nichts mehr im Wege. Das zuständige Bezirksamt Berlin-Mitte habe eine Genehmigung für den Veranstaltungsort zugesichert, teilt der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Raabe, mit. Verteidigungsminister Jung sagt beim Besuch einer Panzer-Division in Hannover, die Entscheidung für den Reichstag sei ein gutes Symbol. Er habe kein Verständnis dafür, dass das Bezirksamt den Veranstaltungsort zunächst ablehnte.
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