Otto von Bismarck: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Oteripedia
Zur Navigation springen Zur Suche springen
 
(21 dazwischenliegende Versionen desselben Benutzers werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
 
__NOTOC__  
 
__NOTOC__  
 
<font face="Verdana">  
 
<font face="Verdana">  
 +
<center> '''''[[Biografien Preußen|Biografie]]''''' </center>
 +
=<CENTER> '''OTTO EDUARD LEOPOLD FÜRST VON BISMARCK-SCHÖNHAUSEN'''  </CENTER>=
 +
==<CENTER> ''' * 1. April 1815 in Schönhausen/Altmark, † 30.07.1898 in Friedrichsruh/Herzogtum Lauenburg''' </CENTER>==
  
[[Bild:Deutschland.gif||150px|left]] [[Datei:Deutsches Reich.gif|150px|right]]
+
<CENTER>
=== <center> '''Deutscher Bund / Norddeutscher Bund / Deutsches Kaiserreich''' </center> ===
+
{| class="wikitable" | style="color:blue;background-color:#ffffcc;" cellpadding="2" cellspacing="0" border="2"
<br>
+
|-
== <CENTER> '''OTTO FÜRST VON BISMARCK'''</center> ==
+
| [[Datei:Graf Otto von Bismarck.jpg|thumb|200px|''Otto Fürst von Bismarck-Schönhausen'']]
=== <center> '''* 01.04.1815 Schönhausen (Altmark), &dagger; 30.07.1898 Friedrichsruh bei Hamburg'''</center> ===
+
||
=== <center> '''Kanzler 1862-1890'''''</center> ===
+
* Preußischer Ministerpräsident (1862-1873, 1873-1890)
 +
* Kanzler des Norddeutschen Bundes (1867-1871)
 +
* Reichskanzler (1871-1890)
 +
* Erhebung zum Grafen (1865)
 +
* Erhebung zum Fürsten (1871)
  
{| class="wikitable" | style="color:blue;background-color:#ffffcc;" border="2"
+
|| [[Datei:Wappen Frankfurt.png|thumb|50px]] <br> [[Datei:Preußen 1739-1818.png|thumb|50px]] <br> [[Datei:Preußen 1818-1823.png|thumb|50px]] <br> [[Datei:Preußen 1823-1863.png|thumb|50px]] <br> [[Datei:Preußen 1863-1922.png|thumb|50px]] <br> [[Datei:Deutschland.png|thumb|50px]] <br> [[Datei:Deutsches Reich.png|thumb|50px]]
| '''[[Hauptseite]]'''
 
| rowspan="3" colspa6n="2" | [[Datei:Graf Otto von Bismarck.jpg|250px]]  
 
|-
 
| '''[[Jahreschroniken|Jahres-Chroniken]]''' <!--Column 2 occupied by cell    -->
 
|-
 
| '''[[Länderchroniken]]''' <!--Column 2 occupied by cell    -->
 
 
|}
 
|}
{| class="wikitable" | style="color:blue;background-color:#ffffcc;" cellpadding="2" cellspacing="0" border="2"
+
</CENTER>
! style="width:20%"| <center> ''' ''' </center> !! style="width:80%"| <center> '''Biografische Daten''' </center>
 
|- valign="top"
 
| <center>'''[[Chronik 04.1815|01.04.1815]]'''</center> || Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen wird in Schönhausen (Elbe) geboren. Er ist der zweite Sohn des Rittmeisters Karl Wilhelm Ferdinand von Bismarck (1771-1845) und dessen Ehefrau Luise Wilhelmine, geb. Mencken (1790-1839) und gehört einem alten Adelsgeschlecht an. Die väterliche Familie ist ein Junkergeschlecht der Altmark. Seine Mutter dagegen ist als Tochter von Anastasius Ludwig Mencken bürgerlicher Herkunft. Die Familie Mencken hat in der Vergangenheit Gelehrte und hohe Beamte hervorgebracht. Die unterschiedliche soziale Herkunft der Eltern hat erhebliche Folgen für Bismarcks Sozialisation. Vom Vater erbt er den Stolz auf seine Herkunft, die Mutter gibt ihm nicht nur seinen scharfen Verstand, den Sinn für rationales Handeln und sprachliche Sensibilität mit, sondern auch den Wunsch, seinem Herkunftskreis zu entkommen. Bismarck hat es seiner Mutter zu verdanken, dass er eine Bildung genießt, die für einen Landedelmann nicht typisch ist. Ihre Söhne sollen nicht nur Junker sein, sondern in den Staatsdienst eintreten. Allerdings führt die streng auf das Rationale abzielende Erziehung der Mutter dazu, dass sich Bismarck, wie er später schreibt, in seinem Elternhaus nie wirklich heimisch fühlt. Während er der Mutter reserviert gegenübersteht, liebt er den Vater. <br>
 
|- valign="top"
 
| <center>'''[[Chronik 1816|1816]]'''</center> || Die Familie von Bismarck siedelt nach Gut Kniephof im Landkreis Naugard in Hinterpommern, ohne ihr Gut Schönhausen aufzugeben. <br>
 
|- valign="top"
 
| <center>'''[[Chronik 1821|1821]]'''</center> || Auf Wunsch der Mutter beginnt Bismarck seine schulische Ausbildung in der preußischen Hauptstadt Berlin in der Plamannschen Erziehungsanstalt. Dieses Internat, in das hohe Beamte ihre Söhne zu schicken pflegen, wurde ursprünglich im Geist von Johann Heinrich Pestalozzi gegründet. Jetzt aber ist diese Reformphase längst beendet und die Erziehung geprägt von Drill und Deutschtümelei. Der Übergang vom kindlichen Spiel auf dem heimischen Hof zum Internatsleben, das von Zwang und Disziplin geprägt war, fällt Bismarck außerordentlich schwer. In dieser Zeit prägt sich deutlich sein Unwillen aus, Autoritäten anzuerkennen. <br>
 
|- valign="top"
 
| <center>'''[[Chronik 1831|1831]]'''</center> || Bismarck wird in der lutherischen Berliner Dreifaltigkeitskirche konfirmiert. Sein Pfarrer ist der bekannte Theologe, Altphilologe, Philosoph, Publizist und Staatstheoretiker Friedrich Schleiermacher. Bismarck befasst sich mit Fragen der Religion hauptsächlich vom Verstand her und sieht sich in ihr, von Hegel oder Spinoza beeinflusst, rückblickend eher als Deist und Pantheist denn als gläubiger Christ. Ein Atheist wird er allerdings nie, auch wenn seine Umgebung ihn zumeist für einen gottlosen Spötter hielt. <br>
 
|- valign="top"
 
| <center>'''[[Chronik 05.1832|10.05.1832]]'''</center> || Bismarck besteht sein Abitur und beabsichtigt das Studium der Rechtswissenschaften, zunächst an der Universität von Göttingen. <br>
 
|- valign="top"
 
| <center>'''[[Chronik 11.1833|November 1833]]'''</center> || Bismarck setzt sein Studium der Rechtswissenschaften an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität fort. <br>
 
|- valign="top"
 
| <center>'''[[Chronik 1835|1835]]'''</center> || Bismarck besteht das Erste Staatsexamen und dient zunächst beim Berliner Stadtgericht. Er wechselt bald auf eigenen Wunsch vom Justiz- in den Verwaltungsdienst. <br>
 
|- valign="top"
 
| <center>'''[[Chronik 08.1836|August 1836]]'''</center> || Bismarck, inzwischen Regierungsreferendar im Kurort Aachen, verliebt sich in Laura Russell, eine Nichte des Herzogs von Cumberland. <br>
 
|- valign="top"
 
| <center>'''[[Chronik 06.1837|Sommer 1837]]'''</center> || Nach einer Affäre mit einer (älteren) Französin reist Bismarck mit einer (jüngeren) Engländerin, einer Freundin Lauras, durch Deutschland. Da es zu einer mehrwöchigen Überschreitung seines vierzehntägigen Urlaubs kommt, verliert er sein Referendariat. Er macht Schulden durch seine Auslagen für Frauen und durch Besuche von Spielcasinos. <br>
 
|- valign="top"
 
| <center>'''[[Chronik 09.1837|Herbst 1837]]'''</center> || Bismarck versucht, seine Referendarausbildung in Potsdam fortzusetzen, kehrt dem Verwaltungsdienst aber nach einigen Monaten den Rücken. <br>
 
|- valign="top"
 
| <center>'''[[Chronik 1838|1838]]'''</center> || Bismarck leistet als Einjährig-Freiwilliger seinen Militärdienst ab, zunächst beim Garde-Jäger-Bataillon. Im Herbst wechselt er zum Jäger-Bataillon Nr. 2 nach Greifswald in Vorpommern, wo er sich an der Königlichen Staats- und landwirtschaftlichen Akademie Eldena auch auf die Führung der Familienbetriebe vorbereitet. <br>
 
  
  
Bismarck bezog nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 1839 das hinterpommersche Gut Kniephof und wurde Landwirt. Gemeinsam mit dem um fünf Jahre älteren Bruder Bernhard bewirtschaftete er die väterlichen Güter Kniephof, Külz und Jarchlin im Kreis Naugard. Nachdem Bernhard von Bismarck 1841 zum Landrat gewählt worden war, kam es zu einer vorläufigen Teilung. Bernhard bewirtschaftete nun Jarchlin, Otto Külz und Kniephof. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1845 übernahm Otto die Bewirtschaftung des Familienbesitzes Schönhausen bei Stendal.
+
'''[[Königreich Preußen 1815|01.04.1815]]''' - Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen wird in Schönhausen (Elbe) geboren. Er ist der zweite Sohn des Rittmeisters Karl Wilhelm Ferdinand von Bismarck (1771-1845) und dessen Ehefrau Luise Wilhelmine, geb. Mencken (1790-1839) und gehört einem alten Adelsgeschlecht an. Die väterliche Familie ist ein Junkergeschlecht der Altmark. Seine Mutter dagegen ist als Tochter von Anastasius Ludwig Mencken bürgerlicher Herkunft. Die Familie Mencken hat in der Vergangenheit Gelehrte und hohe Beamte hervorgebracht. Die unterschiedliche soziale Herkunft der Eltern hat erhebliche Folgen für Bismarcks Sozialisation. Vom Vater erbt er den Stolz auf seine Herkunft, die Mutter gibt ihm nicht nur seinen scharfen Verstand, den Sinn für rationales Handeln und sprachliche Sensibilität mit, sondern auch den Wunsch, seinem Herkunftskreis zu entkommen. Bismarck hat es seiner Mutter zu verdanken, dass er eine Bildung genießt, die für einen Landedelmann nicht typisch ist. Ihre Söhne sollen nicht nur Junker sein, sondern in den Staatsdienst eintreten. Allerdings führt die streng auf das Rationale abzielende Erziehung der Mutter dazu, dass sich Bismarck, wie er später schreibt, in seinem Elternhaus nie wirklich heimisch fühlt. Während er der Mutter reserviert gegenübersteht, liebt er den Vater. <br>
Bismarck erwarb schnell gute Kenntnisse in rationaler landwirtschaftlicher Betriebsführung. In den etwa zehn Jahren, in denen er als Verwalter des elterlichen Besitzes fungierte, gelang es ihm nicht nur, die Güter zu sanieren, sondern auch die eigenen Schulden zurückzuzahlen, die er in den zurückliegenden Jahren aufgehäuft hatte.
+
Einerseits gefiel es ihm, sein eigener Herr zu sein, andererseits füllten ihn die landwirtschaftliche Tätigkeit und das Leben als Landjunker nicht wirklich aus.[13] Er beschäftigte sich nebenher intensiv, aber unsystematisch mit Philosophie, Kunst, Religion und Literatur, ohne dass ihn dies nachhaltig geprägt hätte. 1842 unternahm er eine Studienreise nach Frankreich und England und in die Schweiz. Das Bestreben, in den Staatsdienst zurückzukehren, gab er 1844 auf – erneut aufgrund seiner Abneigung gegen alles Bürokratische. In diesen Jahren war er gerngesehener Gast bei zahlreichen gesellschaftlichen Ereignissen in der Region. Er nahm unter anderem an zahlreichen Jagdveranstaltungen teil, aber auch an ausschweifenden Zechgelagen. Eigenen Bekundungen zufolge hatte er sich in diesem Zusammenhang eine Art Trinkfestigkeit angeeignet; bei den Landjunkern habe er an Ansehen hinzugewonnen, weil er dazu fähig sei, seine „Gäste mit freundlicher Kaltblütigkeit unter den Tisch zu trinken“.[14] Dies wie auch die ihm anhaftende Neigung, bei gesellschaftlichen Ereignissen fast stets im Mittelpunkt zu stehen, brachte ihm den Ruf des „tollen Bismarck“ ein.[15]
+
'''[[Königreich Preußen 1816|1816]]''' - Die Familie von Bismarck siedelt nach Gut Kniephof im Landkreis Naugard in Hinterpommern, ohne ihr Gut Schönhausen aufzugeben. <br>
Ehemann und Vater[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
+
 +
'''[[Königreich Preußen 1821|1821]]''' - Auf Wunsch der Mutter beginnt Otto von Bismarck seine schulische Ausbildung in der preußischen Hauptstadt Berlin in der Plamannschen Erziehungsanstalt. Dieses Internat, in das hohe Beamte ihre Söhne zu schicken pflegen, wurde ursprünglich im Geist von Johann Heinrich Pestalozzi gegründet. Jetzt aber ist diese Reformphase längst beendet und die Erziehung geprägt von Drill und Deutschtümelei. Der Übergang vom kindlichen Spiel auf dem heimischen Hof zum Internatsleben, das von Zwang und Disziplin geprägt war, fällt Bismarck außerordentlich schwer. In dieser Zeit prägt sich deutlich sein Unwillen aus, Autoritäten anzuerkennen. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1831|1831]]''' - Otto von Bismarck wird in der lutherischen Berliner Dreifaltigkeitskirche konfirmiert. Sein Pfarrer ist der bekannte Theologe, Altphilologe, Philosoph, Publizist und Staatstheoretiker Friedrich Schleiermacher. Bismarck befasst sich mit Fragen der Religion hauptsächlich vom Verstand her und sieht sich in ihr, von Hegel oder Spinoza beeinflusst, rückblickend eher als Deist und Pantheist denn als gläubiger Christ. Ein Atheist wird er allerdings nie, auch wenn seine Umgebung ihn zumeist für einen gottlosen Spötter hielt. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1832|1832]]''' - Nach dem Abitur immatrikuliert sich Otto von Bismarck an der Universität Göttingen für das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften. Aufnahme in das landsmannschaftliche Studentenkorps "Hannovera". Später wird er sich rühmen, "innerhalb von drei Semestern 28 Mensuren gehabt und immer gut davongekommen zu sein."  <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1833|Februar 1833]]''' - Otto von Bismarck erhält die erste Karzerstrafe wegen Anwesenheit bei einem Pistolenduell. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1833|November 1833]]''' - Otto von Bismarck setzt sein Studium der Rechtswissenschaften an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität fort. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1835|1835]]''' - Otto von Bismarck besteht das Erste Staatsexamen und dient zunächst beim Berliner Stadtgericht. Er wechselt bald auf eigenen Wunsch vom Justiz- in den Verwaltungsdienst. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1836|August 1836]]''' - Otto von Bismarck, inzwischen Regierungsreferendar im Kurort Aachen, verliebt sich in Laura Russell, eine Nichte des Herzogs von Cumberland. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1837|Sommer 1837]]''' - Der Verwaltungstätigkeit überdrüssig, lässt sich Otto von Bismarck wegen Unwohlseins beurlauben und reist monatelang ohne genehmigten Urlaub seiner ersten großen Liebe, einer (älteren) Französin, hinterher. Später reist er mit einer (jüngeren) Engländerin, einer Freundin Lauras, durch Deutschland. Da es zu einer mehrwöchigen Überschreitung seines vierzehntägigen Urlaubs kommt, verliert er sein Referendariat. Er macht Schulden durch seine Auslagen für Frauen und durch Besuche von Spielcasinos. Später gelingt ihm die Fortsetzung der Referendarzeit bei der Potsdamer Provinzialregierung. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1837|Herbst 1837]]''' - Otto von Bismarck versucht, seine Referendarausbildung in Potsdam fortzusetzen, kehrt dem Verwaltungsdienst aber nach einigen Monaten den Rücken. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1838|1838]]''' - Otto von Bismarck bricht sein Referendariat ab und leistet als Einjährig-Freiwilliger seinen Militärdienst ab, zunächst beim Garde-Jäger-Bataillon. Im Herbst wechselt er zum Jäger-Bataillon Nr. 2 nach Greifswald in Vorpommern, wo er sich an der Königlichen Staats- und landwirtschaftlichen Akademie Eldena auch auf die Führung der Familienbetriebe vorbereitet. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1839|1839]]''' - Otto von Bismarck bezieht nach dem Tod seiner Mutter das hinterpommersche Gut Kniephof und wird Landwirt. Gemeinsam mit dem um fünf Jahre älteren Bruder Bernhard bewirtschaftet er die väterlichen Güter Kniephof, Külz und Jarchlin im Kreis Naugard. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1841|1841]]''' - Nachdem Bernhard von Bismarck 1841 zum Landrat gewählt worden war, kommt es zu einer vorläufigen Teilung des elterlichen Erbes. Bernhard bewirtschaftet nun Jarchlin, Otto Külz und Kniephof. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1841|1841]]''' - Otto von Bismarck unternimmt eine Studienreise nach Frankreich und England und in die Schweiz. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1844|1844]]''' - Das Bestreben, in den Staatsdienst zurückzukehren, gibt Otto von Bismarck auf – erneut aufgrund seiner Abneigung gegen alles Bürokratische. In diesen Jahren wird er gerngesehener Gast bei zahlreichen gesellschaftlichen Ereignissen in der Region. Er nimmt unter anderem an zahlreichen Jagdveranstaltungen teil, aber auch an ausschweifenden Zechgelagen. Eigenen Bekundungen zufolge eignet er sich in diesem Zusammenhang eine Art Trinkfestigkeit an; bei den Landjunkern gewinnt er an Ansehen, weil er dazu fähig sei, seine „Gäste mit freundlicher Kaltblütigkeit unter den Tisch zu trinken“. Dies wie auch die ihm anhaftende Neigung, bei gesellschaftlichen Ereignissen fast stets im Mittelpunkt zu stehen, bringt ihm den Ruf des „tollen Bismarck“ ein. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1844|Oktober 1844]]''' - Otto von Bismarck lernt seine zukünftige Ehefrau Johanna von Puttkamer kennen. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1845|1845]]''' - Nach dem Tod des Vaters übernimmt Otto die Bewirtschaftung des Familienbesitzes Schönhausen bei Stendal. Otto von Bismarck erwirbt schnell gute Kenntnisse in rationaler landwirtschaftlicher Betriebsführung. In den etwa zehn Jahren, in denen er als Verwalter des elterlichen Besitzes fungiert, wird es ihm nicht nur gelingen, die Güter zu sanieren, sondern auch die eigenen Schulden zurückzuzahlen, die er in den zurückliegenden Jahren aufgehäuft hat. Einerseits gefällt es ihm, sein eigener Herr zu sein, andererseits füllen ihn die landwirtschaftliche Tätigkeit und das Leben als Landjunker nicht wirklich aus. Er beschäftigte sich nebenher intensiv, aber unsystematisch mit Philosophie, Kunst, Religion und Literatur, ohne dass ihn dies nachhaltig prägt. Außerdem wird er Mitglied des Provinziallandtags der Provinz Pommern. Außerdem unterstützt er in einigen Fällen die Arbeit seines Bruders, der Landrat ist. Otto von Bismarck tritt politisch zunächst auf kommunaler Ebene hervor. In seiner Zeit auf Gut Kniephof ist er Deputierter des Kreises Naugard. Er verpachtet sein Gut Kniephof und zieht nach Schönhausen. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1846|1846]]''' - In Schönhausen erhält Otto von Bismarck sein erstes öffentliches Amt durch die Ernennung zum Deichhauptmann in Jerichow. Sein Hauptanliegen ist es, die Vormachtstellung des landbesitzenden Adels in Preußen zu bewahren. Die Konservativen lehnen den absolutistisch-bürokratischen Staat ab und träumen von einer Wiedereinführung der Mitregierung der Stände, insbesondere des Adels.Zusammen mit den Brüdern Gerlach tritt Otto von Bismarck beispielsweise für die Bewahrung der Patrimonialgerichtsbarkeit ein. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1847|1847]]''' - In Reinfeld (Landkreis Rummelsburg in Pommern) heiratet Otto von Bismarck Johanna von Puttkamer. Seit dieser Zeit spielt der Glaube an einen persönlichen Gott für Bismarck eine zentrale Rolle. Als Nachrücker im sächsischen Provinziallandtag wird Bismarck als Vertreter der Ritterschaft der Provinz Sachsen Mitglied des Vereinigten Landtags. In diesem Gremium, das von der gemäßigten liberalen Opposition dominiert wird, fällt er bereits bei seiner ersten Plenarrede als strikt konservativer Politiker auf, als er bestreitet, dass es bei den Befreiungskriegen auch um die Durchsetzung liberaler Reformen gegangen ist. In der „Judenfrage“ spricht er sich klar gegen die politische Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung aus. Diese und ähnliche Positionen führen bei den Liberalen zu empörten Reaktionen. Bismarck findet jetzt in der Politik ein Betätigungsfeld, das seinen Neigungen entgegenkommt: „Die Sache ergreift mich viel mehr als ich dachte.“ <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1848|1848]]''' - Otto und Johanna von Bismarck bekommen ihr erstes Kind. Marie wird benannt nach der früh verstorbenen Freundin Johannas, bei deren Hochzeit sich die beiden kennenlernten, da Marie Johanna als Tischdame Bismarcks platziert hatte. Die Leidenschaft des politischen Kampfes ließ ihn indessen kaum essen und schlafen. Am Ende der Landtags-Periode hat sich Bismarck in den konservativen Kreisen einen Namen gemacht. Auch der König ist auf ihn aufmerksam geworden. Wenngleich er eindeutig konservative Positionen vertritt, ist Bismarck bereits jetzt auch Pragmatiker und bereit, vom politischen Gegner zu lernen. Dies kommt etwa in dem Plan zum Tragen, als Gegengewicht zur liberalen „Deutschen Zeitung“ eine konservative Zeitung zu gründen. Bismarck wird Mitbegründer und zeitweiliger Mitarbeiter der konservativen "Neuen Preußischen Zeitung". <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1848|März 1848]]''' - Otto von Bismarck lehnt die Märzrevolution entschieden ab. Als ihn die Nachricht vom Erfolg der Bewegung in Berlin erreicht, bewaffnet er in Schönhausen die Bauern und schlägt vor, mit ihnen nach Berlin zu ziehen. Der in Potsdam kommandierende General Karl von Prittwitz lehnt dieses Angebot jedoch ab. Danach versucht von Bismarck, Prinzessin Augusta, die Gattin des späteren Königs Wilhelm I., von der Notwendigkeit einer Gegenrevolution zu überzeugen. Augusta weist das Ansinnen als intrigant und illoyal zurück. Bismarck zieht sich durch sein Verhalten die dauerhafte Abneigung der späteren Königin zu. Nach der Anerkennung der Revolution durch Friedrich Wilhelm IV. sind Bismarcks gegenrevolutionäre Pläne vorerst gescheitert. In die preußische Nationalversammlung wurde Bismarck nicht gewählt. Dafür beteiligt er sich an der außerparlamentarischen Sammlung des konservativen Lagers. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1848|Sommer 1848]]''' - Otto von Bismarck ist an der Gründung und inhaltlichen Ausgestaltung der „Neuen Preußischen Zeitung“ (wegen des Kreuzes auf dem Titelblatt auch „Kreuzzeitung“ genannt) beteiligt. Für das Blatt schreibt er zahlreiche Beiträge. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1848|August 1848]]''' - Otto von Bismarck wird einer der maßgeblichen Initiatoren des sogenannten Junkerparlaments. In diesem versammeln sich mehrere hundert adlige Gutsbesitzer, um gegen den Eingriff in ihr Eigentum zu protestieren. Diese Aktivitäten führen dazu, dass die konservative Kamarilla um den König Bismarck immer mehr zu schätzen beginnt. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1848|November 1848]]''' - Die Hoffnung Otto von Bismarcks, nach der Gegenrevolution mit einem Ministerposten belohnt zu werden, erfüllt sich nicht, da er selbst in konservativen Kreisen als zu extrem gilt. Der König schreibt auf eine entsprechende Vorschlagsliste als Randbemerkung: „Nur zu gebrauchen, wenn das Bayonett schrankenlos waltet“. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1849|05.02.1849]]''' - Otto von Bismarck wird in die Zweite Kammer des Preußischen Landtags gewählt. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1849|1849]]''' - Otto und Johanna von Bismarck wird ihr erster Sohn, Herbert, geboren. Im Januar und im Juli wird er in die zweite Kammer des preußischen Landtages gewählt. Er beschließt, sich ganz der Politik zu widmen, und zieht mit seiner Familie nach Berlin. Damit wird er einer der ersten Berufspolitiker in Preußen. Im Landtag tritt er als Sprachrohr der Ultrakonservativen auf. So verteidigt er die Ablehnung von Kaiserwürde und Reichsverfassung durch Friedrich Wilhelm IV., weil aus seiner Sicht zu befürchten steht, dass Preußen in Deutschland aufginge. Die nationale Frage ist für ihn gegenüber der Sicherung der preußischen Macht zweitrangig. Der König und sein Berater Joseph von Radowitz wollen die deutsche Einheit vor allem durch Absprache mit den Mittelstaaten erreichen. Außerdem soll die angestrebte Erfurter Union konservativer und föderalistischer sein als das Frankfurter Vorbild. Bismarck hält dies für unrealistisch und nicht sinnvoll. Im preußischen Parlament macht er aus seiner Kritik an den Plänen keinen Hehl. Seine Rede vom 6. September 1849 verändert die Haltung interessierter politischer Kreise zu ihm. Er gilt fortan wegen seiner abwägenden und flexiblen Argumentation auch in den eigenen konservativen Reihen nicht mehr nur als Scharfmacher. Bismarck empfiehlt sich damit erstmals für einen Posten im hohen Staatsdienst oder in der Diplomatie. Er wird trotz seiner Kritik an der Union in das Volkshaus des Erfurter Unionsparlaments gewählt und in ihm Schriftführer. Obwohl er dem Parlamentarismus grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, entwickelt Bismarck sich in Erfurt zu einem der bisher bedeutendsten Parlamentsredner, dem auch der politische Gegner wegen seiner bilder- und pointenreichen Sprache Aufmerksamkeit schenkt. Nach dem Scheitern der Unionspläne übernimmt Bismarck die schwierige Aufgabe, im preußischen Landtag die Olmützer Punktation zu verteidigen. Er schaffte es dabei, einerseits konservative Standpunkte zu vertreten, sich andererseits aber zu einer staatlichen Machtpolitik fern irgendwelcher Ideologien zu bekennen: „Die einzige gesunde Grundlage eines großen Staates, und dadurch unterscheidet er sich wesentlich von einem kleinen Staate, ist der staatliche Egoismus und nicht die Romantik, und es ist eines großen Staates nicht würdig, für eine Sache zu streiten, die nicht seinen eigenen Interessen angehört.“ Mit seiner Betonung des Staates, der Macht- und Interessenpolitik, entfernt Bismarck sich vom traditionellen Konservatismus, der (in eher defensiver Grundeinstellung) aus der Gegnerschaft zum modernen, zentralen, bürokratischen und absolutistischen Staat entstanden ist. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1850|31.01.1850]]''' - Otto von Bismarck wird Abgeordneter des Erfurter Unionsparlaments, das über eine Verfassung für die geplante Union von 26 kleineren deutschen Staaten unter Preußens Vorsitz beraten soll. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1850|03.12.1850]]''' - Im Preußischen Landtag verteidigt Otto von Bismarck die "Olmützer Punktuation", in der Preußen mit Rücksicht auf Österreich von einer Fortführung der Unionspolitik absieht: Eine gemeinsame Politik der "gleichberechtigten Schutzmächte Deutschlands" sei besser für die "preußische Ehre" als eine "schmachvolle Verbindung mit der Demokratie". Mit dieser Rede empfiehlt er sich insbesondere den hochkonservativen Kreisen um König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1850|Ende 1850]]''' - Als das Königreich Preußen und das Kaisertum Österreich nach der Herbstkrise 1850 zusammenarbeiten, will Otto von Bismarck sich nicht damit abfinden, dass der österreichische Ministerpräsident Felix zu Schwarzenberg Preußen die Rolle als Juniorpartner zugedacht hat. Ihm und letztlich auch der Regierung in Berlin geht es darum, die Anerkennung Preußens als gleichberechtigte Macht durchzusetzen. Zu diesem Zweck sucht er ständig die Auseinandersetzung mit dem österreichischen Gesandten Friedrich von Thun und Hohenstein, greift Wien scharf an und legt zeitweise sogar die Arbeit des Bundestages lahm, um die Grenzen der österreichischen Kompetenzen in Frankfurt aufzuzeigen. Er trägt auch dazu bei, dass Österreichs Wunsch scheiterte, dem Deutschen Zollverein beizutreten. Bismarck lehnt einen Ausbau der Institutionen und überhaupt eine Bundesreform ab, solange Österreich Preußen nicht als gleichberechtigt behandelt. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1851|08.05.1851]]''' - Otto von Bismarck wird zum Geheimen Legationsrat und Rat bei der preußischen Gesandtschaft am Bundestag in Frankfurt/Main ernannt. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1851|15.07.1851]]''' - Otto von Bismarck wird auf Betreiben Leopold von Gerlachs durch Friedrich Wilhelm IV. zum preußischen Gesandten beim Bundestag in Frankfurt ernannt. Eine diplomatische Ausbildung hat er nicht. Die Stellung in Frankfurt ist nach seiner Einschätzung zu dieser Zeit der wichtigste Posten in der preußischen Diplomatie. Seine Ernennung wird in der Öffentlichkeit als Zeichen für den Sieg der sozialen und politischen Reaktion sowie als Kapitulation Preußens gegenüber Österreich gewertet. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1851|02.12.1851]]''' - Otto von Bismarck wird erneut in die Zweite Kammer des Preußischen Landtags gewählt. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1852|1852]]''' - Otto und Johanna von Bismarck werden Eltern eines dritten Kindes, Wilhelm. Johanna ordnet ihre Bedürfnisse denen ihres Mannes unter und bietet ihm zugleich anders als seine Mutter – eine feste emotionale Bindung. Die Briefe, die die beiden austauschen, gehören zu den Höhepunkten der Briefliteratur des 19. Jahrhunderts. In Frankfurt handelt Bismarck sehr eigenständig. Er befindet sich zeitweise sogar im Gegensatz zur Berliner Regierungspolitik. Allerdings macht er als Gesandter deutlich, dass er noch immer ein Mann der Hochkonservativen ist. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1852|25.03.1852]]''' - Otto von Bismarck liefert sich ein unblutiges Pistolenduell mit dem liberalen Abgeordneten Georg Freiherr von Vincke (* 1811) nach einer sehr persönlich geratenen Kammerdebatte um die Zollpolitik. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1854|1854]]''' - Vor dem Hintergrund des Krimkrieges entscheidet die preußische Regierung, das Schutz- und Trutzbündnis mit Österreich zu erneuern, was bei Otto von Bismarck auf Kritik stößt. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1854|21.11.1854]]''' - Bismarck wird in das preußische Herrenhaus, der Ersten Kammer des Preußischen Landtags, berufen. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1855|1855]]''' - Als Österreich sich, gestärkt durch das im Vorjahr mit Preußen geschlossene Schutz- und Trutzbündnis, offen gegen Russland wendet, gelingt es Otto von Bismarck, durch geschicktes Taktieren den Antrag der Österreicher zur Mobilisierung der Bundestruppen gegen Russland abzuwenden. Dieser Erfolg lässt sein diplomatisches Ansehen zunehmen. Nach der Niederlage Russlands im Krimkrieg plädiert er in verschiedenen Denkschriften für eine Anlehnung an das Zarenreich und an Frankreich, durch die er Österreich weiter zu schwächen hofft. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1856|1856]]''' - Otto von Bismarck legt sein umfangreiches außenpolitisches Konzept in der „Prachtschrift“ nieder. Seine Äußerungen lösen einen heftigen Konflikt mit den Hochkonservativen um die Gebrüder Gerlach aus, die in Napoléon III. nur einen Vertreter des revolutionären Prinzips und einen „natürlichen Feind“ sehen. Bismarck antwortet, dass ihm die Legitimität der Staatsoberhäupter letztlich egal sei. Für ihn stehen nicht die konservativen Grundsätze, sondern die Staatsinteressen im diplomatischen Geschäft im Mittelpunkt. Im Lager der Konservativen gilt er nun zunehmend als egoistischer Opportunist. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1857|1857]]''' - Nach der Übernahme der Regentschaft durch Prinz Wilhelm verlieren die Hochkonservativen an Einfluss; stattdessen nimmt die Bedeutung der gemäßigt liberal-konservativen Wochenblattpartei zu. In der beginnenden Neuen Ära versuchte auch Otto von Bismarck, durch eine gewisse Distanzierung von den extremen Konservativen seine Position zu behaupten. In einer umfangreichen Denkschrift spricht er nunmehr von einer „nationalen Mission“ Preußens und von einem Bündnis mit der national-liberalen Bewegung. Damit vollzieht er einen bemerkenswerten Kurswechsel. Allerdings geht es ihm nicht um den Kampf für die deutsche Einheit um ihrer selbst willen, sondern es ist sein Ziel, den deutschen Nationalismus einer Stärkung der preußischen Macht dienstbar zu machen. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1859|Januar 1859]]''' -  Otto von Bismarck wird als preußischer Gesandter nach Sankt Petersburg versetzt; er selbst spricht davon, dass er an der Newa kaltgestellt wurde. Der Wechsel fällt der Familie schwer; die Eheleute Bismarck haben in Frankfurt die glücklichste Zeit ihrer Ehe erlebt. Bismarck erweitert in der neuen Funktion allerdings seine diplomatischen Kenntnisse und erfreut sich des Wohlwollens des russischen Hofes und des Kaiserpaares. Sein Ehrgeiz richtet sich aber zunehmend auf die höchsten Ämter im preußischen Staat. Er beobachtet genau die Entwicklung des preußischen Verfassungskonflikts. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1862|März 1862]]''' -  In Berlin verfestigt sich die ablehnende Haltung der Liberalen gegen eine geplante Heeresreform. Die Notwendigkeit einer solchen Reform wird eigentlich von niemandem ernsthaft in Frage gestellt. Im Gegensatz zu den anderen Großmächten ist die preußische Armee seit 1815 kaum gewachsen. Selbst im Vergleich mit Österreich sind die preußischen Streitkräfte deutlich schwächer. Die offiziell bestehende Wehrpflicht existiert in der Wirklichkeit nur noch auf dem Papier, und seit längerem gibt es Bemühungen, die Landwehr an die reguläre Armee heranzuführen. In der Sache würde eine Einigung mit den Liberalen bei der Heeresvorlage möglich sein. König Wilhelm I. jedoch glaubt, dass ein Nachgeben die Krone schwächen würde. Dies bestärkt die Liberalen in ihrer Kritik, und das Abgeordnetenhaus verweigerte die für die Reform nötigen Finanzmittel. Das Parlament wird daraufhin aufgelöst und eine neue Regierung gebildet. Statt der gemäßigten Liberalen der Neuen Ära haben in dieser Regierung Konservative wie der Kriegsminister Albrecht von Roon das Sagen. Aus den Neuwahlen geht allerdings die neu gegründete Fortschrittspartei als Sieger hervor, während die Zahl der konservativen Abgeordneten stark abnimmt. Wilhelm I. erwägt in dieser aussichtslos erscheinenden Lage ernsthaft den Rücktritt zu Gunsten seines Sohnes, des späteren Kaisers Friedrich III. Nach einer Auseinandersetzung mit den Ministern der Regierung hat der König bereits den Entwurf einer Abdankungsurkunde formuliert. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1862|April 1862]]''' -  Die Hoffnung, zum Ministerpräsidenten ernannt zu werden, erfüllte sich für Otto von Bismarck nicht. Stattdessen wird er Gesandter in Paris, wo er im Palais Beauharnais residiert. Dieser Posten gilt ihm jedoch von Beginn an nur als Wartestellung. In diese Zeit fällt die von seiner Ehefrau geduldete Liebesaffäre mit Fürstin Katharina Orlowa (* 1840), der Ehefrau des russischen Gesandten in Belgien Nikolai Alexejewitsch Orlow. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1862|August 1862]]''' - Otto von Bismarck und seine Geliebte Katharina Orlowa entgehen in Biarritz fast dem Tod durch Ertrinken, werden aber von einem Leuchtturmwärter gerettet. Seiner Frau schreibt Bismarck an diesem Tag nur: „Nach einigen Stunden Ruhe und Briefeschreiben nach Paris und Berlin nehme ich den zweiten Trunk Salzwasser, diesmal im Hafen, ohne Wellenschlag, mit viel Schwimmen und Tauchen, zwei Wellenbäder wären mir zu viel am Tage.“ Es ist die letzte private Eskapade Bismarcks, ehe er sich ausschließlich der Politik widmen wird. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1862|19.09.1862]]''' - Der preußische General Albrecht von Roon sieht in der Ernennung Otto von Bismarcks zum Ministerpräsidenten die einzige Möglichkeit, den Thronwechsel zugunsten des als liberal geltenden Kronprinzen zu verhindern. Mit einem Telegramm: „Periculum in mora. Dépêchez-vous!“ („Gefahr im Verzuge. Beeilen Sie sich!“) ruft er Bismarck nach Berlin zurück.
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1862|20.09.1862]]''' - Nach 25 Stunden Bahnfahrt trifft Otto von Bismarck in Berlin ein. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1862|22.09.1862]]''' - Otto von Bismarck wird von König Wilhelm I. im Schloss Babelsberg empfangen. Von Bismarck gewinnt den noch zögernden König, indem er sich als seinen unbedingten Gefolgsmann gibt. Er verspricht die Durchsetzung der Heeresreform und betont seinerseits die grundlegende Bedeutung der Auseinandersetzung um sie. Es gelte, um die Entscheidung zwischen „königlichem Regiment oder Parlamentsherrschaft“ zu kämpfen. Um die letztere abzuwenden, befürwort er auch „eine Periode der Diktatur.“ Der König fragt von Bismarck daraufhin, ob er bereit sei, sich für die Heeresreform ohne Abstriche einzusetzen und an der Reform festzuhalten, notfalls auch gegen die Mehrheitsbeschlüsse des Abgeordnetenhauses. Als Bismarck beides bejaht, zeigt sich der König von seiner Entschlossenheit beeindruckt: „Dann ist es meine Pflicht, mit Ihnen die Weiterführung des Kampfes zu versuchen und ich abdiziere nicht“ ("...ich danke nicht ab"). <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1862|08.10.1862]]''' - Der König ernennt Otto von Bismarck zum Ministerpräsidenten und zum Minister des Auswärtigen. Das Ernennungsgespräch legte die Grundlage für die ungewöhnliche Beziehung zwischen dem König und Bismarck in den folgenden Jahrzehnten. Bismarck schafft sich die Grundlage für eine außergewöhnliche Vertrauensstellung bei Wilhelm I. sowie eine Blankovollmacht, die seinen Handlungsspielraum über das übliche Maß eines leitenden Ministers hinaus erweitert, indem er sich dem Monarchen als „kurbrandenburgischer Vasall“ andient, der in prekärer Lage kampfesmutig und in unverbrüchlicher Treue zu seinem Lehnsherrn stehen wird. Zwar wird es in den nächsten Jahren immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten kommen, die jedoch das Grundvertrauen des Königs Bismarck gegenüber nicht beeinträchtigen werden. Im Einzelnen erhält Bismarck sehr starke Vollmachten, auf die er sich später berufen wird. Darunter ist die, dass seine Minister nur mit seinem Einverständnis dem Monarchen einzeln berichten dürfen. Bismarck bleibt zwar ein Konservativer, allerdings ein zunehmend pragmatisch handelnder und nicht an ideologischen Fixierungen klebender Politiker. Ideale, Theorien und Prinzipien sind für ihn nicht vorrangig ausschlaggebend; was vor allem zählt, sind die Interessen der Staaten. Daraus ergibt sich die Machterweiterung Preußens als maßgebliches Ziel. Aus Bismarcks Sicht ist es nur möglich, den Großmachtanspruch Preußens zu bewahren, wenn dieses eine hegemoniale Stellung in Europa zu Lasten Österreichs gewinnen kann und die übrigen europäischen Mächte das dulden würden. Um Nationalismus im landläufigen Sinn geht es ihm dabei nicht, vielmehr um außenpolitischen Realismus. Er setzt darauf, dass außenpolitische Erfolge sich auch auf seine Innenpolitik günstig auswirken. Er will die Monarchie und den Obrigkeitsstaat ebenso erhalten wie die besondere Stellung von Militär und Adel. Erste Priorität hat aber im Zweifelsfall die Macht des Staates. Darauf zielt auch das zeitweilige Bündnis mit der nationalen und der liberalen Bewegung. Am Anfang dominiert in weiten Teilen der politischen Öffentlichkeit bis hinein ins konservative Lager die Ablehnung Bismarcks, der noch immer als extremer Reaktionär galt. Er hat es daher schwer, geeignete Minister zu finden, und schrieb: „Wir sind froh, wenn wir acht Männer finden und halten.“ Das erste Kabinett Bismarck besteht so denn auch mehrheitlich aus eher zweitrangigen Persönlichkeiten. Unter ihnen sind Carl von Bodelschwingh, Heinrich Friedrich von Itzenplitz und Gustav von Jagow. In seinen Memoiren urteilt Bismarck, dass einige Minister „nicht im Stande [sind,] ihre Ministerien zu leiten“. Sie haben mit Ausnahme Roons kein Verständnis für die politische Gesamtlinie, einige erwiesen sich außerdem als „arbeitsscheu und vergnügungssüchtig“. Vor diesem Hintergrund ist Bismarck die alles entscheidende Persönlichkeit. Als Chef eines Konfliktministeriums berufen, dominierte er klar die Auseinandersetzung mit den Liberalen.
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1862|Herbst 1862]]''' - Otto von Bismarck versucht, die Opposition nicht nur durch Drohungen, sondern auch durch Ausgleichsbemühungen zu neutralisieren. Dies scheitert, weil er mit einigen seiner Äußerungen erneut das Renommee eines stockkonservativen Politikers bedient. Oft zitiert wird die Aussage: „Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine Macht. […] Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden […] – sondern durch Eisen und Blut.“ Eigentlich ist die „Blut-und-Eisen“-Rede als weitgehendes Bündnisangebot an die liberale und nationale Bewegung gedacht. Obwohl auch die liberale Mehrheit des Abgeordnetenhauses der Auffassung ist, dass die „Deutsche Frage“ nicht ohne Gewalt durchzusetzen sei, fasst man, insbesondere die (liberale) Presse, „Eisen und Blut“ als eine angekündigte Gewaltherrschaft auf, die sich auf außenpolitische Abenteuer stürze. Dies trägt dazu bei, Bismarcks Ruf als Gewaltpolitiker zu festigen. Bismarck gibt in der Folge seinen Schlingerkurs auf und bekämpft die Liberalen mit aller Schärfe. Das Parlament wird vertagt. Damit regiert Bismarck ohne ordnungsgemäßen Haushalt.
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1863|Ende Januar 1863]]''' - Das preußische Parlament wird wieder einberufen. Otto von Bismarck rechtfertigt sich mit der berühmt gewordenen, heftig umstrittenen Lückentheorie. Danach basiere das normale staatliche Handeln auf Kompromissen zwischen der Krone, dem Herrenhaus und dem Abgeordnetenhaus. Weigere sich eine der Seiten nachzugeben, komme es zu Konflikten, „und Konflikte, da das Staatsleben nicht stillzustehen vermag, werden zu Machtfragen; wer die Macht in den Händen hat, geht dann in seinem Sinne vor, weil das Staatsleben auch nicht einen Augenblick stillstehen kann.“ Dahinter steht Bismarcks Voraussetzung, der Fall eines unauflöslichen Dissenses zwischen Monarch und Parlament sei in der Verfassung nicht geregelt. Demnach liege eine Lücke vor, die durch die Prärogative des Königs geschlossen werden müsse. Diese Auslegung der Rechtslage ist nach Auffassung vieler Zeitgenossen schlicht ein Verfassungsbruch. Maximilian von Schwerin-Putzar urteilt, dies bedeute, „Macht geht vor Recht.“ Bislang habe die Größe Preußens und die Anerkennung des Königshauses auf dem Grundsatz beruht „Recht geht vor Macht. Justitia fundamentum regnorum! Das ist der Wahlspruch der preußischen Könige, und er wird es fort und fort bleiben.“ <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1863|1863]]''' - Um gegen die Liberalen zu mobilisieren, verfolgt Otto von Bismarck zeitweilig unterschiedliche Pläne. Dazu gehört auch ein Bündnis mit der sozialdemokratischen Bewegung. Bismarck trifft sich mehrfach mit Ferdinand Lassalle, ohne dass dies jedoch praktische Auswirkungen hat. Trotz heftiger Proteste – öffentliche Kritik kommt sogar vom Thronfolger – und der allgemeinen Erwartung eines Scheiterns der Regierung überlebt Bismarck die Krise politisch. Gegen hohe liberale Beamte, unter ihnen nicht zuletzt Abgeordnete, geht er mit repressiven Mitteln bis hin zu Entlassungen vor. Gleichzeitig wird die Pressefreiheit in Missachtung der Verfassung praktisch abgeschafft. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1863|08.02.1863]]''' - Das erste Abkommen, die Alvenslebensche Konvention zur Unterstützung Russlands gegen den Aufstand in Polen, stößt in Preußen selbst in konservativen Kreisen auf breite Ablehnung. Der Druck von Seiten Großbritanniens und Napoléons III. macht die Konvention überdies wertlos. Österreich sieht Otto von Bismarck geschwächt und versucht das zu nutzen, um eine Reform des Deutschen Bundes zu Gunsten der Habsburgermonarchie durchzusetzen. Nur mit Mühe gelingt es Bismarck, dem König die Teilnahme an dem geplanten Fürstentag in Frankfurt auszureden. Der Ministerpräsident legt im Gegenzug die preußischen Vorstellungen einer Bundesreform vor. Sie zielen wie schon früher auf gleiche Rechte für Österreich und Preußen. Neu ist aber die Forderung nach einer „aus direkter Beteiligung der ganzen Nation hervorgehenden Nationalvertretung.“ Dies ist nicht mehr und nicht weniger als ein Bündnisangebot Preußens an die Nationalbewegung, die eng mit dem Liberalismus verbunden ist. Kurzfristig nützt das Bismarck nichts, da er angesichts des Verfassungskonflikts als Partner für die Liberalen nicht in Frage kommt. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1863|12.05.1863]]''' - In einem ersten geheimen Gespräch mit dem Präsidenten des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV), Ferdinand Lassalle, sondiert Otto von Bismarck die Möglichkeiten politischer Kooperation mit der Arbeiterbewegung, um einen Rückhalt gegen seine liberalen Gegner im Abgeordnetenhaus zu haben. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1863|Dezember 1863]]''' - Der Konflikt um Schleswig und Holstein führt zunächst zu einer Bundesexekution gegen Holstein und Lauenburg. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1864|Januar 1864]]''' - Die Frage der Bundesreform wird bald von einer Krise internationaler Größenordnung überdeckt. Nach dem Tod Friedrichs VII. von Dänemark entbrannte ein Streit um die Zukunft der beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein. Schleswig ist ein Lehen Dänemarks, während Holstein Mitglied des Deutschen Bundes ist. Beide Territorien unterstanden jedoch dem dänischen König in Personalunion (Dänischer Gesamtstaat). Friedrich von Augustenburg beanspruchte die Länder für sich. Die deutsche nationale Bewegung unterstützte ihn und forderte die Vereinigung der beiden Herzogtümer und ihre Eingliederung in den Deutschen Bund als eigenständiger Staat. Der neue dänische König Christian IX., der unter dem Druck der Nationalbewegung im eigenen Land stand, unterschrieb stattdessen zögernd die Novemberverfassung, die Schleswig verfassungsrechtlich näher als Holstein an Dänemark band und somit den Bestimmungen des Londoner Protokolls über den Bestand des Gesamtstaates verletzte. Zur Enttäuschung der nationalen und liberalen Bewegung lehnt Otto von Bismarck es ab, den Anspruch Friedrichs von Augustenburg zu unterstützen. Er wendet sich gleichzeitig aber auch gegen die dänische Position und strebt mittelfristig die Einbindung der beiden Herzogtümer in den preußischen Machtbereich an. Dies war zum Zeitpunkt der Krise außenpolitisch allerdings nicht durchsetzbar. Deshalb hegt Bismarck zunächst wie Österreich ein Interesse an einem neuen Augustenburger Staat. Die Österreicher sehen in einer „nationalen Lösung“ der schleswig-holsteinischen Frage eine Gefahr für den eigenen Vielvölkerstaat. Vor diesem Hintergrund kann es noch einmal zu einer Zusammenarbeit der beiden deutschen Großmächte kommen. Bismarcks Politik in der schleswig-holsteinischen Krise folgt wie auch bei anderen Gelegenheiten keinem festen Plan. Er geht vielmehr davon aus, dass die Umstände denjenigen am meisten begünstigen werden, der sich von ihnen leiten lässt, ihnen Lösungen abgewinnt und sie ihnen nicht aufzuzwingen versucht. Bismarck tritt zunächst als Verteidiger des bestehenden Völkerrechts auf und fordert von Dänemark, wieder auf den Boden der Londoner Verträge von 1852 zurückzukehren. Dadurch beruhigt er die europäischen Großmächte. Österreich stellt sich an die Seite Preußens. Die übrigen deutschen Staaten im Deutschen Bund und der Bundestag werden dadurch weitgehend an den Rand gedrängt. Tatsächlich erklären Bismarck und der österreichische Gesandte Alajos Károlyi in Berlin, dass beide Großmächte das Recht beanspruchen, sich über die Beschlüsse des Bundestages hinwegzusetzen. Damit wird das Fortbestehen des Bundes erstmals von Preußen und von Österreich gemeinsam in Frage gestellt. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1864|Februar 1864]]''' - Der preußische General von Wrangel überschreitet die deutsch-dänische Grenze bei Rendsburg. Im Gegensatz zu früheren Kriegen Preußens liegt die eigentliche Führung nicht beim König oder den hohen Militärs, sondern beim Ministerpräsidenten, dessen politischem Kalkül die militärischen Schritte untergeordnet werden. Als sich die Berichte über unüberlegte Befehle des 80-jährigen Oberbefehlshabers General Friedrich von Wrangel häufen und er beim König den Antrag stellt, Schleswig-Holstein als unabhängige Herzogtümer anzuerkennen, wird er auf Betreiben Otto von Bismarcks abgelöst. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1864|18.04.1864]]''' - Nach dem Sieg Preußens an den Düppeler Schanzen kommt es auf der Londoner Konferenz zu ersten Verhandlungen über die Beilegung des Konflikts, die nicht zuletzt am Taktieren Otto von Bismarcks scheitern. Der Krieg geht weiter und die verbündeten Österreicher und Preußen erobern Jütland. Damit ist Dänemark besiegt. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1864|30.10.1864]]''' - Der preußisch-dänische Krieg endet mit dem Wiener Friedensvertrag. In diesem verzichtete Dänemark auf die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Die zeitweiligen Überlegungen, einen eigenen Bundesstaat unter den Augustenburgern zu bilden, bleiben ergebnislos, weil Otto von Bismarck versucht, einen solchen Bundesstaat zu einer Art preußischem Protektorat zu machen. Stattdessen werden die Herzogtümer der gemeinsamen Verwaltung durch Österreich und Preußen unterstellt. Diese Konstruktion ist für Bismarck nur ein Provisorium. Nicht zuletzt auf Grund seines Ziels der alleinigen Kontrolle über die Herzogtümer tritt der preußisch-österreichische Gegensatz wieder hervor. Innenpolitisch löste der Erfolg in Dänemark kein Nachgeben der Fortschrittspartei im preußischen Parlament aus. Die Liberalen befinden sich Bismarck gegenüber jetzt aber mit verschiedenen Anträgen in der Defensive, wenn sie zum Beispiel wegen des Verfassungsstreits den Ausbau der Marine ablehnen, der von der Mehrheit sachlich gewollt wird. In der liberalen Bewegung beginnen ehemalige Kritiker des Ministerpräsidenten wie Heinrich von Treitschke, ihre Position zu ändern. Die Liberalen beginnen, in zwei Lager zu zerfallen: Jene, die an der Verbindung zwischen nationaler Einigung und politischer Liberalisierung festhalten, und jene, die das erste Ziel auch unter Hintansetzung des zweiten anstreben. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1865|1865]]''' - Otto von Bismarck fordert den Medizin-Professor Rudolf Virchow (ein Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses) zum Duell, das dieser jedoch ablehnte, weil es keine zeitgemäße Form der Auseinandersetzung sei. An der verfahrenen politischen Situation ändert sich freilich nichts. Die Verfassungskrise bleibt vorerst ungelöst und artet in so etwas wie einen Stellungskrieg aus. Bismarck versucht, die Opposition zu zermürben. Er regiert mit dem Staatsapparat, und lange Zeit wird das Parlament gar nicht einberufen. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1865|14.08.1865]]''' - Nach dem Deutsch-Dänischen Krieg spielt Otto von Bismarck noch einige Zeit ernsthaft mit dem Gedanken einer preußisch-österreichischen Übereinkunft unter konservativem Vorzeichen. Als sich zeigt, dass die von Ludwig von Biegeleben bestimmte österreichische Deutschlandpolitik eine Erweiterung der preußischen Macht nicht zulässt, setzt Bismarck auf ein Bündnis mit der liberalen und nationalen Bewegung mit dem Ziel der Schaffung eines kleindeutschen Staates. Allerdings steuert er keineswegs von Beginn an auf eine kriegerische Auseinandersetzung hin. Vielmehr hält er sich zunächst mit dem Ziel der alleinigen Kontrolle über Schleswig und Holstein alle Optionen offen. In der Gasteiner Konvention kommt es zur Teilung. Holstein wird österreichisch und Schleswig preußisch verwaltet. Das Herzogtum Sachsen-Lauenburg kommt an Preußen. Für Bismarck gilt diese Regelung mit Österreich allerdings nur als Provisorium. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1865|16.09.1865]]''' - Als Dank für seine großen Leistungen um das Königreich Preußen erhält Otto von Bismarck den preußischen Grafentitel. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1866|28.02.1866]]''' - Otto von Bismarck entscheidet sich für einen Krieg, weil er hofft, so den preußischen Verfassungskonflikt beenden zu können, zeichnet sich doch immer deutlicher eine Spaltung des oppositionellen Lagers ab. Die zentrale Weichenstellung fällt auf der heutigen Kronratssitzung. Bismarck gelingt es, den vor einem „Bruderkrieg“ zurückschreckenden König von der Kriegspolitik zu überzeugen, und er schafft es, Wilhelm I. in den folgenden Monaten von der Änderung seiner Meinung abzuhalten. Bismarck unternimmt nun alles, Österreich zu isolieren und zu provozieren. Er hält sich aber auch die Möglichkeit offen, den Konfrontationskurs abzubrechen, sollte es zu starke Widerstände der Großmächte geben. Mit Erfolg hält Bismarck insbesondere Napoléon III. zu einer neutralen Haltung an.
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1866|08.04.1866]]''' - Otto von Bismarck sichert sich die Unterstützung Italiens im Falle eines Krieges gegen Österreich durch einen befristeten Bündnisvertrag. Nachdem er erneut die Wahl eines direkt gewählten deutschen Parlaments ins Spiel bringt, um Österreich zu provozieren, löst er massive Kritik im Lager der preußischen Konservativen aus. Selbst Ludwig von Gerlach distanziert sich in aller Schärfe von ihm. Die Liberalen halten Bismarck weiterhin für unglaubwürdig und gehen auf dessen Bündnisangebot nicht ein. Auch in der Öffentlichkeit ist ein deutscher Bürgerkrieg höchst unpopulär. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1866|07.05.1866]]''' - Um den Krieg abzuwenden, verübt der Tübinger Student Ferdinand Cohen-Blind, Stiefsohn eines 1848er-Revolutionärs, ein Pistolenattentat auf Otto von Bismarck, um gegen dessen antiliberale Politik zu demonstrieren. Bismarck bleibt unverletzt und deutet dies als gutes Omen für seine weitere politische Arbeit. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1866|09.05.1866]]''' - Das preußische Parlament wird erneut aufgelöst. Otto von Bismarck spielt anfangs selbst mit dem Gedanken eines Staatsstreichs durch Abschaffung von Wahlrecht und Verfassung. Je länger der Konflikt andauert, desto mehr lehnt er solche Forderungen, die von konservativer Seite erhoben werden, aber ab, da sie keine langfristig stabile politische Ordnung hervorzubringen versprechen. Bismarck versucht unterdessen, mit außenpolitischen Erfolgen innenpolitischen Druck auf die Opposition auszuüben. Zunächst geht dieses Kalkül nur sehr bedingt auf. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1866|01.06.1866]]''' - Als Österreich die Entscheidung über die Zukunft Schleswig-Holsteins dem Bundestag überträgt, lässt Otto von Bismarck mit dem Argument, dies sei eine Verletzung der Gasteiner Konvention, die preußische Armee in Holstein einmarschieren. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1866|14.06.1866]]''' - Der Bundestag beschließt auf Antrag Österreichs die Mobilmachung des Bundesheeres. Preußen erklärte daraufhin den Bund für aufgelöst, da ein solcher Beschluss unzulässig ist. Otto von Bismarck gibt den Befehl zur Einnahme der Königreiche Hannover, Sachsen und gegen Kurhessen. Ein Erfolg der preußischen Armee gilt keinesfalls als sicher. Ein Großteil der Zeitgenossen, so auch Napoléon III., rechnen mit einem österreichischen Sieg. Bismarck setzt somit alles auf eine Karte. „Wenn wir geschlagen werden […] werde ich nicht hierher zurückkehren. Ich werde bei der letzten Attacke fallen.“ Bismarck ist bestrebt, den Krieg selbst unter Kontrolle zu halten. Dies steht im Gegensatz zu den Plänen von Generalstabschef Moltke, der einen unbegrenzten Krieg plant. Die Gefahr, das Militär könnte sich der politischen Führung entziehen, kommt dann wegen der Kürze des Feldzuges nicht zum Tragen. Aus verschiedenen Gründen – etwa der Zerstrittenheit der Streitkräfte des Deutschen Bundes, der strategischen Nutzung der Eisenbahn und neuer Taktiken auf dem Schlachtfeld – erweist sich die preußische Armee als überlegen. Bismarck wird zum Generalmajor befördert. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1866|03.07.1866]]''' - Preußen erringt in der Schlacht von Königgrätz den entscheidenden Sieg gegen Österreich. Während Wilhelm I. und die Militärs darauf drängen, Wien zu erobern und Österreich harte Friedensbedingungen aufzuerlegen, setzt Otto von Bismarck gemäßigte Bedingungen durch, da er davon ausgeht, dass ein geschwächtes Österreich zu einem Bündnis mit Frankreich gezwungen wäre, was zu einem Zweifrontenkrieg gegen Preußen führen könnte. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1866|23.08.1866]]''' - Im Prager Frieden braucht Österreich keine Gebiete an Preußen abzutreten, muss aber der Abtretung Venetiens an Italien, der Auflösung des Deutschen Bundes und der Bildung eines Norddeutschen Bundes unter preußischer Führung zustimmen. Schleswig und Holstein werden von Preußen ebenso annektiert wie Hannover, Kurhessen, Nassau und die Freie Stadt Frankfurt. Die süddeutschen Staaten bleiben unabhängig. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1867|1867]]''' - Otto von Bismarck erwirbt von der ihm wegen des erfolgreichen Deutschen Krieges bewilligten Dotation in Höhe von 400.000 Talern das Rittergut Varzin. Auf dessen Gemarkung ließ er die Papierfabrik Hammermühle errichten, die sich bald zum größten Unternehmen Ostpommerns entwickeln soll, sowie weitere Papierfabriken. Der Krieg führt unter anderem dazu, dass die Konservativen ihre Position im preußischen Landtag erheblich ausbauen können. Um den Konflikt mit den Liberalen endlich beizulegen, lässt Bismarck ankündigen, er wolle den Landtag um „Indemnität“ bitten, also um die nachträgliche Genehmigung der Ausgaben. Dies bedeutete das Eingeständnis, dass er in den Jahren seit 1862 faktisch ohne rechtmäßigen Haushalt regiert hat. Bismarck will dies aber nicht als Schuldeingeständnis gewertet wissen. Es findet ein Politikwechsel statt, mit dem niemand gerechnet hat. Die Frage, wie man das Angebot Bismarcks zu beurteilen habe, führt zur Spaltung der Liberalen. Während die einen argumentieren, dass von Bismarck weitere Fortschritte in der nationalen Frage zu erwarten seien, meinen andere, liberale Freiheitsrechte müssten Vorrang vor der nationalen Einheit haben. Dieser Konflikt führt zur Abspaltung der gemäßigten und nationalen Liberalen von der Fortschrittspartei und zur Bildung der Nationalliberalen Partei. Ähnliche Veränderungen finden auch im Lager der Konservativen statt. Von den ideologisch geprägten Altkonservativen um Leopold von Gerlach, die sich schon vor dem Krieg von 1866 von Bismarck abgewandt hatten, trennen sich nunmehr realpolitisch gesinnte Bismarckanhänger und bilden die Freikonservative Partei. Für seine Politik wird sich Bismarck in den folgenden Jahren auf Nationalliberale und Freikonservative stützen können. Der Sieg im Deutschen Krieg bewirkt in der deutschen und preußischen Öffentlichkeit einen Wandel in der Beurteilung Bismarcks. Von den Zeitgenossen werden die Umwälzungen als „Revolution von oben“ wahrgenommen. Bismarck selbst hatte mit einer Revolution gedroht, als er fürchtete, Russland würde die Annexionen in Norddeutschland verhindern: „Soll Revolution sein, so wollen wir sie lieber machen als erleiden.“ Gegenüber Napoléon III. hatte er bereits früher gesagt: „Revolutionen machen in Preußen nur die Könige.“ Bei den Annexionen hat Bismarck sich um das für die Konservativen zentrale Prinzip der monarchischen Legitimität nicht gekümmert. Der Reichstag des neuen Norddeutschen Bundes wird nach demokratischen Grundsätzen gewählt. Die zentralen Aspekte der Verfassung des Bundes werden von Bismarck in weiten Teilen selbst bestimmt („Putbuser Diktate“), wenngleich er in den parlamentarischen Beratungen auch einigen Kompromissen zustimmen muss. Die neue Verfassung wird daher auch Bismarcksche Reichsverfassung genannt. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1867|Frühling 1867]]''' - Zusammen mit der Position des preußischen Ministerpräsidenten und dem Amt des Außenministers hat Otto von Bismarck als norddeutscher Bundeskanzler nun eine überaus starke Machtstellung inne. Im konstituierenden Reichstag (Februar bis April 1867), dem verfassungsvereinbarenden Gremium, gelingt es den Nationalliberalen zwar, Bismarck noch einige Zugeständnisse abzuringen. Doch der Militäretat wird weitgehend dem parlamentarischen Einfluss entzogen. Weder Kanzler noch andere Regierungsmitglieder können vom Reichstag zu Fall gebracht werden. Insgesamt ist Bismarck den liberalen Forderungen weit entgegengekommen, er hat aber auch alles dafür getan, zu verhindern, dass aus dem konstitutionellen ein parlamentarisches System wird. Die inneren Veränderungen gehen aber weit über die Verfassung hinaus. Sie umfassen die allgemeine Rechtsordnung, die Wirtschafts- und Sozialverfassung bis hin zur Verwaltungsstruktur. Bei allen Mängeln ist doch bemerkenswert, dass unter der Verantwortung Bismarcks, der kurze Zeit zuvor noch allgemein als Erzkonservativer gegolten hatte, ein für die Zeit sehr modernes Staatswesen entsteht. In weiten Bereichen entspricht dieses liberalen Vorstellungen. Die eigentliche Umsetzung liegt in anderen Händen. Insbesondere Rudolph von Delbrück ist hier eine prägende Persönlichkeit. Dennoch ist Bismarcks persönlicher Einfluss nicht zu unterschätzen. Zwar werden mit den süddeutschen Staaten Schutz- und Trutzbündnisse abgeschlossen, aber der Norddeutsche Bund erweist sich nicht als der von Bismarck erhoffte Magnet, der zu einem Anschluss der noch fernstehenden deutschen Länder führt. Die Wahlen zum Zollparlament gewinnen in Bayern und Württemberg Gegner eines Anschlusses. Bismarck ist der Meinung, dass nur eine äußere Bedrohung die Stimmung in seinem Sinn verändern könnte. Allerdings versucht er nicht, eine konkrete Bedrohungssituation selbst herbeizuführen. Zwar hält er es für wahrscheinlich, dass die deutsche Einigung gewaltsam gefördert werden muss, aber „ein willkürliches, nur nach subjektiven Gründen bestimmtes Eingreifen in die Entwicklung der Geschichte hat immer nur das Abschlagen unreifer Früchte zur Folge; und dass die deutsche Einheit in diesem Augenblick keine reife Frucht ist, fällt meines Erachtens ins Auge.“ Außenpolitisch rechnet Bismarck von Seiten Frankreichs mit dem stärksten Widerstand gegen einen deutschen Nationalstaat. In der französischen Öffentlichkeit wird unter der Losung „Rache für Sadowa“ (Königgrätz) territoriale Forderungen gestellt, die zur Luxemburgkrise führen. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1867|Mai 1867]]''' - Mit der Neutralisierung Luxemburgs wird die "Luxemburgkrise" durch Otto von Bismarck gelöst. Dieser nutzt die Gelegenheit, durch Parlamentsreden und in Presseartikeln die antifranzösische Stimmung zu verstärken. Napoléon III. sieht den Ausgang des Konflikts als Niederlage an und tut danach alles, um weitere preußische Ambitionen zu unterbinden. Unklar ist, ob Bismarck tatsächlich bereit ist, den Erwerb Luxemburgs durch Frankreich zu akzeptieren und nur die Umstände dies verhindern, oder ob das Ergebnis der Krise seinem bewussten Kalkül entspringt. Unabhängig davon stehen sich der Norddeutsche Bund und Frankreich nun in aller Schärfe gegenüber. <br>
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1867|14.07.1867]]''' - Otto von Bismarck wird Kanzler des unter preußischer Führung gegründeten Norddeutschen Bundes, dessen Verfassung inklusive allgemeinem und gleichem Wahlrecht weitgehend auf seine eigenen Entwürfe zurückgeht. <br>
Johanna von Bismarck, geb. von Puttkamer, 1857
+
Durch Moritz von Blanckenburg, einen Schulfreund aus Berlin, kam Bismarck in Kontakt mit dem pietistischen Kreis um Adolf von Thadden-Trieglaff. Blanckenburg war mit dessen Tochter Marie von Thadden-Trieglaff verlobt. Marie von Thadden und Bismarck fühlten sich als verwandte Seelen, aber für die junge Frau kam eine Auflösung ihrer Verlobung nicht in Frage. Im Oktober 1844 heiratete sie Blanckenburg. Bei der Hochzeitsfeier wählte sie ihre zwanzigjährige Freundin Johanna von Puttkamer als Tischdame für Bismarck aus. Im Sommer 1846 reisten das Ehepaar Blanckenburg, Bismarck und Johanna von Puttkamer gemeinsam in den Harz. Nach dem unerwarteten Tod Maries am 10. November 1846 hielt Bismarck in einem berühmt gewordenen Brautbrief[16] an Heinrich von Puttkamer um die Hand von dessen Tochter an. Der Gutsbesitzer antwortete hinhaltend. Bismarck reiste daraufhin nach Reinfeld bei Rummelsburg in Hinterpommern und überzeugte die Eltern Johannas in einem persönlichen Gespräch. Die Heirat fand im Jahr 1847 in Reinfeld (Landkreis Rummelsburg i. Pom.) statt. Seit dieser Zeit spielte der Glaube an einen persönlichen Gott für Bismarck eine zentrale Rolle.[17]
+
'''[[Königreich Preußen 1870|Anfang 1870]]''' - Ein weiterer Konflikt mit Frankreich entsteht im Laufe der spanischen Thronfolge-Frage. Otto von Bismarck drängt Prinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen zur Kandidatur. Der Prinz entstammt der katholischen Linie der in Preußen regierenden Hohenzollern, was ihn für Frankreich unannehmbar macht. Bismarck geht es zunächst nur darum, einen diplomatischen Sieg zu erringen und sich dabei mehrere Möglichkeiten offen zu halten. Sowohl Bismarck als auch Kaiser Napoléon III. wollen für sich einen Ansehensverlust verhindern, so dass der diplomatische Konflikt zu einer nationalen Frage eskaliert. <br>
Aus der Ehe mit Johanna von Bismarck gingen drei Kinder hervor:
+
Marie (1848–1926), ∞ Kuno Graf zu Rantzau
+
'''[[Königreich Preußen 1870|13.07.1870]]''' - In Frankreich erzielt die Hohenzollernkandidatur die von Otto von Bismarck erhoffte Wirkung, befürchtet man dort doch, künftig von hohenzollerschen Staaten eingekreist zu werden. Die Krise scheint durch den Verzicht des Prinzen zunächst entschärft. König Wilhelm I. weist jedoch das Verlangen Frankreichs zurück, er solle im Namen des Hauses Hohenzollern auch für alle Zukunft auf ähnliche Kandidaturen verzichten. Der König informiert Bismarck darüber in der sogenannten Emser Depesche. Dieser nutzt die Gelegenheit, redigiert die Depesche so, dass ihr Tenor verschärft wird und gibt sie dann an die Presse weiter. Napoléon III. wird damit vor aller Welt brüskiert. Angesichts der Reaktionen in der französischen Öffentlichkeit sieht er keine andere Wahl mehr, als Preußen den Krieg zu erklären. Damit erscheint Frankreich, wie von Bismarck beabsichtigt, als Aggressor. In Deutschland ist die öffentliche Meinung nun ganz auf Seiten Preußens und die süddeutschen Staaten sehen den Bündnisfall als gegeben an. Dagegen ist Frankreich außenpolitisch völlig isoliert. <br>
Herbert (1849–1904), ∞ Marguerite Gräfin von Hoyos
+
Wilhelm (1852–1901), ∞ Sibylle von Arnim-Kröchlendorff
+
'''[[Königreich Preußen 1870|September 1870]]''' - Der Deutsch-Französische Krieg scheint zunächst nach gewohntem Muster eine rasche Entscheidung zu bringen. Infolge der Gefangennahme Napoléons III. bei der Schlacht von Sedan bricht das Zweite Kaiserreich zusammen. Zu einem schnellen Friedensschluss kommt es allerdings nicht, weil die deutsche Seite, mit Otto von Bismarck in führender Rolle, die Abtretung von Elsass-Lothringen zur Bedingung macht. Diese territoriale Forderung wird auch unter dem Eindruck der öffentlichen Meinung in Deutschland gestellt. Kurzfristig führt dies dazu, dass die neu gebildete französische Regierung den Krieg nicht nur fortsetzt, sondern ihn sogar zu einem nationalen Volkskrieg erhebt. Langfristig werden die deutsch-französischen Beziehungen durch die Elsass-Lothringen-Frage schwer belastet. Die dauerhafte Schwächung Frankreichs entwickelte sich zu einem zentralen Ziel der Bismarckschen Außenpolitik. Der Ministerpräsident mischt sich während des Krieges wiederholt in die Entscheidungen der Militärs ein. Dies führt zu heftigen Konflikten mit der militärischen Führung, die ihren Höhepunkt anlässlich der Frage einer Belagerung oder Beschießung von Paris erreichten. Hier setzte Bismarck sich mit seiner Forderung nach einer Beschießung durch. <br>
Johanna ordnete ihre Bedürfnisse denen ihres Mannes unter und bot ihm zugleich anders als seine Mutter – eine feste emotionale Bindung. Die Briefe, die die beiden austauschten, gehören zu den Höhepunkten der Briefliteratur des 19. Jahrhunderts.[18]
+
Politische Anfänge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
+
'''[[Königreich Preußen 1870|Oktober 1870]]''' - Der Deutsch-Französische Krieg drängt die Gegner der deutschen Vereinigung auch in Süddeutschland in die Defensive. Seit Mitte des Monats verhandelt Otto von Bismarck in Versailles mit den Delegationen der süddeutschen Länder. Mit einem Bündnis der deutschen Fürsten und freien Städte soll nicht zuletzt weitergehenden Vorstellungen des nationalen und liberalen Lagers begegnet werden. Bei den Verhandlungen verzichtet Bismarck auf direkten Druck und argumentiert stattdessen mit den Vorteilen eines solchen Zusammenschlusses. Insgesamt setzt er seine Vorstellungen durch. <br>
Konservativer Agitator[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
+
Bismarck trat politisch zunächst auf kommunaler Ebene hervor. In seiner Zeit auf Gut Kniephof war er Deputierter des Kreises Naugard, wurde 1845 Mitglied des Provinziallandtags der Provinz Pommern[19][20] und unterstützte in einigen Fällen seinen Bruder bei dessen Tätigkeit als Landrat. Über seinen pietistischen Freundeskreis kam er um 1843/1844 in Kontakt zu führenden konservativen Politikern, insbesondere zu den Brüdern Ernst Ludwig und Leopold Gerlach. Er verpachtete 1845 nicht zuletzt, um diese Verbindung auszubauen, den Kniephof und zog nach Schönhausen. Dieser Ort lag näher bei Magdeburg, dem damaligen Dienstsitz von Ludwig von Gerlach. Bismarck erhielt sein erstes öffentliches Amt 1846 durch die Ernennung zum Deichhauptmann in Jerichow.
+
'''[[Königreich Preußen 1870|November 1870]]''' - Als Erste erklären Baden und Hessen-Darmstadt ihren Beitritt zum Norddeutschen Bund. Württemberg und Bayern machen den Weg zur Gründung des Deutschen Reiches frei, nachdem ihnen Reservatsrechte zugebilligt wurden. Otto von Bismarck selbst verfasst den '''''Kaiserbrief''''', mit dem König Ludwig II. von Bayern den preußischen König Wilhelm I. um die Annahme der Kaiserkrone bittet. In diesem Zusammenhang besticht Bismarck den bayerischen König auch mit Mitteln aus dem Welfenfonds. Nur mit Mühe gelingt es ihm allerdings, König Wilhelm, der einen Bedeutungsverlust des preußischen Königtums befürchtet, zur Annahme des Kaisertitels zu bewegen. <br>
Sein Hauptanliegen in dieser Zeit war es, die Vormachtstellung des landbesitzenden Adels in Preußen zu bewahren. Die Konservativen lehnten den absolutistisch-bürokratischen Staat ab und träumten von einer Wiedereinführung der Mitregierung der Stände, insbesondere des Adels.[21] Zusammen mit den Brüdern Gerlach trat Bismarck beispielsweise für die Bewahrung der Patrimonialgerichtsbarkeit ein.
+
Als Nachrücker im sächsischen Provinziallandtag wurde Bismarck als Vertreter der Ritterschaft der Provinz Sachsen 1847 Mitglied des Vereinigten Landtags.[22] In diesem Gremium, das von der gemäßigten liberalen Opposition dominiert war, fiel er bereits bei seiner ersten Plenarrede als strikt konservativer Politiker auf, als er bestritt, dass es bei den Befreiungskriegen auch um die Durchsetzung liberaler Reformen gegangen war. In der „Judenfrage“ sprach er sich klar gegen die politische Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung aus. Diese und ähnliche Positionen führten bei den Liberalen zu empörten Reaktionen. Bismarck fand in dieser Zeit in der Politik ein Betätigungsfeld, das seinen Neigungen entgegenkam: „Die Sache ergreift mich viel mehr als ich dachte.“[23]
+
'''[[Königreich Preußen 1871|18.01.1871]]''' - Im Spiegelsaal von Versailles kommt es zu einer deutschen „Kaiserproklamation“. Sie markiert die Gründung des Deutschen Kaiserreichs. Wenige Tage später wird Paris kapitulieren. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1871|21.03.1871]]''' - Otto von Bismarck wird in den erblichen Fürstenstand erhoben und zum ersten Reichskanzler des neu gegründeten Deutschen Reichs ernannt. Seine Ämter als preußischer Ministerpräsident und Außenminister behält er bei. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1871|10.05.1871]]''' - Der Deutsch-Französische Krieg endet mit dem Frieden von Frankfurt. Otto von Bismarck hat damit den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn erreicht. Er wird in den '''''Fürstenstand''''' erhoben und Wilhelm I. machte ihm den Sachsenwald in der Nähe Hamburgs zum Geschenk. Bismarck gehört nunmehr zu den großen Grundbesitzern des Reiches und ist, auch dank der geschickten Verwaltung seiner Gelder durch Gerson  Bleichröder, ein reicher Mann. Den Großteil seines Vermögens erwirtschaftet er über den Verkauf des Holzes aus dem Sachsenwald. Bismarck erwirbt ein ehemaliges Hotel in Friedrichsruh im Sachsenwald und lässt es umbauen. Von jetzt an wird Friedrichsruh zum Mittelpunkt seines Privatlebens. Das neue Kaiserreich übernimmt weitgehend die Verfassung des Norddeutschen Bundes. Als Reichskanzler, Vorsitzender des Bundesrates, preußischer Ministerpräsident und Außenminister bleibt Bismarck so der dominierende Politiker. Darüber hinaus kann er auf sein ungeheures Prestige als Gründer des Reiches bauen. Dieses wiegt auch gegenüber Wilhelm I. schwer, sodass Bismarck seinen Willen gegenüber dem Deutschen Kaiser meist durchsetzen kann. Wilhelm klagt daher später: „Es ist nicht leicht unter einem solchen Kanzler Kaiser zu sein.“ Bismarck wird zum Generalleutnant befördert. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1872|14.05.1872]]''' - Otto von Bismarck verschärft den "Kulturkampf", indem er die Katholiken zu Reichsfeinden erklärt, auch um aufziehender Kritik an seiner Amtsführung entgegenzuwirken. Im Rahmen des von ihm zu bezeichneten Kulturkampfes werden verschiedene Sondergesetze gegen die Katholiken beschlossen und wiederholt verschärft. Im Zuge dieser Auseinandersetzung werden Rechte und Machtstellung der Kirche durch Reichs- und preußische Landesgesetze beschnitten (Kanzelparagraph, Brotkorbgesetz), aber auch die Zivilehe eingeführt. In diesem Zusammenhang äußert Bismarck am vor dem Reichstag: „Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig.“ <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1871|Zweite Hälfte 1871]]''' - Nationalliberale und Otto von Bismarck stimmen in ihrer Gegnerschaft zu einer katholischen Partei überein. Für Bismarck spielt dabei auch eine Rolle, dass mit der 1870 gegründeten Zentrumspartei eine seinem Einfluss entzogene, im Kern konservative, katholische Partei entstanden ist. Das Zentrum schafft eine Klammer zwischen katholischer Arbeiterschaft, Honoratioren und Kirche. Bismarck reduziert es konsequent auf den von ihm gefürchteten Ultramontanismus. Tatsächlich wird das Zentrum in den ersten Reichstagswahlen von 1871 auf Anhieb zweitstärkste Kraft. Damit sinkt der Wahlerfolg der Nationalliberalen insbesondere im katholisch-bürgerlichen Lager. Der Kulturkampf hat für Bismarck zwar vor allem politische Gründe, doch er sieht in Ludwig Windthorst, dem herausragenden Politiker der Zentrumspartei, einen persönlichen Gegner: „Mein Leben erhalten und verschönern zwei Dinge, meine Frau und Windthorst. Die eine ist für die Liebe da, der andere für den Haß.“ <br>
 +
So sehr Otto von Bismarck auch von Leidenschaft zur Politik und der Liebe zur Macht durchdrungen ist, so sehr sehnt er sich inzwischen gleichzeitig nach einer Befreiung von dieser Last: „Mein Öl ist verbraucht, ich kann nicht mehr.“ Bismarck ist in den Jahren seiner Kanzlerschaft nicht nur psychisch belastet, sondern auch körperlich stark angeschlagen. Immer öfter muss er sich deswegen teilweise für Monate auf seine Güter zurückziehen. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1872|Ende 1872]]''' - Als das preußische Herrenhaus sich weigert, einer Reform der Kreisordnung zuzustimmen, veranlasst Otto von Bismarck Kaiser Wilhelm I. dazu, zusätzliche Herrenhausmitglieder zu ernennen, um mit Hilfe dieses „Pairsschubes“ das Gesetz durchzubringen. Die Empörung bei den Konservativen ist groß und Roon spricht gar von einem Staatsstreich. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1873|01.01.1873]]''' - Otto von Bismarck tritt zugunsten Roons vom Posten des preußischen Ministerpräsidenten zurück und bleibt in dessen Kabinett Minister für Auswärtiges. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1873|09.11.1873]]''' - Ministerpräsident Roon tritt nach nur elf Monaten Amtszeit von seinem Posten zurück und wieder übernimmt Otto von Bismarck die Regierungsgeschäfte. Auf verschiedenen Feldern zeigen sich erste Grenzen der Zusammenarbeit Bismarcks mit den Liberalen. Zum wichtigsten Streitpunkt wird der Bereich der Militärorganisation, um den es heftige Auseinandersetzungen gibt. Auf den von Bismarck geforderten faktischen Verzicht des Parlaments auf Kontrolle des Militärhaushaltes („Äternat“) können sich die Nationalliberalen nicht einlassen. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1874|1874]]''' - Der nationalliberale Abgeordnete Johannes Miquel legt einen Kompromissvorschlag zur Kontrolle des Militärhaushalts vor. Danach werden die Ausgaben für jeweils sieben Jahre bewilligt („Septennat“). Trotz dieses relativen Erfolgs hat Otto von Bismarck den Liberalen die Grenzen seiner Kooperationswilligkeit deutlich gemacht, obwohl diese ihm de facto acht Jahre Handlungsfreiheit geben. Gleichzeitig stärkt die grundsätzliche Einigung mit dem Parlament Bismarcks Stellung gegenüber dem Militär. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1874|13.07.1874]]''' - Der katholische Böttchergeselle Eduard Kullmann (1853-1892) verübt in Kissingen ein Pistolen-Attentat auf Otto von Bismarck, bei dem dieser leicht am rechten Handgelenk verwundet wird. Obwohl sich die Zentrumspartei kurz darauf von dem Täter distanziert, trägt der Vorfall wesentlich zur Verschärfung des Kulturkampfes bei. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1874|Oktober 1874]]''' - Eduard Kullmann, der im Juli ein Attentat auf Otto von Bismarck verübte und ihn leicht am rechten Handgelenk verletzte, wird zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1876|1876]]''' - Die Basis der Zusammenarbeit von Otto von Bismarck mit den Liberalen wurde immer schwächer. Mit Aufzug der Gründerkrise beginnen zahlreiche Großgrundbesitzer und Industrielle, Forderungen nach Schutzzöllen zu erheben. Bismarck hofft, dass die Wirtschaftspolitik zur Spaltung der Liberalen führen wird. Obwohl er sich öffentlich nicht zu diesem Thema äußert, ermutigte er die Interessenvertreter zur Abspaltung, die dann auch vollzogen wird. In der neu gegründeten Deutschkonservativen Partei sieht Bismarck einen möglichen Bündnispartner; das Parteiprogramm wird mit ihm persönlich abgestimmt. Zum Vorzeichen des aufziehenden Konflikts mit den Liberalen wird der Rücktritt Rudolph von Delbrücks vom Amt des Präsidenten des Reichskanzleramtes. Delbrück galt bislang als Verkörperung der Zusammenarbeit Bismarcks mit den Liberalen sowie als Hauptvertreter des Wirtschaftsliberalismus. <br>
 +
Bismarck wird zum General der Kavallerie ernannt. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1877|1877]]''' - In Hinblick auf den erwarteten Thronwechsel in Preußen stellen die Liberalen für Otto von Bismarck eine Gefahr dar. Unter einem Kaiser Friedrich III. ist ein Wechsel zu einer liberalen Regierung zu erwarten – nach dem Vorbild der britischen Regierung unter Premierminister William Ewart Gladstone. Bismarck versucht Albrecht von Stosch, den Chef der Marine, auszuschalten, da dieser als möglicher Kanzler des künftigen Kaisers gilt. Als dies scheitert, droht Bismarck mit dem eigenen Rücktritt und zieht sich zeitweise auf sein Gut in Varzin zurück. Der Versuch, von dort aus die Nationalliberalen mit Angeboten – etwa ein Ministeramt für Rudolf von Bennigsen und Zugeständnissen für seine Politik zu gewinnen, ist nicht erfolgreich. Ihm werden Gegenforderungen präsentiert, die seinen Plänen zuwiderlaufen, den Parlamentarismus einzudämmen. Daraufhin entschließt er sich zum Bruch mit den Nationalliberalen. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1877|15.06.1877]]''' -  Im so genannten Kissinger Diktat spricht sich Otto von Bismarck für die russische Schwarzmeerherrschaft aus. Großbritannien soll Ägypten erhalten, das Deutsche Reich sei hingegen nur an der Erhaltung des Status quo interessiert. Bismarck skizziert damit sein außenpolitisches Ziel, dass das Deutsche Reich gute und nicht einseitig gebundene Beziehungen zu allen europäischen Mächten außer Frankreich erhalten und zugleich den europäischen Frieden sichern könne. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1878|19.02.1878]]''' - Otto von Bismarck erklärt vor dem Reichstag seine Bereitschaft, in der Orientkrise als "ehrlicher Makler" zu vermitteln. Erneut unterstreicht er damit sein außenpolitisches Ziel des europäischen Gleichgewichts und sucht dieses auch durch Einberufung des Berliner Kongresses zur Lösung der Balkan-Krise im Juni 1878 zu verwirklichen. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1878|22.02.1878]]''' - Angesichts der gegenseitigen politischen Blockade sieht sich Otto von Bismarck zu einer Flucht nach vorn gezwungen. In einer Reichstagsrede kündigt Bismarck einen innenpolitischen Kurswechsel an. Das dabei von ihm angedeutete Ziel eines staatlichen Tabakmonopols widerspricht zentralen wirtschaftsliberalen Prinzipien. Über den konkreten Anlass hinaus fassen die dem Liberalismus nahestehenden Regierungsmitglieder dies als einen ersten Schritt hin zu einer grundlegend veränderten Wirtschaftspolitik auf. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1878|März 1878]]''' - Die Minister Heinrich von Achenbach und Otto von Camphausen legen ihre Ämter nieder. An ihre Stelle treten Personen, die in den Parteien kaum verankert sind und nur geringes politisches Gewicht besitzen. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1878|Juni/Juli 1878]]''' - Während des Berliner Kongresses zur Beendigung der Balkankrise präsentiert sich Otto von Bismarck als „ehrlicher Makler“. Dies verstärkt zwar sein außenpolitisches Prestige auch im Ausland, es zeigen sich aber auch sofort die Grenzen seines Konzepts. Zar Alexander II. macht Bismarck dafür verantwortlich, dass Russlands Erfolge eng begrenzt bleiben. Dies führt dazu, dass Bismarck die Zusammenarbeit mit Österreich forciert. <br>
 +
Die erste, harte Etappe des Kulturkampfes endet mit dem Tod des Papstes Pius IX.; sein Nachfolger Leo XIII. signalisiert Verständigungsbereitschaft, an der Bismarck gelegen ist, um dadurch das Zentrum auszubooten. Eine direkte Verhandlung mit dem Heiligen Stuhl schadet der Partei und verringerte ihr Ansehen bei der katholischen Bevölkerung. Zudem hat der Kanzler nicht das geschafft, was er vorgehabt hat. Die katholische Basis und die katholische Partei lassen sich nicht spalten, vielmehr wird durch die staatlichen Angriffe die Bildung eines katholischen Milieus sogar noch gefördert. Darüber hinaus unterstützt die katholische Presse die Partei, die zunehmend Mandate im Reichstag gewinnt. Ein letzter Grund für Bismarck ergibt sich aus dem letztlich vollzogenen Bruch mit den Nationalliberalen. Er lotet die Möglichkeit aus, das Zentrum in seine Politik einzubauen und somit eine „blau-schwarze Koalition“ mit den Konservativen zu bilden. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1878|17.07.1878]]''' - Mit der Arbeiterschutz-Novelle wird die obligatorische Fabrikaufsicht durch staatliche Fabrikinspektoren eingeführt. Mit dieser sozialpolitischen Maßnahme beginnt Otto von Bismarck den schrittweisen Ausbau des staatlichen Fürsorge- und Wohlfahrtssystems, um damit der Sozialdemokratie ihre Basis zu entziehen. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1878|18.10.1878]]''' - Mit dem Reichsgesetz "wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie", dem so genannten Sozialistengesetz, erreicht Otto von Bismarck das seit 1874 von ihm geforderte Verbot der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) und der Arbeiterbewegung. Sein Ziel, die Sozialdemokratie nachhaltig zu zerstören, erreicht er nicht. Zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I. in diesem Jahr dienen Bismarck als willkommener Anlass, mit einem Sozialistengesetz gegen die Sozialistische Arbeiterpartei vorzugehen. Er will einen „Vernichtungskrieg führen durch Gesetzesvorlagen, welche die sozialdemokratischen Vereine, Versammlungen, die Presse, die Freizügigkeit (durch die Möglichkeit der Ausweisung und Internierung) […] träfen.“ Über den Kampf gegen die Sozialdemokratie hinaus bieten die Attentate für Bismarck aber auch die Gelegenheit, angesichts einer fehlenden parlamentarischen Unterstützung wieder in die politische Offensive zu gehen und zu neuen Mehrheiten zu kommen. Ein erster Gesetzentwurf scheiterte an der überwältigenden Mehrheit des Reichstags. Nach dem zweiten Attentat lässt Bismarck das Parlament auflösen. Er will wieder die Rückendeckung der Nationalliberalen gewinnen und darüber hinaus die Regierungsbasis weiter nach rechts verschieben. Nach der Wahl sind die beiden konservativen Parteien zusammen stärker als die Nationalliberalen. Im neuen Reichstag stimmen schließlich auch die Nationalliberalen, nach einigen Zugeständnissen, dem Sozialistengesetz zu. Dieses Ausnahmegesetz verbietet die sozialistische Agitation, während die politische Arbeit der sozialdemokratischen Parlamentarier davon unberührt bleibt. Letztlich verfehlt das Gesetz seinen Zweck und trägt ungewollt zur Verfestigung eines sozialistischen Milieus bei, denn erst jetzt setzt sich die marxistische Theorie wirklich durch. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1878|15.12.1878]]''' - Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise wird der Ruf von Großgrundbesitzern und Schwerindustriellen nach Schutzzöllen lauter. Als sich für diese Forderung eine Mehrheit im Reichstag abzeichnet, spricht sich auch Otto von Bismarck, der auf erhöhte Staatseinnahmen hofft, im so genannten „Weihnachtsbrief“ für eine Verbindung von Steuerreform und Schutzzollpolitik aus. Dem stimmen letztlich nur wenige Nationalliberale zu. Bismarck stützt sich stattdessen auf die Deutschkonservative Partei, auf die Freikonservativen und auf das Zentrum. Die liberale Ära ist damit beendet. Bismarck betont nunmehr die Bedeutung des Obrigkeitsstaates als Garanten der nationalen Einheit und setzt auf eine nationalkonservative Sammlungsbewegung unter Einschluss des Zentrums. Eine feste parlamentarische Basis, wie sie zuvor die Nationalliberalen gestellt haben, bietet diese Parteienkonstellation allerdings nicht. Viele politische Initiativen Bismarcks werden daher in den folgenden Jahren ergebnislos bleiben. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1879|1879]]''' - Die im Vorjahr begonnene neue Zusammenarbeit mit Österreich mündet in den "Zweibundvertrag". Aus diesem Defensivbündnis gegenüber Russland wird eine dauerhafte Allianz, die die Außenpolitik während des gesamten Kaiserreiches prägen wird. Otto von Bismarck selbst stilisierte die Verbindung als eine Art zeitgemäße Neuausgabe des Deutschen Bundes und als „Bollwerk des Friedens über lange Jahre hinaus. Populär bei allen Parteien, exklusive Nihilisten und Sozialisten.“ <br>
 +
Mit der Forderung der Nationalliberalen, die Reichsverfassung in einem stärker parlamentarischen Sinne umzugestalten, wird eine Grenze erreicht, die Otto von Bismarck nicht zu überschreiten bereit ist. Im Reichstag erklärte er: „Eine Fraktion kann sehr wohl die Regierung unterstützen und dafür einen Einfluss auf sie gewinnen, aber wenn sie die Regierung regieren will, dann zwingt sie die Regierung, ihrerseits dagegen zu reagieren.“ <br>
 +
Da Otto von Bismarck im Überfluss isst und trinkt wird er immer dicker und wiegt inzwischen 247 Pfund, bei einer Körpergröße von 1,90 Meter. Er leidet unter zahlreichen teils chronischen Krankheiten wie Rheuma, Venenentzündungen, Verdauungsstörungen, Hämorrhoiden und vor allem unter Schlaflosigkeit, hervorgerufen durch Völlerei. Neben dem Konsum von Alkohol und Tabak berichten Zeitgenossen wie die Baronin Hildegard von Spitzemberg auch von der Einnahme von Morphium. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1880|15.09.1880]]''' - Angesichts seiner schwierigen parlamentarischen Situation versucht Otto von Bismarck, die bisherige Bedeutung der Parteien zurückzudrängen. Das Feld der Auseinandersetzung sollte die Sozial- und Wirtschaftspolitik werden. Daher übernimmt er nun selbst das Amt des Handelsministers. Um Einfluss auf die Wirtschaftsgesetzgebung zu nehmen, versucht er einen Volkswirtschaftsrat aus Vertretern der Wirtschaftsverbände zu etablieren, mit dem das Parlament umgangen werden soll. Dies scheitert allerdings am Widerstand der Parteien. Hauptziel von Bismarcks Sozialpolitik war, eine stärkere Staatsbindung zu erzeugen. Die Parteien sollen dabei von ihrer Basis getrennt werden. Bismarck verschleiert sein eigentliches Ziel des Machterhalts dabei keineswegs. Geplant ist zunächst lediglich eine Unfallversicherung, später sollen Versicherungen gegen Krankheit, Invalidität und Altersarmut hinzukommen. Diese sollen weitgehend staatlich kontrolliert sein – zeitweise spricht Bismarck sogar von Staatssozialismus. Er will so „in der großen Masse der Besitzlosen die konservative Gesinnung erzeugen, welche das Gefühl der Pensionsberechtigung mit sich bringt: „Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte“
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1881|1881]]''' - Otto von Bismarck gelingt es, die Spannungen zwischen Deutschland und Russland abzubauen und das "Dreikaiserbündnis" abzuschließen. Damit verhindert er zunächst eine enge Verbindung Russlands mit Frankreich.  <br>
 +
Im privaten Leben Bismarcks spielt die Familie eine große Rolle. Aber auch in diesem Bereich setzt er stets seinen Willen durch. Als sein Sohn Herbert von Bismarck die geschiedene Fürstin Elisabeth zu Carolath-Beuthen heiraten will – eine Katholikin, die mit zahlreichen Bismarck-Gegnern, etwa Marie Gräfin Schleinitz, verwandt und verschwägert ist – verhindert Bismarck dies letztlich, indem er ihm erst mit Enterbung, dann mit Selbstmord drohte. Herbert fügt sich, wird jedoch zeitlebens zu einem verbitterten Mann. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1881|27.10.1881]]''' -
 +
Nicht die im Vorjahr von Otto von Bismarck auf den Weg gebrachten Versicherungen an sich, aber Bismarcks persönliche Motive stoßen auf heftigen Widerstand. Letztlich streicht das Parlament aus der Gesetzesvorlage zur Unfallversicherung alle „staatssozialistischen“ Elemente heraus. Bismarcks Kalkül, nach einer Reichstagsauflösung die Wähler mit der Parole eines „sozialen Königtums“ und mit antiparlamentarischen Tönen zu überzeugen, geht nicht auf. Insbesondere die Linksliberalen gewinnen bei der heutigen Reichstagswahl deutlich hinzu. Bismarck denkt danach kurzzeitig an Rücktritt, entscheidet sich aber dagegen und deutet sogar Staatsstreichpläne an. Mit der Sozialgesetzgebung wird Bismarck einen Pfeiler des modernen Sozialstaats schaffen; seine machtpolitischen Ziele erreichte er aber nicht.
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1882|1882]]''' - Otto von Bismarck gelingt die Schaffung eines Bündnissystems durch den Dreibund zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1883|1883]]''' - Rumänien wird Mitglied des 1879 zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn geschaffenen "Zweibundes". <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1884|1884]]''' - Mitte der 1880er-Jahre scheint Otto von Bismarck die diplomatische Absicherung des Reichs erfolgreich abgeschlossen zu haben. Dies wird jedoch durch die imperialistischen Tendenzen dieser Zeit immer mehr in Frage gestellt. Bismarck selbst ist eigentlich Gegner kolonialer Erwerbungen. Auch in Deutschland bildet sich eine imperialistische Bewegung, die auf den Erwerb von Kolonien drängt. Deren Druck kann sich Bismarck nicht auf Dauer entziehen. Verschiedene innen- und außenpolitische Gründe führen zu einem Sinneswandel des Reichskanzlers. Dabei spielt auch die von ihm gefürchtete Thronübernahme des liberalen, englandfreundlichen Kronprinzen Friedrich Wilhelm eine Rolle. Da der Erwerb von Kolonien die Beziehungen zu Großbritannien verschlechtern müsste, habe die Kolonialpolitik, „nur den Zweck, einen Keil zwischen den Kronprinzen und England zu treiben.“ Bismarck kommt schließlich zu der Überzeugung, dass eine erfolgreiche Kolonialpolitik doch mehr Chancen als Risiken birgt. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1884|24.04.1884]]''' - Unterstützt von Otto von Bismarck wird mit Angra Pequena an der südwestafrikanischen Küste die erste Kolonialerwerbung unter deutschen Schutz gestellt. Infolge der seit 1873 andauernden Weltwirtschaftskrise und der zunehmenden Bedeutung der Kolonialfrage für die Politik der europäischen Mächte gibt Bismarck ab 1880 seine zunächst ablehnende Haltung gegenüber deutschen Kolonialerwerbungen auf. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1884|15.11.1884]]''' - Gemeinsam mit dem französischen Ministerpräsidenten Jules Ferry (* 1832) beruft Otto von Bismarck die Kongokonferenz in Berlin ein. Bevollmächtigten von 13 europäischen Staaten sowie der Vereinigten Staaten von Amerika nehmen an der Tagung teil, die drei Monate lang gehen soll.  <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1885|26.02.1885]]''' - Ende der dreimonatigen Kongokonferenz in Berlin. Die Bevollmächtigten von 13 europäischen Staaten sowie der Vereinigten Staaten von Amerika einigen sich in der Kongo-Akte über eine Zollfreiheit im Kongo- und Nigergebiet sowie die Errichtung eines Kongostaates unter dem belgischen König Leopold II. (* 1835). Außerdem wird in diesem Dokument der Anspruch der Europäer, Afrika untereinander aufzuteilen, festgeschrieben. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1885|1885]]''' - Auch um nationalistische Emotionen nutzbar zu machen, verstärkt Otto von Bismarck die antipolnische Politik in den preußischen Ostprovinzen. Mit der Ausweisung von nichtpreußischen Polen und dem für nächstes Jahr geplanten Ansiedlungsgesetz setzt eine intensive Germanisierung ein. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1885|01.04.1885]]''' - Kaiser Wilhelm I. schenkt Otto von Bismarck zu seinem 70. Geburtstag Anton von Werners Gemälde "Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches (18. Januar 1871)". <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1885|17.05.1885]]''' - 1884 und 1885 kommt es zum Erwerb mehrerer Territorien in Afrika und im Stillen Ozean. Da sich die innenpolitischen Konstellationen in Frankreich und Großbritannien ändern, verliert Otto von Bismarck jedoch schnell das Interesse an deutscher Kolonialpolitik. Sie bleibt für ihn zunächst eine Episode. Eine zu Deutsch-Neuguinea gehörende melanesische Inselgruppe erhält unter dem Namen Bismarck-Archipel den kaiserlichen Schutzbrief. <br>
 +
Ernst Schweninger, der neue Arzt Otto von Bismarcks, kann ihn in den 1880er-Jahren zu einer gesünderen Lebensweise überreden. Zuvor litt der Fürst unter Gesichtneuralgien, weshalb er sich vor Schweningers Behandlung einen Vollbart wachsen ließ, damit er sich nicht rasieren musste. <br>
 +
 +
'''[[Königreich Preußen 1886|1886]]''' - In der zweiten Hälfte der 1880er-Jahre wird Otto von Bismarcks außenpolitisches System zunehmend bedroht. In Frankreich nehmen die revanchistischen Tendenzen zu. Zeitweilig droht ein französisch-russisches Bündnis und damit die Gefahr eines Zweifrontenkriegs für das Deutsche Reich. Bismarck bauscht die Krise mit Frankreich allerdings auf, um seine innenpolitischen Pläne zur Heeresverstärkung durchsetzen zu können. Die französische Revanchismusbewegung nutzt Bismarck, um mit einer breit angelegten Pressekampagne alle Kritiker als Vaterlandsverräter zu diskreditieren, die sich insbesondere seinen militärpolitischen Plänen entgegenstellen. Nach der Reichstagsauflösung wird die nationalistische Agitation noch einmal verstärkt. Fast zeitgleich entsteht eine neue Balkankrise. Bismarck versucht vergeblich, die Spannungen zwischen den beiden Kontrahenten Österreich und Russland auszugleichen. Das Dreikaiserbündnis zerbricht. In Russland nehmen daraufhin die Stimmen für ein Bündnis mit Frankreich weiter zu. Probleme durch die Schutzzollpolitik Bismarcks verschärfen die Situation. In Deutschland plädieren einflussreiche Persönlichkeiten aus Militär und Diplomatie wie Friedrich von Holstein, Helmuth Karl Bernhard von Moltke und Alfred von Waldersee für einen Präventivkrieg gegen Russland. Bismarck lehnt solche Ideen strikt ab. Er hält den Krieg weiter für vermeidbar. Als Macht- und Realpolitiker spielen nationalistische und sozialdarwinistische Vorstellungen für ihn keine Rolle. Zwar ist Bismarcks altes Bündnissystem zerbrochen, doch gelingt es ihm, die Krise noch einmal entschärfen. Auf dem Balkan weigert er sich, für England und Österreich „die Kastanien aus dem Feuer zu holen.“ Ohne mit Österreich zu brechen, geling es ihm, einen offenen Krieg zu verhindern. <br>
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1887|Februar 1887]]''' - Aus den Reichstagswahlen vom Februar 1887 geht das Regierungslager aus Konservativen und Nationalliberalen mit absoluter Mehrheit hervor. Otto von Bismarck besitzt mit den so genannten Kartellparteien nun jene parlamentarische Mehrheit, die er in den vergangenen zehn Jahren angestrebt hat. Er kann jetzt sowohl seine militärpolitischen Pläne als auch Begünstigungen für seine konservative Klientel durchsetzen. Bismarck ist im Hintergrund am Zustandekommen der Mittelmeer-Entente zwischen Großbritannien, Österreich und Italien beteiligt. Ihr Ziel ist es, den russischen Expansionsdrang zu begrenzen. Kurze Zeit später schließt Bismarck mit Russland den Rückversicherungsvertrag ab, um Russland erneut an Deutschland zu binden. <br>
Bismarck (rechts) und König Friedrich Wilhelm IV. 1848 (Zeichnung von Hermann Lüders)
 
Die Leidenschaft des politischen Kampfes ließ ihn kaum essen und schlafen. Am Ende der Versammlung hatte sich Bismarck in den konservativen Kreisen einen Namen gemacht. Auch der König war auf ihn aufmerksam geworden.[24] Wenngleich er eindeutig konservative Positionen vertrat, war Bismarck bereits in dieser Zeit auch Pragmatiker und bereit, vom politischen Gegner zu lernen. Dies kam etwa in dem Plan zum Tragen, als Gegengewicht zur liberalen „Deutschen Zeitung“ eine konservative Zeitung zu gründen.[25]
 
Bismarck lehnte die Märzrevolution entschieden ab. Als ihn die Nachricht vom Erfolg der Bewegung in Berlin erreichte, bewaffnete er in Schönhausen die Bauern und schlug vor, mit ihnen nach Berlin zu ziehen. Der in Potsdam kommandierende General Karl von Prittwitz lehnte dieses Angebot jedoch ab. Danach versuchte Bismarck, Prinzessin Augusta, die Gattin des späteren Königs Wilhelm I., von der Notwendigkeit einer Gegenrevolution zu überzeugen. Augusta wies das Ansinnen als intrigant und illoyal zurück. Bismarck zog sich durch sein Verhalten die dauerhafte Abneigung der späteren Königin zu.[26] Nach der Anerkennung der Revolution durch Friedrich Wilhelm IV. waren Bismarcks gegenrevolutionäre Pläne vorerst gescheitert.
 
In die preußische Nationalversammlung wurde Bismarck nicht gewählt. Dafür beteiligte er sich an der außerparlamentarischen Sammlung des konservativen Lagers. Im Sommer 1848 war er an der Gründung und inhaltlichen Ausgestaltung der „Neuen Preußischen Zeitung“ (wegen des Kreuzes auf dem Titelblatt auch „Kreuzzeitung“ genannt) beteiligt. Für das Blatt schrieb er zahlreiche Beiträge. Im August 1848 war er einer der maßgeblichen Initiatoren des sogenannten Junkerparlaments. In diesem versammelten sich mehrere hundert adlige Gutsbesitzer, um gegen den Eingriff in ihr Eigentum zu protestieren.[27]
 
Diese Aktivitäten führten dazu, dass die konservative Kamarilla um den König Bismarck immer mehr zu schätzen begann. Seine Hoffnung, nach der Gegenrevolution im November 1848 mit einem Ministerposten belohnt zu werden, erfüllte sich jedoch nicht, da er selbst in konservativen Kreisen als zu extrem galt. Der König schrieb auf eine entsprechende Vorschlagsliste als Randbemerkung: „Nur zu gebrauchen, wenn das Bayonett schrankenlos waltet“.[28]
 
Hinwendung zur Realpolitik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1887|April 1887]]''' - Der Kulturkampf endet mit dem zweiten Friedensgesetz. Bis dahin tragen beide Seiten zur Deeskalation bei. Eine Folge des Kulturkampfes sind die Zivilehe und die staatliche Schule. Für die zukünftige Politik Otto von Bismarcks nicht unwichtig war, dass der Zentrumspolitiker Windthorst keineswegs ein ultramontaner Eiferer war. Er war zwar preußenkritisch, aber eben auch pragmatisch und konstitutionell ausgerichtet, was Bismarck neue politische Optionen eröffnete. <br>
Sitzung des Volkshauses des Erfurter Unionsparlaments im Schiff der Augustinerkirche, 1850
 
Im Januar und im Juli 1849 wurde Bismarck in die zweite Kammer des preußischen Landtages gewählt. Er beschloss in dieser Zeit, sich ganz der Politik zu widmen, und zog mit seiner Familie nach Berlin. Damit war er einer der ersten Berufspolitiker in Preußen.[29] Im Landtag trat er als Sprachrohr der Ultrakonservativen auf. So verteidigte er die Ablehnung von Kaiserwürde und Reichsverfassung durch Friedrich Wilhelm IV., weil aus seiner Sicht zu befürchten stand, dass Preußen in Deutschland aufginge. Die nationale Frage war für ihn gegenüber der Sicherung der preußischen Macht zweitrangig.
 
Der König und sein Berater Joseph von Radowitz wollten die deutsche Einheit vor allem durch Absprache mit den Mittelstaaten erreichen. Außerdem sollte die angestrebte Erfurter Union konservativer und föderalistischer sein als das Frankfurter Vorbild.[30] Bismarck hielt dies für unrealistisch und nicht sinnvoll. Im preußischen Parlament machte er aus seiner Kritik an den Plänen keinen Hehl. Seine Rede vom 6. September 1849 veränderte die Haltung interessierter politischer Kreise zu ihm. Er galt fortan wegen seiner abwägenden und flexiblen Argumentation auch in den eigenen konservativen Reihen nicht mehr nur als Scharfmacher. Bismarck empfahl sich damit erstmals für einen Posten im hohen Staatsdienst oder in der Diplomatie.[31] Er wurde trotz seiner Kritik an der Union in das Volkshaus des Erfurter Unionsparlaments gewählt und wurde in ihm Schriftführer.
 
Obwohl er dem Parlamentarismus grundsätzlich ablehnend gegenüberstand, entwickelte Bismarck sich in Erfurt zu einem der bedeutendsten Parlamentsredner der Zeit, dem auch der politische Gegner wegen seiner bilder- und pointenreichen Sprache Aufmerksamkeit schenkte.[32] Nach dem Scheitern der Unionspläne übernahm Bismarck die schwierige Aufgabe, im preußischen Landtag die Olmützer Punktation zu verteidigen. Er schaffte es dabei, einerseits konservative Standpunkte zu vertreten, sich andererseits aber zu einer staatlichen Machtpolitik fern irgendwelcher Ideologien zu bekennen: „Die einzige gesunde Grundlage eines großen Staates, und dadurch unterscheidet er sich wesentlich von einem kleinen Staate, ist der staatliche Egoismus und nicht die Romantik, und es ist eines großen Staates nicht würdig, für eine Sache zu streiten, die nicht seinen eigenen Interessen angehört.“[33] Mit seiner Betonung des Staates, der Macht- und Interessenpolitik, entfernte Bismarck sich vom traditionellen Konservatismus, der (in eher defensiver Grundeinstellung) aus der Gegnerschaft zum modernen, zentralen, bürokratischen und absolutistischen Staat entstanden war.[34]
 
Diplomat[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
Bundestagsgesandter[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1888|1888]]''' - Gegenüber dem Kolonialverfechter Eugen Wolf äußert Otto von Bismarck: „Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön, aber meine Karte von Afrika liegt in Europa. Frankreich liegt links, Russland liegt rechts, in der Mitte liegen wir. Das ist meine Karte von Afrika.“ Jedoch hat Bismarck ungewollt Kräfte freigesetzt, die sich in der Wilhelminischen Zeit nicht mehr beherrschen lassen werden. <br>
Das Palais Thurn und Taxis in Frankfurt, Sitz des Bundestages, um 1900
 
Bismarck wurde am 18. August 1851 auf Betreiben Leopold von Gerlachs durch Friedrich Wilhelm IV. zum preußischen Gesandten beim Bundestag in Frankfurt ernannt. Eine diplomatische Ausbildung hatte er nicht. Die Stellung in Frankfurt war nach seiner Einschätzung zu dieser Zeit der wichtigste Posten in der preußischen Diplomatie. Seine Ernennung wurde in der Öffentlichkeit als Zeichen für den Sieg der sozialen und politischen Reaktion sowie als Kapitulation Preußens gegenüber Österreich gewertet.[35]
 
In Frankfurt handelte Bismarck sehr eigenständig. Er befand sich zeitweise sogar im Gegensatz zur Berliner Regierungspolitik.[36] Allerdings machte er als Gesandter deutlich, dass er noch immer ein Mann der Hochkonservativen war. Seine Haltung in einer Kammerdebatte führte am 25. März 1852 zum Duell Vincke–Bismarck, bei dem keiner der beiden Duellanten getroffen wurde.[37]
 
Als das Königreich Preußen und das Kaisertum Österreich nach der Herbstkrise 1850 zusammenarbeiteten, wollte Bismarck sich nicht damit abfinden, dass der österreichische Ministerpräsident Felix zu Schwarzenberg Preußen die Rolle als Juniorpartner zudachte. Ihm und letztlich auch der Regierung in Berlin ging es darum, die Anerkennung Preußens als gleichberechtigte Macht durchzusetzen. Zu diesem Zweck suchte er ständig die Auseinandersetzung mit dem österreichischen Gesandten Friedrich von Thun und Hohenstein, griff Wien scharf an und legte zeitweise sogar die Arbeit des Bundestages lahm, um die Grenzen der österreichischen Kompetenzen in Frankfurt aufzuzeigen. Er trug auch dazu bei, dass Österreichs Wunsch scheiterte, dem Deutschen Zollverein beizutreten.[38] Bismarck lehnte einen Ausbau der Institutionen und überhaupt eine Bundesreform ab, solange Österreich Preußen nicht als gleichberechtigt behandelte.
 
Die Entscheidung der preußischen Regierung im Jahr 1854 (vor dem Hintergrund des Krimkrieges), das Schutz- und Trutzbündnis mit Österreich zu erneuern, stieß bei Bismarck auf Kritik. Als Österreich sich danach offen gegen Russland wandte, gelang es Bismarck 1855, durch geschicktes Taktieren den Antrag der Österreicher zur Mobilisierung der Bundestruppen gegen Russland abzuwenden. Dieser Erfolg ließ sein diplomatisches Ansehen zunehmen. Nach der Niederlage Russlands im Krimkrieg plädierte er in verschiedenen Denkschriften für eine Anlehnung an das Zarenreich und an Frankreich, durch die er Österreich weiter zu schwächen hoffte. Besonders ausführlich legte er sein außenpolitisches Konzept in der „Prachtschrift“ von 1856 nieder. Seine Äußerungen lösten einen heftigen Konflikt mit den Hochkonservativen um die Gebrüder Gerlach aus, die in Napoleon III. nur einen Vertreter des revolutionären Prinzips und einen „natürlichen Feind“ sahen. Bismarck antwortete, dass ihm die Legitimität der Staatsoberhäupter letztlich egal sei. Für ihn standen nicht die konservativen Grundsätze, sondern die Staatsinteressen im diplomatischen Geschäft im Mittelpunkt. Im Lager der Konservativen galt er nun zunehmend als egoistischer Opportunist.[39]
 
Gesandter in St. Petersburg und Paris[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1888|März 1888]]''' - Aufgrund von Otto von Bismarcks neuer Machtstellung spielt die Thronbesteigung von Friedrich III. kaum noch eine Rolle. Als der todkranke neue Kaiser sich weigert, einer Verlängerung der Legislaturperiode und des Sozialistengesetzes zuzustimmen, belehrt Bismarck die Kaiserin, dass der Monarch „als solcher kein Faktor der Gesetzgebung“ sei. <br>
Katharina Orlowa, um 1860, Gemälde von Franz Xaver Winterhalter
 
Der Konflikt mit den Gerlachs hatte aber auch innenpolitische Gründe. Nach der Übernahme der Regentschaft durch Prinz Wilhelm 1857 verloren die Hochkonservativen an Einfluss; stattdessen nahm die Bedeutung der gemäßigt liberal-konservativen Wochenblattpartei zu. In der beginnenden Neuen Ära versuchte auch Bismarck, durch eine gewisse Distanzierung von den extremen Konservativen seine Position zu behaupten. In einer umfangreichen Denkschrift sprach er nunmehr von einer „nationalen Mission“ Preußens und von einem Bündnis mit der national-liberalen Bewegung. Damit vollzog er einen bemerkenswerten Kurswechsel. Allerdings ging es ihm nicht um den Kampf für die deutsche Einheit um ihrer selbst willen, sondern war es sein Ziel, den deutschen Nationalismus einer Stärkung der preußischen Macht dienstbar zu machen.[40]
 
Die Erwartungen, die er mit der Anpassung an ein verändertes politisches Klima in Preußen verband, erfüllten sich für ihn selbst allerdings zunächst noch nicht. Im Januar 1859 wurde er als preußischer Gesandter nach Sankt Petersburg versetzt; er selbst sprach davon, dass er an der Newa kaltgestellt worden sei. Der Wechsel fiel der Familie schwer; die Eheleute Bismarck hatten in Frankfurt die glücklichste Zeit ihrer Ehe erlebt. Bismarck erweiterte in der neuen Funktion allerdings seine diplomatischen Kenntnisse und erfreute sich des Wohlwollens des russischen Hofes und des Kaiserpaares. Sein Ehrgeiz richtete sich aber zunehmend auf die höchsten Ämter im preußischen Staat. Er beobachtete genau die Entwicklung des preußischen Verfassungskonflikts. Die Hoffnung, bereits im April 1862 zum Ministerpräsidenten ernannt zu werden, erfüllte sich nicht. Stattdessen wurde er Gesandter in Paris, wo er im Palais Beauharnais residierte. Dieser Posten galt ihm jedoch von Beginn an nur als Wartestellung.
 
In diese Zeit fiel die von seiner Ehefrau geduldete Liebesaffäre mit Fürstin Katharina Orlowa (1840–1875), der Ehefrau des russischen Gesandten in Belgien Nikolai Alexejewitsch Orlow. Am 22. August 1862, kurz vor seiner Berufung zum Ministerpräsidenten, wäre Bismarck in Biarritz mit Katharina Orlowa fast ertrunken und wurde von einem Leuchtturmwärter gerettet.[41] Seiner Frau schreibt er an diesem Tag nur: „Nach einigen Stunden Ruhe und Briefeschreiben nach Paris und Berlin nahm ich den zweiten Trunk Salzwasser, diesmal im Hafen, ohne Wellenschlag, mit viel Schwimmen und Tauchen, zwei Wellenbäder wären mir zu viel am Tage.“[42] Es war die letzte private Eskapade Bismarcks, ehe er sich ausschließlich der Politik widmete.[43]
 
Preußischer Ministerpräsident[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
Berufung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1888|15.06.1888]]''' - Mit der Thronbesteigung Wilhelms II. wandelt sich das seit den 1870er Jahren unveränderte Machtgefüge an der Spitze des Deutschen Reiches, da der junge Kaiser im Gegensatz zu seinem Großvater Wilhelm I. nicht gewillt ist, sich dem Willen Otto von Bismarcks unterzuordnen. <br>
Otto von Bismarck, um 1862
 
In Berlin verfestigte sich inzwischen die ablehnende Haltung der Liberalen gegen eine geplante Heeresreform. Die Notwendigkeit einer solchen Reform wurde eigentlich von niemandem ernsthaft in Frage gestellt. Im Gegensatz zu den anderen Großmächten war die preußische Armee seit 1815 kaum gewachsen. Selbst im Vergleich mit Österreich waren die preußischen Streitkräfte deutlich schwächer. Die offiziell bestehende Wehrpflicht existierte in der Wirklichkeit nur noch auf dem Papier, und seit längerem gab es Bemühungen, die Landwehr an die reguläre Armee heranzuführen. In der Sache wäre eine Einigung mit den Liberalen bei der Heeresvorlage möglich gewesen. Wilhelm I. jedoch glaubte, dass ein Nachgeben die Krone schwächen würde.[44]
 
Dies bestärkte die Liberalen in ihrer Kritik, und das Abgeordnetenhaus verweigerte die für die Reform nötigen Finanzmittel. Im März 1862 wurde das Parlament aufgelöst und eine neue Regierung gebildet. Statt der gemäßigten Liberalen der Neuen Ära hatten in dieser Regierung Konservative wie der Kriegsminister Albrecht von Roon das Sagen. Aus den Neuwahlen ging allerdings die neu gegründete Fortschrittspartei als Sieger hervor, während die Zahl der konservativen Abgeordneten stark abnahm. Wilhelm I. erwog in dieser aussichtslos erscheinenden Lage ernsthaft den Rücktritt zu Gunsten seines Sohnes, des späteren Kaisers Friedrich III. Nach einer Auseinandersetzung mit den Ministern der Regierung hatte der König bereits den Entwurf einer Abdankungsurkunde formuliert.[45]
 
General Roon sah in der Ernennung Bismarcks zum Ministerpräsidenten die einzige Möglichkeit, den Thronwechsel zugunsten des als liberal geltenden Kronprinzen zu verhindern. Mit einem Telegramm: „Periculum in mora. Dépêchez-vous!“ („Gefahr im Verzuge. Beeilen Sie sich!“) rief er Bismarck nach Berlin zurück. Nach 25 Stunden Bahnfahrt traf Bismarck am 20. September 1862 wieder in Berlin ein. Zwei Tage später wurde er von König Wilhelm I. im Schloss Babelsberg empfangen. Über Inhalt und Verlauf der Unterredung liegt nur Bismarcks Bericht vor, der aber im Gegensatz zu anderen Teilen seiner Erinnerungen im Kern korrekt sein dürfte.[46] Bismarck gewann den noch zögernden König, indem er sich als seinen unbedingten Gefolgsmann gab.[46] Er versprach die Durchsetzung der Heeresreform und betonte seinerseits die grundlegende Bedeutung der Auseinandersetzung um sie. Es gelte, um die Entscheidung zwischen „königlichem Regiment oder Parlamentsherrschaft“ zu kämpfen. Um die letztere abzuwenden, befürworte er auch „eine Periode der Diktatur.“[47] Der König habe Bismarck daraufhin gefragt, ob er bereit sei, sich für die Heeresreform ohne Abstriche einzusetzen und an der Reform festzuhalten, notfalls auch gegen die Mehrheitsbeschlüsse des Abgeordnetenhauses. Als Bismarck beides bejahte, habe der König sich von seiner Entschlossenheit beeindruckt gezeigt: „Dann ist es meine Pflicht, mit Ihnen die Weiterführung des Kampfes zu versuchen und ich abdiziere nicht“ (d. h., ich danke nicht ab).[48] Der König ernannte Bismarck zum Ministerpräsidenten und Außenminister.[49]
 
Beziehung zum König und Grundsätze[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
Das Ernennungsgespräch legte die Grundlage für die ungewöhnliche Beziehung zwischen dem König und Bismarck in den folgenden Jahrzehnten. Bismarck schuf sich die Grundlage für eine außergewöhnliche Vertrauensstellung bei Wilhelm I. und verschaffte sich eine Blankovollmacht, die seinen Handlungsspielraum über das übliche Maß eines leitenden Ministers hinaus erweiterte (Lothar Gall), indem er sich dem Monarchen als „kurbrandenburgischer Vasall“ andiente, der in prekärer Lage kampfesmutig und in unverbrüchlicher Treue zu seinem Lehnsherrn stehen werde. Zwar kam es in den nächsten Jahren immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten, doch haben sie das Grundvertrauen des Königs Bismarck gegenüber nicht beeinträchtigt.[50]
 
Im Einzelnen erhielt Bismarck sehr starke Vollmachten, auf die er sich später berief. Darunter war die, dass seine Minister nur mit seinem Einverständnis dem Monarchen einzeln berichten dürfen.[51]
 
Bismarck blieb zwar ein Konservativer, allerdings ein zunehmend pragmatisch handelnder und nicht an ideologischen Fixierungen klebender Politiker. Ideale, Theorien und Prinzipien waren für ihn nicht vorrangig ausschlaggebend; was vor allem zählte, waren die Interessen der Staaten. Daraus ergab sich die Machterweiterung Preußens als maßgebliches Ziel. Aus Bismarcks Sicht war es nur möglich, den Großmachtanspruch Preußens zu bewahren, wenn dieses eine hegemoniale Stellung in Europa zu Lasten Österreichs gewinnen konnte und die übrigen europäischen Mächte das duldeten. Um Nationalismus im landläufigen Sinn ging es ihm dabei nicht, vielmehr um außenpolitischen Realismus. Er setzte darauf, dass außenpolitische Erfolge sich auch auf seine Innenpolitik günstig auswirken würden. Er wollte die Monarchie und den Obrigkeitsstaat ebenso erhalten wie die besondere Stellung von Militär und Adel. Erste Priorität hatte aber im Zweifelsfall die Macht des Staates. Darauf zielte auch das zeitweilige Bündnis mit der nationalen und liberalen Bewegung.[52]
 
Verfassungskonflikt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1889|1889]]''' - Der Versuch Otto von Bismarcks, der Sozialdemokratie die „Wurzeln abzugraben,“ schläg ebenso fehl wie das Vorhaben, den Obrigkeitsstaat zu Lasten der Parteien auszubauen. Bismarcks Interesse an der Sozialgesetzgebung lässt nach: Die Alters- und Invalidenversicherung wickelte er geschäftsmäßig ab. <br>
Bismarck als Bundestagsgesandter, 1858
 
Am Anfang dominierte in weiten Teilen der politischen Öffentlichkeit bis hinein ins konservative Lager die Ablehnung Bismarcks, der noch immer als extremer Reaktionär galt. Er hatte es daher schwer, geeignete Minister zu finden, und schrieb: „Wir sind froh, wenn wir acht Männer finden und halten.“[53] Das erste Kabinett Bismarck bestand so denn auch mehrheitlich aus eher zweitrangigen Persönlichkeiten. Unter ihnen waren Carl von Bodelschwingh, Heinrich Friedrich von Itzenplitz und Gustav von Jagow. In seinen Memoiren urteilte Bismarck, dass einige Minister „nicht im Stande [waren,] ihre Ministerien zu leiten“. Sie haben mit Ausnahme Roons kein Verständnis für die politische Gesamtlinie gezeigt, einige sich außerdem als „arbeitsscheu und vergnügungssüchtig“ erwiesen.[54]
 
Vor diesem Hintergrund war Bismarck die alles entscheidende Persönlichkeit. Als Chef eines Konfliktministeriums berufen, dominierte er klar die Auseinandersetzung mit den Liberalen.
 
Bismarck versuchte anfangs, die Opposition nicht nur durch Drohungen, sondern auch durch Ausgleichsbemühungen zu neutralisieren. Dies scheiterte, weil er mit einigen seiner Äußerungen erneut das Renommee eines stockkonservativen Politikers bediente. Oft zitiert wurde die Aussage: „Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine Macht. […] Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden […] – sondern durch Eisen und Blut.“[55]
 
Eigentlich war die „Blut-und-Eisen“-Rede als weitgehendes Bündnisangebot an die liberale und nationale Bewegung gedacht gewesen. Obwohl auch die liberale Mehrheit des Abgeordnetenhauses der Auffassung war, dass die „Deutsche Frage“ nicht ohne Gewalt durchzusetzen sei,[56] fasste man, insbesondere die (liberale) Presse, „Eisen und Blut“ als eine angekündigte Gewaltherrschaft auf, die sich auf außenpolitische Abenteuer stürze.[57] Dies hat dazu beigetragen, Bismarcks Ruf als Gewaltpolitiker zu festigen.[58] Bismarck gab in der Folge seinen Schlingerkurs auf und bekämpfte die Liberalen mit aller Schärfe. Das Parlament wurde vertagt. Damit regierte Bismarck im Herbst 1862 ohne ordnungsgemäßen Haushalt. Anfang 1863 wurde das Parlament wieder einberufen. Bismarck rechtfertigte sich mit der berühmt gewordenen, heftig umstrittenen Lückentheorie. Danach basiere das normale staatliche Handeln auf Kompromissen zwischen der Krone, dem Herrenhaus und dem Abgeordnetenhaus. Weigere sich eine der Seiten nachzugeben, komme es zu Konflikten, „und Konflikte, da das Staatsleben nicht stillzustehen vermag, werden zu Machtfragen; wer die Macht in den Händen hat, geht dann in seinem Sinne vor, weil das Staatsleben auch nicht einen Augenblick stillstehen kann.“[59]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1890|31.01.1890]]''' - Als Wilhelm II. während Otto von Bismarcks Abwesenheit beginnt, Pläne für eine eigene Sozialpolitik zu entwickeln, die unter anderem ein breit angelegtes Programm zur Verbesserung des Arbeiterschutzes vorsehen, und Bismarcks Vorlage für ein unbefristetes Sozialistengesetz im Reichstag abgelehnt wird, tritt er von dem für die Sozialpolitik zuständigen Amt des preußischen Handelsministers zurück. <br>
Macht geht vor Recht, Karikatur aus dem Kladderadatsch vom 8. Februar 1863
 
Dahinter stand Bismarcks Voraussetzung, der Fall eines unauflöslichen Dissenses zwischen Monarch und Parlament sei in der Verfassung nicht geregelt. Demnach liege eine Lücke vor, die durch die Prärogative des Königs geschlossen werden müsse. Diese Auslegung der Rechtslage war nach Auffassung vieler Zeitgenossen schlicht ein Verfassungsbruch. Maximilian von Schwerin-Putzar urteilte, dies bedeute, „Macht geht vor Recht.“ Bislang habe die Größe Preußens und die Anerkennung des Königshauses auf dem Grundsatz beruht „Recht geht vor Macht. Justitia fundamentum regnorum! Das ist der Wahlspruch der preußischen Könige, und er wird es fort und fort bleiben.“[60]
 
Um gegen die Liberalen zu mobilisieren, verfolgte Bismarck zeitweilig unterschiedliche Pläne. Dazu gehörte auch ein Bündnis mit der sozialdemokratischen Bewegung. 1863 traf er sich mehrfach mit Ferdinand Lassalle, ohne dass dies damals jedoch praktische Auswirkungen gehabt hätte.
 
Trotz heftiger Proteste – öffentliche Kritik kam sogar vom Thronfolger – und der allgemeinen Erwartung eines Scheiterns der Regierung überlebte Bismarck die Krise politisch. Gegen hohe liberale Beamte, unter ihnen nicht zuletzt Abgeordnete, ging er mit repressiven Mitteln bis hin zu Entlassungen vor. Gleichzeitig wurde die Pressefreiheit in Missachtung der Verfassung praktisch abgeschafft. 1865 forderte Bismarck Professor Rudolf Virchow (ein Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses) zum Duell, das dieser jedoch ablehnte, weil es keine zeitgemäße Form der Auseinandersetzung sei.
 
An der verfahrenen politischen Situation änderte sich freilich nichts. Die Verfassungskrise blieb bis 1866 ungelöst und artete in so etwas wie einen Stellungskrieg aus. Bismarck versuchte, die Opposition zu zermürben. Er regierte mit dem Staatsapparat, und lange Zeit wurde das Parlament gar nicht einberufen. Am 9. Mai 1866 wurde es erneut aufgelöst. Bismarck spielte anfangs selbst mit dem Gedanken eines Staatsstreichs durch Abschaffung von Wahlrecht und Verfassung. Je länger der Konflikt andauerte, desto mehr lehnte er solche Forderungen, die von konservativer Seite erhoben wurden, aber ab, da sie keine langfristig stabile politische Ordnung hervorzubringen versprachen.[61]
 
Bismarck versuchte unterdessen, mit außenpolitischen Erfolgen innenpolitischen Druck auf die Opposition auszuüben. Zunächst ging dieses Kalkül nur sehr bedingt auf. Das erste Abkommen, die Alvenslebensche Konvention vom 8. Februar 1863 zur Unterstützung Russlands gegen den Aufstand in Polen, stieß in Preußen selbst in konservativen Kreisen auf breite Ablehnung. Der Druck von Seiten Großbritanniens und Napoleons III. machte die Konvention überdies wertlos.
 
Österreich sah Bismarck geschwächt und versuchte das zu nutzen, um eine Reform des Deutschen Bundes zu Gunsten der Habsburgermonarchie durchzusetzen. Nur mit Mühe gelang es Bismarck, dem König die Teilnahme an dem geplanten Fürstentag in Frankfurt auszureden. Der Ministerpräsident legte im Gegenzug die preußischen Vorstellungen einer Bundesreform vor. Sie zielten wie schon früher auf gleiche Rechte für Österreich und Preußen. Neu war aber die Forderung nach einer „aus direkter Beteiligung der ganzen Nation hervorgehenden Nationalvertretung.“[62] Dies war nicht mehr und nicht weniger als ein Bündnisangebot Preußens an die Nationalbewegung, die eng mit dem Liberalismus verbunden war. Kurzfristig nützte das Bismarck nichts, da er angesichts des Verfassungskonflikts als Partner für die Liberalen nicht in Frage kam. Die Opposition in Preußen konnte bei den Neuwahlen Ende Oktober 1863 ihre Position behaupten.[63]
 
Deutsch-Dänischer Krieg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
→ Hauptartikel: Deutsch-Dänischer Krieg
 
Die Frage der Bundesreform wurde bald von einer Krise internationaler Größenordnung überdeckt. Nach dem Tod Friedrichs VII. von Dänemark entbrannte ein Streit um die Zukunft der beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein. Schleswig war ein Lehen Dänemarks, während Holstein Mitglied des Deutschen Bundes war. Beide Territorien unterstanden jedoch dem dänischen König in Personalunion (Dänischer Gesamtstaat). Friedrich von Augustenburg beanspruchte die Länder für sich. Die deutsche nationale Bewegung unterstützte ihn und forderte die Vereinigung der beiden Herzogtümer und ihre Eingliederung in den Deutschen Bund als eigenständiger Staat. Der neue dänische König Christian IX., der unter dem Druck der Nationalbewegung im eigenen Land stand, unterschrieb stattdessen zögernd die Novemberverfassung, die Schleswig verfassungsrechtlich näher als Holstein an Dänemark band und somit den Bestimmungen des Londoner Protokolls über den Bestand des Gesamtstaates verletzte.
 
Zur Enttäuschung der nationalen und liberalen Bewegung lehnte Bismarck es ab, den Anspruch Friedrichs von Augustenburg zu unterstützen. Er wandte sich gleichzeitig aber auch gegen die dänische Position und strebte mittelfristig die Einbindung der beiden Herzogtümer in den preußischen Machtbereich an. Dies war zum Zeitpunkt der Krise außenpolitisch allerdings nicht durchsetzbar. Deshalb hegte Bismarck zunächst wie Österreich ein Interesse an einem neuen Augustenburger Staat. Die Österreicher sahen in einer „nationalen Lösung“ der schleswig-holsteinischen Frage eine Gefahr für den eigenen Vielvölkerstaat. Vor diesem Hintergrund konnte es noch einmal zu einer Zusammenarbeit der beiden deutschen Großmächte kommen.
 
Bismarcks Politik in der schleswig-holsteinischen Krise folgte wie auch bei anderen Gelegenheiten keinem festen Plan. Er ging vielmehr davon aus, dass die Umstände denjenigen am meisten begünstigen würden, der sich von ihnen leiten ließ, ihnen Lösungen abgewann und sie ihnen nicht aufzuzwingen versuchte.[64]
 
Bismarck trat zunächst als Verteidiger des bestehenden Völkerrechts auf und forderte von Dänemark, wieder auf den Boden der Londoner Verträge von 1852 zurückzukehren. Dadurch beruhigte er die europäischen Großmächte. Österreich stellte sich an die Seite Preußens. Die übrigen deutschen Staaten im Deutschen Bund und der Bundestag wurden dadurch weitgehend an den Rand gedrängt. Tatsächlich erklärten Bismarck und der österreichische Gesandte Alajos Károlyi in Berlin, dass beide Großmächte das Recht beanspruchen, sich über die Beschlüsse des Bundestages hinwegzusetzen. Damit wurde das Fortbestehen des Bundes erstmals von Preußen und Österreich gemeinsam in Frage gestellt.[65]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1890|15.03.1890]]''' - Nach weiteren Meinungsverschiedenheiten - neben der Sozialpolitik kommt auch Otto von Bismarcks Festhalten an einer Kabinettsordre von 1852, die den Verkehr der einzelnen Minister mit der Krone unter die Kontrolle des Ministerpräsidenten stellt, ins Spiel, - kommt es zum Bruch zwischen Kaiser Wilhelm II. und Bismarck. In einer Unterredung fordert Wilhelm II. Bismarck unmissverständlich zum Rücktritt auf. <br>
Erstürmung der Düppeler Schanzen
 
Der Konflikt um Schleswig und Holstein führte im Dezember 1863 zunächst zu einer Bundesexekution gegen Holstein und Lauenburg und dann -gegen die Proteste des Deutschen Bundes- im Februar 1864 zum Deutsch-Dänischen Krieg zwischen Preußen und Österreich auf der einen und Dänemark auf der anderen Seite. Im Gegensatz zu früheren Kriegen Preußens lag die eigentliche Führung nicht beim König oder den hohen Militärs, sondern beim Ministerpräsidenten, dessen politischem Kalkül die militärischen Schritte untergeordnet wurden. Als sich die Berichte über unüberlegte Befehle des 80-jährigen Oberbefehlshabers General Friedrich von Wrangel häuften und er beim König den Antrag gestellt hatte, Schleswig-Holstein als unabhängige Herzogtümer anzuerkennen, wurde er auf Betreiben Bismarcks abgelöst.[66]
 
Nach dem Sieg Preußens an den Düppeler Schanzen am 18. April 1864 kam es auf der Londoner Konferenz zu ersten Verhandlungen über die Beilegung des Konflikts, die nicht zuletzt am Taktieren Bismarcks scheiterten. Der Krieg ging weiter und die verbündeten Österreicher und Preußen eroberten Jütland. Damit war Dänemark besiegt. Der Krieg endete mit dem Wiener Friedensvertrag vom 30. Oktober 1864. In diesem verzichtete Dänemark auf die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Die zeitweiligen Überlegungen, einen eigenen Bundesstaat unter den Augustenburgern zu bilden, blieben ergebnislos, weil Bismarck versuchte, einen solchen Bundesstaat zu einer Art preußischem Protektorat zu machen. Stattdessen wurden die Herzogtümer der gemeinsamen Verwaltung durch Österreich und Preußen unterstellt. Diese Konstruktion war für Bismarck nur ein Provisorium. Nicht zuletzt auf Grund seines Ziels der alleinigen Kontrolle über die Herzogtümer trat der preußisch-österreichische Gegensatz wieder hervor.[67]
 
Innenpolitisch löste der Erfolg in Dänemark kein Nachgeben der Fortschrittspartei im preußischen Parlament aus. Die Liberalen befanden sich Bismarck gegenüber jetzt aber mit verschiedenen Anträgen in der Defensive, wenn sie z. B. wegen des Verfassungsstreits den Ausbau der Marine ablehnten, der von der Mehrheit sachlich gewollt wurde. In der liberalen Bewegung begannen ehemalige Kritiker des Ministerpräsidenten wie Heinrich von Treitschke, ihre Position zu ändern. Die Liberalen begannen in zwei Lager zu zerfallen: jene, die an der Verbindung zwischen nationaler Einigung und politischer Liberalisierung festhielten, und jene, die das erste Ziel auch unter Hintansetzung des zweiten anstrebten.[68]
 
Deutscher Krieg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
→ Hauptartikel: Deutscher Krieg
 
Nach dem Deutsch-Dänischen Krieg spielte Bismarck noch einige Zeit ernsthaft mit dem Gedanken einer preußisch-österreichischen Übereinkunft unter konservativem Vorzeichen. Als sich zeigte, dass die von Ludwig von Biegeleben bestimmte österreichische Deutschlandpolitik eine Erweiterung der preußischen Macht nicht zuließ, setzte Bismarck auf ein Bündnis mit der liberalen und nationalen Bewegung mit dem Ziel der Schaffung eines kleindeutschen Staates.[69] Allerdings steuerte er keineswegs von Beginn an auf eine kriegerische Auseinandersetzung hin. Vielmehr hielt er sich zunächst mit dem Ziel der alleinigen Kontrolle über Schleswig und Holstein alle Optionen offen. In der Gasteiner Konvention kam es im August 1865 zur Teilung. Holstein wurde österreichisch und Schleswig preußisch verwaltet. Das Herzogtum Sachsen-Lauenburg kam an Preußen. Zum Dank erhielt Bismarck den preußischen Grafentitel.[70] Für ihn war die Auseinandersetzung mit Österreich allerdings nur aufgeschoben.
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1890|18.03.1890]]''' - Otto von Bismarck reicht sein Abschiedsgesuch ein, das so geschickt formuliert ist, dass dem Kaiser die ganze Verantwortung für das Zerwürfnis zufällt. Das Gesuch wird erst unmittelbar nach Bismarcks Tod veröffentlicht werden. <br>
Attentat auf Otto von Bismarck durch Ferdinand Cohen-Blind am 7. Mai 1866
 
Bismarck entschied sich letztlich auch deswegen für einen Krieg, weil er hoffte, so den preußischen Verfassungskonflikt beenden zu können, zeichnete sich doch immer deutlicher eine Spaltung des oppositionellen Lagers ab. Die zentrale Weichenstellung fiel auf einer Kronratssitzung am 28. Februar 1866. Bismarck gelang es, den vor einem „Bruderkrieg“ zurückschreckenden König von der Kriegspolitik zu überzeugen, und er schaffte es, Wilhelm I. in den folgenden Monaten von der Änderung seiner Meinung abzuhalten.
 
Bismarck unternahm nun alles, Österreich zu isolieren und zu provozieren. Er hielt sich aber auch die Möglichkeit offen, den Konfrontationskurs abzubrechen, sollte es zu starke Widerstände der Großmächte geben.[71] Mit Erfolg hielt Bismarck insbesondere Napoleon III. zu einer neutralen Haltung an. Die Unterstützung Italiens sicherte Bismarck sich durch einen befristeten Bündnisvertrag (8. April 1866). Nachdem er erneut die Wahl eines direkt gewählten deutschen Parlaments ins Spiel gebracht hatte, um Österreich zu provozieren, löste er massive Kritik im Lager der preußischen Konservativen aus. Selbst Ludwig von Gerlach distanzierte sich in aller Schärfe von ihm. Die Liberalen hielten Bismarck weiterhin für unglaubwürdig und gingen auf dessen Bündnisangebot nicht ein. Auch in der Öffentlichkeit war ein deutscher Bürgerkrieg höchst unpopulär. Um den Krieg abzuwenden, verübte Ferdinand Cohen-Blind am 7. Mai 1866 sogar ein Pistolenattentat auf Bismarck, was jedoch scheiterte.
 
Als Österreich am 1. Juni 1866 die Entscheidung über die Zukunft Schleswig-Holsteins dem Bundestag übertrug, ließ Bismarck mit dem Argument, dies sei eine Verletzung der Gasteiner Konvention, die preußische Armee in Holstein einmarschieren. Daher beschloss der Bundestag am 14. Juni auf Antrag Österreichs die Mobilmachung des Bundesheeres. Preußen erklärte daraufhin den Bund für aufgelöst, da ein solcher Beschluss unzulässig sei. Es begann am 16. Juni 1866 mit den militärischen Operationen gegen die Königreiche Hannover, Sachsen und gegen Kurhessen. Ein Erfolg der preußischen Armee war keineswegs sicher. Ein Großteil der Zeitgenossen, so auch Napoleon III., rechneten mit einem österreichischen Sieg.[72] Bismarck setzte somit alles auf eine Karte. „Wenn wir geschlagen werden […] werde ich nicht hierher zurückkehren. Ich werde bei der letzten Attacke fallen.“[73]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1890|20.03.1890]]''' - Entlassung Otto von Bismarcks als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident. Bismarck erhält den Titel eines Herzogs von Lauenburg, den zu tragen er sich jedoch weigert. In weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit herrscht Erleichterung über Bismarcks Sturz. Die Öffentlichkeit reagiert mehrheitlich erleichtert auf den Rücktritt. Theodor Fontane schreibt: „Es ist ein Glück, dass wir ihn los sind. Er war eigentlich nur noch Gewohnheitsregente (sic!), tat was er wollte, und forderte immer mehr Devotion. Seine Größe lag hinter ihm.“ Im Ausland hingegen wird der Machtwechsel mit gemischten Gefühlen aufgenommen, da Bismarck als Garant einer friedlichen Außenpolitik gilt. Von Friedrichsruh aus wird der "Alte vom Sachsenwald", wie Bismarck nun genannt wird, unablässig die Politik seines politisch unerfahrenen Nachfolgers General Leo von Caprivi und des Kaisers kommentieren und kritisieren. Er schreibt: „Aber das kann man nicht von mir verlangen, dass ich, nachdem ich vierzig Jahre lang Politik getrieben, plötzlich mich gar nicht mehr damit abgeben soll.“ Anlässlich seines Rücktritts vom Kanzleramt erfolgt die Ernennung Fürst Bismarcks zum Generaloberst der Kavallerie im Rang eines Generalfeldmarschalls. <br>
Otto von Bismarck, Kriegsminister Albrecht von Roon und Generalstabschef Helmuth von Moltke (von links nach rechts)
 
Bismarck war bestrebt, den Krieg selbst unter Kontrolle zu halten. Dies stand im Gegensatz zu den Plänen von Generalstabschef Moltke, der einen unbegrenzten Krieg plante. Die Gefahr, das Militär könnte sich der politischen Führung entziehen, kam dann wegen der Kürze des Feldzuges nicht zum Tragen.[74] Aus verschiedenen Gründen – etwa der Zerstrittenheit der Streitkräfte des Deutschen Bundes, der strategischen Nutzung der Eisenbahn und neuer Taktiken auf dem Schlachtfeld – erwies sich die preußische Armee als überlegen und errang am 3. Juli 1866 in der Schlacht von Königgrätz den entscheidenden Sieg.
 
Während Wilhelm I. und die Militärs darauf drängten, Wien zu erobern und Österreich harte Friedensbedingungen aufzuerlegen, setzte Bismarck gemäßigte Bedingungen durch, da er davon ausging, dass ein geschwächtes Österreich zu einem Bündnis mit Frankreich gezwungen wäre,[75] was zu einem Zweifrontenkrieg gegen Preußen hätte führen können. Im Prager Frieden vom 23. August 1866 brauchte Österreich denn auch keine Gebiete an Preußen abzutreten, musste aber der Abtretung Venetiens an Italien, Auflösung des Deutschen Bundes und der Bildung eines Norddeutschen Bundes unter preußischer Führung zustimmen. Schleswig und Holstein wurden von Preußen ebenso annektiert wie Hannover, Kurhessen, Nassau und die Freie Stadt Frankfurt. Die süddeutschen Staaten blieben zunächst unabhängig.[76]
 
Bismarck erwarb 1867 von der ihm wegen des erfolgreichen Deutschen Krieges bewilligten Dotation in Höhe von 400.000 Talern das Rittergut Varzin.[77] Auf dessen Gemarkung ließ er die Papierfabrik Hammermühle errichten, die sich bald zum größten Unternehmen Ostpommerns entwickeln sollte, sowie weitere Papierfabriken.
 
Ende des preußischen Verfassungskonflikts[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
Der Krieg führte unter anderem dazu, dass die Konservativen ihre Position im preußischen Landtag erheblich ausbauen konnten. Um den Konflikt mit den Liberalen endlich beizulegen, ließ Bismarck ankündigen, er wolle den Landtag um „Indemnität“ bitten, also um die nachträgliche Genehmigung der Ausgaben. Dies bedeutete das Eingeständnis, dass er in den Jahren seit 1862 faktisch ohne rechtmäßigen Haushalt regiert hatte. Bismarck wollte dies aber nicht als Schuldeingeständnis gewertet wissen. Verfassungsrechtlich war die Position der Regierung, so der Historiker Heinrich August Winkler, noch immer unhaltbar.[78]
 
Dennoch lag ein Politikwechsel vor, mit dem niemand gerechnet hatte. Die Frage, wie man das Angebot Bismarcks zu beurteilen habe, führte zur Spaltung der Liberalen. Während die einen argumentierten, von Bismarck seien weitere Fortschritte in der nationalen Frage zu erwarten, meinten andere, liberale Freiheitsrechte müssten Vorrang vor der nationalen Einheit haben. Dieser Konflikt führte zur Abspaltung der gemäßigten und nationalen Liberalen von der Fortschrittspartei und zur Bildung der Nationalliberalen Partei. Ähnliche Veränderungen fanden auch im Lager der Konservativen statt. Von den ideologisch geprägten Altkonservativen um Leopold von Gerlach, die sich schon vor dem Krieg von 1866 von Bismarck abgewandt hatten, trennten sich nunmehr realpolitisch gesinnte Bismarckanhänger und bildeten die Freikonservative Partei. Für seine Politik konnte sich Bismarck in den folgenden Jahren auf Nationalliberale und Freikonservative stützen.[79]
 
„Revolution von oben“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1890|Ende März 1890]]''' - Otto von Bismarck gibt bereits einen Tag nach seinem Rücktritt bekannt, dass er seine Memoiren verfassen wolle. Die Erstellung der Memoiren unterstützt Lothar Bucher, ohne dessen Drängen das Werk wahrscheinlich nie fertiggestellt werden würde. Bucher beklagt später nicht nur Bismarcks rasch nachlassendes Interesse an seinen Memoiren, sondern beschreibt auch, wie der Altkanzler in ihnen Tatsachen absichtlich entstellt: „Bei nichts, was misslungen ist, will er beteiligt gewesen sein, und niemand lässt er neben sich gelten.“ Bald beginnt Bismarck eine äußerst umtriebige Pressepolitik. Insbesondere die „Hamburger Nachrichten“ werden zu seinem Sprachrohr. Bismarck attackiert vor allem seinen Nachfolger Caprivi scharf. Indirekt kritisiert er damit auch den Kaiser, dem er seine Entlassung nicht verzeiht. <br>
Erste Sitzung des konstituierenden Reichstages des Norddeutschen Bundes am 24. Februar 1867; Bismarck steht direkt unterhalb des Pultes des Reichstagspräsidenten
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1891|30.04.1891]]''' - Otto von Bismarck lässt sich auf Initiative des jungen Diederich Hahn im Wahlkreis Neuhaus (Oste), Hadeln, Lehe, Kehdingen, Jork für den ausgeschiedenen Abgeordneten Hermann Gebhard in den Reichstag wählen. Wilhelm II. glaubt kurzzeitig sogar an eine Rückkehr des Altkanzlers in die Politik. Allerdings wird Otto von Bismarck seinen Wahlkreis nie betreten und von seinem Mandat niemals Gebrauch machen. Er erfreut sich an der politischen Unruhe, die seine Wahl auslöst. <br>
„Die Verkleidungen unseres Hofmeisters“ – Karikatur, die auf die Ämterhäufung Bismarcks anspielt. Kladderadatsch, 1867
 
Der Sieg im Deutschen Krieg bewirkte in der deutschen und preußischen Öffentlichkeit einen Wandel in der Beurteilung Bismarcks. Von den Zeitgenossen wurden die Umwälzungen als „Revolution von oben“ wahrgenommen. Bismarck selbst hatte nur mit einer Revolution gedroht, als er fürchtete, Russland würde die Annexionen in Norddeutschland verhindern: „Soll Revolution sein, so wollen wir sie lieber machen als erleiden.“[80] Gegenüber Napoleon III. hatte er bereits früher gesagt: „Revolutionen machen in Preußen nur die Könige.“[81]
 
Bei den Annexionen hat Bismarck sich um das für die Konservativen zentrale Prinzip der monarchischen Legitimität nicht gekümmert. Der Reichstag des neuen Norddeutschen Bundes wurde nach demokratischen Grundsätzen gewählt. Die zentralen Aspekte der Verfassung des Bundes wurden von Bismarck in weiten Teilen selbst bestimmt („Putbuser Diktate“), wenngleich er in den parlamentarischen Beratungen auch einigen Kompromissen zustimmen musste. Die Verfassung, die im Kern auch während des Deutschen Kaiserreichs weiter galt, wird daher auch Bismarcksche Reichsverfassung genannt.
 
Zusammen mit der Position des preußischen Ministerpräsidenten und dem Amt des Außenministers hatte Bismarck als norddeutscher Bundeskanzler nun eine überaus starke Machtstellung inne. Im konstituierenden Reichstag (Februar bis April 1867), dem verfassungsvereinbarenden Gremium, war es den Nationalliberalen zwar gelungen, Bismarck noch einige Zugeständnisse abzuringen. Doch der Militäretat wurde weitgehend dem parlamentarischen Einfluss entzogen. Weder Kanzler noch andere Regierungsmitglieder konnten vom Reichstag zu Fall gebracht werden. Insgesamt ist Bismarck den liberalen Forderungen weit entgegengekommen, er hat aber auch alles dafür getan, zu verhindern, dass aus dem konstitutionellen ein parlamentarisches System werden konnte.[82]
 
Die inneren Veränderungen gingen aber weit über die Verfassung hinaus. Sie umfassten die allgemeine Rechtsordnung, die Wirtschafts- und Sozialverfassung bis hin zur Verwaltungsstruktur. Bei allen Mängeln ist doch bemerkenswert, dass unter der Verantwortung Bismarcks, der kurze Zeit zuvor noch allgemein als Erzkonservativer gegolten hatte, ein für die Zeit sehr modernes Staatswesen entstand. In weiten Bereichen entsprach dieses liberalen Vorstellungen. Die eigentliche Umsetzung lag in anderen Händen. Insbesondere Rudolph von Delbrück war hier eine prägende Persönlichkeit. Dennoch ist Bismarcks persönlicher Einfluss nicht zu unterschätzen. Der Historiker Lothar Gall sieht die endgültige Durchsetzung des modernen bürokratisch-zentralisierten Anstaltsstaates in Mitteleuropa mit den für die Entfaltung der Industriegesellschaft wichtigen Rechtsformen und Institutionen sogar im Wesentlichen als Bismarcks Werk an.[83]
 
Deutsch-Französischer Krieg und Reichsgründung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
Der Weg zum Krieg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
In Fortführung seines funktionalen Verhältnisses zum nationalen Gedanken wurde die Nation nach 1866 für Bismarck als Integrationsfaktor wichtig. Bismarck erkannte, dass die Monarchie und der damit verbundene Staat auf Dauer nur überlebensfähig waren, wenn Preußen sich selbst an die Spitze der nationalen Bewegung stellte.[84] Gleichzeitig war er aus machtpolitischen Gründen bestrebt, die süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bund zu vereinigen. Sein Ziel war nunmehr die Schaffung eines kleindeutschen Nationalstaates unter preußischer Führung.
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1892|1892]]''' - Ein kaiserlicher Erlass, der Otto von Bismarck von fast allen offiziellen Kontakten abschneidet, ruft in der Öffentlichkeit einen Sturm der Entrüstung hervor. Jetzt beginnt ein regelrechter Kult um den "Reichsgründer Bismarck", dessen Verehrung als lebendes Denkmal stetig zunimmt. <br>
Bismarck und sein Stab in Versailles 1871 (rechts neben Bismarck sitzend Graf Hatzfeld und von Keudell, stehend v.l.n.r. Graf Wartensleben, Wellmann, Graf Bismarck-Bohlen, Blanquart, Delbrück (mit Zylinder), Zezulke, Bucher, Wiehr, Abeken, Willisch, Dr. Busch, Taglioni, Wagner und v. Holstein)
 
Zwar wurden mit den süddeutschen Staaten Schutz- und Trutzbündnisse abgeschlossen, aber der Norddeutsche Bund erwies sich nicht als der von Bismarck erhoffte Magnet, der zu einem Anschluss der noch fernstehenden deutschen Länder führte. Die Wahlen zum Zollparlament gewannen in Bayern und Württemberg Gegner eines Anschlusses.
 
Bismarck war der Meinung, dass nur eine äußere Bedrohung die Stimmung in seinem Sinn verändern könnte. Allerdings versuchte er nicht, eine konkrete Bedrohungssituation selbst herbeizuführen. Zwar hielt er es für wahrscheinlich, dass die deutsche Einigung gewaltsam gefördert werden musste, aber „ein willkürliches, nur nach subjektiven Gründen bestimmtes Eingreifen in die Entwicklung der Geschichte hat immer nur das Abschlagen unreifer Früchte zur Folge gehabt; und daß die deutsche Einheit in diesem Augenblick keine reife Frucht ist, fällt meines Erachtens in die Augen.“[85]
 
Außenpolitisch rechnete Bismarck von Seiten Frankreichs mit dem stärksten Widerstand gegen einen deutschen Nationalstaat. In der französischen Öffentlichkeit wurden unter der Losung „Rache für Sadowa“ (Königgrätz) territoriale Forderungen gestellt, die zur Luxemburgkrise führten. Mit der Neutralisierung Luxemburgs wurde das Problem im Mai 1867 gelöst. Bismarck nutzte die Gelegenheit, durch Parlamentsreden und in Presseartikeln die antifranzösische Stimmung noch zu verstärken. Napoleon III. sah den Ausgang des Konflikts als Niederlage an und tat danach alles, um weitere preußische Ambitionen zu unterbinden.[86] Unklar ist, ob Bismarck tatsächlich bereit war, den Erwerb Luxemburgs durch Frankreich zu akzeptieren und nur die Umstände dies verhinderten, oder ob das Ergebnis der Krise seinem bewussten Kalkül entsprang. Unabhängig davon standen sich der Norddeutsche Bund und Frankreich nun in aller Schärfe gegenüber.[87]
 
Ein weiterer Konflikt mit Frankreich entstand Anfang 1870 im Laufe der spanischen Thronfolge-Frage. Bismarck drängte Prinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen zur Kandidatur. Der Prinz entstammte der katholischen Linie der in Preußen regierenden Hohenzollern, was ihn für Frankreich unannehmbar machte. Bismarck ging es zunächst nur darum, einen diplomatischen Sieg zu erringen und sich dabei mehrere Möglichkeiten offen zu halten. Sowohl Bismarck als auch Kaiser Napoleon III. wollte für sich einen Ansehensverlust verhindern, so dass der diplomatische Konflikt zu einer nationalen Frage eskalierte.[88]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1892|Oktober 1892]]''' - Nach dem Tod seines Ghostwriters Bucher bessert Otto von Bismarck an den Manuskripten zu seinen Memoiren noch herum, aber das Werk wird nicht mehr weiterverfolgt. <br>
Napoleon III. und Otto von Bismarck nach der Schlacht von Sedan
 
In Frankreich erzielte die Hohenzollernkandidatur die von Bismarck erhoffte Wirkung, befürchtete man dort doch, künftig von hohenzollerschen Staaten eingekreist zu werden. Die Krise schien durch den Verzicht des Prinzen zunächst entschärft. Wilhelm I. wies jedoch das Verlangen Frankreichs zurück, er solle im Namen des Hauses Hohenzollern auch für alle Zukunft auf ähnliche Kandidaturen verzichten. Der König informierte Bismarck darüber in der sogenannten Emser Depesche.[89] Dieser nutzte die Gelegenheit, redigierte die Depesche so, dass ihr Tenor verschärft wurde und gab sie dann an die Presse weiter. Napoleon III. war damit vor aller Welt brüskiert worden. Angesichts der Reaktionen in der französischen Öffentlichkeit sah er keine andere Wahl mehr, als Preußen den Krieg zu erklären. Damit erschien Frankreich, wie von Bismarck beabsichtigt, als Aggressor. In Deutschland war die öffentliche Meinung nun ganz auf Seiten Preußens und die süddeutschen Staaten sahen den Bündnisfall als gegeben an. Dagegen war Frankreich außenpolitisch völlig isoliert.[90]
 
Krieg und Reichsgründung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
→ Hauptartikel: Deutsch-Französischer Krieg und Deutsche Reichsgründung
 
Der Deutsch-Französische Krieg schien zunächst nach gewohntem Muster eine rasche Entscheidung zu bringen. Infolge der Gefangennahme Napoleons III. bei der Schlacht von Sedan brach das Zweite Kaiserreich zusammen. Zu einem schnellen Friedensschluss kam es allerdings nicht, weil die deutsche Seite, mit Bismarck in führender Rolle, die Abtretung von Elsass-Lothringen zur Bedingung machte. Diese territoriale Forderung wurde auch unter dem Eindruck der öffentlichen Meinung in Deutschland gestellt. Kurzfristig führte dies dazu, dass die neu gebildete französische Regierung den Krieg nicht nur fortsetzte, sondern ihn sogar zu einem nationalen Volkskrieg erhob. Langfristig wurden die deutsch-französischen Beziehungen durch die Elsass-Lothringen-Frage schwer belastet. Die dauerhafte Schwächung Frankreichs entwickelte sich zu einem zentralen Ziel der Bismarckschen Außenpolitik.[91]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1893|1893]]''' - Bei der Reichstagswahl 1893 verzichtete Otto von Bismarck zugunsten Diederich Hahns auf eine erneute Kandidatur. Die Pressepolitik in eigener Sache ist durchaus erfolgreich. Die öffentliche Meinung wendet sich Bismarck verstärkt wieder zu, insbesondere nachdem Wilhelm II. begonnen hat, ihn öffentlich anzugreifen. Für das Ansehen des neuen Reichskanzlers Caprivi geradezu katastrophal wirkt sich dessen Versuch aus, ein Treffen Bismarcks mit Kaiser Franz Joseph von Österreich zu verhindern. Die Reise nach Wien wird zu einem Triumphzug des Altkanzlers, der erklärt, keine Verpflichtungen mehr gegenüber der deutschen Regierung zu haben: „Alle Brücken sind abgebrochen.“ <br>
Gemälde von Anton von Werner: Proklamation Kaiser Wilhelms I. (Gründung des Deutschen Reichs) am 18. Januar 1871 u. a. mit Bismarck (in weißer Kürassieruniform) im Spiegelsaal von Versailles
 
Der Ministerpräsident mischte sich während des Krieges wiederholt in die Entscheidungen der Militärs ein. Dies führte zu heftigen Konflikten mit der militärischen Führung, die ihren Höhepunkt anlässlich der Frage einer Belagerung oder Beschießung von Paris erreichten.[92] Hier setzte Bismarck sich mit seiner Forderung nach einer Beschießung durch.
 
Der Krieg hatte die Gegner der deutschen Vereinigung auch in Süddeutschland in die Defensive gedrängt. Seit Mitte Oktober 1870 verhandelte Bismarck in Versailles mit den Delegationen der süddeutschen Länder. Mit einem Bündnis der deutschen Fürsten und freien Städte sollte nicht zuletzt weitergehenden Vorstellungen des nationalen und liberalen Lagers begegnet werden. Bei den Verhandlungen verzichtete Bismarck auf direkten Druck und argumentierte stattdessen mit den Vorteilen eines solchen Zusammenschlusses. Insgesamt setzte er seine Vorstellungen durch.[93]
 
Als Erste erklärten Baden und Hessen-Darmstadt ihren Beitritt zum Norddeutschen Bund. Württemberg und Bayern machten den Weg zur Gründung des Deutschen Reiches frei, nachdem ihnen Reservatsrechte zugebilligt worden waren. Bismarck selbst verfasste den „Kaiserbrief“, mit dem Ludwig II. von Bayern Wilhelm I. um die Annahme der Kaiserkrone bat.[94] In diesem Zusammenhang bestach Bismarck Ludwig auch mit Mitteln aus dem Welfenfonds.[95] Nur mit Mühe gelang es ihm allerdings, König Wilhelm, der einen Bedeutungsverlust des preußischen Königtums befürchtete, zur Annahme des Kaisertitels zu bewegen.
 
Am 18. Januar 1871 kam es im Spiegelsaal von Versailles zur „Kaiserproklamation“. Sie markierte die Gründung des Deutschen Kaiserreichs. Wenige Tage später kapitulierte Paris. Der Deutsch-Französische Krieg endete am 10. Mai 1871 mit dem Frieden von Frankfurt.
 
Bismarck hatte damit den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn erreicht. Er wurde in den Fürstenstand erhoben und Wilhelm I. machte ihm den Sachsenwald in der Nähe Hamburgs zum Geschenk. Bismarck gehörte nunmehr zu den großen Grundbesitzern des Reiches und war, auch dank der geschickten Verwaltung seiner Gelder durch Gerson Bleichröder, ein reicher Mann. Den Großteil seines Vermögens erwirtschaftete er über den Verkauf des Holzes aus dem Sachsenwald. Sein Hauptabnehmer Friedrich Vohwinkel erwarb zwischen 1878 und 1886 Holz im Wert von mehr als einer Million Mark aus Bismarcks Wäldereien.[96] Bismarck erwarb ein ehemaliges Hotel in Friedrichsruh im Sachsenwald und ließ es umbauen. Nach 1871 wurde Friedrichsruh zum Mittelpunkt seines Privatlebens.[97]
 
Reichskanzler[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
Das neue Kaiserreich übernahm weitgehend die Verfassung des Norddeutschen Bundes. Als Reichskanzler, Vorsitzender des Bundesrates, preußischer Ministerpräsident und Außenminister blieb Bismarck so der dominierende Politiker. Darüber hinaus konnte er auf sein ungeheures Prestige als Gründer des Reiches bauen. Dieses wog auch gegenüber Wilhelm I. schwer, sodass Bismarck seinen Willen gegenüber dem Deutschen Kaiser meist durchsetzen konnte. Wilhelm klagte daher: „Es ist nicht leicht unter einem solchen Kanzler Kaiser zu sein.“[98]
 
Siehe auch: Kabinett Bismarck
 
Familie und Lebensweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
 
 
 
 
Menü
 
 
 
 
 
 
 
 
 
0:00
 
 
 
 
 
Die einzige bekannte Aufnahme der Stimme Bismarcks aus dem Jahr 1889. Er rezitiert Teile des englischen Lieds In Good Old Colony Times, der Ballade Schwäbische Kunde von Ludwig Uhland, des Liedes Gaudeamus igitur und der Marseillaise; dann richtet er einen Rat an seinen Sohn.[99]
 
So sehr Bismarck auch von Leidenschaft zur Politik und der Liebe zur Macht durchdrungen war, so sehr sehnte er sich gleichzeitig nach einer Befreiung von dieser Last. Bereits 1872 klagte er: „Mein Öl ist verbraucht, ich kann nicht mehr.“[100] Bismarck war in den Jahren seiner Kanzlerschaft nicht nur psychisch belastet, sondern auch körperlich stark angeschlagen. Immer öfter musste er sich deswegen teilweise für Monate auf seine Güter zurückziehen. Bismarck trank und aß im Überfluss. Er wurde immer dicker und wog 1879 247 Pfund, bei einer Körpergröße von 1,90 Meter. Er litt unter zahlreichen teils chronischen Krankheiten wie Rheuma, Venenentzündungen, Verdauungsstörungen, Hämorrhoiden und vor allem unter Schlaflosigkeit, hervorgerufen durch Völlerei. Neben dem Konsum von Alkohol und Tabak berichteten Zeitgenossen wie die Baronin Hildegard von Spitzemberg auch von der Einnahme von Morphium.[101] Erst Ernst Schweninger, sein neuer Arzt, konnte ihn in den 1880er-Jahren zu einer gesunden Lebensweise überreden. Zuvor litt er unter Gesichtneuralgien, weshalb er sich vor Schweningers Behandlung einen Vollbart wachsen ließ, damit er sich nicht rasieren musste.[102]
 
Im privaten Leben Bismarcks spielte die Familie eine große Rolle. Aber auch in diesem Bereich setzte er stets seinen Willen durch. Als sein Sohn Herbert von Bismarck 1881 die geschiedene Fürstin Elisabeth zu Carolath-Beuthen heiraten wollte – eine Katholikin, die mit zahlreichen Bismarck-Gegnern, etwa Marie Gräfin Schleinitz, verwandt und verschwägert war – verhinderte Bismarck dies letztlich, indem er ihm erst mit Enterbung, dann mit Selbstmord drohte. Herbert fügte sich, war seither aber ein verbitterter Mann.[103]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1894|1894]]''' - Kaiser Wilhelm II. bemüht sich um eine öffentlichkeitswirksame Aussöhnungsgeste. Mehrere Treffen mit Otto von Bismarck werden positiv aufgenommen, eine wirkliche Entspannung bringt dies aber nicht. Wie gering Bismarcks Ansehen im Reichstag ist, zeigt die gescheiterte Kampfabstimmung um ein Glückwunschtelegramm anlässlich seines achtzigsten Geburtstags. Daraufhin machen ihn etwa 400 deutsche Städte zum Ehrenbürger, darunter die Mitglieder der im Entstehen begriffenen Städteverbände in geschlossener Form, so der badische, der Thüringer und der sächsische. <br>
Bismarck war 1866 zum Generalmajor, 1871 zum Generalleutnant und 1876 zum General der Kavallerie ernannt worden. 1890 erfolgte anlässlich seines Rücktritts die Ernennung zum Generaloberst der Kavallerie im Rang eines Generalfeldmarschalls.
 
Außenpolitik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
Die deutsche Reichsgründung veränderte die europäischen Machtverhältnisse grundlegend. Das neue Reich stand zunächst außerhalb der Pentarchie, die sich in den letzten hundert Jahren herausgebildet hatte, besaß es doch eine gänzlich andere machtpolitische Qualität als das recht kleine Preußen. Daher galt das Reich als Störenfried der internationalen Ordnung.[104] Nach einem längeren Lernprozess erkannte Bismarck, dass das allgemeine Misstrauen der übrigen Staaten gegenüber Deutschland nur durch Selbstbeschränkung und den Verzicht auf weitere territoriale Gewinne abgebaut werden konnte. Er versicherte daher, dass das Reich saturiert sei. „Wir verfolgen keine Macht-, sondern eine Sicherheitspolitik“, bekräftigte er 1874.[105]
 
Ein Grundziel von Bismarcks Außenpolitik blieb es, Frankreich zu schwächen. Um dies zu erreichen, bemühte er sich um gute Beziehungen zu Österreich und zu Russland, ohne dabei eine Seite zu präferieren. Ergebnis dieser Strategie war das Dreikaiserabkommen von 1873. Wie schwierig es für das Deutsche Reich jedoch war, seine neue Position auf Kosten Frankreichs zu festigen, zeigte bereits 1875 die weitgehend von Bismarck selbst provozierte „Krieg-in-Sicht-Krise“. Der Versuch Bismarcks, eine deutsche Hegemonialpolitik gegenüber Frankreich durchzusetzen, scheiterte.[106]
 
Auch wenn Bismarck dem wiedererstarkten Frankreich lediglich drohen wollte und nicht wirklich einen Krieg plante, war die Krise für ihn lehrreich. Sie zeigte, dass eine Annäherung zwischen Frankreich und Russland nicht grundsätzlich ausgeschlossen war. Die Möglichkeit eines Bündnisses zwischen beiden bereitete ihm für den Rest seiner Amtszeit Sorge. Aber auch England hatte deutlich gemacht, dass es einen weiteren Machtzuwachs Deutschlands nicht akzeptieren werde. Im Zweifelsfall arbeiteten die europäischen Flügelmächte zusammen, um eine Störung des machtpolitischen Gleichgewichts zu verhindern.[107]
 
Bismarcksches Bündnissystem[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
→ Hauptartikel: Bündnispolitik Otto von Bismarcks
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1894|27.11.1894]]''' - Johanna von Bismarck geborene von Puttkamer (* 11.04.1824 auf Viartlum) stirbt im Alter von 70 Jahren in Varzin in Pommern (heute Warcino). Johanna von Bismarck war seit 47 Jahre mit dem ehemaligen Reichskanzler Otto von Bismarck verheiratet. Die Hochzeit fand am 28. Juli 1847 in Reinfeld statt, ein Jahr später gebar sie ihr erstes Kind, Marie (* 21. August 1848; 1878 Heirat mit Graf Kuno zu Rantzau), und im Dezember 1849 ihr zweites Kind, Herbert, und 1852 ihr drittes Kind Wilhelm. Nach dem Tode der Fürstin ordnete Bismarck an, dass seine Gefährtin ihre letzte Ruhe an der Stätte ihres Todes finden sollte, wo das Paar viele Sommer und Winter verlebt hatte. Ein kleines Gartenhaus, das ein Lieblingsplatz der Fürstin war, wurde zu einer einfachen Grabkapelle umgewandelt, und hier wurde der Sarg beigesetzt. <br>
Berliner Kongress, Gemälde von Anton von Werner; vorn mittig: Otto von Bismarck
 
Vor allem aus der Krieg-in-Sicht-Krise zog Bismarck den Schluss, dass für das Reich eine defensive Politik die einzig realistische Alternative sei. Durch seine Lage in der Mitte Europas drohte dem Reich, in einen großen europäischen Krieg mit einbezogen zu werden. Bismarck entwickelte vor diesem Hintergrund ein diplomatisches Konzept, das darauf abzielte, die Spannungen zwischen den Großmächten an die Peripherie zu verlagern, um so die Mitte Europas vor Kriegen zu bewahren. Zum ersten Mal zum Tragen kam dieses Konzept bei der Balkankrise zwischen 1875 und 1878. Bismarck förderte dabei einerseits die Spannungen zwischen den Mächten, verhinderte aber gleichzeitig, dass die Konflikte außer Kontrolle gerieten. Seine außenpolitische Strategie fasste er 1877 im Kissinger Diktat zusammen. Dabei ging er von „einer politischen Gesamtsituation [aus], in welcher alle Mächte außer Frankreich unser bedürfen, und von Koalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zueinander nach Möglichkeit abgehalten werden.“[108]
 
Während des Berliner Kongresses zur Beendigung der Balkankrise präsentierte sich Bismarck 1878 als „ehrlicher Makler“. Dies verstärkte zwar sein außenpolitisches Prestige auch im Ausland, es zeigten sich aber auch sofort die Grenzen seines Konzepts. Zar Alexander II. machte Bismarck dafür verantwortlich, dass Russlands Erfolge eng begrenzt blieben. Dies führte dazu, dass Bismarck die Zusammenarbeit mit Österreich forcierte. Dies wiederum mündete im Zweibundvertrag von 1879. Aus diesem Defensivbündnis gegenüber Russland wurde eine dauerhafte Allianz, die die Außenpolitik während des gesamten Kaiserreichs prägen sollte. Bismarck selbst stilisierte die Verbindung als eine Art zeitgemäße Neuausgabe des Deutschen Bundes und als „Bollwerk des Friedens über lange Jahre hinaus. Populär bei allen Parteien, exklusive Nihilisten und Sozialisten.“[109]
 
Bismarck gelang es aber auch, die Spannungen zwischen Deutschland und Russland abzubauen und 1881 das Dreikaiserbündnis abzuschließen. Damit war eine enge Verbindung Russlands mit Frankreich zunächst verhindert worden. Das Bündnissystem wurde 1882 durch den Dreibund zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien, sowie 1883 durch den Anschluss Rumäniens an den Zweibund ergänzt.[110]
 
Imperialistische Episode[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1895|23.03.1895]]''' - Wegen der anhaltenden Kritik Otto von Bismarcks an der Politik des Reichskanzlers und des Parlaments lehnt die Reichstagsmehrheit eine Glückwunschadresse zu Bismarcks 80. Geburtstag ab. <br>
„Die neue Crinoline. Bismarck schneidert der unwilligen Germania einen modischen Kolonialreifrock.“ Holzschnitt von Gustav Heil für die Satirezeitschrift „Berliner Wespen“ vom 13. März 1885
 
Mitte der 1880er-Jahre schien Bismarck die diplomatische Absicherung des Reichs erfolgreich abgeschlossen zu haben. Das Konzept der Saturiertheit wurde jedoch durch die imperialistischen Tendenzen der Zeit immer mehr in Frage gestellt. Bismarck selbst war eigentlich Gegner kolonialer Erwerbungen.
 
Auch in Deutschland bildete sich eine imperialistische Bewegung, die auf den Erwerb von Kolonien drängte. Deren Druck konnte sich Bismarck nicht auf Dauer entziehen. Verschiedene innen- und außenpolitische Gründe führten zu einem Sinneswandel des Reichskanzlers. Dabei spielte auch die von ihm gefürchtete Thronübernahme des liberalen, englandfreundlichen Kronprinzen Friedrich Wilhelm eine Rolle. Da der Erwerb von Kolonien die Beziehungen zu Großbritannien verschlechtern musste, habe die Kolonialpolitik, „nur den Zweck, einen Keil zwischen den Kronprinzen und England zu treiben.“[111] Bismarck schien 1884 schließlich zur Überzeugung gekommen, dass eine erfolgreiche Kolonialpoilitk doch mehr Chancen, als Risiken berge.[112]
 
1884 und 1885 kam es zum Erwerb mehrerer Territorien in Afrika und im Stillen Ozean. Da sich die innenpolitischen Konstellationen in Frankreich und Großbritannien änderten, verlor Bismarck jedoch schnell das Interesse an deutscher Kolonialpolitik. Sie blieb zunächst eine Episode.[113] Gegenüber dem Kolonialverfechter Eugen Wolf äußerte Bismarck 1888: „Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön, aber meine Karte von Afrika liegt in Europa. Frankreich liegt links, Russland liegt rechts, in der Mitte liegen wir. Das ist meine Karte von Afrika.“[114][113] Jedoch hatte Bismarck ungewollt Kräfte freigesetzt, die sich in der Wilhelminischen Zeit nicht mehr beherrschen lassen sollten.[115]
 
Krise des Bündnissystems[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
In der zweiten Hälfte der 1880er-Jahre wurde Bismarcks außenpolitisches System zunehmend bedroht. Ab 1886 nahmen in Frankreich die revanchistischen Tendenzen zu. Zeitweilig drohte ein französisch-russisches Bündnis und damit die Gefahr eines Zweifrontenkriegs für das Deutsche Reich. Bismarck bauschte die Krise mit Frankreich allerdings auf, um seine innenpolitischen Pläne zur Heeresverstärkung durchsetzen zu können.
 
Fast zeitgleich entstand eine neue Balkankrise. Bismarck versuchte vergeblich, die Spannungen zwischen den beiden Kontrahenten Österreich und Russland auszugleichen. Das Dreikaiserbündnis zerbrach. In Russland nahmen daraufhin die Stimmen für ein Bündnis mit Frankreich weiter zu. Probleme durch die Schutzzollpolitik Bismarcks verschärften die Situation. In Deutschland plädierten einflussreiche Persönlichkeiten aus Militär und Diplomatie wie Friedrich von Holstein, Helmuth Karl Bernhard von Moltke und Alfred von Waldersee für einen Präventivkrieg gegen Russland. Bismarck lehnte solche Ideen strikt ab. Er hielt den Krieg weiter für vermeidbar. Als Macht- und Realpolitiker spielten nationalistische und sozialdarwinistische Vorstellungen für ihn keine Rolle.
 
Zwar war Bismarcks altes Bündnissystem zerbrochen, doch konnte er die Krise noch einmal entschärfen. Auf dem Balkan weigerte er sich, für England und Österreich „die Kastanien aus dem Feuer zu holen.“[116] Ohne mit Österreich zu brechen, gelang es ihm, einen offenen Krieg zu verhindern. Im Februar 1887 war Bismarck im Hintergrund am Zustandekommen der Mittelmeerentente zwischen Großbritannien, Österreich und Italien beteiligt. Ihr Ziel war es, den russischen Expansionsdrang zu begrenzen. Kurze Zeit später schloss Bismarck mit Russland den Rückversicherungsvertrag ab, um Russland erneut an Deutschland zu binden.[117]
 
Innenpolitik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
Die liberale Ära und der Kulturkampf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1895|01.04.1895]]''' - Zu seinem 80. Geburtstag erreicht der Bismarck-Kult einen vorläufigen Höhepunkt: Über 450 Städte verleihen Otto von Bismarck die Ehrenbürgerschaft, 9.875 Telegramme und 450.000 Briefe werden vom Postamt in Friedrichsruh ausgeliefert, Tausende pilgern zu Bismarcks Ruhesitz. <br>
Bismarck in der Interimsuniform des Kürassier-Regiment Nr. 7 (im Kriegsjahr 1870). 1868 war er dort a la suite gestellt worden, 1894 wurde er dessen Chef
 
Wie schon in der Zeit des Norddeutschen Bundes beruhte die Innenpolitik des Deutschen Reiches in den ersten Jahren auf einer Zusammenarbeit Bismarcks mit den Freikonservativen und den Nationalliberalen. Diese übten einen erheblichen Einfluss auf die Vereinheitlichung, Gestaltung und Modernisierung der Wirtschafts- und Rechtsordnung aus, sowohl im Reich wie auch teilweise in Preußen. Bismarck scheute dabei auch zeitweise nicht vor einem Konflikt mit den Konservativen zurück. Als das preußische Herrenhaus sich 1872 weigerte, einer Reform der Kreisordnung zuzustimmen, veranlasste Bismarck Wilhelm I. dazu, zusätzliche Herrenhausmitglieder zu ernennen, um mit Hilfe dieses „Pairsschubes“ das Gesetz durchzubringen. Die Empörung bei den Konservativen war groß und Roon sprach gar von einem Staatsstreich.[118] Dies führte zum Rücktritt Bismarcks vom Posten des preußischen Ministerpräsidenten zu Gunsten Roons. Da dieser sich dem Amt jedoch nicht gewachsen zeigte, übernahm es Bismarck nach kurzer Zeit wieder selbst.[118]
 
Auf verschiedenen Feldern zeigten sich bald schon erste Grenzen der Zusammenarbeit Bismarcks mit den Liberalen. Zum wichtigsten Streitpunkt wurde ab 1873 der Bereich der Militärorganisation, um den es heftige Auseinandersetzungen gab. Auf den von Bismarck geforderten faktischen Verzicht des Parlaments auf Kontrolle des Militärhaushaltes („Äternat“) konnten sich die Nationalliberalen nicht einlassen. Eine Lösung brachte 1874 ein Kompromissvorschlag von Johannes Miquel. Danach wurden die Ausgaben für jeweils sieben Jahre bewilligt („Septennat“). Trotz dieses relativen Erfolgs hatte Bismarck den Liberalen die Grenzen seiner Kooperationswilligkeit deutlich gemacht, obwohl diese ihm de facto acht Jahre Handlungsfreiheit gaben. Gleichzeitig stärkte die grundsätzliche Einigung mit dem Parlament Bismarcks Stellung gegenüber dem Militär.[119]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1896|24.10.1896]]''' - Otto von Bismarck enthüllt in den "Hamburger Nachrichten" den von 1887 bis 1890 bestehenden geheimen deutsch-russischen Rückversicherungsvertrag und zieht damit noch einmal die Aufmerksamkeit der deutschen und internationalen Presse auf sich. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich immer deutlicher und bald ist er auf einen Rollstuhl angewiesen. <br>
Karikatur von Wilhelm Scholz zur Beendigung des Kulturkampfes. Papst Leo XIII. und der Reichskanzler fordern sich gegenseitig zum Fußkuss auf. Bildunterschrift: Pontifex: „Nun bitte, genieren Sie sich nicht!“ Kanzler Bismarck: „Bitte gleichfalls!“ Aus: Kladderadatsch, Nr. 14/15 (18. März 1878)
 
Nationalliberale und Bismarck stimmten in ihrer Gegnerschaft zu einer katholischen Partei überein. Für Bismarck spielte dabei auch eine Rolle, dass mit der 1870 gegründeten Zentrumspartei eine seinem Einfluss entzogene, im Kern konservative, katholische Partei entstanden war. Das Zentrum schaffte eine Klammer zwischen katholischer Arbeiterschaft, Honoratioren und Kirche. Bismarck reduzierte es konsequent auf den von ihm gefürchteten Ultramontanismus.[120] Tatsächlich wurde das Zentrum in den ersten Reichstagswahlen von 1871 auf Anhieb zweitstärkste Kraft. Damit sank der Wahlerfolg der Nationalliberalen insbesondere im katholisch-bürgerlichen Lager. Der Kulturkampf hatte für Bismarck zwar vor allem politische Gründe, doch er sah in Ludwig Windthorst, dem herausragenden Politiker der Zentrumspartei, einen persönlichen Gegner: „Mein Leben erhalten und verschönern zwei Dinge, meine Frau und Windthorst. Die eine ist für die Liebe da, der andere für den Haß.“[121]
 
Bismarck stilisierte die Katholiken zu Reichsfeinden – auch um aufziehender Kritik an seiner Amtsführung entgegenzuwirken. Ab 1872 wurden im Rahmen des sogenannten Kulturkampfes verschiedene Sondergesetze gegen die Katholiken beschlossen und wiederholt verschärft. Im Zuge dieser Auseinandersetzung wurden Rechte und Machtstellung der Kirche durch Reichs- und preußische Landesgesetze beschnitten (Kanzelparagraph, Brotkorbgesetz), aber auch die Zivilehe eingeführt. In diesem Zusammenhang äußerte Bismarck am 14. Mai 1872 vor dem Reichstag: „Seien Sie außer Sorge, nach Kanossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig.“[122]
 
Die erste, harte Etappe des Kulturkampfes endete 1878.[123] In diesem Jahr starb Pius IX., sein Nachfolger Leo XIII. signalisierte Verständigungsbereitschaft, an der Bismarck gelegen war, um das Zentrum auszubooten.[124] Eine direkte Verhandlung mit dem Heiligen Stuhl schadete der Partei und verringerte ihr Ansehen bei der katholischen Bevölkerung. Zudem hatte der Kanzler nicht das geschafft, was er vorgehabt hatte. Die katholische Basis und die katholische Partei ließen sich nicht spalten, vielmehr wurde durch die staatlichen Angriffe die Bildung eines katholischen Milieus gefördert. Darüber hinaus unterstützte die katholische Presse die Partei, die zunehmend Mandate im Reichstag gewann.[125] Ein letzter Grund für Bismarck ergab sich aus dem letztlich vollzogenen Bruch mit den Nationalliberalen. Er lotete die Möglichkeit aus, das Zentrum in seine Politik einzubauen und somit eine „blau-schwarze Koalition“ mit den Konservativen zu bilden.[126]
 
Der Kulturkampf endete im April 1887 mit dem zweiten Friedensgesetz.[127] Bis dahin trugen beide Seiten zur Deeskalation bei. Eine Folge des Kulturkampfes bis heute sind die Zivilehe und die staatliche Schule. Für die zukünftige Politik Bismarcks nicht unwichtig war, dass Windthorst keineswegs ein ultramontaner Eiferer war. Er war zwar preußenkritisch, aber eben auch pragmatisch und konstitutionell ausgerichtet, was Bismarck neue politische Optionen eröffnete.[128]
 
Kanzlerkrise und politische Wende[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
Die Basis der Zusammenarbeit von Bismarck mit den Liberalen wurde immer schwächer. Mit Aufzug der Gründerkrise begannen zahlreiche Großgrundbesitzer und Industrielle, Forderungen nach Schutzzöllen zu erheben. Bismarck hoffte, dass die Wirtschaftspolitik zur Spaltung der Liberalen führen würde. Obwohl er sich öffentlich nicht zu diesem Thema äußerte, ermutigte er die Interessenvertreter zur Abspaltung, die dann auch vollzogen wurde. In der neu gegründeten Deutschkonservativen Partei sah Bismarck einen möglichen Bündnispartner; das Parteiprogramm wurde mit ihm persönlich abgestimmt.[129] Zum Vorzeichen des aufziehenden Konflikts mit den Liberalen wurde 1876 der Rücktritt Rudolph von Delbrücks vom Amt des Präsidenten des Reichskanzleramtes. Delbrück hatte als Verkörperung der Zusammenarbeit Bismarcks mit den Liberalen sowie als Hauptvertreter des Wirtschaftsliberalismus gegolten.
 
In Hinblick auf den erwarteten baldigen Thronwechsel stellten die Liberalen für Bismarck eine Gefahr dar. Unter einem Kaiser Friedrich III. stand der Wechsel zu einer liberalen Regierung zu erwarten – nach dem Vorbild der britischen Regierung unter Premierminister William Ewart Gladstone. Bismarck versuchte 1877 Albrecht von Stosch, den Chef der Marine, auszuschalten, da dieser als möglicher Kanzler des künftigen Kaisers galt. Als dies scheiterte, drohte Bismarck mit dem eigenen Rücktritt und zog sich zeitweise auf sein Gut in Varzin zurück. Der Versuch, von dort aus die Nationalliberalen mit Angeboten – etwa ein Ministeramt für Rudolf von Bennigsen – und Zugeständnissen für seine Politik zu gewinnen, war nicht erfolgreich. Ihm wurden Gegenforderungen präsentiert, die seinen Plänen zuwiderliefen, den Parlamentarismus einzudämmen. Daraufhin entschloss er sich zum Bruch mit den Nationalliberalen.[130]
 
Mit der Forderung der Nationalliberalen, die Reichsverfassung in einem stärker parlamentarischen Sinne umzugestalten, war eine Grenze erreicht worden, die Bismarck nicht zu überschreiten bereit war. Im Reichstag erklärte er diesbezüglich 1879: „Eine Fraktion kann sehr wohl die Regierung unterstützen und dafür einen Einfluss auf sie gewinnen, aber wenn sie die Regierung regieren will, dann zwingt sie die Regierung, ihrerseits dagegen zu reagieren.“[131] Angesichts der gegenseitigen politischen Blockade sah sich Bismarck zu einer Flucht nach vorn gezwungen. In einer Reichstagsrede kündigte er am 22. Februar 1878 einen innenpolitischen Kurswechsel an. Das dabei von ihm angedeutete Ziel eines staatlichen Tabakmonopols widersprach zentralen wirtschaftsliberalen Prinzipien. Über den konkreten Anlass hinaus fassten die dem Liberalismus nahestehenden Regierungsmitglieder dies als einen ersten Schritt hin zu einer grundlegend veränderten Wirtschaftspolitik auf. Heinrich von Achenbach und Otto von Camphausen legten ihre Ämter nieder. An ihre Stelle traten Personen, die in den Parteien kaum verankert waren und nur geringes politisches Gewicht besaßen.[132]
 
Sozialistengesetz und Schutzzoll[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1898|30.07.1898]]''' - Die Erkrankungen Otto von Bismarcks an Altersbrand und anderen Gebrechen, die er gegenüber der Öffentlichkeit und sogar gegenüber seiner Familie verschwieg, führen zu seinem Tod. Unmittelbar nach seinem Ableben entsteht durch zwei Paparazzi die Fotografie von Bismarck auf dem Sterbebett. Als Bismarck stirbt, befindet sich Kaiser Wilhelm II. im Zuge seiner Sommerreise in Norwegen auf der kaiserlichen Yacht Hohenzollern. <br>
Reichsgesetzblatt vom 21. Oktober 1878 mit dem Text des „Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“
 
Seit der Rede von August Bebel im Reichstag am 25. Mai 1871[133] zu Gunsten der Pariser Kommune sah Bismarck in den Sozialdemokraten eine revolutionäre Bedrohung. Schon damals skizzierte er seine zukünftige Politik so: „1. Entgegenkommen gegen die Wünsche der arbeitenden Klassen, 2. Hemmung der staatsgefährlichen Agitation durch Verbots- und Strafgesetze.“[134]
 
Nach Bismarcks Ansicht verstärkten die sozialen Auswirkungen der Gründerkrise die revolutionäre Gefahr. Zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I. im Jahr 1878 dienten Bismarck als willkommener Anlass, mit einem Sozialistengesetz gegen die Sozialistische Arbeiterpartei vorzugehen. Er wollte einen „Vernichtungskrieg führen durch Gesetzesvorlagen, welche die sozialdemokratischen Vereine, Versammlungen, die Presse, die Freizügigkeit (durch die Möglichkeit der Ausweisung und Internierung) […] träfen.“[135]
 
Über den Kampf gegen die Sozialdemokratie hinaus, boten die Attentate für Bismarck aber auch die Gelegenheit, angesichts einer fehlenden parlamentarischen Unterstützung wieder in die politische Offensive zu gehen und zu neuen Mehrheiten zu kommen. Ein erster Gesetzentwurf scheiterte an der überwältigenden Mehrheit des Reichstags. Nach dem zweiten Attentat ließ Bismarck das Parlament auflösen. Er wollte wieder die Rückendeckung der Nationalliberalen gewinnen und darüber hinaus die Regierungsbasis weiter nach rechts verschieben. Nach der Wahl waren die beiden konservativen Parteien zusammen stärker als die Nationalliberalen.[136]
 
Im neuen Reichstag stimmten schließlich auch die Nationalliberalen, nach einigen Zugeständnissen, dem Sozialistengesetz zu. Es blieb, mehrfach vom Parlament verlängert, bis 1890 in Kraft. Dieses Ausnahmegesetz verbot die sozialistische Agitation, während die politische Arbeit der sozialdemokratischen Parlamentarier davon unberührt blieb. Letztlich verfehlte das Gesetz seinen Zweck und trug ungewollt zur Verfestigung eines sozialistischen Milieus bei, denn erst jetzt setzte sich die marxistische Theorie wirklich durch. Bemerkenswert ist, dass Bismarck dem Thema später in seinen Gedanken und Erinnerungen kein einziges Wort widmete.
 
Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise wurde im Jahr 1878 der Ruf von Großgrundbesitzern und Schwerindustriellen nach Schutzzöllen lauter. Als sich für diese Forderung eine Mehrheit im Reichstag abzeichnete, sprach sich auch Bismarck, der auf erhöhte Staatseinnahmen hoffte, im so genannten „Weihnachtsbrief“ vom 15. Dezember 1878 für eine Verbindung von Steuerreform und Schutzzollpolitik aus. Dem stimmten letztlich nur wenige Nationalliberale zu. Bismarck stützte sich stattdessen auf die Deutschkonservative Partei, auf die Freikonservativen und auf das Zentrum. Die liberale Ära war damit beendet. Bismarck betonte nunmehr die Bedeutung des Obrigkeitstaates als Garanten der nationalen Einheit und setzte auf eine nationalkonservative Sammlungsbewegung unter Einschluss des Zentrums. Eine feste parlamentarische Basis, wie sie zuvor die Nationalliberalen gestellt hatten, bot diese Parteienkonstellation allerdings nicht. Viele politische Initiativen Bismarcks blieben daher in den folgenden Jahren ergebnislos.[137]
 
Der Übergang vom Freihandel zum Protektionismus vollzog sich in den folgenden Jahren in mehreren Schritten. Bismarck hoffte, aus seinem Eingehen auf die Wünsche der Verbindung von „Roggen und Eisen“ politisches Kapital schlagen zu können, um die konservative Basis des Reiches auszubauen und seine eigene Position zu festigen.[138]
 
Sozialgesetzgebung und Staatsstreichpläne[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
Angesichts seiner schwierigen parlamentarischen Situation versuchte Bismarck, die bisherige Bedeutung der Parteien zurückzudrängen. Das Feld der Auseinandersetzung sollte die Sozial- und Wirtschaftspolitik werden. Daher übernahm er 1880 selbst das Amt des Handelsministers, das er bis 1890 bekleidete. Um Einfluss auf die Wirtschaftsgesetzgebung zu nehmen, versuchte er einen Volkswirtschaftsrat aus Vertretern der Wirtschaftsverbände zu etablieren, mit dem das Parlament umgangen werden sollte. Dies scheiterte allerdings am Widerstand der Parteien.[139]
 
Hauptziel von Bismarcks Sozialpolitik war, eine stärkere Staatsbindung zu erzeugen. Die Parteien sollten dabei von ihrer Basis getrennt werden. Bismarck verschleierte sein eigentliches Ziel des Machterhalts dabei keineswegs.[140] Geplant war zunächst nur eine Unfallversicherung, später kamen Versicherungen gegen Krankheit, Invalidität und Altersarmut hinzu.[141] Diese sollten weitgehend staatlich kontrolliert sein – zeitweise sprach Bismarck sogar von Staatssozialismus. Er wollte so „in der großen Masse der Besitzlosen die konservative Gesinnung erzeugen, welche das Gefühl der Pensionsberechtigung mit sich bringt.“[142]
 
„Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte“
 
– Otto von Bismarck: Gesammelte Werke (Friedrichsruher Ausgabe) 1924/1935, Band 9, S. 195/196
 
Nicht die Versicherungen an sich, aber Bismarcks persönliche Motive stießen auf heftigen Widerstand. Letztlich strich das Parlament aus der Gesetzesvorlage zur Unfallversicherung alle „staatssozialistischen“ Elemente heraus. Bismarcks Kalkül, nach einer Reichstagsauflösung die Wähler mit der Parole eines „sozialen Königtums“ und mit antiparlamentarischen Tönen zu überzeugen, ging nicht auf. Insbesondere die Linksliberalen gewannen bei der Reichstagswahl am 27. Oktober 1881 deutlich hinzu. Bismarck dachte danach kurzzeitig an Rücktritt, entschied sich aber dagegen und deutete sogar Staatsstreichpläne an.
 
Anstelle der ursprünglich geplanten Reichsanstalt setzte er später die Berufsgenossenschaften durch. Gedacht als neokorporativer Zusammenschluss jenseits der Parteien, wurden die Genossenschaften von den Unternehmern dominiert. Entgegen dem ursprünglichen Ziel gewannen in ihnen die Vertreter der Rechtsparteien an Gewicht. Die Krankenversicherung wurde dagegen von der Selbstverwaltung der Arbeiter dominiert; Sozialdemokraten dominierten viele der Allgemeinen Ortskrankenkassen.
 
Mit der Sozialgesetzgebung schuf Bismarck einen Pfeiler des modernen Sozialstaats; seine machtpolitischen Ziele erreichte er aber nicht. Der Versuch, der Sozialdemokratie die „Wurzeln abzugraben,“ schlug mittelfristig ebenso fehl wie das Vorhaben, den Obrigkeitsstaat zu Lasten der Parteien auszubauen. Bismarcks Interesse an der Sozialgesetzgebung ließ nach: Die Alters- und Invalidenversicherung von 1889 wickelte er geschäftsmäßig ab.[143]
 
Protektionismus und Nationalismus als innenpolitische Instrumente[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
Bismarck und Innenminister Robert von Puttkamer gelang es, die preußischen Beamten auf eine bedingungslose Unterstützung der Regierungspolitik zu verpflichten. Zugute kam Bismarck, dass sich innerhalb der Nationalliberalen, unter Führung von Johannes Miquel, die Vertreter eines protektionistischen und staatsnahen Kurses durchsetzten. Sie bekannten sich zu wesentlichen Aspekten von Bismarcks Politik. Nicht zuletzt mit dem Ziel, die materiellen Interessen der konservativen Wähler zu bedienen, legte Bismarck 1885 eine protektionistische Zollvorlage vor, mit der die Importe massiv beschränkt wurden.
 
Auch um nationalistische Emotionen nutzbar zu machen, verstärkte Bismarck die antipolnische Politik[144] in den preußischen Ostprovinzen. Mit der Ausweisung von nichtpreußischen Polen ab 1885 und dem Ansiedlungsgesetz von 1886 setzte eine intensive Germanisierung ein. Die französische Revanchismusbewegung nutzte Bismarck, um mit einer breit angelegten Pressekampagne alle Kritiker als Vaterlandsverräter zu diskreditieren, die sich insbesondere seinen militärpolitischen Plänen entgegenstellten. Nach der Reichstagsauflösung wurde die nationalistische Agitation noch einmal verstärkt.
 
Aus den Reichstagswahlen vom Februar 1887 ging das Regierungslager aus Konservativen und Nationalliberalen mit absoluter Mehrheit hervor. Bismarck besaß mit den so genannten Kartellparteien nun jene parlamentarische Mehrheit, die er in den vergangenen zehn Jahren angestrebt hatte. Er konnte jetzt sowohl seine militärpolitischen Pläne als auch Begünstigungen für seine konservative Klientel durchsetzen.
 
Aufgrund von Bismarcks neuer Machtstellung spielte die Thronbesteigung von Friedrich III. im März 1888 kaum noch eine Rolle. Als der todkranke neue Kaiser sich weigerte, einer Verlängerung der Legislaturperiode und des Sozialistengesetzes zuzustimmen, belehrte Bismarck die Kaiserin, dass der Monarch „als solcher kein Faktor der Gesetzgebung“ sei.[145]
 
„Der Lotse geht von Bord“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1898|31.07.1898]]''' - Kaiser Wilhelm II. erreicht die Nachricht vom Ableben seines ehemaligen Reichskanzlers Otto von Bismarck an Bord der kaiserlichen Yacht Hohenzollern, die sich in norwegischen Gewässern befindet. Er sendet ein Telegramm an Herbert von Bismarck. Darin kündigt Wilhelm eine pompöse Beisetzung Bismarcks in der Hohenzollerngruft im Berliner Dom an, da Bismarck ein Freund seines Großvaters Wilhelm I. gewesen sei und ihm für seine Leistungen der Dank des deutschen Volkes für immer gebühre. Wilhelm II. beauftragt ebenfalls per Telegramm den Bildhauer Reinhold Begas, einen Sarkophag für Bismarck zu entwerfen; August zu Eulenburg soll das Programm der Feier als nationales Ereignis gestalten. Bismarck hat indes bereits 1896 in seinem Testament verfügt, er wolle in Friedrichsruh begraben werden. Seine Familie entspricht diesem Wunsch. <br>
Die Punch-Karikatur Dropping the Pilot (im Deutschen meist übersetzt mit: Der Lotse geht von Bord) von Sir John Tenniel zur Entlassung Bismarcks 1890
 
Auch wenn Bismarck alles tat, um potenzielle Nachfolger auszuschalten, mehrten sich seit dem Ende der 1880er-Jahre doch die Anzeichen dafür, dass seine politische Führungsrolle sich dem Ende zuneigte. In der politischen Öffentlichkeit wurde der Ruf nach einer Abkehr von der nur bewahrenden Diplomatie Bismarcks zu Gunsten einer dynamischen und risikobereiten Außenpolitik laut. Nach der kurzen Herrschaftszeit von Friedrich III. standen sich mit dem neuen Kaiser Wilhelm II. und Bismarck zwei ungleiche Persönlichkeiten gegenüber. Bismarck hielt Wilhelm für unreif und wenig vorbereitet auf die Übernahme der Verantwortung. Er sei ein „Brausekopf, könne nicht schweigen, sei Schmeichlern zugänglich und könne Deutschland in einen Krieg stürzen, ohne es zu ahnen und zu wollen.“[146] Für Wilhelm dagegen war Bismarck eine nicht mehr zeitgemäße Person und er machte deutlich, selbst politischen Einfluss nehmen zu wollen: „Sechs Monate will ich den Alten verschnaufen lassen, dann regiere ich selbst.“[147]
 
Bismarck sah vor diesem Hintergrund in der mutwilligen Verschärfung der innenpolitischen Lage eine Möglichkeit, den neuen Kaiser von seiner Unentbehrlichkeit zu überzeugen. Er brachte daher ein neues, verschärftes und unbefristetes Sozialistengesetz ein, wohl wissend, dass dies die Kartellparteien auseinandersprengen würde, da die Nationalliberalen dies nicht mittragen konnten. Wilhelm, der seine Regierungszeit nicht mit einem solchen Konfliktkurs beginnen wollte, stellte sich den Plänen des Kanzlers entgegen. In einer Sitzung des Kronrates prallten beide am 24. Januar 1890 aufeinander.[148] In den folgenden Monaten versuchte Bismarck verzweifelt, seine Stellung zu halten und spielte erneut mit Staatsstreichgedanken, aber auch mit dem Plan einer engen Zusammenarbeit zwischen Zentrum und Konservativen.[149]
 
Am 15. März 1890 entzog Kaiser Wilhelm dem Kanzler wegen dessen Konfliktkurses endgültig die Unterstützung. Das Entlassungsgesuch Bismarcks datiert vom 18. März 1890.[150] Die Öffentlichkeit reagierte mehrheitlich erleichtert auf den Rücktritt. Theodor Fontane schrieb: „Es ist ein Glück, dass wir ihn los sind. Er war eigentlich nur noch Gewohnheitsregente (sic!), tat was er wollte, und forderte immer mehr Devotion. Seine Größe lag hinter ihm.“[151] Als Nachfolger Otto von Bismarcks wählte der Kaiser den politisch unerfahrenen General Leo von Caprivi.[152]
 
Nach dem Rücktritt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1898|01.08.1898]]''' - Kaiser Wilhelm II. will nach seinem Eintreffen in Kiel wenigstens am offenen Sarg Otto von Bismarcks in Friedrichsruh stehen und begibt sich mit seiner Gemahlin dorthin. Als er jedoch am folgenden Tag eintrifft, ist der Sarg bereits verlötet. <br>
Otto Fürst von Bismarck, Gemälde von Franz von Lenbach, 1894
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1898|November 1898]]''' - Die ersten zwei Bände von Otto von Bismarcks "Gedanken und Erinnerungen" erscheinen. Innerhalb kürzester Zeit sind die ersten 100.000 Exemplare vergriffen. Der dritte Band, der die Umstände der Entlassung Bismarcks schildert, darf vorerst nicht veröffentlicht werden. <br>
Bismarck spricht zu einer Delegation der deutschen Studentenschaft, Friedrichsruh, 1. April 1895
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1914|1914]]''' - Von den über 700 Bismarck-Denkmälern, die bis 1914 im Deutschen Reich in Planung sind, sind mindestens 500 realisiert. <br>
Bismarck mit seinen „Reichshunden“ Tyras II und Rebecca in Friedrichsruh, 6. Juli 1891
 
 
   
 
   
 
+
'''[[Königreich Preußen 1919|1919]]''' - Der bisher unter Verschluss gehaltene dritte Band von Otto von Bismarcks "Gedanken und Erinnerungen", der die Umstände der Entlassung Bismarcks schildert, darf jetzt, nach dem Sturz der Hohenzollernmonarchie, veröffentlicht werden. <br>
Bismarcks Sterbemedaille des Stuttgarter Künstlers Karl Schwenzer.
 
 
   
 
   
 +
'''[[Königreich Preußen 2012|2012]]''' - Veröffentlichung von verschollen geglaubten Tonaufzeichnungen Otto von Bismarcks, die 1889 mit dem Phonographen des amerikanischen Erfinders Thomas Edison (1847-1931) entstanden sind. <br>
  
Erstauflage der zweibändigen sog. „Volksausgabe“ der Bismarck’schen Memoiren, Cotta, Stuttgart/Berlin 1905
+
{| class="wikitable" width="96%"
Bismarck zog sich verbittert nach Friedrichsruh zurück, doch verabschiedete er sich damit nicht endgültig von der Politik. „Aber das kann man nicht von mir verlangen, dass ich, nachdem ich vierzig Jahre lang Politik getrieben, plötzlich mich gar nicht mehr damit abgeben soll.“[153] Seine Unnahbarkeit wurde durch diese Zurückgezogenheit noch gesteigert, sodass bald das Wort vom „Einsiedler im Sachsenwald“ die Runde machte.[154] Bereits einen Tag nach seinem Rücktritt verkündete Bismarck, seine Memoiren verfassen zu wollen. Bismarck versuchte nicht nur, sein Bild für die Nachwelt mitzugestalten, sondern verzichtete auch nicht auf Eingriffe in die Tagespolitik. Bald nach seiner Entlassung begann er eine äußerst umtriebige Pressepolitik. Insbesondere die „Hamburger Nachrichten“ wurden zu seinem Sprachrohr. Bismarck attackierte vor allem seinen Nachfolger Caprivi scharf. Indirekt kritisierte er damit auch den Kaiser, dem er seine Entlassung nicht verziehen hatte. Am 30. April 1891 ließ sich Bismarck auf Initiative des jungen Diederich Hahn im Wahlkreis Neuhaus (Oste), Hadeln, Lehe, Kehdingen, Jork für den ausgeschiedenen Abgeordneten Hermann Gebhard in den Reichstag wählen. Wilhelm II. glaubte kurzzeitig sogar an eine Rückkehr des Altkanzlers in die Politik. Allerdings hat Bismarck seinen Wahlkreis nie betreten und von seinem Mandat niemals Gebrauch gemacht;[155] Bei der Reichstagswahl 1893 verzichtete er zugunsten Diederich Hahns auf eine erneute Kandidatur. Die Pressepolitik in eigener Sache war durchaus erfolgreich. Die öffentliche Meinung wandte sich Bismarck verstärkt wieder zu, insbesondere nachdem Wilhelm II. begonnen hatte, ihn öffentlich anzugreifen. Für das Ansehen des neuen Reichskanzlers Caprivi geradezu katastrophal wirkte sich dessen Versuch aus, ein Treffen Bismarcks mit Kaiser Franz Joseph von Österreich zu verhindern. Die Reise nach Wien wurde zu einem Triumphzug des Altkanzlers, der erklärte, keine Verpflichtungen mehr gegenüber der deutschen Regierung zu haben: „Alle Brücken sind abgebrochen.“[156]
+
|- class="hintergrundfarbe8"
Wilhelm II. bemühte sich in der Folge um eine öffentlichkeitswirksame Aussöhnungsgeste. Mehrere Treffen mit Bismarck im Jahr 1894 wurden positiv aufgenommen, eine wirkliche Entspannung brachte dies aber nicht. Wie gering Bismarcks Ansehen im Reichstag war, zeigte die gescheiterte Kampfabstimmung um ein Glückwunschtelegramm anlässlich seines achtzigsten Geburtstags. Daraufhin machten ihn etwa 400 deutsche Städte zum Ehrenbürger, darunter die Mitglieder der im Entstehen begriffenen Städteverbände in geschlossener Form, so der badische, der Thüringer und der sächsische.[157] Im Jahr 1896 zog Bismarck durch die Offenlegung des streng geheimen Rückversicherungsvertrages noch einmal die Aufmerksamkeit der deutschen und internationalen Presse auf sich.[158]
+
| colspan="9" align="center" | <center>'''Otto von Bismarck''' <br> ''(Königreich Preußen / Norddeutscher Bund / Deutsches Kaiserreich)''''' </center>
Die Erstellung der Memoiren unterstützte Lothar Bucher, ohne dessen Drängen das Werk wahrscheinlich nie fertiggestellt worden wäre. Bucher beklagte nicht nur Bismarcks rasch nachlassendes Interesse an seinen Memoiren, sondern beschrieb auch, wie der Altkanzler in ihnen Tatsachen absichtlich entstellte: „Bei nichts, was misslungen ist, will er beteiligt gewesen sein, und niemand lässt er neben sich gelten.“[159] Nach Buchers Tod im Oktober 1892 besserte Bismarck an den Manuskripten noch herum, aber das Werk wurde nicht mehr fortgesetzt.
+
|-
Der Tod seiner Frau im Jahr 1894 traf Bismarck tief. Ab 1896 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand immer deutlicher und er war schließlich auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Erkrankungen an Altersbrand und anderen Gebrechen, die er gegenüber der Öffentlichkeit und sogar gegenüber seiner Familie verschwieg,[160] führten am 30. Juli 1898 zu seinem Tod. Unmittelbar nach seinem Ableben entstand durch zwei Paparazzi die Fotografie von Bismarck auf dem Sterbebett.[158]
+
! width="32%" | Vorgänger
Als Bismarck starb, befand sich Wilhelm II. im Zuge seiner Sommerreise in Norwegen auf der kaiserlichen Yacht Hohenzollern. Nachdem ihn die Todesnachricht am Morgen des 31. Juli erreicht hatte, sandte er ein Telegramm an Herbert von Bismarck. Darin kündigte Wilhelm eine pompöse Beisetzung Bismarcks in der Hohenzollerngruft im Berliner Dom an, da Bismarck ein Freund seines Großvaters Wilhelm I. gewesen sei und ihm für seine Leistungen der Dank des deutschen Volkes für immer gebühre. Wilhelm II. beauftragte ebenfalls per Telegramm den Bildhauer Reinhold Begas, einen Sarkophag für Bismarck zu entwerfen; August zu Eulenburg sollte das Programm der Feier als nationales Ereignis gestalten. Bismarck hatte indes bereits 1896 in seinem Testament verfügt, er wolle in Friedrichsruh begraben werden. Seine Familie entsprach diesem Wunsch. Nun wollte Kaiser Wilhelm nach seinem Eintreffen in Kiel am 1. August wenigstens am offenen Sarg Bismarcks in Friedrichsruh stehen und begab sich mit seiner Gemahlin dorthin. Als er jedoch am folgenden Tag eintraf, war der Sarg bereits verlötet.[161]
+
! width="32%" | Amt
Bismarck fand demnach seine letzte Ruhestätte neben seiner Frau in einem Mausoleum in Friedrichsruh.
+
! width="32%" | Nachfolger
Für die Verhältnisse des 19. Jahrhunderts war der Verkaufserfolg der zunächst zweibändig von der Cotta’schen Verlagsbuchhandlung verlegten Erinnerungen sensationell: Die Erstauflage von mehr als dreihunderttausend Exemplaren war schon in den ersten Dezembertagen 1898 vergriffen, ab 1905 erschien sie dann als sog. „Volksausgabe“. Die Öffentlichkeit und Geschichtsforschung interessierende Auseinandersetzung mit Kaiser Wilhelm II. und die Entlassung des Reichskanzlers blieben dem dritten, erst 1921 erschienenen, Band vorbehalten.[162]
+
|-
 
+
| <center> '''[[Adolf von Hohenlohe-Ingelfingen]]''' <br> 1862 </center>  || <center> '''Ministerpräsident Preußens''' <br> 1862-1873 </center> || <center> '''[[Albrecht von Roon]]''' <br> 1873 </center>
 
+
|-
|- valign="top"
+
| <center> '''[[Albrecht von Roon]]''' <br> 1873 </center>  || <center> '''Ministerpräsident Preußens''' <br> 1873-1890 </center> || <center> '''[[Graf Leo Caprivi]]''' <br> 1890-1892 </center>
| <center>'''''Hier geht es zur Geschichte folgender Staaten'''''</center> || '''[[Deutscher Bund]] - [[Norddeutscher Bund]] - [[Königreich Preußen]] - [[Deutsches Kaiserreich]]''' <br>
+
|-
|- valign="top"
+
| <center> '''[[Albrecht von Bernstorff]]''' <br> 1861-1862 </center> || <center> '''Preußischer Minister der auswärtigen Angelegenheiten''' <br> 1862-1890 </center> || <center> '''[[Graf Leo Caprivi]]''' <br> 1890-1894 </center>
| <center>'''Proximity'''</center> ||
 
|- valign="top"
 
| <center>'''Weblinks'''</center> ||  
 
*
 
|}
 
{| border="5" 
 
| '''[[Oteripedia:Portal|Home]]'''
 
 
|-
 
|-
| '''[[Jahreschroniken|Jahreschroniken]]'''
+
| <center> '''-''' </center>  || <center> '''Kanzler des Norddeutschen Bundes''' <br> 1867-1871 </center> || <center> '''-''' </center>
 
|-
 
|-
| '''[[L%C3%A4nderchroniken|Länderchroniken]]'''
+
| <center> '''-''' </center>  || <center> '''Reichskanzler''' <br> 1871-1890 </center> || <center> '''[[Graf Leo Caprivi]]''' <br> 1890-1894 </center>
 
|-
 
|-
 +
| <center> '''[[Paul von Hatzfeld]]''' <br> 1881-1885 </center>  || <center> '''Reichsminister der auswärtigen Angelegenheiten''' <br> 1886-1890 </center> || <center> '''[[Adolf Marschall von Bieberstein]]''' <br> 1890-1897 </center>
 
|}
 
|}
 +
 +
Quellen: <br>
 +
* https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_von_Bismarck

Aktuelle Version vom 23. April 2021, 20:59 Uhr

Biografie

OTTO EDUARD LEOPOLD FÜRST VON BISMARCK-SCHÖNHAUSEN

* 1. April 1815 in Schönhausen/Altmark, † 30.07.1898 in Friedrichsruh/Herzogtum Lauenburg

Otto Fürst von Bismarck-Schönhausen
  • Preußischer Ministerpräsident (1862-1873, 1873-1890)
  • Kanzler des Norddeutschen Bundes (1867-1871)
  • Reichskanzler (1871-1890)
  • Erhebung zum Grafen (1865)
  • Erhebung zum Fürsten (1871)
Wappen Frankfurt.png





Deutschland.png

Deutsches Reich.png


01.04.1815 - Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen wird in Schönhausen (Elbe) geboren. Er ist der zweite Sohn des Rittmeisters Karl Wilhelm Ferdinand von Bismarck (1771-1845) und dessen Ehefrau Luise Wilhelmine, geb. Mencken (1790-1839) und gehört einem alten Adelsgeschlecht an. Die väterliche Familie ist ein Junkergeschlecht der Altmark. Seine Mutter dagegen ist als Tochter von Anastasius Ludwig Mencken bürgerlicher Herkunft. Die Familie Mencken hat in der Vergangenheit Gelehrte und hohe Beamte hervorgebracht. Die unterschiedliche soziale Herkunft der Eltern hat erhebliche Folgen für Bismarcks Sozialisation. Vom Vater erbt er den Stolz auf seine Herkunft, die Mutter gibt ihm nicht nur seinen scharfen Verstand, den Sinn für rationales Handeln und sprachliche Sensibilität mit, sondern auch den Wunsch, seinem Herkunftskreis zu entkommen. Bismarck hat es seiner Mutter zu verdanken, dass er eine Bildung genießt, die für einen Landedelmann nicht typisch ist. Ihre Söhne sollen nicht nur Junker sein, sondern in den Staatsdienst eintreten. Allerdings führt die streng auf das Rationale abzielende Erziehung der Mutter dazu, dass sich Bismarck, wie er später schreibt, in seinem Elternhaus nie wirklich heimisch fühlt. Während er der Mutter reserviert gegenübersteht, liebt er den Vater.

1816 - Die Familie von Bismarck siedelt nach Gut Kniephof im Landkreis Naugard in Hinterpommern, ohne ihr Gut Schönhausen aufzugeben.

1821 - Auf Wunsch der Mutter beginnt Otto von Bismarck seine schulische Ausbildung in der preußischen Hauptstadt Berlin in der Plamannschen Erziehungsanstalt. Dieses Internat, in das hohe Beamte ihre Söhne zu schicken pflegen, wurde ursprünglich im Geist von Johann Heinrich Pestalozzi gegründet. Jetzt aber ist diese Reformphase längst beendet und die Erziehung geprägt von Drill und Deutschtümelei. Der Übergang vom kindlichen Spiel auf dem heimischen Hof zum Internatsleben, das von Zwang und Disziplin geprägt war, fällt Bismarck außerordentlich schwer. In dieser Zeit prägt sich deutlich sein Unwillen aus, Autoritäten anzuerkennen.

1831 - Otto von Bismarck wird in der lutherischen Berliner Dreifaltigkeitskirche konfirmiert. Sein Pfarrer ist der bekannte Theologe, Altphilologe, Philosoph, Publizist und Staatstheoretiker Friedrich Schleiermacher. Bismarck befasst sich mit Fragen der Religion hauptsächlich vom Verstand her und sieht sich in ihr, von Hegel oder Spinoza beeinflusst, rückblickend eher als Deist und Pantheist denn als gläubiger Christ. Ein Atheist wird er allerdings nie, auch wenn seine Umgebung ihn zumeist für einen gottlosen Spötter hielt.

1832 - Nach dem Abitur immatrikuliert sich Otto von Bismarck an der Universität Göttingen für das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften. Aufnahme in das landsmannschaftliche Studentenkorps "Hannovera". Später wird er sich rühmen, "innerhalb von drei Semestern 28 Mensuren gehabt und immer gut davongekommen zu sein."

Februar 1833 - Otto von Bismarck erhält die erste Karzerstrafe wegen Anwesenheit bei einem Pistolenduell.

November 1833 - Otto von Bismarck setzt sein Studium der Rechtswissenschaften an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität fort.

1835 - Otto von Bismarck besteht das Erste Staatsexamen und dient zunächst beim Berliner Stadtgericht. Er wechselt bald auf eigenen Wunsch vom Justiz- in den Verwaltungsdienst.

August 1836 - Otto von Bismarck, inzwischen Regierungsreferendar im Kurort Aachen, verliebt sich in Laura Russell, eine Nichte des Herzogs von Cumberland.

Sommer 1837 - Der Verwaltungstätigkeit überdrüssig, lässt sich Otto von Bismarck wegen Unwohlseins beurlauben und reist monatelang ohne genehmigten Urlaub seiner ersten großen Liebe, einer (älteren) Französin, hinterher. Später reist er mit einer (jüngeren) Engländerin, einer Freundin Lauras, durch Deutschland. Da es zu einer mehrwöchigen Überschreitung seines vierzehntägigen Urlaubs kommt, verliert er sein Referendariat. Er macht Schulden durch seine Auslagen für Frauen und durch Besuche von Spielcasinos. Später gelingt ihm die Fortsetzung der Referendarzeit bei der Potsdamer Provinzialregierung.

Herbst 1837 - Otto von Bismarck versucht, seine Referendarausbildung in Potsdam fortzusetzen, kehrt dem Verwaltungsdienst aber nach einigen Monaten den Rücken.

1838 - Otto von Bismarck bricht sein Referendariat ab und leistet als Einjährig-Freiwilliger seinen Militärdienst ab, zunächst beim Garde-Jäger-Bataillon. Im Herbst wechselt er zum Jäger-Bataillon Nr. 2 nach Greifswald in Vorpommern, wo er sich an der Königlichen Staats- und landwirtschaftlichen Akademie Eldena auch auf die Führung der Familienbetriebe vorbereitet.

1839 - Otto von Bismarck bezieht nach dem Tod seiner Mutter das hinterpommersche Gut Kniephof und wird Landwirt. Gemeinsam mit dem um fünf Jahre älteren Bruder Bernhard bewirtschaftet er die väterlichen Güter Kniephof, Külz und Jarchlin im Kreis Naugard.

1841 - Nachdem Bernhard von Bismarck 1841 zum Landrat gewählt worden war, kommt es zu einer vorläufigen Teilung des elterlichen Erbes. Bernhard bewirtschaftet nun Jarchlin, Otto Külz und Kniephof.

1841 - Otto von Bismarck unternimmt eine Studienreise nach Frankreich und England und in die Schweiz.

1844 - Das Bestreben, in den Staatsdienst zurückzukehren, gibt Otto von Bismarck auf – erneut aufgrund seiner Abneigung gegen alles Bürokratische. In diesen Jahren wird er gerngesehener Gast bei zahlreichen gesellschaftlichen Ereignissen in der Region. Er nimmt unter anderem an zahlreichen Jagdveranstaltungen teil, aber auch an ausschweifenden Zechgelagen. Eigenen Bekundungen zufolge eignet er sich in diesem Zusammenhang eine Art Trinkfestigkeit an; bei den Landjunkern gewinnt er an Ansehen, weil er dazu fähig sei, seine „Gäste mit freundlicher Kaltblütigkeit unter den Tisch zu trinken“. Dies wie auch die ihm anhaftende Neigung, bei gesellschaftlichen Ereignissen fast stets im Mittelpunkt zu stehen, bringt ihm den Ruf des „tollen Bismarck“ ein.

Oktober 1844 - Otto von Bismarck lernt seine zukünftige Ehefrau Johanna von Puttkamer kennen.

1845 - Nach dem Tod des Vaters übernimmt Otto die Bewirtschaftung des Familienbesitzes Schönhausen bei Stendal. Otto von Bismarck erwirbt schnell gute Kenntnisse in rationaler landwirtschaftlicher Betriebsführung. In den etwa zehn Jahren, in denen er als Verwalter des elterlichen Besitzes fungiert, wird es ihm nicht nur gelingen, die Güter zu sanieren, sondern auch die eigenen Schulden zurückzuzahlen, die er in den zurückliegenden Jahren aufgehäuft hat. Einerseits gefällt es ihm, sein eigener Herr zu sein, andererseits füllen ihn die landwirtschaftliche Tätigkeit und das Leben als Landjunker nicht wirklich aus. Er beschäftigte sich nebenher intensiv, aber unsystematisch mit Philosophie, Kunst, Religion und Literatur, ohne dass ihn dies nachhaltig prägt. Außerdem wird er Mitglied des Provinziallandtags der Provinz Pommern. Außerdem unterstützt er in einigen Fällen die Arbeit seines Bruders, der Landrat ist. Otto von Bismarck tritt politisch zunächst auf kommunaler Ebene hervor. In seiner Zeit auf Gut Kniephof ist er Deputierter des Kreises Naugard. Er verpachtet sein Gut Kniephof und zieht nach Schönhausen.

1846 - In Schönhausen erhält Otto von Bismarck sein erstes öffentliches Amt durch die Ernennung zum Deichhauptmann in Jerichow. Sein Hauptanliegen ist es, die Vormachtstellung des landbesitzenden Adels in Preußen zu bewahren. Die Konservativen lehnen den absolutistisch-bürokratischen Staat ab und träumen von einer Wiedereinführung der Mitregierung der Stände, insbesondere des Adels.Zusammen mit den Brüdern Gerlach tritt Otto von Bismarck beispielsweise für die Bewahrung der Patrimonialgerichtsbarkeit ein.

1847 - In Reinfeld (Landkreis Rummelsburg in Pommern) heiratet Otto von Bismarck Johanna von Puttkamer. Seit dieser Zeit spielt der Glaube an einen persönlichen Gott für Bismarck eine zentrale Rolle. Als Nachrücker im sächsischen Provinziallandtag wird Bismarck als Vertreter der Ritterschaft der Provinz Sachsen Mitglied des Vereinigten Landtags. In diesem Gremium, das von der gemäßigten liberalen Opposition dominiert wird, fällt er bereits bei seiner ersten Plenarrede als strikt konservativer Politiker auf, als er bestreitet, dass es bei den Befreiungskriegen auch um die Durchsetzung liberaler Reformen gegangen ist. In der „Judenfrage“ spricht er sich klar gegen die politische Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung aus. Diese und ähnliche Positionen führen bei den Liberalen zu empörten Reaktionen. Bismarck findet jetzt in der Politik ein Betätigungsfeld, das seinen Neigungen entgegenkommt: „Die Sache ergreift mich viel mehr als ich dachte.“

1848 - Otto und Johanna von Bismarck bekommen ihr erstes Kind. Marie wird benannt nach der früh verstorbenen Freundin Johannas, bei deren Hochzeit sich die beiden kennenlernten, da Marie Johanna als Tischdame Bismarcks platziert hatte. Die Leidenschaft des politischen Kampfes ließ ihn indessen kaum essen und schlafen. Am Ende der Landtags-Periode hat sich Bismarck in den konservativen Kreisen einen Namen gemacht. Auch der König ist auf ihn aufmerksam geworden. Wenngleich er eindeutig konservative Positionen vertritt, ist Bismarck bereits jetzt auch Pragmatiker und bereit, vom politischen Gegner zu lernen. Dies kommt etwa in dem Plan zum Tragen, als Gegengewicht zur liberalen „Deutschen Zeitung“ eine konservative Zeitung zu gründen. Bismarck wird Mitbegründer und zeitweiliger Mitarbeiter der konservativen "Neuen Preußischen Zeitung".

März 1848 - Otto von Bismarck lehnt die Märzrevolution entschieden ab. Als ihn die Nachricht vom Erfolg der Bewegung in Berlin erreicht, bewaffnet er in Schönhausen die Bauern und schlägt vor, mit ihnen nach Berlin zu ziehen. Der in Potsdam kommandierende General Karl von Prittwitz lehnt dieses Angebot jedoch ab. Danach versucht von Bismarck, Prinzessin Augusta, die Gattin des späteren Königs Wilhelm I., von der Notwendigkeit einer Gegenrevolution zu überzeugen. Augusta weist das Ansinnen als intrigant und illoyal zurück. Bismarck zieht sich durch sein Verhalten die dauerhafte Abneigung der späteren Königin zu. Nach der Anerkennung der Revolution durch Friedrich Wilhelm IV. sind Bismarcks gegenrevolutionäre Pläne vorerst gescheitert. In die preußische Nationalversammlung wurde Bismarck nicht gewählt. Dafür beteiligt er sich an der außerparlamentarischen Sammlung des konservativen Lagers.

Sommer 1848 - Otto von Bismarck ist an der Gründung und inhaltlichen Ausgestaltung der „Neuen Preußischen Zeitung“ (wegen des Kreuzes auf dem Titelblatt auch „Kreuzzeitung“ genannt) beteiligt. Für das Blatt schreibt er zahlreiche Beiträge.

August 1848 - Otto von Bismarck wird einer der maßgeblichen Initiatoren des sogenannten Junkerparlaments. In diesem versammeln sich mehrere hundert adlige Gutsbesitzer, um gegen den Eingriff in ihr Eigentum zu protestieren. Diese Aktivitäten führen dazu, dass die konservative Kamarilla um den König Bismarck immer mehr zu schätzen beginnt.

November 1848 - Die Hoffnung Otto von Bismarcks, nach der Gegenrevolution mit einem Ministerposten belohnt zu werden, erfüllt sich nicht, da er selbst in konservativen Kreisen als zu extrem gilt. Der König schreibt auf eine entsprechende Vorschlagsliste als Randbemerkung: „Nur zu gebrauchen, wenn das Bayonett schrankenlos waltet“.

05.02.1849 - Otto von Bismarck wird in die Zweite Kammer des Preußischen Landtags gewählt.

1849 - Otto und Johanna von Bismarck wird ihr erster Sohn, Herbert, geboren. Im Januar und im Juli wird er in die zweite Kammer des preußischen Landtages gewählt. Er beschließt, sich ganz der Politik zu widmen, und zieht mit seiner Familie nach Berlin. Damit wird er einer der ersten Berufspolitiker in Preußen. Im Landtag tritt er als Sprachrohr der Ultrakonservativen auf. So verteidigt er die Ablehnung von Kaiserwürde und Reichsverfassung durch Friedrich Wilhelm IV., weil aus seiner Sicht zu befürchten steht, dass Preußen in Deutschland aufginge. Die nationale Frage ist für ihn gegenüber der Sicherung der preußischen Macht zweitrangig. Der König und sein Berater Joseph von Radowitz wollen die deutsche Einheit vor allem durch Absprache mit den Mittelstaaten erreichen. Außerdem soll die angestrebte Erfurter Union konservativer und föderalistischer sein als das Frankfurter Vorbild. Bismarck hält dies für unrealistisch und nicht sinnvoll. Im preußischen Parlament macht er aus seiner Kritik an den Plänen keinen Hehl. Seine Rede vom 6. September 1849 verändert die Haltung interessierter politischer Kreise zu ihm. Er gilt fortan wegen seiner abwägenden und flexiblen Argumentation auch in den eigenen konservativen Reihen nicht mehr nur als Scharfmacher. Bismarck empfiehlt sich damit erstmals für einen Posten im hohen Staatsdienst oder in der Diplomatie. Er wird trotz seiner Kritik an der Union in das Volkshaus des Erfurter Unionsparlaments gewählt und in ihm Schriftführer. Obwohl er dem Parlamentarismus grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, entwickelt Bismarck sich in Erfurt zu einem der bisher bedeutendsten Parlamentsredner, dem auch der politische Gegner wegen seiner bilder- und pointenreichen Sprache Aufmerksamkeit schenkt. Nach dem Scheitern der Unionspläne übernimmt Bismarck die schwierige Aufgabe, im preußischen Landtag die Olmützer Punktation zu verteidigen. Er schaffte es dabei, einerseits konservative Standpunkte zu vertreten, sich andererseits aber zu einer staatlichen Machtpolitik fern irgendwelcher Ideologien zu bekennen: „Die einzige gesunde Grundlage eines großen Staates, und dadurch unterscheidet er sich wesentlich von einem kleinen Staate, ist der staatliche Egoismus und nicht die Romantik, und es ist eines großen Staates nicht würdig, für eine Sache zu streiten, die nicht seinen eigenen Interessen angehört.“ Mit seiner Betonung des Staates, der Macht- und Interessenpolitik, entfernt Bismarck sich vom traditionellen Konservatismus, der (in eher defensiver Grundeinstellung) aus der Gegnerschaft zum modernen, zentralen, bürokratischen und absolutistischen Staat entstanden ist.

31.01.1850 - Otto von Bismarck wird Abgeordneter des Erfurter Unionsparlaments, das über eine Verfassung für die geplante Union von 26 kleineren deutschen Staaten unter Preußens Vorsitz beraten soll.

03.12.1850 - Im Preußischen Landtag verteidigt Otto von Bismarck die "Olmützer Punktuation", in der Preußen mit Rücksicht auf Österreich von einer Fortführung der Unionspolitik absieht: Eine gemeinsame Politik der "gleichberechtigten Schutzmächte Deutschlands" sei besser für die "preußische Ehre" als eine "schmachvolle Verbindung mit der Demokratie". Mit dieser Rede empfiehlt er sich insbesondere den hochkonservativen Kreisen um König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen.

Ende 1850 - Als das Königreich Preußen und das Kaisertum Österreich nach der Herbstkrise 1850 zusammenarbeiten, will Otto von Bismarck sich nicht damit abfinden, dass der österreichische Ministerpräsident Felix zu Schwarzenberg Preußen die Rolle als Juniorpartner zugedacht hat. Ihm und letztlich auch der Regierung in Berlin geht es darum, die Anerkennung Preußens als gleichberechtigte Macht durchzusetzen. Zu diesem Zweck sucht er ständig die Auseinandersetzung mit dem österreichischen Gesandten Friedrich von Thun und Hohenstein, greift Wien scharf an und legt zeitweise sogar die Arbeit des Bundestages lahm, um die Grenzen der österreichischen Kompetenzen in Frankfurt aufzuzeigen. Er trägt auch dazu bei, dass Österreichs Wunsch scheiterte, dem Deutschen Zollverein beizutreten. Bismarck lehnt einen Ausbau der Institutionen und überhaupt eine Bundesreform ab, solange Österreich Preußen nicht als gleichberechtigt behandelt.

08.05.1851 - Otto von Bismarck wird zum Geheimen Legationsrat und Rat bei der preußischen Gesandtschaft am Bundestag in Frankfurt/Main ernannt.

15.07.1851 - Otto von Bismarck wird auf Betreiben Leopold von Gerlachs durch Friedrich Wilhelm IV. zum preußischen Gesandten beim Bundestag in Frankfurt ernannt. Eine diplomatische Ausbildung hat er nicht. Die Stellung in Frankfurt ist nach seiner Einschätzung zu dieser Zeit der wichtigste Posten in der preußischen Diplomatie. Seine Ernennung wird in der Öffentlichkeit als Zeichen für den Sieg der sozialen und politischen Reaktion sowie als Kapitulation Preußens gegenüber Österreich gewertet.

02.12.1851 - Otto von Bismarck wird erneut in die Zweite Kammer des Preußischen Landtags gewählt.

1852 - Otto und Johanna von Bismarck werden Eltern eines dritten Kindes, Wilhelm. Johanna ordnet ihre Bedürfnisse denen ihres Mannes unter und bietet ihm zugleich – anders als seine Mutter – eine feste emotionale Bindung. Die Briefe, die die beiden austauschen, gehören zu den Höhepunkten der Briefliteratur des 19. Jahrhunderts. In Frankfurt handelt Bismarck sehr eigenständig. Er befindet sich zeitweise sogar im Gegensatz zur Berliner Regierungspolitik. Allerdings macht er als Gesandter deutlich, dass er noch immer ein Mann der Hochkonservativen ist.

25.03.1852 - Otto von Bismarck liefert sich ein unblutiges Pistolenduell mit dem liberalen Abgeordneten Georg Freiherr von Vincke (* 1811) nach einer sehr persönlich geratenen Kammerdebatte um die Zollpolitik.

1854 - Vor dem Hintergrund des Krimkrieges entscheidet die preußische Regierung, das Schutz- und Trutzbündnis mit Österreich zu erneuern, was bei Otto von Bismarck auf Kritik stößt.

21.11.1854 - Bismarck wird in das preußische Herrenhaus, der Ersten Kammer des Preußischen Landtags, berufen.

1855 - Als Österreich sich, gestärkt durch das im Vorjahr mit Preußen geschlossene Schutz- und Trutzbündnis, offen gegen Russland wendet, gelingt es Otto von Bismarck, durch geschicktes Taktieren den Antrag der Österreicher zur Mobilisierung der Bundestruppen gegen Russland abzuwenden. Dieser Erfolg lässt sein diplomatisches Ansehen zunehmen. Nach der Niederlage Russlands im Krimkrieg plädiert er in verschiedenen Denkschriften für eine Anlehnung an das Zarenreich und an Frankreich, durch die er Österreich weiter zu schwächen hofft.

1856 - Otto von Bismarck legt sein umfangreiches außenpolitisches Konzept in der „Prachtschrift“ nieder. Seine Äußerungen lösen einen heftigen Konflikt mit den Hochkonservativen um die Gebrüder Gerlach aus, die in Napoléon III. nur einen Vertreter des revolutionären Prinzips und einen „natürlichen Feind“ sehen. Bismarck antwortet, dass ihm die Legitimität der Staatsoberhäupter letztlich egal sei. Für ihn stehen nicht die konservativen Grundsätze, sondern die Staatsinteressen im diplomatischen Geschäft im Mittelpunkt. Im Lager der Konservativen gilt er nun zunehmend als egoistischer Opportunist.

1857 - Nach der Übernahme der Regentschaft durch Prinz Wilhelm verlieren die Hochkonservativen an Einfluss; stattdessen nimmt die Bedeutung der gemäßigt liberal-konservativen Wochenblattpartei zu. In der beginnenden Neuen Ära versuchte auch Otto von Bismarck, durch eine gewisse Distanzierung von den extremen Konservativen seine Position zu behaupten. In einer umfangreichen Denkschrift spricht er nunmehr von einer „nationalen Mission“ Preußens und von einem Bündnis mit der national-liberalen Bewegung. Damit vollzieht er einen bemerkenswerten Kurswechsel. Allerdings geht es ihm nicht um den Kampf für die deutsche Einheit um ihrer selbst willen, sondern es ist sein Ziel, den deutschen Nationalismus einer Stärkung der preußischen Macht dienstbar zu machen.

Januar 1859 - Otto von Bismarck wird als preußischer Gesandter nach Sankt Petersburg versetzt; er selbst spricht davon, dass er an der Newa kaltgestellt wurde. Der Wechsel fällt der Familie schwer; die Eheleute Bismarck haben in Frankfurt die glücklichste Zeit ihrer Ehe erlebt. Bismarck erweitert in der neuen Funktion allerdings seine diplomatischen Kenntnisse und erfreut sich des Wohlwollens des russischen Hofes und des Kaiserpaares. Sein Ehrgeiz richtet sich aber zunehmend auf die höchsten Ämter im preußischen Staat. Er beobachtet genau die Entwicklung des preußischen Verfassungskonflikts.

März 1862 - In Berlin verfestigt sich die ablehnende Haltung der Liberalen gegen eine geplante Heeresreform. Die Notwendigkeit einer solchen Reform wird eigentlich von niemandem ernsthaft in Frage gestellt. Im Gegensatz zu den anderen Großmächten ist die preußische Armee seit 1815 kaum gewachsen. Selbst im Vergleich mit Österreich sind die preußischen Streitkräfte deutlich schwächer. Die offiziell bestehende Wehrpflicht existiert in der Wirklichkeit nur noch auf dem Papier, und seit längerem gibt es Bemühungen, die Landwehr an die reguläre Armee heranzuführen. In der Sache würde eine Einigung mit den Liberalen bei der Heeresvorlage möglich sein. König Wilhelm I. jedoch glaubt, dass ein Nachgeben die Krone schwächen würde. Dies bestärkt die Liberalen in ihrer Kritik, und das Abgeordnetenhaus verweigerte die für die Reform nötigen Finanzmittel. Das Parlament wird daraufhin aufgelöst und eine neue Regierung gebildet. Statt der gemäßigten Liberalen der Neuen Ära haben in dieser Regierung Konservative wie der Kriegsminister Albrecht von Roon das Sagen. Aus den Neuwahlen geht allerdings die neu gegründete Fortschrittspartei als Sieger hervor, während die Zahl der konservativen Abgeordneten stark abnimmt. Wilhelm I. erwägt in dieser aussichtslos erscheinenden Lage ernsthaft den Rücktritt zu Gunsten seines Sohnes, des späteren Kaisers Friedrich III. Nach einer Auseinandersetzung mit den Ministern der Regierung hat der König bereits den Entwurf einer Abdankungsurkunde formuliert.

April 1862 - Die Hoffnung, zum Ministerpräsidenten ernannt zu werden, erfüllte sich für Otto von Bismarck nicht. Stattdessen wird er Gesandter in Paris, wo er im Palais Beauharnais residiert. Dieser Posten gilt ihm jedoch von Beginn an nur als Wartestellung. In diese Zeit fällt die von seiner Ehefrau geduldete Liebesaffäre mit Fürstin Katharina Orlowa (* 1840), der Ehefrau des russischen Gesandten in Belgien Nikolai Alexejewitsch Orlow.

August 1862 - Otto von Bismarck und seine Geliebte Katharina Orlowa entgehen in Biarritz fast dem Tod durch Ertrinken, werden aber von einem Leuchtturmwärter gerettet. Seiner Frau schreibt Bismarck an diesem Tag nur: „Nach einigen Stunden Ruhe und Briefeschreiben nach Paris und Berlin nehme ich den zweiten Trunk Salzwasser, diesmal im Hafen, ohne Wellenschlag, mit viel Schwimmen und Tauchen, zwei Wellenbäder wären mir zu viel am Tage.“ Es ist die letzte private Eskapade Bismarcks, ehe er sich ausschließlich der Politik widmen wird.

19.09.1862 - Der preußische General Albrecht von Roon sieht in der Ernennung Otto von Bismarcks zum Ministerpräsidenten die einzige Möglichkeit, den Thronwechsel zugunsten des als liberal geltenden Kronprinzen zu verhindern. Mit einem Telegramm: „Periculum in mora. Dépêchez-vous!“ („Gefahr im Verzuge. Beeilen Sie sich!“) ruft er Bismarck nach Berlin zurück.

20.09.1862 - Nach 25 Stunden Bahnfahrt trifft Otto von Bismarck in Berlin ein.

22.09.1862 - Otto von Bismarck wird von König Wilhelm I. im Schloss Babelsberg empfangen. Von Bismarck gewinnt den noch zögernden König, indem er sich als seinen unbedingten Gefolgsmann gibt. Er verspricht die Durchsetzung der Heeresreform und betont seinerseits die grundlegende Bedeutung der Auseinandersetzung um sie. Es gelte, um die Entscheidung zwischen „königlichem Regiment oder Parlamentsherrschaft“ zu kämpfen. Um die letztere abzuwenden, befürwort er auch „eine Periode der Diktatur.“ Der König fragt von Bismarck daraufhin, ob er bereit sei, sich für die Heeresreform ohne Abstriche einzusetzen und an der Reform festzuhalten, notfalls auch gegen die Mehrheitsbeschlüsse des Abgeordnetenhauses. Als Bismarck beides bejaht, zeigt sich der König von seiner Entschlossenheit beeindruckt: „Dann ist es meine Pflicht, mit Ihnen die Weiterführung des Kampfes zu versuchen und ich abdiziere nicht“ ("...ich danke nicht ab").

08.10.1862 - Der König ernennt Otto von Bismarck zum Ministerpräsidenten und zum Minister des Auswärtigen. Das Ernennungsgespräch legte die Grundlage für die ungewöhnliche Beziehung zwischen dem König und Bismarck in den folgenden Jahrzehnten. Bismarck schafft sich die Grundlage für eine außergewöhnliche Vertrauensstellung bei Wilhelm I. sowie eine Blankovollmacht, die seinen Handlungsspielraum über das übliche Maß eines leitenden Ministers hinaus erweitert, indem er sich dem Monarchen als „kurbrandenburgischer Vasall“ andient, der in prekärer Lage kampfesmutig und in unverbrüchlicher Treue zu seinem Lehnsherrn stehen wird. Zwar wird es in den nächsten Jahren immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten kommen, die jedoch das Grundvertrauen des Königs Bismarck gegenüber nicht beeinträchtigen werden. Im Einzelnen erhält Bismarck sehr starke Vollmachten, auf die er sich später berufen wird. Darunter ist die, dass seine Minister nur mit seinem Einverständnis dem Monarchen einzeln berichten dürfen. Bismarck bleibt zwar ein Konservativer, allerdings ein zunehmend pragmatisch handelnder und nicht an ideologischen Fixierungen klebender Politiker. Ideale, Theorien und Prinzipien sind für ihn nicht vorrangig ausschlaggebend; was vor allem zählt, sind die Interessen der Staaten. Daraus ergibt sich die Machterweiterung Preußens als maßgebliches Ziel. Aus Bismarcks Sicht ist es nur möglich, den Großmachtanspruch Preußens zu bewahren, wenn dieses eine hegemoniale Stellung in Europa zu Lasten Österreichs gewinnen kann und die übrigen europäischen Mächte das dulden würden. Um Nationalismus im landläufigen Sinn geht es ihm dabei nicht, vielmehr um außenpolitischen Realismus. Er setzt darauf, dass außenpolitische Erfolge sich auch auf seine Innenpolitik günstig auswirken. Er will die Monarchie und den Obrigkeitsstaat ebenso erhalten wie die besondere Stellung von Militär und Adel. Erste Priorität hat aber im Zweifelsfall die Macht des Staates. Darauf zielt auch das zeitweilige Bündnis mit der nationalen und der liberalen Bewegung. Am Anfang dominiert in weiten Teilen der politischen Öffentlichkeit bis hinein ins konservative Lager die Ablehnung Bismarcks, der noch immer als extremer Reaktionär galt. Er hat es daher schwer, geeignete Minister zu finden, und schrieb: „Wir sind froh, wenn wir acht Männer finden und halten.“ Das erste Kabinett Bismarck besteht so denn auch mehrheitlich aus eher zweitrangigen Persönlichkeiten. Unter ihnen sind Carl von Bodelschwingh, Heinrich Friedrich von Itzenplitz und Gustav von Jagow. In seinen Memoiren urteilt Bismarck, dass einige Minister „nicht im Stande [sind,] ihre Ministerien zu leiten“. Sie haben mit Ausnahme Roons kein Verständnis für die politische Gesamtlinie, einige erwiesen sich außerdem als „arbeitsscheu und vergnügungssüchtig“. Vor diesem Hintergrund ist Bismarck die alles entscheidende Persönlichkeit. Als Chef eines Konfliktministeriums berufen, dominierte er klar die Auseinandersetzung mit den Liberalen.

Herbst 1862 - Otto von Bismarck versucht, die Opposition nicht nur durch Drohungen, sondern auch durch Ausgleichsbemühungen zu neutralisieren. Dies scheitert, weil er mit einigen seiner Äußerungen erneut das Renommee eines stockkonservativen Politikers bedient. Oft zitiert wird die Aussage: „Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine Macht. […] Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden […] – sondern durch Eisen und Blut.“ Eigentlich ist die „Blut-und-Eisen“-Rede als weitgehendes Bündnisangebot an die liberale und nationale Bewegung gedacht. Obwohl auch die liberale Mehrheit des Abgeordnetenhauses der Auffassung ist, dass die „Deutsche Frage“ nicht ohne Gewalt durchzusetzen sei, fasst man, insbesondere die (liberale) Presse, „Eisen und Blut“ als eine angekündigte Gewaltherrschaft auf, die sich auf außenpolitische Abenteuer stürze. Dies trägt dazu bei, Bismarcks Ruf als Gewaltpolitiker zu festigen. Bismarck gibt in der Folge seinen Schlingerkurs auf und bekämpft die Liberalen mit aller Schärfe. Das Parlament wird vertagt. Damit regiert Bismarck ohne ordnungsgemäßen Haushalt.

Ende Januar 1863 - Das preußische Parlament wird wieder einberufen. Otto von Bismarck rechtfertigt sich mit der berühmt gewordenen, heftig umstrittenen Lückentheorie. Danach basiere das normale staatliche Handeln auf Kompromissen zwischen der Krone, dem Herrenhaus und dem Abgeordnetenhaus. Weigere sich eine der Seiten nachzugeben, komme es zu Konflikten, „und Konflikte, da das Staatsleben nicht stillzustehen vermag, werden zu Machtfragen; wer die Macht in den Händen hat, geht dann in seinem Sinne vor, weil das Staatsleben auch nicht einen Augenblick stillstehen kann.“ Dahinter steht Bismarcks Voraussetzung, der Fall eines unauflöslichen Dissenses zwischen Monarch und Parlament sei in der Verfassung nicht geregelt. Demnach liege eine Lücke vor, die durch die Prärogative des Königs geschlossen werden müsse. Diese Auslegung der Rechtslage ist nach Auffassung vieler Zeitgenossen schlicht ein Verfassungsbruch. Maximilian von Schwerin-Putzar urteilt, dies bedeute, „Macht geht vor Recht.“ Bislang habe die Größe Preußens und die Anerkennung des Königshauses auf dem Grundsatz beruht „Recht geht vor Macht. Justitia fundamentum regnorum! Das ist der Wahlspruch der preußischen Könige, und er wird es fort und fort bleiben.“

1863 - Um gegen die Liberalen zu mobilisieren, verfolgt Otto von Bismarck zeitweilig unterschiedliche Pläne. Dazu gehört auch ein Bündnis mit der sozialdemokratischen Bewegung. Bismarck trifft sich mehrfach mit Ferdinand Lassalle, ohne dass dies jedoch praktische Auswirkungen hat. Trotz heftiger Proteste – öffentliche Kritik kommt sogar vom Thronfolger – und der allgemeinen Erwartung eines Scheiterns der Regierung überlebt Bismarck die Krise politisch. Gegen hohe liberale Beamte, unter ihnen nicht zuletzt Abgeordnete, geht er mit repressiven Mitteln bis hin zu Entlassungen vor. Gleichzeitig wird die Pressefreiheit in Missachtung der Verfassung praktisch abgeschafft.

08.02.1863 - Das erste Abkommen, die Alvenslebensche Konvention zur Unterstützung Russlands gegen den Aufstand in Polen, stößt in Preußen selbst in konservativen Kreisen auf breite Ablehnung. Der Druck von Seiten Großbritanniens und Napoléons III. macht die Konvention überdies wertlos. Österreich sieht Otto von Bismarck geschwächt und versucht das zu nutzen, um eine Reform des Deutschen Bundes zu Gunsten der Habsburgermonarchie durchzusetzen. Nur mit Mühe gelingt es Bismarck, dem König die Teilnahme an dem geplanten Fürstentag in Frankfurt auszureden. Der Ministerpräsident legt im Gegenzug die preußischen Vorstellungen einer Bundesreform vor. Sie zielen wie schon früher auf gleiche Rechte für Österreich und Preußen. Neu ist aber die Forderung nach einer „aus direkter Beteiligung der ganzen Nation hervorgehenden Nationalvertretung.“ Dies ist nicht mehr und nicht weniger als ein Bündnisangebot Preußens an die Nationalbewegung, die eng mit dem Liberalismus verbunden ist. Kurzfristig nützt das Bismarck nichts, da er angesichts des Verfassungskonflikts als Partner für die Liberalen nicht in Frage kommt.

12.05.1863 - In einem ersten geheimen Gespräch mit dem Präsidenten des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV), Ferdinand Lassalle, sondiert Otto von Bismarck die Möglichkeiten politischer Kooperation mit der Arbeiterbewegung, um einen Rückhalt gegen seine liberalen Gegner im Abgeordnetenhaus zu haben.

Dezember 1863 - Der Konflikt um Schleswig und Holstein führt zunächst zu einer Bundesexekution gegen Holstein und Lauenburg.

Januar 1864 - Die Frage der Bundesreform wird bald von einer Krise internationaler Größenordnung überdeckt. Nach dem Tod Friedrichs VII. von Dänemark entbrannte ein Streit um die Zukunft der beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein. Schleswig ist ein Lehen Dänemarks, während Holstein Mitglied des Deutschen Bundes ist. Beide Territorien unterstanden jedoch dem dänischen König in Personalunion (Dänischer Gesamtstaat). Friedrich von Augustenburg beanspruchte die Länder für sich. Die deutsche nationale Bewegung unterstützte ihn und forderte die Vereinigung der beiden Herzogtümer und ihre Eingliederung in den Deutschen Bund als eigenständiger Staat. Der neue dänische König Christian IX., der unter dem Druck der Nationalbewegung im eigenen Land stand, unterschrieb stattdessen zögernd die Novemberverfassung, die Schleswig verfassungsrechtlich näher als Holstein an Dänemark band und somit den Bestimmungen des Londoner Protokolls über den Bestand des Gesamtstaates verletzte. Zur Enttäuschung der nationalen und liberalen Bewegung lehnt Otto von Bismarck es ab, den Anspruch Friedrichs von Augustenburg zu unterstützen. Er wendet sich gleichzeitig aber auch gegen die dänische Position und strebt mittelfristig die Einbindung der beiden Herzogtümer in den preußischen Machtbereich an. Dies war zum Zeitpunkt der Krise außenpolitisch allerdings nicht durchsetzbar. Deshalb hegt Bismarck zunächst wie Österreich ein Interesse an einem neuen Augustenburger Staat. Die Österreicher sehen in einer „nationalen Lösung“ der schleswig-holsteinischen Frage eine Gefahr für den eigenen Vielvölkerstaat. Vor diesem Hintergrund kann es noch einmal zu einer Zusammenarbeit der beiden deutschen Großmächte kommen. Bismarcks Politik in der schleswig-holsteinischen Krise folgt wie auch bei anderen Gelegenheiten keinem festen Plan. Er geht vielmehr davon aus, dass die Umstände denjenigen am meisten begünstigen werden, der sich von ihnen leiten lässt, ihnen Lösungen abgewinnt und sie ihnen nicht aufzuzwingen versucht. Bismarck tritt zunächst als Verteidiger des bestehenden Völkerrechts auf und fordert von Dänemark, wieder auf den Boden der Londoner Verträge von 1852 zurückzukehren. Dadurch beruhigt er die europäischen Großmächte. Österreich stellt sich an die Seite Preußens. Die übrigen deutschen Staaten im Deutschen Bund und der Bundestag werden dadurch weitgehend an den Rand gedrängt. Tatsächlich erklären Bismarck und der österreichische Gesandte Alajos Károlyi in Berlin, dass beide Großmächte das Recht beanspruchen, sich über die Beschlüsse des Bundestages hinwegzusetzen. Damit wird das Fortbestehen des Bundes erstmals von Preußen und von Österreich gemeinsam in Frage gestellt.

Februar 1864 - Der preußische General von Wrangel überschreitet die deutsch-dänische Grenze bei Rendsburg. Im Gegensatz zu früheren Kriegen Preußens liegt die eigentliche Führung nicht beim König oder den hohen Militärs, sondern beim Ministerpräsidenten, dessen politischem Kalkül die militärischen Schritte untergeordnet werden. Als sich die Berichte über unüberlegte Befehle des 80-jährigen Oberbefehlshabers General Friedrich von Wrangel häufen und er beim König den Antrag stellt, Schleswig-Holstein als unabhängige Herzogtümer anzuerkennen, wird er auf Betreiben Otto von Bismarcks abgelöst.

18.04.1864 - Nach dem Sieg Preußens an den Düppeler Schanzen kommt es auf der Londoner Konferenz zu ersten Verhandlungen über die Beilegung des Konflikts, die nicht zuletzt am Taktieren Otto von Bismarcks scheitern. Der Krieg geht weiter und die verbündeten Österreicher und Preußen erobern Jütland. Damit ist Dänemark besiegt.

30.10.1864 - Der preußisch-dänische Krieg endet mit dem Wiener Friedensvertrag. In diesem verzichtete Dänemark auf die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Die zeitweiligen Überlegungen, einen eigenen Bundesstaat unter den Augustenburgern zu bilden, bleiben ergebnislos, weil Otto von Bismarck versucht, einen solchen Bundesstaat zu einer Art preußischem Protektorat zu machen. Stattdessen werden die Herzogtümer der gemeinsamen Verwaltung durch Österreich und Preußen unterstellt. Diese Konstruktion ist für Bismarck nur ein Provisorium. Nicht zuletzt auf Grund seines Ziels der alleinigen Kontrolle über die Herzogtümer tritt der preußisch-österreichische Gegensatz wieder hervor. Innenpolitisch löste der Erfolg in Dänemark kein Nachgeben der Fortschrittspartei im preußischen Parlament aus. Die Liberalen befinden sich Bismarck gegenüber jetzt aber mit verschiedenen Anträgen in der Defensive, wenn sie zum Beispiel wegen des Verfassungsstreits den Ausbau der Marine ablehnen, der von der Mehrheit sachlich gewollt wird. In der liberalen Bewegung beginnen ehemalige Kritiker des Ministerpräsidenten wie Heinrich von Treitschke, ihre Position zu ändern. Die Liberalen beginnen, in zwei Lager zu zerfallen: Jene, die an der Verbindung zwischen nationaler Einigung und politischer Liberalisierung festhalten, und jene, die das erste Ziel auch unter Hintansetzung des zweiten anstreben.

1865 - Otto von Bismarck fordert den Medizin-Professor Rudolf Virchow (ein Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses) zum Duell, das dieser jedoch ablehnte, weil es keine zeitgemäße Form der Auseinandersetzung sei. An der verfahrenen politischen Situation ändert sich freilich nichts. Die Verfassungskrise bleibt vorerst ungelöst und artet in so etwas wie einen Stellungskrieg aus. Bismarck versucht, die Opposition zu zermürben. Er regiert mit dem Staatsapparat, und lange Zeit wird das Parlament gar nicht einberufen.

14.08.1865 - Nach dem Deutsch-Dänischen Krieg spielt Otto von Bismarck noch einige Zeit ernsthaft mit dem Gedanken einer preußisch-österreichischen Übereinkunft unter konservativem Vorzeichen. Als sich zeigt, dass die von Ludwig von Biegeleben bestimmte österreichische Deutschlandpolitik eine Erweiterung der preußischen Macht nicht zulässt, setzt Bismarck auf ein Bündnis mit der liberalen und nationalen Bewegung mit dem Ziel der Schaffung eines kleindeutschen Staates. Allerdings steuert er keineswegs von Beginn an auf eine kriegerische Auseinandersetzung hin. Vielmehr hält er sich zunächst mit dem Ziel der alleinigen Kontrolle über Schleswig und Holstein alle Optionen offen. In der Gasteiner Konvention kommt es zur Teilung. Holstein wird österreichisch und Schleswig preußisch verwaltet. Das Herzogtum Sachsen-Lauenburg kommt an Preußen. Für Bismarck gilt diese Regelung mit Österreich allerdings nur als Provisorium.

16.09.1865 - Als Dank für seine großen Leistungen um das Königreich Preußen erhält Otto von Bismarck den preußischen Grafentitel.

28.02.1866 - Otto von Bismarck entscheidet sich für einen Krieg, weil er hofft, so den preußischen Verfassungskonflikt beenden zu können, zeichnet sich doch immer deutlicher eine Spaltung des oppositionellen Lagers ab. Die zentrale Weichenstellung fällt auf der heutigen Kronratssitzung. Bismarck gelingt es, den vor einem „Bruderkrieg“ zurückschreckenden König von der Kriegspolitik zu überzeugen, und er schafft es, Wilhelm I. in den folgenden Monaten von der Änderung seiner Meinung abzuhalten. Bismarck unternimmt nun alles, Österreich zu isolieren und zu provozieren. Er hält sich aber auch die Möglichkeit offen, den Konfrontationskurs abzubrechen, sollte es zu starke Widerstände der Großmächte geben. Mit Erfolg hält Bismarck insbesondere Napoléon III. zu einer neutralen Haltung an.

08.04.1866 - Otto von Bismarck sichert sich die Unterstützung Italiens im Falle eines Krieges gegen Österreich durch einen befristeten Bündnisvertrag. Nachdem er erneut die Wahl eines direkt gewählten deutschen Parlaments ins Spiel bringt, um Österreich zu provozieren, löst er massive Kritik im Lager der preußischen Konservativen aus. Selbst Ludwig von Gerlach distanziert sich in aller Schärfe von ihm. Die Liberalen halten Bismarck weiterhin für unglaubwürdig und gehen auf dessen Bündnisangebot nicht ein. Auch in der Öffentlichkeit ist ein deutscher Bürgerkrieg höchst unpopulär.

07.05.1866 - Um den Krieg abzuwenden, verübt der Tübinger Student Ferdinand Cohen-Blind, Stiefsohn eines 1848er-Revolutionärs, ein Pistolenattentat auf Otto von Bismarck, um gegen dessen antiliberale Politik zu demonstrieren. Bismarck bleibt unverletzt und deutet dies als gutes Omen für seine weitere politische Arbeit.

09.05.1866 - Das preußische Parlament wird erneut aufgelöst. Otto von Bismarck spielt anfangs selbst mit dem Gedanken eines Staatsstreichs durch Abschaffung von Wahlrecht und Verfassung. Je länger der Konflikt andauert, desto mehr lehnt er solche Forderungen, die von konservativer Seite erhoben werden, aber ab, da sie keine langfristig stabile politische Ordnung hervorzubringen versprechen. Bismarck versucht unterdessen, mit außenpolitischen Erfolgen innenpolitischen Druck auf die Opposition auszuüben. Zunächst geht dieses Kalkül nur sehr bedingt auf.

01.06.1866 - Als Österreich die Entscheidung über die Zukunft Schleswig-Holsteins dem Bundestag überträgt, lässt Otto von Bismarck mit dem Argument, dies sei eine Verletzung der Gasteiner Konvention, die preußische Armee in Holstein einmarschieren.

14.06.1866 - Der Bundestag beschließt auf Antrag Österreichs die Mobilmachung des Bundesheeres. Preußen erklärte daraufhin den Bund für aufgelöst, da ein solcher Beschluss unzulässig ist. Otto von Bismarck gibt den Befehl zur Einnahme der Königreiche Hannover, Sachsen und gegen Kurhessen. Ein Erfolg der preußischen Armee gilt keinesfalls als sicher. Ein Großteil der Zeitgenossen, so auch Napoléon III., rechnen mit einem österreichischen Sieg. Bismarck setzt somit alles auf eine Karte. „Wenn wir geschlagen werden […] werde ich nicht hierher zurückkehren. Ich werde bei der letzten Attacke fallen.“ Bismarck ist bestrebt, den Krieg selbst unter Kontrolle zu halten. Dies steht im Gegensatz zu den Plänen von Generalstabschef Moltke, der einen unbegrenzten Krieg plant. Die Gefahr, das Militär könnte sich der politischen Führung entziehen, kommt dann wegen der Kürze des Feldzuges nicht zum Tragen. Aus verschiedenen Gründen – etwa der Zerstrittenheit der Streitkräfte des Deutschen Bundes, der strategischen Nutzung der Eisenbahn und neuer Taktiken auf dem Schlachtfeld – erweist sich die preußische Armee als überlegen. Bismarck wird zum Generalmajor befördert.

03.07.1866 - Preußen erringt in der Schlacht von Königgrätz den entscheidenden Sieg gegen Österreich. Während Wilhelm I. und die Militärs darauf drängen, Wien zu erobern und Österreich harte Friedensbedingungen aufzuerlegen, setzt Otto von Bismarck gemäßigte Bedingungen durch, da er davon ausgeht, dass ein geschwächtes Österreich zu einem Bündnis mit Frankreich gezwungen wäre, was zu einem Zweifrontenkrieg gegen Preußen führen könnte.

23.08.1866 - Im Prager Frieden braucht Österreich keine Gebiete an Preußen abzutreten, muss aber der Abtretung Venetiens an Italien, der Auflösung des Deutschen Bundes und der Bildung eines Norddeutschen Bundes unter preußischer Führung zustimmen. Schleswig und Holstein werden von Preußen ebenso annektiert wie Hannover, Kurhessen, Nassau und die Freie Stadt Frankfurt. Die süddeutschen Staaten bleiben unabhängig.

1867 - Otto von Bismarck erwirbt von der ihm wegen des erfolgreichen Deutschen Krieges bewilligten Dotation in Höhe von 400.000 Talern das Rittergut Varzin. Auf dessen Gemarkung ließ er die Papierfabrik Hammermühle errichten, die sich bald zum größten Unternehmen Ostpommerns entwickeln soll, sowie weitere Papierfabriken. Der Krieg führt unter anderem dazu, dass die Konservativen ihre Position im preußischen Landtag erheblich ausbauen können. Um den Konflikt mit den Liberalen endlich beizulegen, lässt Bismarck ankündigen, er wolle den Landtag um „Indemnität“ bitten, also um die nachträgliche Genehmigung der Ausgaben. Dies bedeutete das Eingeständnis, dass er in den Jahren seit 1862 faktisch ohne rechtmäßigen Haushalt regiert hat. Bismarck will dies aber nicht als Schuldeingeständnis gewertet wissen. Es findet ein Politikwechsel statt, mit dem niemand gerechnet hat. Die Frage, wie man das Angebot Bismarcks zu beurteilen habe, führt zur Spaltung der Liberalen. Während die einen argumentieren, dass von Bismarck weitere Fortschritte in der nationalen Frage zu erwarten seien, meinen andere, liberale Freiheitsrechte müssten Vorrang vor der nationalen Einheit haben. Dieser Konflikt führt zur Abspaltung der gemäßigten und nationalen Liberalen von der Fortschrittspartei und zur Bildung der Nationalliberalen Partei. Ähnliche Veränderungen finden auch im Lager der Konservativen statt. Von den ideologisch geprägten Altkonservativen um Leopold von Gerlach, die sich schon vor dem Krieg von 1866 von Bismarck abgewandt hatten, trennen sich nunmehr realpolitisch gesinnte Bismarckanhänger und bilden die Freikonservative Partei. Für seine Politik wird sich Bismarck in den folgenden Jahren auf Nationalliberale und Freikonservative stützen können. Der Sieg im Deutschen Krieg bewirkt in der deutschen und preußischen Öffentlichkeit einen Wandel in der Beurteilung Bismarcks. Von den Zeitgenossen werden die Umwälzungen als „Revolution von oben“ wahrgenommen. Bismarck selbst hatte mit einer Revolution gedroht, als er fürchtete, Russland würde die Annexionen in Norddeutschland verhindern: „Soll Revolution sein, so wollen wir sie lieber machen als erleiden.“ Gegenüber Napoléon III. hatte er bereits früher gesagt: „Revolutionen machen in Preußen nur die Könige.“ Bei den Annexionen hat Bismarck sich um das für die Konservativen zentrale Prinzip der monarchischen Legitimität nicht gekümmert. Der Reichstag des neuen Norddeutschen Bundes wird nach demokratischen Grundsätzen gewählt. Die zentralen Aspekte der Verfassung des Bundes werden von Bismarck in weiten Teilen selbst bestimmt („Putbuser Diktate“), wenngleich er in den parlamentarischen Beratungen auch einigen Kompromissen zustimmen muss. Die neue Verfassung wird daher auch Bismarcksche Reichsverfassung genannt.

Frühling 1867 - Zusammen mit der Position des preußischen Ministerpräsidenten und dem Amt des Außenministers hat Otto von Bismarck als norddeutscher Bundeskanzler nun eine überaus starke Machtstellung inne. Im konstituierenden Reichstag (Februar bis April 1867), dem verfassungsvereinbarenden Gremium, gelingt es den Nationalliberalen zwar, Bismarck noch einige Zugeständnisse abzuringen. Doch der Militäretat wird weitgehend dem parlamentarischen Einfluss entzogen. Weder Kanzler noch andere Regierungsmitglieder können vom Reichstag zu Fall gebracht werden. Insgesamt ist Bismarck den liberalen Forderungen weit entgegengekommen, er hat aber auch alles dafür getan, zu verhindern, dass aus dem konstitutionellen ein parlamentarisches System wird. Die inneren Veränderungen gehen aber weit über die Verfassung hinaus. Sie umfassen die allgemeine Rechtsordnung, die Wirtschafts- und Sozialverfassung bis hin zur Verwaltungsstruktur. Bei allen Mängeln ist doch bemerkenswert, dass unter der Verantwortung Bismarcks, der kurze Zeit zuvor noch allgemein als Erzkonservativer gegolten hatte, ein für die Zeit sehr modernes Staatswesen entsteht. In weiten Bereichen entspricht dieses liberalen Vorstellungen. Die eigentliche Umsetzung liegt in anderen Händen. Insbesondere Rudolph von Delbrück ist hier eine prägende Persönlichkeit. Dennoch ist Bismarcks persönlicher Einfluss nicht zu unterschätzen. Zwar werden mit den süddeutschen Staaten Schutz- und Trutzbündnisse abgeschlossen, aber der Norddeutsche Bund erweist sich nicht als der von Bismarck erhoffte Magnet, der zu einem Anschluss der noch fernstehenden deutschen Länder führt. Die Wahlen zum Zollparlament gewinnen in Bayern und Württemberg Gegner eines Anschlusses. Bismarck ist der Meinung, dass nur eine äußere Bedrohung die Stimmung in seinem Sinn verändern könnte. Allerdings versucht er nicht, eine konkrete Bedrohungssituation selbst herbeizuführen. Zwar hält er es für wahrscheinlich, dass die deutsche Einigung gewaltsam gefördert werden muss, aber „ein willkürliches, nur nach subjektiven Gründen bestimmtes Eingreifen in die Entwicklung der Geschichte hat immer nur das Abschlagen unreifer Früchte zur Folge; und dass die deutsche Einheit in diesem Augenblick keine reife Frucht ist, fällt meines Erachtens ins Auge.“ Außenpolitisch rechnet Bismarck von Seiten Frankreichs mit dem stärksten Widerstand gegen einen deutschen Nationalstaat. In der französischen Öffentlichkeit wird unter der Losung „Rache für Sadowa“ (Königgrätz) territoriale Forderungen gestellt, die zur Luxemburgkrise führen.

Mai 1867 - Mit der Neutralisierung Luxemburgs wird die "Luxemburgkrise" durch Otto von Bismarck gelöst. Dieser nutzt die Gelegenheit, durch Parlamentsreden und in Presseartikeln die antifranzösische Stimmung zu verstärken. Napoléon III. sieht den Ausgang des Konflikts als Niederlage an und tut danach alles, um weitere preußische Ambitionen zu unterbinden. Unklar ist, ob Bismarck tatsächlich bereit ist, den Erwerb Luxemburgs durch Frankreich zu akzeptieren und nur die Umstände dies verhindern, oder ob das Ergebnis der Krise seinem bewussten Kalkül entspringt. Unabhängig davon stehen sich der Norddeutsche Bund und Frankreich nun in aller Schärfe gegenüber.

14.07.1867 - Otto von Bismarck wird Kanzler des unter preußischer Führung gegründeten Norddeutschen Bundes, dessen Verfassung inklusive allgemeinem und gleichem Wahlrecht weitgehend auf seine eigenen Entwürfe zurückgeht.

Anfang 1870 - Ein weiterer Konflikt mit Frankreich entsteht im Laufe der spanischen Thronfolge-Frage. Otto von Bismarck drängt Prinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen zur Kandidatur. Der Prinz entstammt der katholischen Linie der in Preußen regierenden Hohenzollern, was ihn für Frankreich unannehmbar macht. Bismarck geht es zunächst nur darum, einen diplomatischen Sieg zu erringen und sich dabei mehrere Möglichkeiten offen zu halten. Sowohl Bismarck als auch Kaiser Napoléon III. wollen für sich einen Ansehensverlust verhindern, so dass der diplomatische Konflikt zu einer nationalen Frage eskaliert.

13.07.1870 - In Frankreich erzielt die Hohenzollernkandidatur die von Otto von Bismarck erhoffte Wirkung, befürchtet man dort doch, künftig von hohenzollerschen Staaten eingekreist zu werden. Die Krise scheint durch den Verzicht des Prinzen zunächst entschärft. König Wilhelm I. weist jedoch das Verlangen Frankreichs zurück, er solle im Namen des Hauses Hohenzollern auch für alle Zukunft auf ähnliche Kandidaturen verzichten. Der König informiert Bismarck darüber in der sogenannten Emser Depesche. Dieser nutzt die Gelegenheit, redigiert die Depesche so, dass ihr Tenor verschärft wird und gibt sie dann an die Presse weiter. Napoléon III. wird damit vor aller Welt brüskiert. Angesichts der Reaktionen in der französischen Öffentlichkeit sieht er keine andere Wahl mehr, als Preußen den Krieg zu erklären. Damit erscheint Frankreich, wie von Bismarck beabsichtigt, als Aggressor. In Deutschland ist die öffentliche Meinung nun ganz auf Seiten Preußens und die süddeutschen Staaten sehen den Bündnisfall als gegeben an. Dagegen ist Frankreich außenpolitisch völlig isoliert.

September 1870 - Der Deutsch-Französische Krieg scheint zunächst nach gewohntem Muster eine rasche Entscheidung zu bringen. Infolge der Gefangennahme Napoléons III. bei der Schlacht von Sedan bricht das Zweite Kaiserreich zusammen. Zu einem schnellen Friedensschluss kommt es allerdings nicht, weil die deutsche Seite, mit Otto von Bismarck in führender Rolle, die Abtretung von Elsass-Lothringen zur Bedingung macht. Diese territoriale Forderung wird auch unter dem Eindruck der öffentlichen Meinung in Deutschland gestellt. Kurzfristig führt dies dazu, dass die neu gebildete französische Regierung den Krieg nicht nur fortsetzt, sondern ihn sogar zu einem nationalen Volkskrieg erhebt. Langfristig werden die deutsch-französischen Beziehungen durch die Elsass-Lothringen-Frage schwer belastet. Die dauerhafte Schwächung Frankreichs entwickelte sich zu einem zentralen Ziel der Bismarckschen Außenpolitik. Der Ministerpräsident mischt sich während des Krieges wiederholt in die Entscheidungen der Militärs ein. Dies führt zu heftigen Konflikten mit der militärischen Führung, die ihren Höhepunkt anlässlich der Frage einer Belagerung oder Beschießung von Paris erreichten. Hier setzte Bismarck sich mit seiner Forderung nach einer Beschießung durch.

Oktober 1870 - Der Deutsch-Französische Krieg drängt die Gegner der deutschen Vereinigung auch in Süddeutschland in die Defensive. Seit Mitte des Monats verhandelt Otto von Bismarck in Versailles mit den Delegationen der süddeutschen Länder. Mit einem Bündnis der deutschen Fürsten und freien Städte soll nicht zuletzt weitergehenden Vorstellungen des nationalen und liberalen Lagers begegnet werden. Bei den Verhandlungen verzichtet Bismarck auf direkten Druck und argumentiert stattdessen mit den Vorteilen eines solchen Zusammenschlusses. Insgesamt setzt er seine Vorstellungen durch.

November 1870 - Als Erste erklären Baden und Hessen-Darmstadt ihren Beitritt zum Norddeutschen Bund. Württemberg und Bayern machen den Weg zur Gründung des Deutschen Reiches frei, nachdem ihnen Reservatsrechte zugebilligt wurden. Otto von Bismarck selbst verfasst den Kaiserbrief, mit dem König Ludwig II. von Bayern den preußischen König Wilhelm I. um die Annahme der Kaiserkrone bittet. In diesem Zusammenhang besticht Bismarck den bayerischen König auch mit Mitteln aus dem Welfenfonds. Nur mit Mühe gelingt es ihm allerdings, König Wilhelm, der einen Bedeutungsverlust des preußischen Königtums befürchtet, zur Annahme des Kaisertitels zu bewegen.

18.01.1871 - Im Spiegelsaal von Versailles kommt es zu einer deutschen „Kaiserproklamation“. Sie markiert die Gründung des Deutschen Kaiserreichs. Wenige Tage später wird Paris kapitulieren.

21.03.1871 - Otto von Bismarck wird in den erblichen Fürstenstand erhoben und zum ersten Reichskanzler des neu gegründeten Deutschen Reichs ernannt. Seine Ämter als preußischer Ministerpräsident und Außenminister behält er bei.

10.05.1871 - Der Deutsch-Französische Krieg endet mit dem Frieden von Frankfurt. Otto von Bismarck hat damit den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn erreicht. Er wird in den Fürstenstand erhoben und Wilhelm I. machte ihm den Sachsenwald in der Nähe Hamburgs zum Geschenk. Bismarck gehört nunmehr zu den großen Grundbesitzern des Reiches und ist, auch dank der geschickten Verwaltung seiner Gelder durch Gerson Bleichröder, ein reicher Mann. Den Großteil seines Vermögens erwirtschaftet er über den Verkauf des Holzes aus dem Sachsenwald. Bismarck erwirbt ein ehemaliges Hotel in Friedrichsruh im Sachsenwald und lässt es umbauen. Von jetzt an wird Friedrichsruh zum Mittelpunkt seines Privatlebens. Das neue Kaiserreich übernimmt weitgehend die Verfassung des Norddeutschen Bundes. Als Reichskanzler, Vorsitzender des Bundesrates, preußischer Ministerpräsident und Außenminister bleibt Bismarck so der dominierende Politiker. Darüber hinaus kann er auf sein ungeheures Prestige als Gründer des Reiches bauen. Dieses wiegt auch gegenüber Wilhelm I. schwer, sodass Bismarck seinen Willen gegenüber dem Deutschen Kaiser meist durchsetzen kann. Wilhelm klagt daher später: „Es ist nicht leicht unter einem solchen Kanzler Kaiser zu sein.“ Bismarck wird zum Generalleutnant befördert.

14.05.1872 - Otto von Bismarck verschärft den "Kulturkampf", indem er die Katholiken zu Reichsfeinden erklärt, auch um aufziehender Kritik an seiner Amtsführung entgegenzuwirken. Im Rahmen des von ihm zu bezeichneten Kulturkampfes werden verschiedene Sondergesetze gegen die Katholiken beschlossen und wiederholt verschärft. Im Zuge dieser Auseinandersetzung werden Rechte und Machtstellung der Kirche durch Reichs- und preußische Landesgesetze beschnitten (Kanzelparagraph, Brotkorbgesetz), aber auch die Zivilehe eingeführt. In diesem Zusammenhang äußert Bismarck am vor dem Reichstag: „Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig.“

Zweite Hälfte 1871 - Nationalliberale und Otto von Bismarck stimmen in ihrer Gegnerschaft zu einer katholischen Partei überein. Für Bismarck spielt dabei auch eine Rolle, dass mit der 1870 gegründeten Zentrumspartei eine seinem Einfluss entzogene, im Kern konservative, katholische Partei entstanden ist. Das Zentrum schafft eine Klammer zwischen katholischer Arbeiterschaft, Honoratioren und Kirche. Bismarck reduziert es konsequent auf den von ihm gefürchteten Ultramontanismus. Tatsächlich wird das Zentrum in den ersten Reichstagswahlen von 1871 auf Anhieb zweitstärkste Kraft. Damit sinkt der Wahlerfolg der Nationalliberalen insbesondere im katholisch-bürgerlichen Lager. Der Kulturkampf hat für Bismarck zwar vor allem politische Gründe, doch er sieht in Ludwig Windthorst, dem herausragenden Politiker der Zentrumspartei, einen persönlichen Gegner: „Mein Leben erhalten und verschönern zwei Dinge, meine Frau und Windthorst. Die eine ist für die Liebe da, der andere für den Haß.“
So sehr Otto von Bismarck auch von Leidenschaft zur Politik und der Liebe zur Macht durchdrungen ist, so sehr sehnt er sich inzwischen gleichzeitig nach einer Befreiung von dieser Last: „Mein Öl ist verbraucht, ich kann nicht mehr.“ Bismarck ist in den Jahren seiner Kanzlerschaft nicht nur psychisch belastet, sondern auch körperlich stark angeschlagen. Immer öfter muss er sich deswegen teilweise für Monate auf seine Güter zurückziehen.

Ende 1872 - Als das preußische Herrenhaus sich weigert, einer Reform der Kreisordnung zuzustimmen, veranlasst Otto von Bismarck Kaiser Wilhelm I. dazu, zusätzliche Herrenhausmitglieder zu ernennen, um mit Hilfe dieses „Pairsschubes“ das Gesetz durchzubringen. Die Empörung bei den Konservativen ist groß und Roon spricht gar von einem Staatsstreich.

01.01.1873 - Otto von Bismarck tritt zugunsten Roons vom Posten des preußischen Ministerpräsidenten zurück und bleibt in dessen Kabinett Minister für Auswärtiges.

09.11.1873 - Ministerpräsident Roon tritt nach nur elf Monaten Amtszeit von seinem Posten zurück und wieder übernimmt Otto von Bismarck die Regierungsgeschäfte. Auf verschiedenen Feldern zeigen sich erste Grenzen der Zusammenarbeit Bismarcks mit den Liberalen. Zum wichtigsten Streitpunkt wird der Bereich der Militärorganisation, um den es heftige Auseinandersetzungen gibt. Auf den von Bismarck geforderten faktischen Verzicht des Parlaments auf Kontrolle des Militärhaushaltes („Äternat“) können sich die Nationalliberalen nicht einlassen.

1874 - Der nationalliberale Abgeordnete Johannes Miquel legt einen Kompromissvorschlag zur Kontrolle des Militärhaushalts vor. Danach werden die Ausgaben für jeweils sieben Jahre bewilligt („Septennat“). Trotz dieses relativen Erfolgs hat Otto von Bismarck den Liberalen die Grenzen seiner Kooperationswilligkeit deutlich gemacht, obwohl diese ihm de facto acht Jahre Handlungsfreiheit geben. Gleichzeitig stärkt die grundsätzliche Einigung mit dem Parlament Bismarcks Stellung gegenüber dem Militär.

13.07.1874 - Der katholische Böttchergeselle Eduard Kullmann (1853-1892) verübt in Kissingen ein Pistolen-Attentat auf Otto von Bismarck, bei dem dieser leicht am rechten Handgelenk verwundet wird. Obwohl sich die Zentrumspartei kurz darauf von dem Täter distanziert, trägt der Vorfall wesentlich zur Verschärfung des Kulturkampfes bei.

Oktober 1874 - Eduard Kullmann, der im Juli ein Attentat auf Otto von Bismarck verübte und ihn leicht am rechten Handgelenk verletzte, wird zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt.

1876 - Die Basis der Zusammenarbeit von Otto von Bismarck mit den Liberalen wurde immer schwächer. Mit Aufzug der Gründerkrise beginnen zahlreiche Großgrundbesitzer und Industrielle, Forderungen nach Schutzzöllen zu erheben. Bismarck hofft, dass die Wirtschaftspolitik zur Spaltung der Liberalen führen wird. Obwohl er sich öffentlich nicht zu diesem Thema äußert, ermutigte er die Interessenvertreter zur Abspaltung, die dann auch vollzogen wird. In der neu gegründeten Deutschkonservativen Partei sieht Bismarck einen möglichen Bündnispartner; das Parteiprogramm wird mit ihm persönlich abgestimmt. Zum Vorzeichen des aufziehenden Konflikts mit den Liberalen wird der Rücktritt Rudolph von Delbrücks vom Amt des Präsidenten des Reichskanzleramtes. Delbrück galt bislang als Verkörperung der Zusammenarbeit Bismarcks mit den Liberalen sowie als Hauptvertreter des Wirtschaftsliberalismus.
Bismarck wird zum General der Kavallerie ernannt.

1877 - In Hinblick auf den erwarteten Thronwechsel in Preußen stellen die Liberalen für Otto von Bismarck eine Gefahr dar. Unter einem Kaiser Friedrich III. ist ein Wechsel zu einer liberalen Regierung zu erwarten – nach dem Vorbild der britischen Regierung unter Premierminister William Ewart Gladstone. Bismarck versucht Albrecht von Stosch, den Chef der Marine, auszuschalten, da dieser als möglicher Kanzler des künftigen Kaisers gilt. Als dies scheitert, droht Bismarck mit dem eigenen Rücktritt und zieht sich zeitweise auf sein Gut in Varzin zurück. Der Versuch, von dort aus die Nationalliberalen mit Angeboten – etwa ein Ministeramt für Rudolf von Bennigsen – und Zugeständnissen für seine Politik zu gewinnen, ist nicht erfolgreich. Ihm werden Gegenforderungen präsentiert, die seinen Plänen zuwiderlaufen, den Parlamentarismus einzudämmen. Daraufhin entschließt er sich zum Bruch mit den Nationalliberalen.

15.06.1877 - Im so genannten Kissinger Diktat spricht sich Otto von Bismarck für die russische Schwarzmeerherrschaft aus. Großbritannien soll Ägypten erhalten, das Deutsche Reich sei hingegen nur an der Erhaltung des Status quo interessiert. Bismarck skizziert damit sein außenpolitisches Ziel, dass das Deutsche Reich gute und nicht einseitig gebundene Beziehungen zu allen europäischen Mächten außer Frankreich erhalten und zugleich den europäischen Frieden sichern könne.

19.02.1878 - Otto von Bismarck erklärt vor dem Reichstag seine Bereitschaft, in der Orientkrise als "ehrlicher Makler" zu vermitteln. Erneut unterstreicht er damit sein außenpolitisches Ziel des europäischen Gleichgewichts und sucht dieses auch durch Einberufung des Berliner Kongresses zur Lösung der Balkan-Krise im Juni 1878 zu verwirklichen.

22.02.1878 - Angesichts der gegenseitigen politischen Blockade sieht sich Otto von Bismarck zu einer Flucht nach vorn gezwungen. In einer Reichstagsrede kündigt Bismarck einen innenpolitischen Kurswechsel an. Das dabei von ihm angedeutete Ziel eines staatlichen Tabakmonopols widerspricht zentralen wirtschaftsliberalen Prinzipien. Über den konkreten Anlass hinaus fassen die dem Liberalismus nahestehenden Regierungsmitglieder dies als einen ersten Schritt hin zu einer grundlegend veränderten Wirtschaftspolitik auf.

März 1878 - Die Minister Heinrich von Achenbach und Otto von Camphausen legen ihre Ämter nieder. An ihre Stelle treten Personen, die in den Parteien kaum verankert sind und nur geringes politisches Gewicht besitzen.

Juni/Juli 1878 - Während des Berliner Kongresses zur Beendigung der Balkankrise präsentiert sich Otto von Bismarck als „ehrlicher Makler“. Dies verstärkt zwar sein außenpolitisches Prestige auch im Ausland, es zeigen sich aber auch sofort die Grenzen seines Konzepts. Zar Alexander II. macht Bismarck dafür verantwortlich, dass Russlands Erfolge eng begrenzt bleiben. Dies führt dazu, dass Bismarck die Zusammenarbeit mit Österreich forciert.
Die erste, harte Etappe des Kulturkampfes endet mit dem Tod des Papstes Pius IX.; sein Nachfolger Leo XIII. signalisiert Verständigungsbereitschaft, an der Bismarck gelegen ist, um dadurch das Zentrum auszubooten. Eine direkte Verhandlung mit dem Heiligen Stuhl schadet der Partei und verringerte ihr Ansehen bei der katholischen Bevölkerung. Zudem hat der Kanzler nicht das geschafft, was er vorgehabt hat. Die katholische Basis und die katholische Partei lassen sich nicht spalten, vielmehr wird durch die staatlichen Angriffe die Bildung eines katholischen Milieus sogar noch gefördert. Darüber hinaus unterstützt die katholische Presse die Partei, die zunehmend Mandate im Reichstag gewinnt. Ein letzter Grund für Bismarck ergibt sich aus dem letztlich vollzogenen Bruch mit den Nationalliberalen. Er lotet die Möglichkeit aus, das Zentrum in seine Politik einzubauen und somit eine „blau-schwarze Koalition“ mit den Konservativen zu bilden.

17.07.1878 - Mit der Arbeiterschutz-Novelle wird die obligatorische Fabrikaufsicht durch staatliche Fabrikinspektoren eingeführt. Mit dieser sozialpolitischen Maßnahme beginnt Otto von Bismarck den schrittweisen Ausbau des staatlichen Fürsorge- und Wohlfahrtssystems, um damit der Sozialdemokratie ihre Basis zu entziehen.

18.10.1878 - Mit dem Reichsgesetz "wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie", dem so genannten Sozialistengesetz, erreicht Otto von Bismarck das seit 1874 von ihm geforderte Verbot der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) und der Arbeiterbewegung. Sein Ziel, die Sozialdemokratie nachhaltig zu zerstören, erreicht er nicht. Zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I. in diesem Jahr dienen Bismarck als willkommener Anlass, mit einem Sozialistengesetz gegen die Sozialistische Arbeiterpartei vorzugehen. Er will einen „Vernichtungskrieg führen durch Gesetzesvorlagen, welche die sozialdemokratischen Vereine, Versammlungen, die Presse, die Freizügigkeit (durch die Möglichkeit der Ausweisung und Internierung) […] träfen.“ Über den Kampf gegen die Sozialdemokratie hinaus bieten die Attentate für Bismarck aber auch die Gelegenheit, angesichts einer fehlenden parlamentarischen Unterstützung wieder in die politische Offensive zu gehen und zu neuen Mehrheiten zu kommen. Ein erster Gesetzentwurf scheiterte an der überwältigenden Mehrheit des Reichstags. Nach dem zweiten Attentat lässt Bismarck das Parlament auflösen. Er will wieder die Rückendeckung der Nationalliberalen gewinnen und darüber hinaus die Regierungsbasis weiter nach rechts verschieben. Nach der Wahl sind die beiden konservativen Parteien zusammen stärker als die Nationalliberalen. Im neuen Reichstag stimmen schließlich auch die Nationalliberalen, nach einigen Zugeständnissen, dem Sozialistengesetz zu. Dieses Ausnahmegesetz verbietet die sozialistische Agitation, während die politische Arbeit der sozialdemokratischen Parlamentarier davon unberührt bleibt. Letztlich verfehlt das Gesetz seinen Zweck und trägt ungewollt zur Verfestigung eines sozialistischen Milieus bei, denn erst jetzt setzt sich die marxistische Theorie wirklich durch.

15.12.1878 - Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise wird der Ruf von Großgrundbesitzern und Schwerindustriellen nach Schutzzöllen lauter. Als sich für diese Forderung eine Mehrheit im Reichstag abzeichnet, spricht sich auch Otto von Bismarck, der auf erhöhte Staatseinnahmen hofft, im so genannten „Weihnachtsbrief“ für eine Verbindung von Steuerreform und Schutzzollpolitik aus. Dem stimmen letztlich nur wenige Nationalliberale zu. Bismarck stützt sich stattdessen auf die Deutschkonservative Partei, auf die Freikonservativen und auf das Zentrum. Die liberale Ära ist damit beendet. Bismarck betont nunmehr die Bedeutung des Obrigkeitsstaates als Garanten der nationalen Einheit und setzt auf eine nationalkonservative Sammlungsbewegung unter Einschluss des Zentrums. Eine feste parlamentarische Basis, wie sie zuvor die Nationalliberalen gestellt haben, bietet diese Parteienkonstellation allerdings nicht. Viele politische Initiativen Bismarcks werden daher in den folgenden Jahren ergebnislos bleiben.

1879 - Die im Vorjahr begonnene neue Zusammenarbeit mit Österreich mündet in den "Zweibundvertrag". Aus diesem Defensivbündnis gegenüber Russland wird eine dauerhafte Allianz, die die Außenpolitik während des gesamten Kaiserreiches prägen wird. Otto von Bismarck selbst stilisierte die Verbindung als eine Art zeitgemäße Neuausgabe des Deutschen Bundes und als „Bollwerk des Friedens über lange Jahre hinaus. Populär bei allen Parteien, exklusive Nihilisten und Sozialisten.“
Mit der Forderung der Nationalliberalen, die Reichsverfassung in einem stärker parlamentarischen Sinne umzugestalten, wird eine Grenze erreicht, die Otto von Bismarck nicht zu überschreiten bereit ist. Im Reichstag erklärte er: „Eine Fraktion kann sehr wohl die Regierung unterstützen und dafür einen Einfluss auf sie gewinnen, aber wenn sie die Regierung regieren will, dann zwingt sie die Regierung, ihrerseits dagegen zu reagieren.“
Da Otto von Bismarck im Überfluss isst und trinkt wird er immer dicker und wiegt inzwischen 247 Pfund, bei einer Körpergröße von 1,90 Meter. Er leidet unter zahlreichen teils chronischen Krankheiten wie Rheuma, Venenentzündungen, Verdauungsstörungen, Hämorrhoiden und vor allem unter Schlaflosigkeit, hervorgerufen durch Völlerei. Neben dem Konsum von Alkohol und Tabak berichten Zeitgenossen wie die Baronin Hildegard von Spitzemberg auch von der Einnahme von Morphium.

15.09.1880 - Angesichts seiner schwierigen parlamentarischen Situation versucht Otto von Bismarck, die bisherige Bedeutung der Parteien zurückzudrängen. Das Feld der Auseinandersetzung sollte die Sozial- und Wirtschaftspolitik werden. Daher übernimmt er nun selbst das Amt des Handelsministers. Um Einfluss auf die Wirtschaftsgesetzgebung zu nehmen, versucht er einen Volkswirtschaftsrat aus Vertretern der Wirtschaftsverbände zu etablieren, mit dem das Parlament umgangen werden soll. Dies scheitert allerdings am Widerstand der Parteien. Hauptziel von Bismarcks Sozialpolitik war, eine stärkere Staatsbindung zu erzeugen. Die Parteien sollen dabei von ihrer Basis getrennt werden. Bismarck verschleiert sein eigentliches Ziel des Machterhalts dabei keineswegs. Geplant ist zunächst lediglich eine Unfallversicherung, später sollen Versicherungen gegen Krankheit, Invalidität und Altersarmut hinzukommen. Diese sollen weitgehend staatlich kontrolliert sein – zeitweise spricht Bismarck sogar von Staatssozialismus. Er will so „in der großen Masse der Besitzlosen die konservative Gesinnung erzeugen, welche das Gefühl der Pensionsberechtigung mit sich bringt: „Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte“

1881 - Otto von Bismarck gelingt es, die Spannungen zwischen Deutschland und Russland abzubauen und das "Dreikaiserbündnis" abzuschließen. Damit verhindert er zunächst eine enge Verbindung Russlands mit Frankreich.
Im privaten Leben Bismarcks spielt die Familie eine große Rolle. Aber auch in diesem Bereich setzt er stets seinen Willen durch. Als sein Sohn Herbert von Bismarck die geschiedene Fürstin Elisabeth zu Carolath-Beuthen heiraten will – eine Katholikin, die mit zahlreichen Bismarck-Gegnern, etwa Marie Gräfin Schleinitz, verwandt und verschwägert ist – verhindert Bismarck dies letztlich, indem er ihm erst mit Enterbung, dann mit Selbstmord drohte. Herbert fügt sich, wird jedoch zeitlebens zu einem verbitterten Mann.

27.10.1881 - Nicht die im Vorjahr von Otto von Bismarck auf den Weg gebrachten Versicherungen an sich, aber Bismarcks persönliche Motive stoßen auf heftigen Widerstand. Letztlich streicht das Parlament aus der Gesetzesvorlage zur Unfallversicherung alle „staatssozialistischen“ Elemente heraus. Bismarcks Kalkül, nach einer Reichstagsauflösung die Wähler mit der Parole eines „sozialen Königtums“ und mit antiparlamentarischen Tönen zu überzeugen, geht nicht auf. Insbesondere die Linksliberalen gewinnen bei der heutigen Reichstagswahl deutlich hinzu. Bismarck denkt danach kurzzeitig an Rücktritt, entscheidet sich aber dagegen und deutet sogar Staatsstreichpläne an. Mit der Sozialgesetzgebung wird Bismarck einen Pfeiler des modernen Sozialstaats schaffen; seine machtpolitischen Ziele erreichte er aber nicht.

1882 - Otto von Bismarck gelingt die Schaffung eines Bündnissystems durch den Dreibund zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien.

1883 - Rumänien wird Mitglied des 1879 zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn geschaffenen "Zweibundes".

1884 - Mitte der 1880er-Jahre scheint Otto von Bismarck die diplomatische Absicherung des Reichs erfolgreich abgeschlossen zu haben. Dies wird jedoch durch die imperialistischen Tendenzen dieser Zeit immer mehr in Frage gestellt. Bismarck selbst ist eigentlich Gegner kolonialer Erwerbungen. Auch in Deutschland bildet sich eine imperialistische Bewegung, die auf den Erwerb von Kolonien drängt. Deren Druck kann sich Bismarck nicht auf Dauer entziehen. Verschiedene innen- und außenpolitische Gründe führen zu einem Sinneswandel des Reichskanzlers. Dabei spielt auch die von ihm gefürchtete Thronübernahme des liberalen, englandfreundlichen Kronprinzen Friedrich Wilhelm eine Rolle. Da der Erwerb von Kolonien die Beziehungen zu Großbritannien verschlechtern müsste, habe die Kolonialpolitik, „nur den Zweck, einen Keil zwischen den Kronprinzen und England zu treiben.“ Bismarck kommt schließlich zu der Überzeugung, dass eine erfolgreiche Kolonialpolitik doch mehr Chancen als Risiken birgt.

24.04.1884 - Unterstützt von Otto von Bismarck wird mit Angra Pequena an der südwestafrikanischen Küste die erste Kolonialerwerbung unter deutschen Schutz gestellt. Infolge der seit 1873 andauernden Weltwirtschaftskrise und der zunehmenden Bedeutung der Kolonialfrage für die Politik der europäischen Mächte gibt Bismarck ab 1880 seine zunächst ablehnende Haltung gegenüber deutschen Kolonialerwerbungen auf.

15.11.1884 - Gemeinsam mit dem französischen Ministerpräsidenten Jules Ferry (* 1832) beruft Otto von Bismarck die Kongokonferenz in Berlin ein. Bevollmächtigten von 13 europäischen Staaten sowie der Vereinigten Staaten von Amerika nehmen an der Tagung teil, die drei Monate lang gehen soll.

26.02.1885 - Ende der dreimonatigen Kongokonferenz in Berlin. Die Bevollmächtigten von 13 europäischen Staaten sowie der Vereinigten Staaten von Amerika einigen sich in der Kongo-Akte über eine Zollfreiheit im Kongo- und Nigergebiet sowie die Errichtung eines Kongostaates unter dem belgischen König Leopold II. (* 1835). Außerdem wird in diesem Dokument der Anspruch der Europäer, Afrika untereinander aufzuteilen, festgeschrieben.

1885 - Auch um nationalistische Emotionen nutzbar zu machen, verstärkt Otto von Bismarck die antipolnische Politik in den preußischen Ostprovinzen. Mit der Ausweisung von nichtpreußischen Polen und dem für nächstes Jahr geplanten Ansiedlungsgesetz setzt eine intensive Germanisierung ein.

01.04.1885 - Kaiser Wilhelm I. schenkt Otto von Bismarck zu seinem 70. Geburtstag Anton von Werners Gemälde "Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches (18. Januar 1871)".

17.05.1885 - 1884 und 1885 kommt es zum Erwerb mehrerer Territorien in Afrika und im Stillen Ozean. Da sich die innenpolitischen Konstellationen in Frankreich und Großbritannien ändern, verliert Otto von Bismarck jedoch schnell das Interesse an deutscher Kolonialpolitik. Sie bleibt für ihn zunächst eine Episode. Eine zu Deutsch-Neuguinea gehörende melanesische Inselgruppe erhält unter dem Namen Bismarck-Archipel den kaiserlichen Schutzbrief.
Ernst Schweninger, der neue Arzt Otto von Bismarcks, kann ihn in den 1880er-Jahren zu einer gesünderen Lebensweise überreden. Zuvor litt der Fürst unter Gesichtneuralgien, weshalb er sich vor Schweningers Behandlung einen Vollbart wachsen ließ, damit er sich nicht rasieren musste.

1886 - In der zweiten Hälfte der 1880er-Jahre wird Otto von Bismarcks außenpolitisches System zunehmend bedroht. In Frankreich nehmen die revanchistischen Tendenzen zu. Zeitweilig droht ein französisch-russisches Bündnis und damit die Gefahr eines Zweifrontenkriegs für das Deutsche Reich. Bismarck bauscht die Krise mit Frankreich allerdings auf, um seine innenpolitischen Pläne zur Heeresverstärkung durchsetzen zu können. Die französische Revanchismusbewegung nutzt Bismarck, um mit einer breit angelegten Pressekampagne alle Kritiker als Vaterlandsverräter zu diskreditieren, die sich insbesondere seinen militärpolitischen Plänen entgegenstellen. Nach der Reichstagsauflösung wird die nationalistische Agitation noch einmal verstärkt. Fast zeitgleich entsteht eine neue Balkankrise. Bismarck versucht vergeblich, die Spannungen zwischen den beiden Kontrahenten Österreich und Russland auszugleichen. Das Dreikaiserbündnis zerbricht. In Russland nehmen daraufhin die Stimmen für ein Bündnis mit Frankreich weiter zu. Probleme durch die Schutzzollpolitik Bismarcks verschärfen die Situation. In Deutschland plädieren einflussreiche Persönlichkeiten aus Militär und Diplomatie wie Friedrich von Holstein, Helmuth Karl Bernhard von Moltke und Alfred von Waldersee für einen Präventivkrieg gegen Russland. Bismarck lehnt solche Ideen strikt ab. Er hält den Krieg weiter für vermeidbar. Als Macht- und Realpolitiker spielen nationalistische und sozialdarwinistische Vorstellungen für ihn keine Rolle. Zwar ist Bismarcks altes Bündnissystem zerbrochen, doch gelingt es ihm, die Krise noch einmal entschärfen. Auf dem Balkan weigert er sich, für England und Österreich „die Kastanien aus dem Feuer zu holen.“ Ohne mit Österreich zu brechen, geling es ihm, einen offenen Krieg zu verhindern.

Februar 1887 - Aus den Reichstagswahlen vom Februar 1887 geht das Regierungslager aus Konservativen und Nationalliberalen mit absoluter Mehrheit hervor. Otto von Bismarck besitzt mit den so genannten Kartellparteien nun jene parlamentarische Mehrheit, die er in den vergangenen zehn Jahren angestrebt hat. Er kann jetzt sowohl seine militärpolitischen Pläne als auch Begünstigungen für seine konservative Klientel durchsetzen. Bismarck ist im Hintergrund am Zustandekommen der Mittelmeer-Entente zwischen Großbritannien, Österreich und Italien beteiligt. Ihr Ziel ist es, den russischen Expansionsdrang zu begrenzen. Kurze Zeit später schließt Bismarck mit Russland den Rückversicherungsvertrag ab, um Russland erneut an Deutschland zu binden.

April 1887 - Der Kulturkampf endet mit dem zweiten Friedensgesetz. Bis dahin tragen beide Seiten zur Deeskalation bei. Eine Folge des Kulturkampfes sind die Zivilehe und die staatliche Schule. Für die zukünftige Politik Otto von Bismarcks nicht unwichtig war, dass der Zentrumspolitiker Windthorst keineswegs ein ultramontaner Eiferer war. Er war zwar preußenkritisch, aber eben auch pragmatisch und konstitutionell ausgerichtet, was Bismarck neue politische Optionen eröffnete.

1888 - Gegenüber dem Kolonialverfechter Eugen Wolf äußert Otto von Bismarck: „Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön, aber meine Karte von Afrika liegt in Europa. Frankreich liegt links, Russland liegt rechts, in der Mitte liegen wir. Das ist meine Karte von Afrika.“ Jedoch hat Bismarck ungewollt Kräfte freigesetzt, die sich in der Wilhelminischen Zeit nicht mehr beherrschen lassen werden.

März 1888 - Aufgrund von Otto von Bismarcks neuer Machtstellung spielt die Thronbesteigung von Friedrich III. kaum noch eine Rolle. Als der todkranke neue Kaiser sich weigert, einer Verlängerung der Legislaturperiode und des Sozialistengesetzes zuzustimmen, belehrt Bismarck die Kaiserin, dass der Monarch „als solcher kein Faktor der Gesetzgebung“ sei.

15.06.1888 - Mit der Thronbesteigung Wilhelms II. wandelt sich das seit den 1870er Jahren unveränderte Machtgefüge an der Spitze des Deutschen Reiches, da der junge Kaiser im Gegensatz zu seinem Großvater Wilhelm I. nicht gewillt ist, sich dem Willen Otto von Bismarcks unterzuordnen.

1889 - Der Versuch Otto von Bismarcks, der Sozialdemokratie die „Wurzeln abzugraben,“ schläg ebenso fehl wie das Vorhaben, den Obrigkeitsstaat zu Lasten der Parteien auszubauen. Bismarcks Interesse an der Sozialgesetzgebung lässt nach: Die Alters- und Invalidenversicherung wickelte er geschäftsmäßig ab.

31.01.1890 - Als Wilhelm II. während Otto von Bismarcks Abwesenheit beginnt, Pläne für eine eigene Sozialpolitik zu entwickeln, die unter anderem ein breit angelegtes Programm zur Verbesserung des Arbeiterschutzes vorsehen, und Bismarcks Vorlage für ein unbefristetes Sozialistengesetz im Reichstag abgelehnt wird, tritt er von dem für die Sozialpolitik zuständigen Amt des preußischen Handelsministers zurück.

15.03.1890 - Nach weiteren Meinungsverschiedenheiten - neben der Sozialpolitik kommt auch Otto von Bismarcks Festhalten an einer Kabinettsordre von 1852, die den Verkehr der einzelnen Minister mit der Krone unter die Kontrolle des Ministerpräsidenten stellt, ins Spiel, - kommt es zum Bruch zwischen Kaiser Wilhelm II. und Bismarck. In einer Unterredung fordert Wilhelm II. Bismarck unmissverständlich zum Rücktritt auf.

18.03.1890 - Otto von Bismarck reicht sein Abschiedsgesuch ein, das so geschickt formuliert ist, dass dem Kaiser die ganze Verantwortung für das Zerwürfnis zufällt. Das Gesuch wird erst unmittelbar nach Bismarcks Tod veröffentlicht werden.

20.03.1890 - Entlassung Otto von Bismarcks als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident. Bismarck erhält den Titel eines Herzogs von Lauenburg, den zu tragen er sich jedoch weigert. In weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit herrscht Erleichterung über Bismarcks Sturz. Die Öffentlichkeit reagiert mehrheitlich erleichtert auf den Rücktritt. Theodor Fontane schreibt: „Es ist ein Glück, dass wir ihn los sind. Er war eigentlich nur noch Gewohnheitsregente (sic!), tat was er wollte, und forderte immer mehr Devotion. Seine Größe lag hinter ihm.“ Im Ausland hingegen wird der Machtwechsel mit gemischten Gefühlen aufgenommen, da Bismarck als Garant einer friedlichen Außenpolitik gilt. Von Friedrichsruh aus wird der "Alte vom Sachsenwald", wie Bismarck nun genannt wird, unablässig die Politik seines politisch unerfahrenen Nachfolgers General Leo von Caprivi und des Kaisers kommentieren und kritisieren. Er schreibt: „Aber das kann man nicht von mir verlangen, dass ich, nachdem ich vierzig Jahre lang Politik getrieben, plötzlich mich gar nicht mehr damit abgeben soll.“ Anlässlich seines Rücktritts vom Kanzleramt erfolgt die Ernennung Fürst Bismarcks zum Generaloberst der Kavallerie im Rang eines Generalfeldmarschalls.

Ende März 1890 - Otto von Bismarck gibt bereits einen Tag nach seinem Rücktritt bekannt, dass er seine Memoiren verfassen wolle. Die Erstellung der Memoiren unterstützt Lothar Bucher, ohne dessen Drängen das Werk wahrscheinlich nie fertiggestellt werden würde. Bucher beklagt später nicht nur Bismarcks rasch nachlassendes Interesse an seinen Memoiren, sondern beschreibt auch, wie der Altkanzler in ihnen Tatsachen absichtlich entstellt: „Bei nichts, was misslungen ist, will er beteiligt gewesen sein, und niemand lässt er neben sich gelten.“ Bald beginnt Bismarck eine äußerst umtriebige Pressepolitik. Insbesondere die „Hamburger Nachrichten“ werden zu seinem Sprachrohr. Bismarck attackiert vor allem seinen Nachfolger Caprivi scharf. Indirekt kritisiert er damit auch den Kaiser, dem er seine Entlassung nicht verzeiht.

30.04.1891 - Otto von Bismarck lässt sich auf Initiative des jungen Diederich Hahn im Wahlkreis Neuhaus (Oste), Hadeln, Lehe, Kehdingen, Jork für den ausgeschiedenen Abgeordneten Hermann Gebhard in den Reichstag wählen. Wilhelm II. glaubt kurzzeitig sogar an eine Rückkehr des Altkanzlers in die Politik. Allerdings wird Otto von Bismarck seinen Wahlkreis nie betreten und von seinem Mandat niemals Gebrauch machen. Er erfreut sich an der politischen Unruhe, die seine Wahl auslöst.

1892 - Ein kaiserlicher Erlass, der Otto von Bismarck von fast allen offiziellen Kontakten abschneidet, ruft in der Öffentlichkeit einen Sturm der Entrüstung hervor. Jetzt beginnt ein regelrechter Kult um den "Reichsgründer Bismarck", dessen Verehrung als lebendes Denkmal stetig zunimmt.

Oktober 1892 - Nach dem Tod seines Ghostwriters Bucher bessert Otto von Bismarck an den Manuskripten zu seinen Memoiren noch herum, aber das Werk wird nicht mehr weiterverfolgt.

1893 - Bei der Reichstagswahl 1893 verzichtete Otto von Bismarck zugunsten Diederich Hahns auf eine erneute Kandidatur. Die Pressepolitik in eigener Sache ist durchaus erfolgreich. Die öffentliche Meinung wendet sich Bismarck verstärkt wieder zu, insbesondere nachdem Wilhelm II. begonnen hat, ihn öffentlich anzugreifen. Für das Ansehen des neuen Reichskanzlers Caprivi geradezu katastrophal wirkt sich dessen Versuch aus, ein Treffen Bismarcks mit Kaiser Franz Joseph von Österreich zu verhindern. Die Reise nach Wien wird zu einem Triumphzug des Altkanzlers, der erklärt, keine Verpflichtungen mehr gegenüber der deutschen Regierung zu haben: „Alle Brücken sind abgebrochen.“

1894 - Kaiser Wilhelm II. bemüht sich um eine öffentlichkeitswirksame Aussöhnungsgeste. Mehrere Treffen mit Otto von Bismarck werden positiv aufgenommen, eine wirkliche Entspannung bringt dies aber nicht. Wie gering Bismarcks Ansehen im Reichstag ist, zeigt die gescheiterte Kampfabstimmung um ein Glückwunschtelegramm anlässlich seines achtzigsten Geburtstags. Daraufhin machen ihn etwa 400 deutsche Städte zum Ehrenbürger, darunter die Mitglieder der im Entstehen begriffenen Städteverbände in geschlossener Form, so der badische, der Thüringer und der sächsische.

27.11.1894 - Johanna von Bismarck geborene von Puttkamer (* 11.04.1824 auf Viartlum) stirbt im Alter von 70 Jahren in Varzin in Pommern (heute Warcino). Johanna von Bismarck war seit 47 Jahre mit dem ehemaligen Reichskanzler Otto von Bismarck verheiratet. Die Hochzeit fand am 28. Juli 1847 in Reinfeld statt, ein Jahr später gebar sie ihr erstes Kind, Marie (* 21. August 1848; 1878 Heirat mit Graf Kuno zu Rantzau), und im Dezember 1849 ihr zweites Kind, Herbert, und 1852 ihr drittes Kind Wilhelm. Nach dem Tode der Fürstin ordnete Bismarck an, dass seine Gefährtin ihre letzte Ruhe an der Stätte ihres Todes finden sollte, wo das Paar viele Sommer und Winter verlebt hatte. Ein kleines Gartenhaus, das ein Lieblingsplatz der Fürstin war, wurde zu einer einfachen Grabkapelle umgewandelt, und hier wurde der Sarg beigesetzt.

23.03.1895 - Wegen der anhaltenden Kritik Otto von Bismarcks an der Politik des Reichskanzlers und des Parlaments lehnt die Reichstagsmehrheit eine Glückwunschadresse zu Bismarcks 80. Geburtstag ab.

01.04.1895 - Zu seinem 80. Geburtstag erreicht der Bismarck-Kult einen vorläufigen Höhepunkt: Über 450 Städte verleihen Otto von Bismarck die Ehrenbürgerschaft, 9.875 Telegramme und 450.000 Briefe werden vom Postamt in Friedrichsruh ausgeliefert, Tausende pilgern zu Bismarcks Ruhesitz.

24.10.1896 - Otto von Bismarck enthüllt in den "Hamburger Nachrichten" den von 1887 bis 1890 bestehenden geheimen deutsch-russischen Rückversicherungsvertrag und zieht damit noch einmal die Aufmerksamkeit der deutschen und internationalen Presse auf sich. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich immer deutlicher und bald ist er auf einen Rollstuhl angewiesen.

30.07.1898 - Die Erkrankungen Otto von Bismarcks an Altersbrand und anderen Gebrechen, die er gegenüber der Öffentlichkeit und sogar gegenüber seiner Familie verschwieg, führen zu seinem Tod. Unmittelbar nach seinem Ableben entsteht durch zwei Paparazzi die Fotografie von Bismarck auf dem Sterbebett. Als Bismarck stirbt, befindet sich Kaiser Wilhelm II. im Zuge seiner Sommerreise in Norwegen auf der kaiserlichen Yacht Hohenzollern.

31.07.1898 - Kaiser Wilhelm II. erreicht die Nachricht vom Ableben seines ehemaligen Reichskanzlers Otto von Bismarck an Bord der kaiserlichen Yacht Hohenzollern, die sich in norwegischen Gewässern befindet. Er sendet ein Telegramm an Herbert von Bismarck. Darin kündigt Wilhelm eine pompöse Beisetzung Bismarcks in der Hohenzollerngruft im Berliner Dom an, da Bismarck ein Freund seines Großvaters Wilhelm I. gewesen sei und ihm für seine Leistungen der Dank des deutschen Volkes für immer gebühre. Wilhelm II. beauftragt ebenfalls per Telegramm den Bildhauer Reinhold Begas, einen Sarkophag für Bismarck zu entwerfen; August zu Eulenburg soll das Programm der Feier als nationales Ereignis gestalten. Bismarck hat indes bereits 1896 in seinem Testament verfügt, er wolle in Friedrichsruh begraben werden. Seine Familie entspricht diesem Wunsch.

01.08.1898 - Kaiser Wilhelm II. will nach seinem Eintreffen in Kiel wenigstens am offenen Sarg Otto von Bismarcks in Friedrichsruh stehen und begibt sich mit seiner Gemahlin dorthin. Als er jedoch am folgenden Tag eintrifft, ist der Sarg bereits verlötet.

November 1898 - Die ersten zwei Bände von Otto von Bismarcks "Gedanken und Erinnerungen" erscheinen. Innerhalb kürzester Zeit sind die ersten 100.000 Exemplare vergriffen. Der dritte Band, der die Umstände der Entlassung Bismarcks schildert, darf vorerst nicht veröffentlicht werden.

1914 - Von den über 700 Bismarck-Denkmälern, die bis 1914 im Deutschen Reich in Planung sind, sind mindestens 500 realisiert.

1919 - Der bisher unter Verschluss gehaltene dritte Band von Otto von Bismarcks "Gedanken und Erinnerungen", der die Umstände der Entlassung Bismarcks schildert, darf jetzt, nach dem Sturz der Hohenzollernmonarchie, veröffentlicht werden.

2012 - Veröffentlichung von verschollen geglaubten Tonaufzeichnungen Otto von Bismarcks, die 1889 mit dem Phonographen des amerikanischen Erfinders Thomas Edison (1847-1931) entstanden sind.

Otto von Bismarck
(Königreich Preußen / Norddeutscher Bund / Deutsches Kaiserreich)
Vorgänger Amt Nachfolger
Adolf von Hohenlohe-Ingelfingen
1862
Ministerpräsident Preußens
1862-1873
Albrecht von Roon
1873
Albrecht von Roon
1873
Ministerpräsident Preußens
1873-1890
Graf Leo Caprivi
1890-1892
Albrecht von Bernstorff
1861-1862
Preußischer Minister der auswärtigen Angelegenheiten
1862-1890
Graf Leo Caprivi
1890-1894
-
Kanzler des Norddeutschen Bundes
1867-1871
-
-
Reichskanzler
1871-1890
Graf Leo Caprivi
1890-1894
Paul von Hatzfeld
1881-1885
Reichsminister der auswärtigen Angelegenheiten
1886-1890
Adolf Marschall von Bieberstein
1890-1897

Quellen: