Otto von Bismarck: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 22. Mai 2017, 07:25 Uhr

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Deutscher Bund / Norddeutscher Bund / Deutsches Kaiserreich


OTTO FÜRST VON BISMARCK

* 01.04.1815 Schönhausen (Altmark), † 30.07.1898 Friedrichsruh bei Hamburg

Kanzler 1862-1890

Graf Otto von Bismarck.jpg
Biografische Daten
01.04.1815
Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen wird in Schönhausen (Elbe) geboren. Er ist der zweite Sohn des Rittmeisters Karl Wilhelm Ferdinand von Bismarck (1771-1845) und dessen Ehefrau Luise Wilhelmine, geb. Mencken (1790-1839) und gehört einem alten Adelsgeschlecht an. Die väterliche Familie ist ein Junkergeschlecht der Altmark. Seine Mutter dagegen ist als Tochter von Anastasius Ludwig Mencken bürgerlicher Herkunft. Die Familie Mencken hat in der Vergangenheit Gelehrte und hohe Beamte hervorgebracht. Die unterschiedliche soziale Herkunft der Eltern hat erhebliche Folgen für Bismarcks Sozialisation. Vom Vater erbt er den Stolz auf seine Herkunft, die Mutter gibt ihm nicht nur seinen scharfen Verstand, den Sinn für rationales Handeln und sprachliche Sensibilität mit, sondern auch den Wunsch, seinem Herkunftskreis zu entkommen. Bismarck hat es seiner Mutter zu verdanken, dass er eine Bildung genießt, die für einen Landedelmann nicht typisch ist. Ihre Söhne sollen nicht nur Junker sein, sondern in den Staatsdienst eintreten. Allerdings führt die streng auf das Rationale abzielende Erziehung der Mutter dazu, dass sich Bismarck, wie er später schreibt, in seinem Elternhaus nie wirklich heimisch fühlt. Während er der Mutter reserviert gegenübersteht, liebt er den Vater.
1816
Die Familie von Bismarck siedelt nach Gut Kniephof im Landkreis Naugard in Hinterpommern, ohne ihr Gut Schönhausen aufzugeben.
1821
Auf Wunsch der Mutter beginnt Bismarck seine schulische Ausbildung in der preußischen Hauptstadt Berlin in der Plamannschen Erziehungsanstalt. Dieses Internat, in das hohe Beamte ihre Söhne zu schicken pflegen, wurde ursprünglich im Geist von Johann Heinrich Pestalozzi gegründet. Jetzt aber ist diese Reformphase längst beendet und die Erziehung geprägt von Drill und Deutschtümelei. Der Übergang vom kindlichen Spiel auf dem heimischen Hof zum Internatsleben, das von Zwang und Disziplin geprägt war, fällt Bismarck außerordentlich schwer. In dieser Zeit prägt sich deutlich sein Unwillen aus, Autoritäten anzuerkennen.
1831
Bismarck wird in der lutherischen Berliner Dreifaltigkeitskirche konfirmiert. Sein Pfarrer ist der bekannte Theologe, Altphilologe, Philosoph, Publizist und Staatstheoretiker Friedrich Schleiermacher. Bismarck befasst sich mit Fragen der Religion hauptsächlich vom Verstand her und sieht sich in ihr, von Hegel oder Spinoza beeinflusst, rückblickend eher als Deist und Pantheist denn als gläubiger Christ. Ein Atheist wird er allerdings nie, auch wenn seine Umgebung ihn zumeist für einen gottlosen Spötter hielt.
10.05.1832
Bismarck besteht sein Abitur und beabsichtigt das Studium der Rechtswissenschaften, zunächst an der Universität von Göttingen.
November 1833
Bismarck setzt sein Studium der Rechtswissenschaften an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität fort.
1835
Bismarck besteht das Erste Staatsexamen und dient zunächst beim Berliner Stadtgericht. Er wechselt bald auf eigenen Wunsch vom Justiz- in den Verwaltungsdienst.
August 1836
Bismarck, inzwischen Regierungsreferendar im Kurort Aachen, verliebt sich in Laura Russell, eine Nichte des Herzogs von Cumberland.
Sommer 1837
Nach einer Affäre mit einer (älteren) Französin reist Bismarck mit einer (jüngeren) Engländerin, einer Freundin Lauras, durch Deutschland. Da es zu einer mehrwöchigen Überschreitung seines vierzehntägigen Urlaubs kommt, verliert er sein Referendariat. Er macht Schulden durch seine Auslagen für Frauen und durch Besuche von Spielcasinos.
Herbst 1837
Bismarck versucht, seine Referendarausbildung in Potsdam fortzusetzen, kehrt dem Verwaltungsdienst aber nach einigen Monaten den Rücken.
1838
Bismarck leistet als Einjährig-Freiwilliger seinen Militärdienst ab, zunächst beim Garde-Jäger-Bataillon. Im Herbst wechselt er zum Jäger-Bataillon Nr. 2 nach Greifswald in Vorpommern, wo er sich an der Königlichen Staats- und landwirtschaftlichen Akademie Eldena auch auf die Führung der Familienbetriebe vorbereitet.
1839
Bismarck bezieht nach dem Tod seiner Mutter das hinterpommersche Gut Kniephof und wird Landwirt. Gemeinsam mit dem um fünf Jahre älteren Bruder Bernhard bewirtschaftet er die väterlichen Güter Kniephof, Külz und Jarchlin im Kreis Naugard.
1841
Nachdem Bernhard von Bismarck 1841 zum Landrat gewählt worden war, kommt es zu einer vorläufigen Teilung des elterlichen Erbes. Bernhard bewirtschaftet nun Jarchlin, Otto Külz und Kniephof.
1841
Bismarck unternimmt eine Studienreise nach Frankreich und England und in die Schweiz.
1844
Das Bestreben, in den Staatsdienst zurückzukehren, gibt Bismarck auf – erneut aufgrund seiner Abneigung gegen alles Bürokratische. In diesen Jahren wird er gerngesehener Gast bei zahlreichen gesellschaftlichen Ereignissen in der Region. Er nimmt unter anderem an zahlreichen Jagdveranstaltungen teil, aber auch an ausschweifenden Zechgelagen. Eigenen Bekundungen zufolge eignet er sich in diesem Zusammenhang eine Art Trinkfestigkeit an; bei den Landjunkern gewinnt er an Ansehen, weil er dazu fähig sei, seine „Gäste mit freundlicher Kaltblütigkeit unter den Tisch zu trinken“. Dies wie auch die ihm anhaftende Neigung, bei gesellschaftlichen Ereignissen fast stets im Mittelpunkt zu stehen, bringt ihm den Ruf des „tollen Bismarck“ ein.
Oktober 1844
Otto von Bismarck lernt seine zukünftige Ehefrau Johanna von Puttkamer kennen.
1845
Nach dem Tod des Vaters übernimmt Otto die Bewirtschaftung des Familienbesitzes Schönhausen bei Stendal. Bismarck erwirbt schnell gute Kenntnisse in rationaler landwirtschaftlicher Betriebsführung. In den etwa zehn Jahren, in denen er als Verwalter des elterlichen Besitzes fungiert, wird es ihm nicht nur gelingen, die Güter zu sanieren, sondern auch die eigenen Schulden zurückzuzahlen, die er in den zurückliegenden Jahren aufgehäuft hat. Einerseits gefällt es ihm, sein eigener Herr zu sein, andererseits füllen ihn die landwirtschaftliche Tätigkeit und das Leben als Landjunker nicht wirklich aus. Er beschäftigte sich nebenher intensiv, aber unsystematisch mit Philosophie, Kunst, Religion und Literatur, ohne dass ihn dies nachhaltig prägt. Außerdem wird er Mitglied des Provinziallandtags der Provinz Pommern. Außerdem unterstützt er in einigen Fällen die Arbeit seines Bruders, der Landrat ist. Bismarck tritt politisch zunächst auf kommunaler Ebene hervor. In seiner Zeit auf Gut Kniephof ist er Deputierter des Kreises Naugard. Er verpachtet sein Gut Kniephof und zieht nach Schönhausen.
1846
In Schönhausen erhält Bismarck sein erstes öffentliches Amt durch die Ernennung zum Deichhauptmann in Jerichow. Sein Hauptanliegen ist es, die Vormachtstellung des landbesitzenden Adels in Preußen zu bewahren. Die Konservativen lehnen den absolutistisch-bürokratischen Staat ab und träumen von einer Wiedereinführung der Mitregierung der Stände, insbesondere des Adels.Zusammen mit den Brüdern Gerlach tritt Bismarck beispielsweise für die Bewahrung der Patrimonialgerichtsbarkeit ein.
1847
In Reinfeld (Landkreis Rummelsburg in Pommern) heiratet Bismarck Johanna von Puttkamer. Seit dieser Zeit spielt der Glaube an einen persönlichen Gott für Bismarck eine zentrale Rolle. Als Nachrücker im sächsischen Provinziallandtag wird Bismarck als Vertreter der Ritterschaft der Provinz Sachsen Mitglied des Vereinigten Landtags. In diesem Gremium, das von der gemäßigten liberalen Opposition dominiert wird, fällt er bereits bei seiner ersten Plenarrede als strikt konservativer Politiker auf, als er bestreitet, dass es bei den Befreiungskriegen auch um die Durchsetzung liberaler Reformen gegangen ist. In der „Judenfrage“ spricht er sich klar gegen die politische Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung aus. Diese und ähnliche Positionen führen bei den Liberalen zu empörten Reaktionen. Bismarck findet jetzt in der Politik ein Betätigungsfeld, das seinen Neigungen entgegenkommt: „Die Sache ergreift mich viel mehr als ich dachte.“
1848
Otto und Johanna von Bismarck bekommen ihr erstes Kind. Marie wird benannt nach der früh verstorbenen Freundin Johannas, bei deren Hochzeit sich die beiden kennenlernten, da Marie Johanna als Tischdame Bismarcks platziert hatte. Die Leidenschaft des politischen Kampfes ließ ihn indessen kaum essen und schlafen. Am Ende der Landtags-Periode hat sich Bismarck in den konservativen Kreisen einen Namen gemacht. Auch der König ist auf ihn aufmerksam geworden. Wenngleich er eindeutig konservative Positionen vertritt, ist Bismarck bereits jetzt auch Pragmatiker und bereit, vom politischen Gegner zu lernen. Dies kommt etwa in dem Plan zum Tragen, als Gegengewicht zur liberalen „Deutschen Zeitung“ eine konservative Zeitung zu gründen.
März 1848
Bismarck lehnt die Märzrevolution entschieden ab. Als ihn die Nachricht vom Erfolg der Bewegung in Berlin erreicht, bewaffnet er in Schönhausen die Bauern und schlägt vor, mit ihnen nach Berlin zu ziehen. Der in Potsdam kommandierende General Karl von Prittwitz lehnt dieses Angebot jedoch ab. Danach versucht Bismarck, Prinzessin Augusta, die Gattin des späteren Königs Wilhelm I., von der Notwendigkeit einer Gegenrevolution zu überzeugen. Augusta weist das Ansinnen als intrigant und illoyal zurück. Bismarck zieht sich durch sein Verhalten die dauerhafte Abneigung der späteren Königin zu. Nach der Anerkennung der Revolution durch Friedrich Wilhelm IV. sind Bismarcks gegenrevolutionäre Pläne vorerst gescheitert. In die preußische Nationalversammlung wurde Bismarck nicht gewählt. Dafür beteiligt er sich an der außerparlamentarischen Sammlung des konservativen Lagers.
Sommer 1848
Bismarck ist an der Gründung und inhaltlichen Ausgestaltung der „Neuen Preußischen Zeitung“ (wegen des Kreuzes auf dem Titelblatt auch „Kreuzzeitung“ genannt) beteiligt. Für das Blatt schreibt er zahlreiche Beiträge.
August 1848
Bismarck wird einer der maßgeblichen Initiatoren des sogenannten Junkerparlaments. In diesem versammeln sich mehrere hundert adlige Gutsbesitzer, um gegen den Eingriff in ihr Eigentum zu protestieren. Diese Aktivitäten führen dazu, dass die konservative Kamarilla um den König Bismarck immer mehr zu schätzen beginnt.
November 1848
Die Hoffnung Bismarcks, nach der Gegenrevolution mit einem Ministerposten belohnt zu werden, erfüllt sich nicht, da er selbst in konservativen Kreisen als zu extrem gilt. Der König schreibt auf eine entsprechende Vorschlagsliste als Randbemerkung: „Nur zu gebrauchen, wenn das Bayonett schrankenlos waltet“.
1849
Otto und Johanna von Bismarck wird ihr erster Sohn, Herbert, geboren. Im Januar und im Juli wird er in die zweite Kammer des preußischen Landtages gewählt. Er beschließt, sich ganz der Politik zu widmen, und zieht mit seiner Familie nach Berlin. Damit wird er einer der ersten Berufspolitiker in Preußen. Im Landtag tritt er als Sprachrohr der Ultrakonservativen auf. So verteidigt er die Ablehnung von Kaiserwürde und Reichsverfassung durch Friedrich Wilhelm IV., weil aus seiner Sicht zu befürchten steht, dass Preußen in Deutschland aufginge. Die nationale Frage ist für ihn gegenüber der Sicherung der preußischen Macht zweitrangig. Der König und sein Berater Joseph von Radowitz wollen die deutsche Einheit vor allem durch Absprache mit den Mittelstaaten erreichen. Außerdem soll die angestrebte Erfurter Union konservativer und föderalistischer sein als das Frankfurter Vorbild. Bismarck hält dies für unrealistisch und nicht sinnvoll. Im preußischen Parlament macht er aus seiner Kritik an den Plänen keinen Hehl. Seine Rede vom 6. September 1849 verändert die Haltung interessierter politischer Kreise zu ihm. Er gilt fortan wegen seiner abwägenden und flexiblen Argumentation auch in den eigenen konservativen Reihen nicht mehr nur als Scharfmacher. Bismarck empfiehlt sich damit erstmals für einen Posten im hohen Staatsdienst oder in der Diplomatie. Er wird trotz seiner Kritik an der Union in das Volkshaus des Erfurter Unionsparlaments gewählt und in ihm Schriftführer. Obwohl er dem Parlamentarismus grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, entwickelt Bismarck sich in Erfurt zu einem der bisher bedeutendsten Parlamentsredner, dem auch der politische Gegner wegen seiner bilder- und pointenreichen Sprache Aufmerksamkeit schenkt. Nach dem Scheitern der Unionspläne übernimmt Bismarck die schwierige Aufgabe, im preußischen Landtag die Olmützer Punktation zu verteidigen. Er schaffte es dabei, einerseits konservative Standpunkte zu vertreten, sich andererseits aber zu einer staatlichen Machtpolitik fern irgendwelcher Ideologien zu bekennen: „Die einzige gesunde Grundlage eines großen Staates, und dadurch unterscheidet er sich wesentlich von einem kleinen Staate, ist der staatliche Egoismus und nicht die Romantik, und es ist eines großen Staates nicht würdig, für eine Sache zu streiten, die nicht seinen eigenen Interessen angehört.“ Mit seiner Betonung des Staates, der Macht- und Interessenpolitik, entfernt Bismarck sich vom traditionellen Konservatismus, der (in eher defensiver Grundeinstellung) aus der Gegnerschaft zum modernen, zentralen, bürokratischen und absolutistischen Staat entstanden ist.
Ende 1850
Als das Königreich Preußen und das Kaisertum Österreich nach der Herbstkrise 1850 zusammenarbeiten, will Bismarck sich nicht damit abfinden, dass der österreichische Ministerpräsident Felix zu Schwarzenberg Preußen die Rolle als Juniorpartner zugedacht hat. Ihm und letztlich auch der Regierung in Berlin geht es darum, die Anerkennung Preußens als gleichberechtigte Macht durchzusetzen. Zu diesem Zweck sucht er ständig die Auseinandersetzung mit dem österreichischen Gesandten Friedrich von Thun und Hohenstein, greift Wien scharf an und legt zeitweise sogar die Arbeit des Bundestages lahm, um die Grenzen der österreichischen Kompetenzen in Frankfurt aufzuzeigen. Er trägt auch dazu bei, dass Österreichs Wunsch scheiterte, dem Deutschen Zollverein beizutreten. Bismarck lehnt einen Ausbau der Institutionen und überhaupt eine Bundesreform ab, solange Österreich Preußen nicht als gleichberechtigt behandelt.
18.08.1851
Bismarck wird auf Betreiben Leopold von Gerlachs durch Friedrich Wilhelm IV. zum preußischen Gesandten beim Bundestag in Frankfurt ernannt. Eine diplomatische Ausbildung hat er nicht. Die Stellung in Frankfurt ist nach seiner Einschätzung zu dieser Zeit der wichtigste Posten in der preußischen Diplomatie. Seine Ernennung wird in der Öffentlichkeit als Zeichen für den Sieg der sozialen und politischen Reaktion sowie als Kapitulation Preußens gegenüber Österreich gewertet.
1852
Otto und Johanna von Bismarck werden Eltern eines dritten Kindes, Wilhelm. Johanna ordnet ihre Bedürfnisse denen ihres Mannes unter und bietet ihm zugleich – anders als seine Mutter – eine feste emotionale Bindung. Die Briefe, die die beiden austauschen, gehören zu den Höhepunkten der Briefliteratur des 19. Jahrhunderts. In Frankfurt handelt Bismarck sehr eigenständig. Er befindet sich zeitweise sogar im Gegensatz zur Berliner Regierungspolitik. Allerdings macht er als Gesandter deutlich, dass er noch immer ein Mann der Hochkonservativen ist.
25.03.1852
Bismarcks Haltung in einer Kammerdebatte führt zum Duell Vincke–Bismarck, bei dem keiner der beiden Duellanten getroffen wird.
1854
Vor dem Hintergrund des Krimkrieges entscheidet die preußische Regierung, das Schutz- und Trutzbündnis mit Österreich zu erneuern, was bei Bismarck auf Kritik stößt.
1855
Als Österreich sich, gestärkt durch das im Vorjahr mit Preußen geschlossene Schutz- und Trutzbündnis, offen gegen Russland wendet, gelingt es Bismarck, durch geschicktes Taktieren den Antrag der Österreicher zur Mobilisierung der Bundestruppen gegen Russland abzuwenden. Dieser Erfolg lässt sein diplomatisches Ansehen zunehmen. Nach der Niederlage Russlands im Krimkrieg plädiert er in verschiedenen Denkschriften für eine Anlehnung an das Zarenreich und an Frankreich, durch die er Österreich weiter zu schwächen hofft.
1856
Bismarck legt sein umfangreiches außenpolitisches Konzept in der „Prachtschrift“ nieder. Seine Äußerungen lösen einen heftigen Konflikt mit den Hochkonservativen um die Gebrüder Gerlach aus, die in Napoléon III. nur einen Vertreter des revolutionären Prinzips und einen „natürlichen Feind“ sehen. Bismarck antwortet, dass ihm die Legitimität der Staatsoberhäupter letztlich egal sei. Für ihn stehen nicht die konservativen Grundsätze, sondern die Staatsinteressen im diplomatischen Geschäft im Mittelpunkt. Im Lager der Konservativen gilt er nun zunehmend als egoistischer Opportunist.
1857

Nach der Übernahme der Regentschaft durch Prinz Wilhelm verlieren die Hochkonservativen an Einfluss; stattdessen nimmt die Bedeutung der gemäßigt liberal-konservativen Wochenblattpartei zu. In der beginnenden Neuen Ära versuchte auch Bismarck, durch eine gewisse Distanzierung von den extremen Konservativen seine Position zu behaupten. In einer umfangreichen Denkschrift spricht er nunmehr von einer „nationalen Mission“ Preußens und von einem Bündnis mit der national-liberalen Bewegung. Damit vollzieht er einen bemerkenswerten Kurswechsel. Allerdings geht es ihm nicht um den Kampf für die deutsche Einheit um ihrer selbst willen, sondern es ist sein Ziel, den deutschen Nationalismus einer Stärkung der preußischen Macht dienstbar zu machen.

Januar 1859
Bismarck wird als preußischer Gesandter nach Sankt Petersburg versetzt; er selbst spricht davon, dass er an der Newa kaltgestellt wurde. Der Wechsel fällt der Familie schwer; die Eheleute Bismarck haben in Frankfurt die glücklichste Zeit ihrer Ehe erlebt. Bismarck erweitert in der neuen Funktion allerdings seine diplomatischen Kenntnisse und erfreut sich des Wohlwollens des russischen Hofes und des Kaiserpaares. Sein Ehrgeiz richtet sich aber zunehmend auf die höchsten Ämter im preußischen Staat. Er beobachtet genau die Entwicklung des preußischen Verfassungskonflikts.
März 1862
In Berlin verfestigt sich die ablehnende Haltung der Liberalen gegen eine geplante Heeresreform. Die Notwendigkeit einer solchen Reform wird eigentlich von niemandem ernsthaft in Frage gestellt. Im Gegensatz zu den anderen Großmächten ist die preußische Armee seit 1815 kaum gewachsen. Selbst im Vergleich mit Österreich sind die preußischen Streitkräfte deutlich schwächer. Die offiziell bestehende Wehrpflicht existiert in der Wirklichkeit nur noch auf dem Papier, und seit längerem gibt es Bemühungen, die Landwehr an die reguläre Armee heranzuführen. In der Sache würde eine Einigung mit den Liberalen bei der Heeresvorlage möglich sein. König Wilhelm I. jedoch glaubt, dass ein Nachgeben die Krone schwächen würde. Dies bestärkt die Liberalen in ihrer Kritik, und das Abgeordnetenhaus verweigerte die für die Reform nötigen Finanzmittel. Das Parlament wird daraufhin aufgelöst und eine neue Regierung gebildet. Statt der gemäßigten Liberalen der Neuen Ära haben in dieser Regierung Konservative wie der Kriegsminister Albrecht von Roon das Sagen. Aus den Neuwahlen geht allerdings die neu gegründete Fortschrittspartei als Sieger hervor, während die Zahl der konservativen Abgeordneten stark abnimmt. Wilhelm I. erwägt in dieser aussichtslos erscheinenden Lage ernsthaft den Rücktritt zu Gunsten seines Sohnes, des späteren Kaisers Friedrich III. Nach einer Auseinandersetzung mit den Ministern der Regierung hat der König bereits den Entwurf einer Abdankungsurkunde formuliert.
April 1862
Die Hoffnung, zum Ministerpräsidenten ernannt zu werden, erfüllte sich für Bismarck nicht. Stattdessen wird er Gesandter in Paris, wo er im Palais Beauharnais residiert. Dieser Posten gilt ihm jedoch von Beginn an nur als Wartestellung.

In diese Zeit fällt die von seiner Ehefrau geduldete Liebesaffäre mit Fürstin Katharina Orlowa (1840–1875), der Ehefrau des russischen Gesandten in Belgien Nikolai Alexejewitsch Orlow.

August 1862
Otto von Bismarck und seine Geliebte Katharina Orlowa entgehen in Biarritz fast dem Tod durch Ertrinken, werden aber von einem Leuchtturmwärter gerettet. Seiner Frau schreibt Bismarck an diesem Tag nur: „Nach einigen Stunden Ruhe und Briefeschreiben nach Paris und Berlin nehme ich den zweiten Trunk Salzwasser, diesmal im Hafen, ohne Wellenschlag, mit viel Schwimmen und Tauchen, zwei Wellenbäder wären mir zu viel am Tage.“ Es ist die letzte private Eskapade Bismarcks, ehe er sich ausschließlich der Politik widmen wird.
19.09.1862
Der preußische General Albrecht von Roon sieht in der Ernennung Bismarcks zum Ministerpräsidenten die einzige Möglichkeit, den Thronwechsel zugunsten des als liberal geltenden Kronprinzen zu verhindern. Mit einem Telegramm: „Periculum in mora. Dépêchez-vous!“ („Gefahr im Verzuge. Beeilen Sie sich!“) ruft er Bismarck nach Berlin zurück.
20.09.1862
Nach 25 Stunden Bahnfahrt trifft Bismarck in Berlin ein.
22.09.1862
Bismarck wird von König Wilhelm I. im Schloss Babelsberg empfangen. Bismarck gewinnt den noch zögernden König, indem er sich als seinen unbedingten Gefolgsmann gibt. Er verspricht die Durchsetzung der Heeresreform und betont seinerseits die grundlegende Bedeutung der Auseinandersetzung um sie. Es gelte, um die Entscheidung zwischen „königlichem Regiment oder Parlamentsherrschaft“ zu kämpfen. Um die letztere abzuwenden, befürwort er auch „eine Periode der Diktatur.“ Der König fragt Bismarck daraufhin, ob er bereit sei, sich für die Heeresreform ohne Abstriche einzusetzen und an der Reform festzuhalten, notfalls auch gegen die Mehrheitsbeschlüsse des Abgeordnetenhauses. Als Bismarck beides bejaht, zeigt sich der König von seiner Entschlossenheit beeindruckt: „Dann ist es meine Pflicht, mit Ihnen die Weiterführung des Kampfes zu versuchen und ich abdiziere nicht“ ("...ich danke nicht ab"). Der König ernennt Bismarck zum Ministerpräsidenten und Außenminister. Das Ernennungsgespräch legte die Grundlage für die ungewöhnliche Beziehung zwischen dem König und Bismarck in den folgenden Jahrzehnten. Bismarck schafft sich die Grundlage für eine außergewöhnliche Vertrauensstellung bei Wilhelm I. sowie eine Blankovollmacht, die seinen Handlungsspielraum über das übliche Maß eines leitenden Ministers hinaus erweitert, indem er sich dem Monarchen als „kurbrandenburgischer Vasall“ andient, der in prekärer Lage kampfesmutig und in unverbrüchlicher Treue zu seinem Lehnsherrn stehen wird. Zwar wird es in den nächsten Jahren immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten kommen, die jedoch das Grundvertrauen des Königs Bismarck gegenüber nicht beeinträchtigen werden. Im Einzelnen erhält Bismarck sehr starke Vollmachten, auf die er sich später berufen wird. Darunter ist die, dass seine Minister nur mit seinem Einverständnis dem Monarchen einzeln berichten dürfen. Bismarck bleibt zwar ein Konservativer, allerdings ein zunehmend pragmatisch handelnder und nicht an ideologischen Fixierungen klebender Politiker. Ideale, Theorien und Prinzipien sind für ihn nicht vorrangig ausschlaggebend; was vor allem zählt, sind die Interessen der Staaten. Daraus ergibt sich die Machterweiterung Preußens als maßgebliches Ziel. Aus Bismarcks Sicht ist es nur möglich, den Großmachtanspruch Preußens zu bewahren, wenn dieses eine hegemoniale Stellung in Europa zu Lasten Österreichs gewinnen kann und die übrigen europäischen Mächte das dulden würden. Um Nationalismus im landläufigen Sinn geht es ihm dabei nicht, vielmehr um außenpolitischen Realismus. Er setzt darauf, dass außenpolitische Erfolge sich auch auf seine Innenpolitik günstig auswirken. Er will die Monarchie und den Obrigkeitsstaat ebenso erhalten wie die besondere Stellung von Militär und Adel. Erste Priorität hat aber im Zweifelsfall die Macht des Staates. Darauf zielt auch das zeitweilige Bündnis mit der nationalen und der liberalen Bewegung. Am Anfang dominiert in weiten Teilen der politischen Öffentlichkeit bis hinein ins konservative Lager die Ablehnung Bismarcks, der noch immer als extremer Reaktionär galt. Er hat es daher schwer, geeignete Minister zu finden, und schrieb: „Wir sind froh, wenn wir acht Männer finden und halten.“ Das erste Kabinett Bismarck besteht so denn auch mehrheitlich aus eher zweitrangigen Persönlichkeiten. Unter ihnen sind Carl von Bodelschwingh, Heinrich Friedrich von Itzenplitz und Gustav von Jagow. In seinen Memoiren urteilt Bismarck, dass einige Minister „nicht im Stande [sind,] ihre Ministerien zu leiten“. Sie haben mit Ausnahme Roons kein Verständnis für die politische Gesamtlinie, einige erwiesen sich außerdem als „arbeitsscheu und vergnügungssüchtig“. Vor diesem Hintergrund ist Bismarck die alles entscheidende Persönlichkeit. Als Chef eines Konfliktministeriums berufen, dominierte er klar die Auseinandersetzung mit den Liberalen.
Herbst 1862
Bismarck versucht, die Opposition nicht nur durch Drohungen, sondern auch durch Ausgleichsbemühungen zu neutralisieren. Dies scheitert, weil er mit einigen seiner Äußerungen erneut das Renommee eines stockkonservativen Politikers bedient. Oft zitiert wird die Aussage: „Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine Macht. […] Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden […] – sondern durch Eisen und Blut.“ Eigentlich ist die „Blut-und-Eisen“-Rede als weitgehendes Bündnisangebot an die liberale und nationale Bewegung gedacht. Obwohl auch die liberale Mehrheit des Abgeordnetenhauses der Auffassung ist, dass die „Deutsche Frage“ nicht ohne Gewalt durchzusetzen sei, fasst man, insbesondere die (liberale) Presse, „Eisen und Blut“ als eine angekündigte Gewaltherrschaft auf, die sich auf außenpolitische Abenteuer stürze. Dies trägt dazu bei, Bismarcks Ruf als Gewaltpolitiker zu festigen. Bismarck gibt in der Folge seinen Schlingerkurs auf und bekämpft die Liberalen mit aller Schärfe. Das Parlament wird vertagt. Damit regiert Bismarck ohne ordnungsgemäßen Haushalt.
Ende Januar 1863
Das preußische Parlament wird wieder einberufen. Bismarck rechtfertigt sich mit der berühmt gewordenen, heftig umstrittenen Lückentheorie. Danach basiere das normale staatliche Handeln auf Kompromissen zwischen der Krone, dem Herrenhaus und dem Abgeordnetenhaus. Weigere sich eine der Seiten nachzugeben, komme es zu Konflikten, „und Konflikte, da das Staatsleben nicht stillzustehen vermag, werden zu Machtfragen; wer die Macht in den Händen hat, geht dann in seinem Sinne vor, weil das Staatsleben auch nicht einen Augenblick stillstehen kann.“ Dahinter steht Bismarcks Voraussetzung, der Fall eines unauflöslichen Dissenses zwischen Monarch und Parlament sei in der Verfassung nicht geregelt. Demnach liege eine Lücke vor, die durch die Prärogative des Königs geschlossen werden müsse. Diese Auslegung der Rechtslage ist nach Auffassung vieler Zeitgenossen schlicht ein Verfassungsbruch. Maximilian von Schwerin-Putzar urteilt, dies bedeute, „Macht geht vor Recht.“ Bislang habe die Größe Preußens und die Anerkennung des Königshauses auf dem Grundsatz beruht „Recht geht vor Macht. Justitia fundamentum regnorum! Das ist der Wahlspruch der preußischen Könige, und er wird es fort und fort bleiben.“
1863
Um gegen die Liberalen zu mobilisieren, verfolgt Bismarck zeitweilig unterschiedliche Pläne. Dazu gehört auch ein Bündnis mit der sozialdemokratischen Bewegung. Bismarck trifft sich mehrfach mit Ferdinand Lassalle, ohne dass dies jedoch praktische Auswirkungen hat. Trotz heftiger Proteste – öffentliche Kritik kommt sogar vom Thronfolger – und der allgemeinen Erwartung eines Scheiterns der Regierung überlebt Bismarck die Krise politisch. Gegen hohe liberale Beamte, unter ihnen nicht zuletzt Abgeordnete, geht er mit repressiven Mitteln bis hin zu Entlassungen vor. Gleichzeitig wird die Pressefreiheit in Missachtung der Verfassung praktisch abgeschafft.
08.02.1863
Das erste Abkommen, die Alvenslebensche Konvention zur Unterstützung Russlands gegen den Aufstand in Polen, stößt in Preußen selbst in konservativen Kreisen auf breite Ablehnung. Der Druck von Seiten Großbritanniens und Napoléons III. macht die Konvention überdies wertlos. Österreich sieht Bismarck geschwächt und versucht das zu nutzen, um eine Reform des Deutschen Bundes zu Gunsten der Habsburgermonarchie durchzusetzen. Nur mit Mühe gelingt es Bismarck, dem König die Teilnahme an dem geplanten Fürstentag in Frankfurt auszureden. Der Ministerpräsident legt im Gegenzug die preußischen Vorstellungen einer Bundesreform vor. Sie zielen wie schon früher auf gleiche Rechte für Österreich und Preußen. Neu ist aber die Forderung nach einer „aus direkter Beteiligung der ganzen Nation hervorgehenden Nationalvertretung.“ Dies ist nicht mehr und nicht weniger als ein Bündnisangebot Preußens an die Nationalbewegung, die eng mit dem Liberalismus verbunden ist. Kurzfristig nützt das Bismarck nichts, da er angesichts des Verfassungskonflikts als Partner für die Liberalen nicht in Frage kommt.
Dezember 1863
Der Konflikt um Schleswig und Holstein führt zunächst zu einer Bundesexekution gegen Holstein und Lauenburg.
Januar 1864
Die Frage der Bundesreform wird bald von einer Krise internationaler Größenordnung überdeckt. Nach dem Tod Friedrichs VII. von Dänemark entbrannte ein Streit um die Zukunft der beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein. Schleswig ist ein Lehen Dänemarks, während Holstein Mitglied des Deutschen Bundes ist. Beide Territorien unterstanden jedoch dem dänischen König in Personalunion (Dänischer Gesamtstaat). Friedrich von Augustenburg beanspruchte die Länder für sich. Die deutsche nationale Bewegung unterstützte ihn und forderte die Vereinigung der beiden Herzogtümer und ihre Eingliederung in den Deutschen Bund als eigenständiger Staat. Der neue dänische König Christian IX., der unter dem Druck der Nationalbewegung im eigenen Land stand, unterschrieb stattdessen zögernd die Novemberverfassung, die Schleswig verfassungsrechtlich näher als Holstein an Dänemark band und somit den Bestimmungen des Londoner Protokolls über den Bestand des Gesamtstaates verletzte. Zur Enttäuschung der nationalen und liberalen Bewegung lehnt Bismarck es ab, den Anspruch Friedrichs von Augustenburg zu unterstützen. Er wendet sich gleichzeitig aber auch gegen die dänische Position und strebt mittelfristig die Einbindung der beiden Herzogtümer in den preußischen Machtbereich an. Dies war zum Zeitpunkt der Krise außenpolitisch allerdings nicht durchsetzbar. Deshalb hegt Bismarck zunächst wie Österreich ein Interesse an einem neuen Augustenburger Staat. Die Österreicher sehen in einer „nationalen Lösung“ der schleswig-holsteinischen Frage eine Gefahr für den eigenen Vielvölkerstaat. Vor diesem Hintergrund kann es noch einmal zu einer Zusammenarbeit der beiden deutschen Großmächte kommen. Bismarcks Politik in der schleswig-holsteinischen Krise folgt wie auch bei anderen Gelegenheiten keinem festen Plan. Er geht vielmehr davon aus, dass die Umstände denjenigen am meisten begünstigen werden, der sich von ihnen leiten lässt, ihnen Lösungen abgewinnt und sie ihnen nicht aufzuzwingen versucht. Bismarck tritt zunächst als Verteidiger des bestehenden Völkerrechts auf und fordert von Dänemark, wieder auf den Boden der Londoner Verträge von 1852 zurückzukehren. Dadurch beruhigt er die europäischen Großmächte. Österreich stellt sich an die Seite Preußens. Die übrigen deutschen Staaten im Deutschen Bund und der Bundestag werden dadurch weitgehend an den Rand gedrängt. Tatsächlich erklären Bismarck und der österreichische Gesandte Alajos Károlyi in Berlin, dass beide Großmächte das Recht beanspruchen, sich über die Beschlüsse des Bundestages hinwegzusetzen. Damit wird das Fortbestehen des Bundes erstmals von Preußen und von Österreich gemeinsam in Frage gestellt.
Februar 1864
Der preußische General von Wrangel überschreitet die deutsch-dänische Grenze bei Rendsburg. Im Gegensatz zu früheren Kriegen Preußens liegt die eigentliche Führung nicht beim König oder den hohen Militärs, sondern beim Ministerpräsidenten, dessen politischem Kalkül die militärischen Schritte untergeordnet werden. Als sich die Berichte über unüberlegte Befehle des 80-jährigen Oberbefehlshabers General Friedrich von Wrangel häufen und er beim König den Antrag stellt, Schleswig-Holstein als unabhängige Herzogtümer anzuerkennen, wird er auf Betreiben Bismarcks abgelöst.
18.04.1864
Nach dem Sieg Preußens an den Düppeler Schanzen kommt es auf der Londoner Konferenz zu ersten Verhandlungen über die Beilegung des Konflikts, die nicht zuletzt am Taktieren Bismarcks scheitern. Der Krieg geht weiter und die verbündeten Österreicher und Preußen erobern Jütland. Damit ist Dänemark besiegt.
30.10.1864
Der preußisch-dänische Krieg endet mit dem Wiener Friedensvertrag. In diesem verzichtete Dänemark auf die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Die zeitweiligen Überlegungen, einen eigenen Bundesstaat unter den Augustenburgern zu bilden, bleiben ergebnislos, weil Bismarck versucht, einen solchen Bundesstaat zu einer Art preußischem Protektorat zu machen. Stattdessen werden die Herzogtümer der gemeinsamen Verwaltung durch Österreich und Preußen unterstellt. Diese Konstruktion ist für Bismarck nur ein Provisorium. Nicht zuletzt auf Grund seines Ziels der alleinigen Kontrolle über die Herzogtümer tritt der preußisch-österreichische Gegensatz wieder hervor. Innenpolitisch löste der Erfolg in Dänemark kein Nachgeben der Fortschrittspartei im preußischen Parlament aus. Die Liberalen befinden sich Bismarck gegenüber jetzt aber mit verschiedenen Anträgen in der Defensive, wenn sie zum Beispiel wegen des Verfassungsstreits den Ausbau der Marine ablehnen, der von der Mehrheit sachlich gewollt wird. In der liberalen Bewegung beginnen ehemalige Kritiker des Ministerpräsidenten wie Heinrich von Treitschke, ihre Position zu ändern. Die Liberalen beginnen, in zwei Lager zu zerfallen: Jene, die an der Verbindung zwischen nationaler Einigung und politischer Liberalisierung festhalten, und jene, die das erste Ziel auch unter Hintansetzung des zweiten anstreben.
1865
Bismarck fordert den Medizin-Professor Rudolf Virchow (ein Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses) zum Duell, das dieser jedoch ablehnte, weil es keine zeitgemäße Form der Auseinandersetzung sei. An der verfahrenen politischen Situation ändert sich freilich nichts. Die Verfassungskrise bleibt vorerst ungelöst und artet in so etwas wie einen Stellungskrieg aus. Bismarck versucht, die Opposition zu zermürben. Er regiert mit dem Staatsapparat, und lange Zeit wird das Parlament gar nicht einberufen.
August 1865
Nach dem Deutsch-Dänischen Krieg spielt Bismarck noch einige Zeit ernsthaft mit dem Gedanken einer preußisch-österreichischen Übereinkunft unter konservativem Vorzeichen. Als sich zeigt, dass die von Ludwig von Biegeleben bestimmte österreichische Deutschlandpolitik eine Erweiterung der preußischen Macht nicht zulässt, setzt Bismarck auf ein Bündnis mit der liberalen und nationalen Bewegung mit dem Ziel der Schaffung eines kleindeutschen Staates. Allerdings steuert er keineswegs von Beginn an auf eine kriegerische Auseinandersetzung hin. Vielmehr hält er sich zunächst mit dem Ziel der alleinigen Kontrolle über Schleswig und Holstein alle Optionen offen. In der Gasteiner Konvention kommt es zur Teilung. Holstein wird österreichisch und Schleswig preußisch verwaltet. Das Herzogtum Sachsen-Lauenburg kommt an Preußen. Zum Dank erhält Bismarck den preußischen Grafentitel. Für ihn gilt die Auseinandersetzung mit Österreich allerdings nur aufgeschoben.
28.02.1866
Bismarck entscheidet sich für einen Krieg, weil er hofft, so den preußischen Verfassungskonflikt beenden zu können, zeichnet sich doch immer deutlicher eine Spaltung des oppositionellen Lagers ab. Die zentrale Weichenstellung fällt auf der heutigen Kronratssitzung. Bismarck gelingt es, den vor einem „Bruderkrieg“ zurückschreckenden König von der Kriegspolitik zu überzeugen, und er schafft es, Wilhelm I. in den folgenden Monaten von der Änderung seiner Meinung abzuhalten. Bismarck unternimmt nun alles, Österreich zu isolieren und zu provozieren. Er hält sich aber auch die Möglichkeit offen, den Konfrontationskurs abzubrechen, sollte es zu starke Widerstände der Großmächte geben. Mit Erfolg hält Bismarck insbesondere Napoléon III. zu einer neutralen Haltung an.
08.04.1866
Bismarck sichert sich die Unterstützung Italiens im Falle eines Krieges gegen Österreich durch einen befristeten Bündnisvertrag. Nachdem er erneut die Wahl eines direkt gewählten deutschen Parlaments ins Spiel bringt, um Österreich zu provozieren, löst er massive Kritik im Lager der preußischen Konservativen aus. Selbst Ludwig von Gerlach distanziert sich in aller Schärfe von ihm. Die Liberalen halten Bismarck weiterhin für unglaubwürdig und gehen auf dessen Bündnisangebot nicht ein. Auch in der Öffentlichkeit ist ein deutscher Bürgerkrieg höchst unpopulär.
07.05.1866
Um den Krieg abzuwenden, verübte Ferdinand Cohen-Blind ein Pistolenattentat auf Bismarck, was jedoch scheitert.
09.05.1866
Das preußische Parlament wird erneut aufgelöst. Bismarck spielt anfangs selbst mit dem Gedanken eines Staatsstreichs durch Abschaffung von Wahlrecht und Verfassung. Je länger der Konflikt andauert, desto mehr lehnt er solche Forderungen, die von konservativer Seite erhoben werden, aber ab, da sie keine langfristig stabile politische Ordnung hervorzubringen versprechen.

Bismarck versucht unterdessen, mit außenpolitischen Erfolgen innenpolitischen Druck auf die Opposition auszuüben. Zunächst geht dieses Kalkül nur sehr bedingt auf.

01.06.1866
Als Österreich die Entscheidung über die Zukunft Schleswig-Holsteins dem Bundestag überträgt, lässt Bismarck mit dem Argument, dies sei eine Verletzung der Gasteiner Konvention, die preußische Armee in Holstein einmarschieren.
14.06.1866
Der Bundestag beschließt auf Antrag Österreichs die Mobilmachung des Bundesheeres. Preußen erklärte daraufhin den Bund für aufgelöst, da ein solcher Beschluss unzulässig ist.
14.06.1866
Bismarck gibt den Befehl zur Einnahme der Königreiche Hannover, Sachsen und gegen Kurhessen. Ein Erfolg der preußischen Armee gilt keinesfalls als sicher. Ein Großteil der Zeitgenossen, so auch Napoléon III., rechnen mit einem österreichischen Sieg. Bismarck setzt somit alles auf eine Karte. „Wenn wir geschlagen werden […] werde ich nicht hierher zurückkehren. Ich werde bei der letzten Attacke fallen.“ Bismarck ist bestrebt, den Krieg selbst unter Kontrolle zu halten. Dies steht im Gegensatz zu den Plänen von Generalstabschef Moltke, der einen unbegrenzten Krieg plant. Die Gefahr, das Militär könnte sich der politischen Führung entziehen, kommt dann wegen der Kürze des Feldzuges nicht zum Tragen. Aus verschiedenen Gründen – etwa der Zerstrittenheit der Streitkräfte des Deutschen Bundes, der strategischen Nutzung der Eisenbahn und neuer Taktiken auf dem Schlachtfeld – erweist sich die preußische Armee als überlegen.
03.07.1866
Preußen erringt in der Schlacht von Königgrätz den entscheidenden Sieg gegen Österreich. Während Wilhelm I. und die Militärs darauf drängen, Wien zu erobern und Österreich harte Friedensbedingungen aufzuerlegen, setzt Bismarck gemäßigte Bedingungen durch, da er davon ausgeht, dass ein geschwächtes Österreich zu einem Bündnis mit Frankreich gezwungen wäre, was zu einem Zweifrontenkrieg gegen Preußen führen könnte.
23.08.1866

Im Prager Frieden braucht Österreich keine Gebiete an Preußen abzutreten, muss aber der Abtretung Venetiens an Italien, der Auflösung des Deutschen Bundes und der Bildung eines Norddeutschen Bundes unter preußischer Führung zustimmen. Schleswig und Holstein werden von Preußen ebenso annektiert wie Hannover, Kurhessen, Nassau und die Freie Stadt Frankfurt. Die süddeutschen Staaten bleiben unabhängig.

1867
Bismarck erwirbt von der ihm wegen des erfolgreichen Deutschen Krieges bewilligten Dotation in Höhe von 400.000 Talern das Rittergut Varzin. Auf dessen Gemarkung ließ er die Papierfabrik Hammermühle errichten, die sich bald zum größten Unternehmen Ostpommerns entwickeln soll, sowie weitere Papierfabriken. Der Krieg führt unter anderem dazu, dass die Konservativen ihre Position im preußischen Landtag erheblich ausbauen können. Um den Konflikt mit den Liberalen endlich beizulegen, lässt Bismarck ankündigen, er wolle den Landtag um „Indemnität“ bitten, also um die nachträgliche Genehmigung der Ausgaben. Dies bedeutete das Eingeständnis, dass er in den Jahren seit 1862 faktisch ohne rechtmäßigen Haushalt regiert hat. Bismarck will dies aber nicht als Schuldeingeständnis gewertet wissen. Es findet ein Politikwechsel statt, mit dem niemand gerechnet hat. Die Frage, wie man das Angebot Bismarcks zu beurteilen habe, führt zur Spaltung der Liberalen. Während die einen argumentieren, dass von Bismarck weitere Fortschritte in der nationalen Frage zu erwarten seien, meinen andere, liberale Freiheitsrechte müssten Vorrang vor der nationalen Einheit haben. Dieser Konflikt führt zur Abspaltung der gemäßigten und nationalen Liberalen von der Fortschrittspartei und zur Bildung der Nationalliberalen Partei. Ähnliche Veränderungen finden auch im Lager der Konservativen statt. Von den ideologisch geprägten Altkonservativen um Leopold von Gerlach, die sich schon vor dem Krieg von 1866 von Bismarck abgewandt hatten, trennen sich nunmehr realpolitisch gesinnte Bismarckanhänger und bilden die Freikonservative Partei. Für seine Politik wird sich Bismarck in den folgenden Jahren auf Nationalliberale und Freikonservative stützen können. Der Sieg im Deutschen Krieg bewirkt in der deutschen und preußischen Öffentlichkeit einen Wandel in der Beurteilung Bismarcks. Von den Zeitgenossen werden die Umwälzungen als „Revolution von oben“ wahrgenommen. Bismarck selbst hatte mit einer Revolution gedroht, als er fürchtete, Russland würde die Annexionen in Norddeutschland verhindern: „Soll Revolution sein, so wollen wir sie lieber machen als erleiden.“ Gegenüber Napoléon III. hatte er bereits früher gesagt: „Revolutionen machen in Preußen nur die Könige.“ Bei den Annexionen hat Bismarck sich um das für die Konservativen zentrale Prinzip der monarchischen Legitimität nicht gekümmert. Der Reichstag des neuen Norddeutschen Bundes wird nach demokratischen Grundsätzen gewählt. Die zentralen Aspekte der Verfassung des Bundes werden von Bismarck in weiten Teilen selbst bestimmt („Putbuser Diktate“), wenngleich er in den parlamentarischen Beratungen auch einigen Kompromissen zustimmen muss. Die neue Verfassung wird daher auch Bismarcksche Reichsverfassung genannt.
Frühling 1867
Zusammen mit der Position des preußischen Ministerpräsidenten und dem Amt des Außenministers hat Bismarck als norddeutscher Bundeskanzler nun eine überaus starke Machtstellung inne. Im konstituierenden Reichstag (Februar bis April 1867), dem verfassungsvereinbarenden Gremium, gelingt es den Nationalliberalen zwar, Bismarck noch einige Zugeständnisse abzuringen. Doch der Militäretat wird weitgehend dem parlamentarischen Einfluss entzogen. Weder Kanzler noch andere Regierungsmitglieder können vom Reichstag zu Fall gebracht werden. Insgesamt ist Bismarck den liberalen Forderungen weit entgegengekommen, er hat aber auch alles dafür getan, zu verhindern, dass aus dem konstitutionellen ein parlamentarisches System wird. Die inneren Veränderungen gehen aber weit über die Verfassung hinaus. Sie umfassen die allgemeine Rechtsordnung, die Wirtschafts- und Sozialverfassung bis hin zur Verwaltungsstruktur. Bei allen Mängeln ist doch bemerkenswert, dass unter der Verantwortung Bismarcks, der kurze Zeit zuvor noch allgemein als Erzkonservativer gegolten hatte, ein für die Zeit sehr modernes Staatswesen entsteht. In weiten Bereichen entspricht dieses liberalen Vorstellungen. Die eigentliche Umsetzung liegt in anderen Händen. Insbesondere Rudolph von Delbrück ist hier eine prägende Persönlichkeit. Dennoch ist Bismarcks persönlicher Einfluss nicht zu unterschätzen. Zwar werden mit den süddeutschen Staaten Schutz- und Trutzbündnisse abgeschlossen, aber der Norddeutsche Bund erweist sich nicht als der von Bismarck erhoffte Magnet, der zu einem Anschluss der noch fernstehenden deutschen Länder führt. Die Wahlen zum Zollparlament gewinnen in Bayern und Württemberg Gegner eines Anschlusses. Bismarck ist der Meinung, dass nur eine äußere Bedrohung die Stimmung in seinem Sinn verändern könnte. Allerdings versucht er nicht, eine konkrete Bedrohungssituation selbst herbeizuführen. Zwar hält er es für wahrscheinlich, dass die deutsche Einigung gewaltsam gefördert werden muss, aber „ein willkürliches, nur nach subjektiven Gründen bestimmtes Eingreifen in die Entwicklung der Geschichte hat immer nur das Abschlagen unreifer Früchte zur Folge; und dass die deutsche Einheit in diesem Augenblick keine reife Frucht ist, fällt meines Erachtens ins Auge.“ Außenpolitisch rechnet Bismarck von Seiten Frankreichs mit dem stärksten Widerstand gegen einen deutschen Nationalstaat. In der französischen Öffentlichkeit wird unter der Losung „Rache für Sadowa“ (Königgrätz) territoriale Forderungen gestellt, die zur Luxemburgkrise führen.
Mai 1867
Mit der Neutralisierung Luxemburgs wird die "Luxemburgkrise" durch Bismarck gelöst. Dieser nutzt die Gelegenheit, durch Parlamentsreden und in Presseartikeln die antifranzösische Stimmung zu verstärken. Napoléon III. sieht den Ausgang des Konflikts als Niederlage an und tut danach alles, um weitere preußische Ambitionen zu unterbinden. Unklar ist, ob Bismarck tatsächlich bereit ist, den Erwerb Luxemburgs durch Frankreich zu akzeptieren und nur die Umstände dies verhindern, oder ob das Ergebnis der Krise seinem bewussten Kalkül entspringt. Unabhängig davon stehen sich der Norddeutsche Bund und Frankreich nun in aller Schärfe gegenüber.
Anfang 1870
Ein weiterer Konflikt mit Frankreich entsteht im Laufe der spanischen Thronfolge-Frage. Bismarck drängt Prinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen zur Kandidatur. Der Prinz entstammt der katholischen Linie der in Preußen regierenden Hohenzollern, was ihn für Frankreich unannehmbar macht. Bismarck geht es zunächst nur darum, einen diplomatischen Sieg zu erringen und sich dabei mehrere Möglichkeiten offen zu halten. Sowohl Bismarck als auch Kaiser Napoléon III. wollen für sich einen Ansehensverlust verhindern, so dass der diplomatische Konflikt zu einer nationalen Frage eskaliert.


In Frankreich erzielte die Hohenzollernkandidatur die von Bismarck erhoffte Wirkung, befürchtete man dort doch, künftig von hohenzollerschen Staaten eingekreist zu werden. Die Krise schien durch den Verzicht des Prinzen zunächst entschärft. Wilhelm I. wies jedoch das Verlangen Frankreichs zurück, er solle im Namen des Hauses Hohenzollern auch für alle Zukunft auf ähnliche Kandidaturen verzichten. Der König informierte Bismarck darüber in der sogenannten Emser Depesche.[89] Dieser nutzte die Gelegenheit, redigierte die Depesche so, dass ihr Tenor verschärft wurde und gab sie dann an die Presse weiter. Napoleon III. war damit vor aller Welt brüskiert worden. Angesichts der Reaktionen in der französischen Öffentlichkeit sah er keine andere Wahl mehr, als Preußen den Krieg zu erklären. Damit erschien Frankreich, wie von Bismarck beabsichtigt, als Aggressor. In Deutschland war die öffentliche Meinung nun ganz auf Seiten Preußens und die süddeutschen Staaten sahen den Bündnisfall als gegeben an. Dagegen war Frankreich außenpolitisch völlig isoliert.[90] Krieg und Reichsgründung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten] → Hauptartikel: Deutsch-Französischer Krieg und Deutsche Reichsgründung Der Deutsch-Französische Krieg schien zunächst nach gewohntem Muster eine rasche Entscheidung zu bringen. Infolge der Gefangennahme Napoleons III. bei der Schlacht von Sedan brach das Zweite Kaiserreich zusammen. Zu einem schnellen Friedensschluss kam es allerdings nicht, weil die deutsche Seite, mit Bismarck in führender Rolle, die Abtretung von Elsass-Lothringen zur Bedingung machte. Diese territoriale Forderung wurde auch unter dem Eindruck der öffentlichen Meinung in Deutschland gestellt. Kurzfristig führte dies dazu, dass die neu gebildete französische Regierung den Krieg nicht nur fortsetzte, sondern ihn sogar zu einem nationalen Volkskrieg erhob. Langfristig wurden die deutsch-französischen Beziehungen durch die Elsass-Lothringen-Frage schwer belastet. Die dauerhafte Schwächung Frankreichs entwickelte sich zu einem zentralen Ziel der Bismarckschen Außenpolitik.



Der Ministerpräsident mischte sich während des Krieges wiederholt in die Entscheidungen der Militärs ein. Dies führte zu heftigen Konflikten mit der militärischen Führung, die ihren Höhepunkt anlässlich der Frage einer Belagerung oder Beschießung von Paris erreichten. Hier setzte Bismarck sich mit seiner Forderung nach einer Beschießung durch. Der Krieg hatte die Gegner der deutschen Vereinigung auch in Süddeutschland in die Defensive gedrängt. Seit Mitte Oktober 1870 verhandelte Bismarck in Versailles mit den Delegationen der süddeutschen Länder. Mit einem Bündnis der deutschen Fürsten und freien Städte sollte nicht zuletzt weitergehenden Vorstellungen des nationalen und liberalen Lagers begegnet werden. Bei den Verhandlungen verzichtete Bismarck auf direkten Druck und argumentierte stattdessen mit den Vorteilen eines solchen Zusammenschlusses. Insgesamt setzte er seine Vorstellungen durch. Als Erste erklärten Baden und Hessen-Darmstadt ihren Beitritt zum Norddeutschen Bund. Württemberg und Bayern machten den Weg zur Gründung des Deutschen Reiches frei, nachdem ihnen Reservatsrechte zugebilligt worden waren. Bismarck selbst verfasste den „Kaiserbrief“, mit dem Ludwig II. von Bayern Wilhelm I. um die Annahme der Kaiserkrone bat.[94] In diesem Zusammenhang bestach Bismarck Ludwig auch mit Mitteln aus dem Welfenfonds. Nur mit Mühe gelang es ihm allerdings, König Wilhelm, der einen Bedeutungsverlust des preußischen Königtums befürchtete, zur Annahme des Kaisertitels zu bewegen. Am 18. Januar 1871 kam es im Spiegelsaal von Versailles zur „Kaiserproklamation“. Sie markierte die Gründung des Deutschen Kaiserreichs. Wenige Tage später kapitulierte Paris. Der Deutsch-Französische Krieg endete am 10. Mai 1871 mit dem Frieden von Frankfurt. Bismarck hatte damit den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn erreicht. Er wurde in den Fürstenstand erhoben und Wilhelm I. machte ihm den Sachsenwald in der Nähe Hamburgs zum Geschenk. Bismarck gehörte nunmehr zu den großen Grundbesitzern des Reiches und war, auch dank der geschickten Verwaltung seiner Gelder durch Gerson Bleichröder, ein reicher Mann. Den Großteil seines Vermögens erwirtschaftete er über den Verkauf des Holzes aus dem Sachsenwald. Sein Hauptabnehmer Friedrich Vohwinkel erwarb zwischen 1878 und 1886 Holz im Wert von mehr als einer Million Mark aus Bismarcks Wäldereien. Bismarck erwarb ein ehemaliges Hotel in Friedrichsruh im Sachsenwald und ließ es umbauen. Nach 1871 wurde Friedrichsruh zum Mittelpunkt seines Privatlebens.


Das neue Kaiserreich übernahm weitgehend die Verfassung des Norddeutschen Bundes. Als Reichskanzler, Vorsitzender des Bundesrates, preußischer Ministerpräsident und Außenminister blieb Bismarck so der dominierende Politiker. Darüber hinaus konnte er auf sein ungeheures Prestige als Gründer des Reiches bauen. Dieses wog auch gegenüber Wilhelm I. schwer, sodass Bismarck seinen Willen gegenüber dem Deutschen Kaiser meist durchsetzen konnte. Wilhelm klagte daher: „Es ist nicht leicht unter einem solchen Kanzler Kaiser zu sein.“[98] Siehe auch: Kabinett Bismarck Familie und Lebensweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]


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Die einzige bekannte Aufnahme der Stimme Bismarcks aus dem Jahr 1889. Er rezitiert Teile des englischen Lieds In Good Old Colony Times, der Ballade Schwäbische Kunde von Ludwig Uhland, des Liedes Gaudeamus igitur und der Marseillaise; dann richtet er einen Rat an seinen Sohn.[99] So sehr Bismarck auch von Leidenschaft zur Politik und der Liebe zur Macht durchdrungen war, so sehr sehnte er sich gleichzeitig nach einer Befreiung von dieser Last. Bereits 1872 klagte er: „Mein Öl ist verbraucht, ich kann nicht mehr.“[100] Bismarck war in den Jahren seiner Kanzlerschaft nicht nur psychisch belastet, sondern auch körperlich stark angeschlagen. Immer öfter musste er sich deswegen teilweise für Monate auf seine Güter zurückziehen. Bismarck trank und aß im Überfluss. Er wurde immer dicker und wog 1879 247 Pfund, bei einer Körpergröße von 1,90 Meter. Er litt unter zahlreichen teils chronischen Krankheiten wie Rheuma, Venenentzündungen, Verdauungsstörungen, Hämorrhoiden und vor allem unter Schlaflosigkeit, hervorgerufen durch Völlerei. Neben dem Konsum von Alkohol und Tabak berichteten Zeitgenossen wie die Baronin Hildegard von Spitzemberg auch von der Einnahme von Morphium.[101] Erst Ernst Schweninger, sein neuer Arzt, konnte ihn in den 1880er-Jahren zu einer gesunden Lebensweise überreden. Zuvor litt er unter Gesichtneuralgien, weshalb er sich vor Schweningers Behandlung einen Vollbart wachsen ließ, damit er sich nicht rasieren musste.[102] Im privaten Leben Bismarcks spielte die Familie eine große Rolle. Aber auch in diesem Bereich setzte er stets seinen Willen durch. Als sein Sohn Herbert von Bismarck 1881 die geschiedene Fürstin Elisabeth zu Carolath-Beuthen heiraten wollte – eine Katholikin, die mit zahlreichen Bismarck-Gegnern, etwa Marie Gräfin Schleinitz, verwandt und verschwägert war – verhinderte Bismarck dies letztlich, indem er ihm erst mit Enterbung, dann mit Selbstmord drohte. Herbert fügte sich, war seither aber ein verbitterter Mann.[103]


Bismarck war 1866 zum Generalmajor, 1871 zum Generalleutnant und 1876 zum General der Kavallerie ernannt worden. 1890 erfolgte anlässlich seines Rücktritts die Ernennung zum Generaloberst der Kavallerie im Rang eines Generalfeldmarschalls. Außenpolitik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten] Die deutsche Reichsgründung veränderte die europäischen Machtverhältnisse grundlegend. Das neue Reich stand zunächst außerhalb der Pentarchie, die sich in den letzten hundert Jahren herausgebildet hatte, besaß es doch eine gänzlich andere machtpolitische Qualität als das recht kleine Preußen. Daher galt das Reich als Störenfried der internationalen Ordnung.[104] Nach einem längeren Lernprozess erkannte Bismarck, dass das allgemeine Misstrauen der übrigen Staaten gegenüber Deutschland nur durch Selbstbeschränkung und den Verzicht auf weitere territoriale Gewinne abgebaut werden konnte. Er versicherte daher, dass das Reich saturiert sei. „Wir verfolgen keine Macht-, sondern eine Sicherheitspolitik“, bekräftigte er 1874.[105] Ein Grundziel von Bismarcks Außenpolitik blieb es, Frankreich zu schwächen. Um dies zu erreichen, bemühte er sich um gute Beziehungen zu Österreich und zu Russland, ohne dabei eine Seite zu präferieren. Ergebnis dieser Strategie war das Dreikaiserabkommen von 1873. Wie schwierig es für das Deutsche Reich jedoch war, seine neue Position auf Kosten Frankreichs zu festigen, zeigte bereits 1875 die weitgehend von Bismarck selbst provozierte „Krieg-in-Sicht-Krise“. Der Versuch Bismarcks, eine deutsche Hegemonialpolitik gegenüber Frankreich durchzusetzen, scheiterte.[106] Auch wenn Bismarck dem wiedererstarkten Frankreich lediglich drohen wollte und nicht wirklich einen Krieg plante, war die Krise für ihn lehrreich. Sie zeigte, dass eine Annäherung zwischen Frankreich und Russland nicht grundsätzlich ausgeschlossen war. Die Möglichkeit eines Bündnisses zwischen beiden bereitete ihm für den Rest seiner Amtszeit Sorge. Aber auch England hatte deutlich gemacht, dass es einen weiteren Machtzuwachs Deutschlands nicht akzeptieren werde. Im Zweifelsfall arbeiteten die europäischen Flügelmächte zusammen, um eine Störung des machtpolitischen Gleichgewichts zu verhindern.[107] Bismarcksches Bündnissystem[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten] → Hauptartikel: Bündnispolitik Otto von Bismarcks


Berliner Kongress, Gemälde von Anton von Werner; vorn mittig: Otto von Bismarck Vor allem aus der Krieg-in-Sicht-Krise zog Bismarck den Schluss, dass für das Reich eine defensive Politik die einzig realistische Alternative sei. Durch seine Lage in der Mitte Europas drohte dem Reich, in einen großen europäischen Krieg mit einbezogen zu werden. Bismarck entwickelte vor diesem Hintergrund ein diplomatisches Konzept, das darauf abzielte, die Spannungen zwischen den Großmächten an die Peripherie zu verlagern, um so die Mitte Europas vor Kriegen zu bewahren. Zum ersten Mal zum Tragen kam dieses Konzept bei der Balkankrise zwischen 1875 und 1878. Bismarck förderte dabei einerseits die Spannungen zwischen den Mächten, verhinderte aber gleichzeitig, dass die Konflikte außer Kontrolle gerieten. Seine außenpolitische Strategie fasste er 1877 im Kissinger Diktat zusammen. Dabei ging er von „einer politischen Gesamtsituation [aus], in welcher alle Mächte außer Frankreich unser bedürfen, und von Koalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zueinander nach Möglichkeit abgehalten werden.“[108] Während des Berliner Kongresses zur Beendigung der Balkankrise präsentierte sich Bismarck 1878 als „ehrlicher Makler“. Dies verstärkte zwar sein außenpolitisches Prestige auch im Ausland, es zeigten sich aber auch sofort die Grenzen seines Konzepts. Zar Alexander II. machte Bismarck dafür verantwortlich, dass Russlands Erfolge eng begrenzt blieben. Dies führte dazu, dass Bismarck die Zusammenarbeit mit Österreich forcierte. Dies wiederum mündete im Zweibundvertrag von 1879. Aus diesem Defensivbündnis gegenüber Russland wurde eine dauerhafte Allianz, die die Außenpolitik während des gesamten Kaiserreichs prägen sollte. Bismarck selbst stilisierte die Verbindung als eine Art zeitgemäße Neuausgabe des Deutschen Bundes und als „Bollwerk des Friedens über lange Jahre hinaus. Populär bei allen Parteien, exklusive Nihilisten und Sozialisten.“[109] Bismarck gelang es aber auch, die Spannungen zwischen Deutschland und Russland abzubauen und 1881 das Dreikaiserbündnis abzuschließen. Damit war eine enge Verbindung Russlands mit Frankreich zunächst verhindert worden. Das Bündnissystem wurde 1882 durch den Dreibund zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien, sowie 1883 durch den Anschluss Rumäniens an den Zweibund ergänzt.[110] Imperialistische Episode[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]


„Die neue Crinoline. Bismarck schneidert der unwilligen Germania einen modischen Kolonialreifrock.“ Holzschnitt von Gustav Heil für die Satirezeitschrift „Berliner Wespen“ vom 13. März 1885 Mitte der 1880er-Jahre schien Bismarck die diplomatische Absicherung des Reichs erfolgreich abgeschlossen zu haben. Das Konzept der Saturiertheit wurde jedoch durch die imperialistischen Tendenzen der Zeit immer mehr in Frage gestellt. Bismarck selbst war eigentlich Gegner kolonialer Erwerbungen. Auch in Deutschland bildete sich eine imperialistische Bewegung, die auf den Erwerb von Kolonien drängte. Deren Druck konnte sich Bismarck nicht auf Dauer entziehen. Verschiedene innen- und außenpolitische Gründe führten zu einem Sinneswandel des Reichskanzlers. Dabei spielte auch die von ihm gefürchtete Thronübernahme des liberalen, englandfreundlichen Kronprinzen Friedrich Wilhelm eine Rolle. Da der Erwerb von Kolonien die Beziehungen zu Großbritannien verschlechtern musste, habe die Kolonialpolitik, „nur den Zweck, einen Keil zwischen den Kronprinzen und England zu treiben.“[111] Bismarck schien 1884 schließlich zur Überzeugung gekommen, dass eine erfolgreiche Kolonialpoilitk doch mehr Chancen, als Risiken berge.[112] 1884 und 1885 kam es zum Erwerb mehrerer Territorien in Afrika und im Stillen Ozean. Da sich die innenpolitischen Konstellationen in Frankreich und Großbritannien änderten, verlor Bismarck jedoch schnell das Interesse an deutscher Kolonialpolitik. Sie blieb zunächst eine Episode.[113] Gegenüber dem Kolonialverfechter Eugen Wolf äußerte Bismarck 1888: „Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön, aber meine Karte von Afrika liegt in Europa. Frankreich liegt links, Russland liegt rechts, in der Mitte liegen wir. Das ist meine Karte von Afrika.“[114][113] Jedoch hatte Bismarck ungewollt Kräfte freigesetzt, die sich in der Wilhelminischen Zeit nicht mehr beherrschen lassen sollten.[115] Krise des Bündnissystems[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten] In der zweiten Hälfte der 1880er-Jahre wurde Bismarcks außenpolitisches System zunehmend bedroht. Ab 1886 nahmen in Frankreich die revanchistischen Tendenzen zu. Zeitweilig drohte ein französisch-russisches Bündnis und damit die Gefahr eines Zweifrontenkriegs für das Deutsche Reich. Bismarck bauschte die Krise mit Frankreich allerdings auf, um seine innenpolitischen Pläne zur Heeresverstärkung durchsetzen zu können. Fast zeitgleich entstand eine neue Balkankrise. Bismarck versuchte vergeblich, die Spannungen zwischen den beiden Kontrahenten Österreich und Russland auszugleichen. Das Dreikaiserbündnis zerbrach. In Russland nahmen daraufhin die Stimmen für ein Bündnis mit Frankreich weiter zu. Probleme durch die Schutzzollpolitik Bismarcks verschärften die Situation. In Deutschland plädierten einflussreiche Persönlichkeiten aus Militär und Diplomatie wie Friedrich von Holstein, Helmuth Karl Bernhard von Moltke und Alfred von Waldersee für einen Präventivkrieg gegen Russland. Bismarck lehnte solche Ideen strikt ab. Er hielt den Krieg weiter für vermeidbar. Als Macht- und Realpolitiker spielten nationalistische und sozialdarwinistische Vorstellungen für ihn keine Rolle. Zwar war Bismarcks altes Bündnissystem zerbrochen, doch konnte er die Krise noch einmal entschärfen. Auf dem Balkan weigerte er sich, für England und Österreich „die Kastanien aus dem Feuer zu holen.“[116] Ohne mit Österreich zu brechen, gelang es ihm, einen offenen Krieg zu verhindern. Im Februar 1887 war Bismarck im Hintergrund am Zustandekommen der Mittelmeerentente zwischen Großbritannien, Österreich und Italien beteiligt. Ihr Ziel war es, den russischen Expansionsdrang zu begrenzen. Kurze Zeit später schloss Bismarck mit Russland den Rückversicherungsvertrag ab, um Russland erneut an Deutschland zu binden.[117] Innenpolitik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten] Die liberale Ära und der Kulturkampf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]


Bismarck in der Interimsuniform des Kürassier-Regiment Nr. 7 (im Kriegsjahr 1870). 1868 war er dort a la suite gestellt worden, 1894 wurde er dessen Chef Wie schon in der Zeit des Norddeutschen Bundes beruhte die Innenpolitik des Deutschen Reiches in den ersten Jahren auf einer Zusammenarbeit Bismarcks mit den Freikonservativen und den Nationalliberalen. Diese übten einen erheblichen Einfluss auf die Vereinheitlichung, Gestaltung und Modernisierung der Wirtschafts- und Rechtsordnung aus, sowohl im Reich wie auch teilweise in Preußen. Bismarck scheute dabei auch zeitweise nicht vor einem Konflikt mit den Konservativen zurück. Als das preußische Herrenhaus sich 1872 weigerte, einer Reform der Kreisordnung zuzustimmen, veranlasste Bismarck Wilhelm I. dazu, zusätzliche Herrenhausmitglieder zu ernennen, um mit Hilfe dieses „Pairsschubes“ das Gesetz durchzubringen. Die Empörung bei den Konservativen war groß und Roon sprach gar von einem Staatsstreich.[118] Dies führte zum Rücktritt Bismarcks vom Posten des preußischen Ministerpräsidenten zu Gunsten Roons. Da dieser sich dem Amt jedoch nicht gewachsen zeigte, übernahm es Bismarck nach kurzer Zeit wieder selbst.[118] Auf verschiedenen Feldern zeigten sich bald schon erste Grenzen der Zusammenarbeit Bismarcks mit den Liberalen. Zum wichtigsten Streitpunkt wurde ab 1873 der Bereich der Militärorganisation, um den es heftige Auseinandersetzungen gab. Auf den von Bismarck geforderten faktischen Verzicht des Parlaments auf Kontrolle des Militärhaushaltes („Äternat“) konnten sich die Nationalliberalen nicht einlassen. Eine Lösung brachte 1874 ein Kompromissvorschlag von Johannes Miquel. Danach wurden die Ausgaben für jeweils sieben Jahre bewilligt („Septennat“). Trotz dieses relativen Erfolgs hatte Bismarck den Liberalen die Grenzen seiner Kooperationswilligkeit deutlich gemacht, obwohl diese ihm de facto acht Jahre Handlungsfreiheit gaben. Gleichzeitig stärkte die grundsätzliche Einigung mit dem Parlament Bismarcks Stellung gegenüber dem Militär.[119]


Karikatur von Wilhelm Scholz zur Beendigung des Kulturkampfes. Papst Leo XIII. und der Reichskanzler fordern sich gegenseitig zum Fußkuss auf. Bildunterschrift: Pontifex: „Nun bitte, genieren Sie sich nicht!“ Kanzler Bismarck: „Bitte gleichfalls!“ Aus: Kladderadatsch, Nr. 14/15 (18. März 1878) Nationalliberale und Bismarck stimmten in ihrer Gegnerschaft zu einer katholischen Partei überein. Für Bismarck spielte dabei auch eine Rolle, dass mit der 1870 gegründeten Zentrumspartei eine seinem Einfluss entzogene, im Kern konservative, katholische Partei entstanden war. Das Zentrum schaffte eine Klammer zwischen katholischer Arbeiterschaft, Honoratioren und Kirche. Bismarck reduzierte es konsequent auf den von ihm gefürchteten Ultramontanismus.[120] Tatsächlich wurde das Zentrum in den ersten Reichstagswahlen von 1871 auf Anhieb zweitstärkste Kraft. Damit sank der Wahlerfolg der Nationalliberalen insbesondere im katholisch-bürgerlichen Lager. Der Kulturkampf hatte für Bismarck zwar vor allem politische Gründe, doch er sah in Ludwig Windthorst, dem herausragenden Politiker der Zentrumspartei, einen persönlichen Gegner: „Mein Leben erhalten und verschönern zwei Dinge, meine Frau und Windthorst. Die eine ist für die Liebe da, der andere für den Haß.“[121] Bismarck stilisierte die Katholiken zu Reichsfeinden – auch um aufziehender Kritik an seiner Amtsführung entgegenzuwirken. Ab 1872 wurden im Rahmen des sogenannten Kulturkampfes verschiedene Sondergesetze gegen die Katholiken beschlossen und wiederholt verschärft. Im Zuge dieser Auseinandersetzung wurden Rechte und Machtstellung der Kirche durch Reichs- und preußische Landesgesetze beschnitten (Kanzelparagraph, Brotkorbgesetz), aber auch die Zivilehe eingeführt. In diesem Zusammenhang äußerte Bismarck am 14. Mai 1872 vor dem Reichstag: „Seien Sie außer Sorge, nach Kanossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig.“[122] Die erste, harte Etappe des Kulturkampfes endete 1878.[123] In diesem Jahr starb Pius IX., sein Nachfolger Leo XIII. signalisierte Verständigungsbereitschaft, an der Bismarck gelegen war, um das Zentrum auszubooten.[124] Eine direkte Verhandlung mit dem Heiligen Stuhl schadete der Partei und verringerte ihr Ansehen bei der katholischen Bevölkerung. Zudem hatte der Kanzler nicht das geschafft, was er vorgehabt hatte. Die katholische Basis und die katholische Partei ließen sich nicht spalten, vielmehr wurde durch die staatlichen Angriffe die Bildung eines katholischen Milieus gefördert. Darüber hinaus unterstützte die katholische Presse die Partei, die zunehmend Mandate im Reichstag gewann.[125] Ein letzter Grund für Bismarck ergab sich aus dem letztlich vollzogenen Bruch mit den Nationalliberalen. Er lotete die Möglichkeit aus, das Zentrum in seine Politik einzubauen und somit eine „blau-schwarze Koalition“ mit den Konservativen zu bilden.[126] Der Kulturkampf endete im April 1887 mit dem zweiten Friedensgesetz.[127] Bis dahin trugen beide Seiten zur Deeskalation bei. Eine Folge des Kulturkampfes bis heute sind die Zivilehe und die staatliche Schule. Für die zukünftige Politik Bismarcks nicht unwichtig war, dass Windthorst keineswegs ein ultramontaner Eiferer war. Er war zwar preußenkritisch, aber eben auch pragmatisch und konstitutionell ausgerichtet, was Bismarck neue politische Optionen eröffnete.[128] Kanzlerkrise und politische Wende[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten] Die Basis der Zusammenarbeit von Bismarck mit den Liberalen wurde immer schwächer. Mit Aufzug der Gründerkrise begannen zahlreiche Großgrundbesitzer und Industrielle, Forderungen nach Schutzzöllen zu erheben. Bismarck hoffte, dass die Wirtschaftspolitik zur Spaltung der Liberalen führen würde. Obwohl er sich öffentlich nicht zu diesem Thema äußerte, ermutigte er die Interessenvertreter zur Abspaltung, die dann auch vollzogen wurde. In der neu gegründeten Deutschkonservativen Partei sah Bismarck einen möglichen Bündnispartner; das Parteiprogramm wurde mit ihm persönlich abgestimmt.[129] Zum Vorzeichen des aufziehenden Konflikts mit den Liberalen wurde 1876 der Rücktritt Rudolph von Delbrücks vom Amt des Präsidenten des Reichskanzleramtes. Delbrück hatte als Verkörperung der Zusammenarbeit Bismarcks mit den Liberalen sowie als Hauptvertreter des Wirtschaftsliberalismus gegolten. In Hinblick auf den erwarteten baldigen Thronwechsel stellten die Liberalen für Bismarck eine Gefahr dar. Unter einem Kaiser Friedrich III. stand der Wechsel zu einer liberalen Regierung zu erwarten – nach dem Vorbild der britischen Regierung unter Premierminister William Ewart Gladstone. Bismarck versuchte 1877 Albrecht von Stosch, den Chef der Marine, auszuschalten, da dieser als möglicher Kanzler des künftigen Kaisers galt. Als dies scheiterte, drohte Bismarck mit dem eigenen Rücktritt und zog sich zeitweise auf sein Gut in Varzin zurück. Der Versuch, von dort aus die Nationalliberalen mit Angeboten – etwa ein Ministeramt für Rudolf von Bennigsen – und Zugeständnissen für seine Politik zu gewinnen, war nicht erfolgreich. Ihm wurden Gegenforderungen präsentiert, die seinen Plänen zuwiderliefen, den Parlamentarismus einzudämmen. Daraufhin entschloss er sich zum Bruch mit den Nationalliberalen.[130] Mit der Forderung der Nationalliberalen, die Reichsverfassung in einem stärker parlamentarischen Sinne umzugestalten, war eine Grenze erreicht worden, die Bismarck nicht zu überschreiten bereit war. Im Reichstag erklärte er diesbezüglich 1879: „Eine Fraktion kann sehr wohl die Regierung unterstützen und dafür einen Einfluss auf sie gewinnen, aber wenn sie die Regierung regieren will, dann zwingt sie die Regierung, ihrerseits dagegen zu reagieren.“[131] Angesichts der gegenseitigen politischen Blockade sah sich Bismarck zu einer Flucht nach vorn gezwungen. In einer Reichstagsrede kündigte er am 22. Februar 1878 einen innenpolitischen Kurswechsel an. Das dabei von ihm angedeutete Ziel eines staatlichen Tabakmonopols widersprach zentralen wirtschaftsliberalen Prinzipien. Über den konkreten Anlass hinaus fassten die dem Liberalismus nahestehenden Regierungsmitglieder dies als einen ersten Schritt hin zu einer grundlegend veränderten Wirtschaftspolitik auf. Heinrich von Achenbach und Otto von Camphausen legten ihre Ämter nieder. An ihre Stelle traten Personen, die in den Parteien kaum verankert waren und nur geringes politisches Gewicht besaßen.[132] Sozialistengesetz und Schutzzoll[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]


Reichsgesetzblatt vom 21. Oktober 1878 mit dem Text des „Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ Seit der Rede von August Bebel im Reichstag am 25. Mai 1871[133] zu Gunsten der Pariser Kommune sah Bismarck in den Sozialdemokraten eine revolutionäre Bedrohung. Schon damals skizzierte er seine zukünftige Politik so: „1. Entgegenkommen gegen die Wünsche der arbeitenden Klassen, 2. Hemmung der staatsgefährlichen Agitation durch Verbots- und Strafgesetze.“[134] Nach Bismarcks Ansicht verstärkten die sozialen Auswirkungen der Gründerkrise die revolutionäre Gefahr. Zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I. im Jahr 1878 dienten Bismarck als willkommener Anlass, mit einem Sozialistengesetz gegen die Sozialistische Arbeiterpartei vorzugehen. Er wollte einen „Vernichtungskrieg führen durch Gesetzesvorlagen, welche die sozialdemokratischen Vereine, Versammlungen, die Presse, die Freizügigkeit (durch die Möglichkeit der Ausweisung und Internierung) […] träfen.“[135] Über den Kampf gegen die Sozialdemokratie hinaus, boten die Attentate für Bismarck aber auch die Gelegenheit, angesichts einer fehlenden parlamentarischen Unterstützung wieder in die politische Offensive zu gehen und zu neuen Mehrheiten zu kommen. Ein erster Gesetzentwurf scheiterte an der überwältigenden Mehrheit des Reichstags. Nach dem zweiten Attentat ließ Bismarck das Parlament auflösen. Er wollte wieder die Rückendeckung der Nationalliberalen gewinnen und darüber hinaus die Regierungsbasis weiter nach rechts verschieben. Nach der Wahl waren die beiden konservativen Parteien zusammen stärker als die Nationalliberalen.[136] Im neuen Reichstag stimmten schließlich auch die Nationalliberalen, nach einigen Zugeständnissen, dem Sozialistengesetz zu. Es blieb, mehrfach vom Parlament verlängert, bis 1890 in Kraft. Dieses Ausnahmegesetz verbot die sozialistische Agitation, während die politische Arbeit der sozialdemokratischen Parlamentarier davon unberührt blieb. Letztlich verfehlte das Gesetz seinen Zweck und trug ungewollt zur Verfestigung eines sozialistischen Milieus bei, denn erst jetzt setzte sich die marxistische Theorie wirklich durch. Bemerkenswert ist, dass Bismarck dem Thema später in seinen Gedanken und Erinnerungen kein einziges Wort widmete. Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise wurde im Jahr 1878 der Ruf von Großgrundbesitzern und Schwerindustriellen nach Schutzzöllen lauter. Als sich für diese Forderung eine Mehrheit im Reichstag abzeichnete, sprach sich auch Bismarck, der auf erhöhte Staatseinnahmen hoffte, im so genannten „Weihnachtsbrief“ vom 15. Dezember 1878 für eine Verbindung von Steuerreform und Schutzzollpolitik aus. Dem stimmten letztlich nur wenige Nationalliberale zu. Bismarck stützte sich stattdessen auf die Deutschkonservative Partei, auf die Freikonservativen und auf das Zentrum. Die liberale Ära war damit beendet. Bismarck betonte nunmehr die Bedeutung des Obrigkeitstaates als Garanten der nationalen Einheit und setzte auf eine nationalkonservative Sammlungsbewegung unter Einschluss des Zentrums. Eine feste parlamentarische Basis, wie sie zuvor die Nationalliberalen gestellt hatten, bot diese Parteienkonstellation allerdings nicht. Viele politische Initiativen Bismarcks blieben daher in den folgenden Jahren ergebnislos.[137] Der Übergang vom Freihandel zum Protektionismus vollzog sich in den folgenden Jahren in mehreren Schritten. Bismarck hoffte, aus seinem Eingehen auf die Wünsche der Verbindung von „Roggen und Eisen“ politisches Kapital schlagen zu können, um die konservative Basis des Reiches auszubauen und seine eigene Position zu festigen.[138] Sozialgesetzgebung und Staatsstreichpläne[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten] Angesichts seiner schwierigen parlamentarischen Situation versuchte Bismarck, die bisherige Bedeutung der Parteien zurückzudrängen. Das Feld der Auseinandersetzung sollte die Sozial- und Wirtschaftspolitik werden. Daher übernahm er 1880 selbst das Amt des Handelsministers, das er bis 1890 bekleidete. Um Einfluss auf die Wirtschaftsgesetzgebung zu nehmen, versuchte er einen Volkswirtschaftsrat aus Vertretern der Wirtschaftsverbände zu etablieren, mit dem das Parlament umgangen werden sollte. Dies scheiterte allerdings am Widerstand der Parteien.[139] Hauptziel von Bismarcks Sozialpolitik war, eine stärkere Staatsbindung zu erzeugen. Die Parteien sollten dabei von ihrer Basis getrennt werden. Bismarck verschleierte sein eigentliches Ziel des Machterhalts dabei keineswegs.[140] Geplant war zunächst nur eine Unfallversicherung, später kamen Versicherungen gegen Krankheit, Invalidität und Altersarmut hinzu.[141] Diese sollten weitgehend staatlich kontrolliert sein – zeitweise sprach Bismarck sogar von Staatssozialismus. Er wollte so „in der großen Masse der Besitzlosen die konservative Gesinnung erzeugen, welche das Gefühl der Pensionsberechtigung mit sich bringt.“[142] „Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte“ – Otto von Bismarck: Gesammelte Werke (Friedrichsruher Ausgabe) 1924/1935, Band 9, S. 195/196 Nicht die Versicherungen an sich, aber Bismarcks persönliche Motive stießen auf heftigen Widerstand. Letztlich strich das Parlament aus der Gesetzesvorlage zur Unfallversicherung alle „staatssozialistischen“ Elemente heraus. Bismarcks Kalkül, nach einer Reichstagsauflösung die Wähler mit der Parole eines „sozialen Königtums“ und mit antiparlamentarischen Tönen zu überzeugen, ging nicht auf. Insbesondere die Linksliberalen gewannen bei der Reichstagswahl am 27. Oktober 1881 deutlich hinzu. Bismarck dachte danach kurzzeitig an Rücktritt, entschied sich aber dagegen und deutete sogar Staatsstreichpläne an. Anstelle der ursprünglich geplanten Reichsanstalt setzte er später die Berufsgenossenschaften durch. Gedacht als neokorporativer Zusammenschluss jenseits der Parteien, wurden die Genossenschaften von den Unternehmern dominiert. Entgegen dem ursprünglichen Ziel gewannen in ihnen die Vertreter der Rechtsparteien an Gewicht. Die Krankenversicherung wurde dagegen von der Selbstverwaltung der Arbeiter dominiert; Sozialdemokraten dominierten viele der Allgemeinen Ortskrankenkassen. Mit der Sozialgesetzgebung schuf Bismarck einen Pfeiler des modernen Sozialstaats; seine machtpolitischen Ziele erreichte er aber nicht. Der Versuch, der Sozialdemokratie die „Wurzeln abzugraben,“ schlug mittelfristig ebenso fehl wie das Vorhaben, den Obrigkeitsstaat zu Lasten der Parteien auszubauen. Bismarcks Interesse an der Sozialgesetzgebung ließ nach: Die Alters- und Invalidenversicherung von 1889 wickelte er geschäftsmäßig ab.[143] Protektionismus und Nationalismus als innenpolitische Instrumente[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten] Bismarck und Innenminister Robert von Puttkamer gelang es, die preußischen Beamten auf eine bedingungslose Unterstützung der Regierungspolitik zu verpflichten. Zugute kam Bismarck, dass sich innerhalb der Nationalliberalen, unter Führung von Johannes Miquel, die Vertreter eines protektionistischen und staatsnahen Kurses durchsetzten. Sie bekannten sich zu wesentlichen Aspekten von Bismarcks Politik. Nicht zuletzt mit dem Ziel, die materiellen Interessen der konservativen Wähler zu bedienen, legte Bismarck 1885 eine protektionistische Zollvorlage vor, mit der die Importe massiv beschränkt wurden. Auch um nationalistische Emotionen nutzbar zu machen, verstärkte Bismarck die antipolnische Politik[144] in den preußischen Ostprovinzen. Mit der Ausweisung von nichtpreußischen Polen ab 1885 und dem Ansiedlungsgesetz von 1886 setzte eine intensive Germanisierung ein. Die französische Revanchismusbewegung nutzte Bismarck, um mit einer breit angelegten Pressekampagne alle Kritiker als Vaterlandsverräter zu diskreditieren, die sich insbesondere seinen militärpolitischen Plänen entgegenstellten. Nach der Reichstagsauflösung wurde die nationalistische Agitation noch einmal verstärkt. Aus den Reichstagswahlen vom Februar 1887 ging das Regierungslager aus Konservativen und Nationalliberalen mit absoluter Mehrheit hervor. Bismarck besaß mit den so genannten Kartellparteien nun jene parlamentarische Mehrheit, die er in den vergangenen zehn Jahren angestrebt hatte. Er konnte jetzt sowohl seine militärpolitischen Pläne als auch Begünstigungen für seine konservative Klientel durchsetzen. Aufgrund von Bismarcks neuer Machtstellung spielte die Thronbesteigung von Friedrich III. im März 1888 kaum noch eine Rolle. Als der todkranke neue Kaiser sich weigerte, einer Verlängerung der Legislaturperiode und des Sozialistengesetzes zuzustimmen, belehrte Bismarck die Kaiserin, dass der Monarch „als solcher kein Faktor der Gesetzgebung“ sei.[145] „Der Lotse geht von Bord“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]


Die Punch-Karikatur Dropping the Pilot (im Deutschen meist übersetzt mit: Der Lotse geht von Bord) von Sir John Tenniel zur Entlassung Bismarcks 1890 Auch wenn Bismarck alles tat, um potenzielle Nachfolger auszuschalten, mehrten sich seit dem Ende der 1880er-Jahre doch die Anzeichen dafür, dass seine politische Führungsrolle sich dem Ende zuneigte. In der politischen Öffentlichkeit wurde der Ruf nach einer Abkehr von der nur bewahrenden Diplomatie Bismarcks zu Gunsten einer dynamischen und risikobereiten Außenpolitik laut. Nach der kurzen Herrschaftszeit von Friedrich III. standen sich mit dem neuen Kaiser Wilhelm II. und Bismarck zwei ungleiche Persönlichkeiten gegenüber. Bismarck hielt Wilhelm für unreif und wenig vorbereitet auf die Übernahme der Verantwortung. Er sei ein „Brausekopf, könne nicht schweigen, sei Schmeichlern zugänglich und könne Deutschland in einen Krieg stürzen, ohne es zu ahnen und zu wollen.“[146] Für Wilhelm dagegen war Bismarck eine nicht mehr zeitgemäße Person und er machte deutlich, selbst politischen Einfluss nehmen zu wollen: „Sechs Monate will ich den Alten verschnaufen lassen, dann regiere ich selbst.“[147] Bismarck sah vor diesem Hintergrund in der mutwilligen Verschärfung der innenpolitischen Lage eine Möglichkeit, den neuen Kaiser von seiner Unentbehrlichkeit zu überzeugen. Er brachte daher ein neues, verschärftes und unbefristetes Sozialistengesetz ein, wohl wissend, dass dies die Kartellparteien auseinandersprengen würde, da die Nationalliberalen dies nicht mittragen konnten. Wilhelm, der seine Regierungszeit nicht mit einem solchen Konfliktkurs beginnen wollte, stellte sich den Plänen des Kanzlers entgegen. In einer Sitzung des Kronrates prallten beide am 24. Januar 1890 aufeinander.[148] In den folgenden Monaten versuchte Bismarck verzweifelt, seine Stellung zu halten und spielte erneut mit Staatsstreichgedanken, aber auch mit dem Plan einer engen Zusammenarbeit zwischen Zentrum und Konservativen.[149] Am 15. März 1890 entzog Kaiser Wilhelm dem Kanzler wegen dessen Konfliktkurses endgültig die Unterstützung. Das Entlassungsgesuch Bismarcks datiert vom 18. März 1890.[150] Die Öffentlichkeit reagierte mehrheitlich erleichtert auf den Rücktritt. Theodor Fontane schrieb: „Es ist ein Glück, dass wir ihn los sind. Er war eigentlich nur noch Gewohnheitsregente (sic!), tat was er wollte, und forderte immer mehr Devotion. Seine Größe lag hinter ihm.“[151] Als Nachfolger Otto von Bismarcks wählte der Kaiser den politisch unerfahrenen General Leo von Caprivi.[152] Nach dem Rücktritt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]


Otto Fürst von Bismarck, Gemälde von Franz von Lenbach, 1894


Bismarck spricht zu einer Delegation der deutschen Studentenschaft, Friedrichsruh, 1. April 1895


Bismarck mit seinen „Reichshunden“ Tyras II und Rebecca in Friedrichsruh, 6. Juli 1891


Bismarcks Sterbemedaille des Stuttgarter Künstlers Karl Schwenzer.


Erstauflage der zweibändigen sog. „Volksausgabe“ der Bismarck’schen Memoiren, Cotta, Stuttgart/Berlin 1905 Bismarck zog sich verbittert nach Friedrichsruh zurück, doch verabschiedete er sich damit nicht endgültig von der Politik. „Aber das kann man nicht von mir verlangen, dass ich, nachdem ich vierzig Jahre lang Politik getrieben, plötzlich mich gar nicht mehr damit abgeben soll.“[153] Seine Unnahbarkeit wurde durch diese Zurückgezogenheit noch gesteigert, sodass bald das Wort vom „Einsiedler im Sachsenwald“ die Runde machte.[154] Bereits einen Tag nach seinem Rücktritt verkündete Bismarck, seine Memoiren verfassen zu wollen. Bismarck versuchte nicht nur, sein Bild für die Nachwelt mitzugestalten, sondern verzichtete auch nicht auf Eingriffe in die Tagespolitik. Bald nach seiner Entlassung begann er eine äußerst umtriebige Pressepolitik. Insbesondere die „Hamburger Nachrichten“ wurden zu seinem Sprachrohr. Bismarck attackierte vor allem seinen Nachfolger Caprivi scharf. Indirekt kritisierte er damit auch den Kaiser, dem er seine Entlassung nicht verziehen hatte. Am 30. April 1891 ließ sich Bismarck auf Initiative des jungen Diederich Hahn im Wahlkreis Neuhaus (Oste), Hadeln, Lehe, Kehdingen, Jork für den ausgeschiedenen Abgeordneten Hermann Gebhard in den Reichstag wählen. Wilhelm II. glaubte kurzzeitig sogar an eine Rückkehr des Altkanzlers in die Politik. Allerdings hat Bismarck seinen Wahlkreis nie betreten und von seinem Mandat niemals Gebrauch gemacht;[155] Bei der Reichstagswahl 1893 verzichtete er zugunsten Diederich Hahns auf eine erneute Kandidatur. Die Pressepolitik in eigener Sache war durchaus erfolgreich. Die öffentliche Meinung wandte sich Bismarck verstärkt wieder zu, insbesondere nachdem Wilhelm II. begonnen hatte, ihn öffentlich anzugreifen. Für das Ansehen des neuen Reichskanzlers Caprivi geradezu katastrophal wirkte sich dessen Versuch aus, ein Treffen Bismarcks mit Kaiser Franz Joseph von Österreich zu verhindern. Die Reise nach Wien wurde zu einem Triumphzug des Altkanzlers, der erklärte, keine Verpflichtungen mehr gegenüber der deutschen Regierung zu haben: „Alle Brücken sind abgebrochen.“[156] Wilhelm II. bemühte sich in der Folge um eine öffentlichkeitswirksame Aussöhnungsgeste. Mehrere Treffen mit Bismarck im Jahr 1894 wurden positiv aufgenommen, eine wirkliche Entspannung brachte dies aber nicht. Wie gering Bismarcks Ansehen im Reichstag war, zeigte die gescheiterte Kampfabstimmung um ein Glückwunschtelegramm anlässlich seines achtzigsten Geburtstags. Daraufhin machten ihn etwa 400 deutsche Städte zum Ehrenbürger, darunter die Mitglieder der im Entstehen begriffenen Städteverbände in geschlossener Form, so der badische, der Thüringer und der sächsische.[157] Im Jahr 1896 zog Bismarck durch die Offenlegung des streng geheimen Rückversicherungsvertrages noch einmal die Aufmerksamkeit der deutschen und internationalen Presse auf sich.[158] Die Erstellung der Memoiren unterstützte Lothar Bucher, ohne dessen Drängen das Werk wahrscheinlich nie fertiggestellt worden wäre. Bucher beklagte nicht nur Bismarcks rasch nachlassendes Interesse an seinen Memoiren, sondern beschrieb auch, wie der Altkanzler in ihnen Tatsachen absichtlich entstellte: „Bei nichts, was misslungen ist, will er beteiligt gewesen sein, und niemand lässt er neben sich gelten.“[159] Nach Buchers Tod im Oktober 1892 besserte Bismarck an den Manuskripten noch herum, aber das Werk wurde nicht mehr fortgesetzt. Der Tod seiner Frau im Jahr 1894 traf Bismarck tief. Ab 1896 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand immer deutlicher und er war schließlich auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Erkrankungen an Altersbrand und anderen Gebrechen, die er gegenüber der Öffentlichkeit und sogar gegenüber seiner Familie verschwieg,[160] führten am 30. Juli 1898 zu seinem Tod. Unmittelbar nach seinem Ableben entstand durch zwei Paparazzi die Fotografie von Bismarck auf dem Sterbebett.[158] Als Bismarck starb, befand sich Wilhelm II. im Zuge seiner Sommerreise in Norwegen auf der kaiserlichen Yacht Hohenzollern. Nachdem ihn die Todesnachricht am Morgen des 31. Juli erreicht hatte, sandte er ein Telegramm an Herbert von Bismarck. Darin kündigte Wilhelm eine pompöse Beisetzung Bismarcks in der Hohenzollerngruft im Berliner Dom an, da Bismarck ein Freund seines Großvaters Wilhelm I. gewesen sei und ihm für seine Leistungen der Dank des deutschen Volkes für immer gebühre. Wilhelm II. beauftragte ebenfalls per Telegramm den Bildhauer Reinhold Begas, einen Sarkophag für Bismarck zu entwerfen; August zu Eulenburg sollte das Programm der Feier als nationales Ereignis gestalten. Bismarck hatte indes bereits 1896 in seinem Testament verfügt, er wolle in Friedrichsruh begraben werden. Seine Familie entsprach diesem Wunsch. Nun wollte Kaiser Wilhelm nach seinem Eintreffen in Kiel am 1. August wenigstens am offenen Sarg Bismarcks in Friedrichsruh stehen und begab sich mit seiner Gemahlin dorthin. Als er jedoch am folgenden Tag eintraf, war der Sarg bereits verlötet.[161] Bismarck fand demnach seine letzte Ruhestätte neben seiner Frau in einem Mausoleum in Friedrichsruh. Für die Verhältnisse des 19. Jahrhunderts war der Verkaufserfolg der zunächst zweibändig von der Cotta’schen Verlagsbuchhandlung verlegten Erinnerungen sensationell: Die Erstauflage von mehr als dreihunderttausend Exemplaren war schon in den ersten Dezembertagen 1898 vergriffen, ab 1905 erschien sie dann als sog. „Volksausgabe“. Die Öffentlichkeit und Geschichtsforschung interessierende Auseinandersetzung mit Kaiser Wilhelm II. und die Entlassung des Reichskanzlers blieben dem dritten, erst 1921 erschienenen, Band vorbehalten.[162]


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