Am 13. September 1853 wurde Eduard, genannt Edy, als zweiter Sohn des Grafen Erdmann von Pückler in Rogau in Schlesien geboren. Schon im Dreißigjährigen Kriege hatte in Rogau ein Schloß gestanden. In der Dorfkirche war das Lützow'sche Freikorps eingesegnet worden. Diese Erinnerung an eine stolze, deutsche Vergangenheit bestimmte bis ins hohe Alter sein ganzes Leben, zumal er als zehnjähriger Knabe die Feier der fünfzigjährigen Wiederkehr dieses herrlichen Tages erlebte, an dem sein Vater alle noch lebenden Kriegsteilnehmer zu einem Festessen um sich vereinigte. Der Wassergraben um das Schloß und der Garten bildeten einen beliebten Tummelplatz der Kinder. Hier wurden die Düppeler Schanzen erstürmt, hier wurden die heißen Schlachten geschlagen. Ernst und einfach konnte der Vater seine Kinder — drei Knaben und vier Mädchen — erziehen, hatte er doch infolge Preußens großer Not seine sämtlichen Güter verloren. Seine erste größere Reise machte Eduard als fast zehnjähriger Knabe mit seinem Vater und ältesten Bruder an die Ostsee nach Heringsdorf.
Zuerst durch Hauslehrer unterrichtet, haben die beiden ältesten Brüder 1866 die Ritterakademie in Liegnitz bezogen, hier mußten sich die freiheitliebenden Knaben an den Zwang eines strengen Anstaltsleben gewöhnen. Es war der Krieg zwischen Preußen und Österreich ausgebrochen, und wiederum wird Eduard bis ins Innerste begeistert. Als seine Konfirmation heranrückte, wünschte er sie noch weit hinausgeschoben, da er vor dem großen Schritt zurückbebt, und so klagt er nach der Konfirmation darüber, daß ihn das alltägliche Räderwerk von dem höheren Leben wieder abgezogen habe.
Als mit achtzehn Jahren sein älterer Bruder als Breslauer Kürassier in den Krieg 1870 zieht, muß unser Eduard zu Hause bleiben und darf sein Leben für sein heißgeliebtes Vaterland nicht einsetzen. Er nimmt natürlich regsten Anteil an allen Kriegsereignissen und berichtet in einem Brief vom 23. September, was sein Bruder von der Schlacht bei Sedan erzählt, und fährt dann fort: „Nun habe ich aber noch eine sehr traurige Nachricht empfangen, nämlich die schwere Verwundung von Eberhard von Rothkirch am Knie. Wahrscheinlich wird ihm das Bein abgenommen werden müssen. Es ist zu furchtbar, zu schrecklich, ich kann kaum daran denken und davon schreiben, und wenn er auch wirklich am Leben bleibt, was soll er anfangen, was aus ihm werden! Auch ist mir der Gedanke so gräßlich, ihn nicht einmal trösten, ihm kein Lebenszeichen geben zu können. Gerade ihn trifft es so furchtbar hart, da er so gar nicht sich geistig beschäftigen mag und ihm leibliche Übungen über alles gehen."
Dann teilt er in einem Brief vom 10. November mit, wie er seinen Freund Eberhard von Rothkirch auf dem Bahnhof in Liegnitz vorgefunden hat: „Gestern habe ich einen tiefwehmütigen und ergreifenden Anblick gehabt, den ich wohl mein Leben lang nicht vergessen werde. Als ich hinzutrat, bin ich wirklich beinahe zurückgefahren. Abgemagert zum Skelett, mit ganz veränderten Zügen und völlig teilnahmslos lag er da. Erst als ich mehr an ihn herangetreten war und mich über ihn beugte, erkannte er mich und sagte mit erzwungenem Lächeln, aber in seiner alten Weise: „Nun ja, ihr wundert euch wohl, alten Kerls. Man hat mir mein Bein abgeschnitten."
Ein schöner Zug aus dem Schülerleben des jungen Grafen Eduard darf nicht unerwähnt bleiben, spricht doch daraus sein starkes Gerechtigkeitsgefühl, wie es ihn nie verlassen hat: Sein Akademiedirektor hatte einen Schüler wegen unritterlichen Betragens gezüchtigt, worüber sich dessen Vater empörte und auf den Abschied des Direktors hindrängte. Da bittet der junge Graf seinen Vater, diesem doch sein Vertrauen auszusprechen, weil er sich um die ganze Akademie sehr verdient mache und jeden einzelnen Schüler zu fördern suche.
Um seinen zwanzigsten Geburtstag herum besteht Pückler sein Abiturientenexamen und tritt in Bonn bei den Husaren ein, um gleichzeitig, wie üblich, Jura zu studieren, und tritt zugleich in das Korps der Borussen ein. Am 1. Oktober 1873 leistet er dem Kaiser den Eid der Treue und trägt das schwarz-weiße Band der Borussen. Er führt nun in Bonn ein Doppelleben: das rauhe Soldatenleben unter Wachtmeistern und Unteroffizieren, die Geld aus den Freiwilligen herauszupressen suchen, und auch das fröhliche, ausgelassene, aber strenge Studenten- und Verbindungsleben. Für beides ist er dankbar: „Man lernt, sich anderen zu fügen, anderen etwas zu opfern, überhaupt für viele zu leben und nicht für sich."
Im Januar 1874 schlägt er seine erste Mensur und erzählt ganz belustigt, wie er dabei verhaftet und aufs Polizeibüro mitgenommen wird, sich dort verbinden läßt, „damit er nicht unter den Augen der Polizei verblutet", und wie er schließlich durch den Polizeipräsidenten freigelassen wird und vergnügt zu seinen Kameraden heimkehrt.
Graf Eduard bezieht im Sommer 1875 die Universität Leipzig und wird hier mitten in der Vorfreude, mit seinem Bruder gemeinsam nach Amerika fahren zu dürfen, von einem Lastwagen so schwer überfahren, daß die Ärzte an seinem Aufkommen zweifelten. Er durfte nur seinem heimkehrenden Bruder nach England entgegenfahren. In Leipzig besteht er sein Referendarexamen und geht nach Wiesbaden, um auf dem Gericht zu arbeiten. Ein Fest in der alten Ritterakademie bringt ihn wieder mit seinem Freunde Eberhard von Rothkirch zusammen.
Seine nächsten Arbeitsstätten sind Muskau und Görlitz. Auf einer seiner vielen Reisen redet Gott wieder ernst mit dem jungen Grafen: Eine unbeachtete, später falsch behandelte Verletzung der inneren Handfläche hätte ihn beinahe die Hand gekostet, wenn nicht eine Breslauer ärztliche Autorität sie ihm gerettet hätte. Beide Brüder — der ältere besuchte die Kriegsakademie, der jüngere Eduard arbeitet beim Rechtsanwalt — beziehen in Berlin eine größere Wohnung, bis der ältere Bruder nach Potsdam zum Regiment Garde du Korps kommt und der jüngere wieder nach Görlitz im Dezember 1879 zurückkehrt.
Aber in der Zwischenzeit hatte sich jene große Wendung im Leben unseres Grafen Eduard von Pückler vollzogen, von der er selber in lakonischer Kürze und in heiliger Weise nur dies erzählt: „Meine Bekehrung fällt in das Jahr 1878, wo ich den Herrn, ich kann sagen ohne Vermittlung eines Menschen, fand, und zwar durch das Licht, das von den Einsetzungsworten des heiligen Abendmahls ausstrahlte." Pastor Wernicke in Görlitz bezeugte in hohem Alter, daß den jungen Grafen das mehrfach gehörte „Für dich!" so überwältigt habe wie einst den Grafen Zinzendorf die Unterschrift unter dem Bilde des Gekreuzigten: „Das tat ich für dich, was tust du für mich?" Der junge Graf schrieb einmal in einer Neujahrsbetrachtung, daß das Gotteswort: „Da dieser Elende rief, hörte der Herr und half ihm aus allen Nöten" in seinem Leben eine große Rolle gespielt habe.
„Es hat mich einst zurecht gebracht, als ich mich in verzweifelter Stimmung in eine Kirche geflüchtet hatte." Er soll nach jener stillen Stunde, in der der Herr zu ihm hat reden können, in den Wald vor die Stadt hinausgelaufen sein, um dort in heißem Ringen um Gnade und Vergebung den Herzensfrieden zu finden, der ihn trotz aller Kämpfe nicht mehr verlassen hat. Danach tritt er in Jesu Dienst und hilft Pastor Wernicke in einer Gruppe seiner Sonntagsschule und dankt Gott, daß er Kindern das geben darf, was Jesus ihm geschenkt hat.
Schwer wird ihm die Übersiedlung nach Breslau im Oktober 1880, schließlich findet er Anschluß an gläubige Menschen und darf wieder in einer Sonntagsschule mithelfen. Auf seinen älteren Freund Eberhard von Rothkirch übt dieser Jesus glühend liebende junge Referendar einen gewaltigen Einfluß aus. Mit innerer Anteilnahme hört jetzt in Berlin Rothkirch die Predigten eines Büchsels und Anderen und bezeugt dem jungen Pückler, daß er der erste gewesen sei, der ihn auf den Heilsweg geführt habe.
Als nun Pückler wieder zu einer Übung nach Bonn eingezogen ist, bestürmt man ihn, aktiv zu werden. Wie einst Herkules am Scheidewege, so steht Graf Pückler vor einer schweren Entscheidung. Nach inneren Kämpfen bleibt er zunächst bei der richterlichen Laufbahn. Er bereitet sich ernsthaft auf den Assessor vor. Im gemeinsamen Dienst für den Herrn schließen Pückler und Rothkirch in Berlin eine Freundschaft, die für beide von großem Segen geworden ist. Beide beteiligten sich an der 1864 begründeten Sonntagsschule in der Oranienstraße im Sommer 1881 zusammen mit Graf Bernsdorff und dem späteren Generalsekretär der Christlichen Vereine junger Männer, Phildius. Ein Jahr später bezeugt Rothkirch, daß auch er den Heiland gefunden hat — eine Frucht der innigen Liebe und der Gebete Pücklers. Jeder, der Pückler kennt, weiß, daß er bis in sein hohes Alter ein Mann des Gebets war. Wie oft wird dieser vaterländisch so tief empfindende Graf, jetzt von glühender Jesusliebe beseelt, für unser deutsches Volk gebetet haben, es möchte ihm doch Gott eine Gnadenzeit schenken, damit es sich von Gott finden lasse!
Gott fügte es, daß noch ein anderer Mann mit glühendem Herzen um die Seele seines Volkes rang: Stöcker auf der Domkanzel. Seit 1878 war Stöcker in heißen politischen Kämpfen und in ernster Stadtmissionsarbeit eifrig für unser Volk eingetreten. Was tat Gott, um in Berlin sein Werk aufzurichten?
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